Wie funktionierte die Seelsorge zwischen 1531 und 1540?
Was nach der Reformation seelsorgetechnisch in Weiach abgelaufen ist, liegt noch weitgehend im Dunkeln (vgl. dazu Wann löste sich Wyach von der katholischen Kirche? WeiachBlog Nr. 958 v. 7. Januar 2011). Der berühmte Theodor Bibliander soll bereits 1531 Pfarrverweser zu Weyach gewesen sein (gemäss Leu's Lexicon, Bd. IV (1750), S. 11, sowie Allgemeine Deutsche Biographie, Band 2 (1875), S. 612). Was danach geschah, ist völlig unklar.
Es dürfte so gewesen sein, dass bis 1540 (oder 1542?) Verweser in Weiach tätig waren, diese aber nicht allzu regelmässig dort auftauchten und die Seelsorge daher zu wünschen übrig liess. Es könnte sein, dass die Obrigkeit in Zürich diese Prädikanten 1540 überhaupt nicht mehr entsenden wollte (da zu teuer) und die Weiacher daraufhin rebelliert haben.
Schwer erklärbar ist jedenfalls, dass sie erst nach einer Durststrecke von mehr als 8 Jahren auf die Idee gekommen sein sollen, einen ihnen fix zugeteilten Pfarrer zu fordern, wenn sie nicht vorher schon sporadisch einen hatten (und zwischendurch halt nach Glattfelden oder Stadel in die Kirche gingen, wenn sie eine Predigt hören wollten, ein Kind taufen lassen mussten, etc., wenn dieser nicht verfügbar war).
Ein Zitat? Vielleicht. Doch aus welcher Quelle?
« ... zue Wyach ist ein erbar, gross Volck, gehörend über Rhyn zur Kilchen gen Dengen und diewyl dieselben am Babschtumb sind, sy wie eine Herd, die kein Hirt hat und zerstreut ist, mangelnd des Worts Gottes und der Sakramenten; dann sy von Stadel und Glattfelden eben wyt gelegen sind.»
Mit diesem Wortlaut sollen die Weiacher im Jahre 1540 die Forderung nach einem Prädikanten untermauert haben, der ihnen in ihrer eigenen Gemeinde Predigten mit reformatorischer Ausrichtung hält und sie auch sonst seelsorglich betreut. Das war ihnen umso wichtiger, als sie dieses Bedürfnis im nahen Kaiserstuhl nicht mehr abdecken konnten, denn dort war man bereits 1531 wieder zum Katholizismus zurückgekehrt.
Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich (BmuR), d.h. die Regierung des alten Stadtstaates, die im Wesentlichen noch nach der Brunschen Zunftverfassung von 1336 funktionierte, waren aber der Ansicht, dass die in Weiach Lebenden nach Stadel in die Kirche gehen sollten. Dorthin kam für Predigten und Kasualien ein Anthony Wysshoupt, der im Städtchen Bülach wohnte. Man kann sich denken, wie ausgeprägt die Betreuung bei diesen Verhältnissen war. Und dies auch noch eine Wegstunde entfernt.
Das alles passte den Weiachern überhaupt nicht, worauf sie gedroht haben sollen: «eh giengend (wir) nach Keiserstuel und achtend nüt der waaren leer!» Sie würden also eher wieder katholisch werden wollen (wie die Kaiserstuhler ein paar Jahre zuvor) als nach Stadel zu pilgern. Und daraufhin erhielten sei einen eigenen Prädikanten zugeteilt (wenn auch nicht einen bei ihnen wohnhaften).
So wie oben zitiert steht dieser Text in der ersten ortsgeschichtlichen Monographie über Weiach, dem blauen Büchlein von Walter Zollinger 1972, S. 29 (Printausgabe u.a. als StAZH Dc W 28 verfügbar). Mit etlichen Abänderungen punkto Schreibweisen findet man diese Passagen auch in der Einleitung zur Jahreschronik 1965 desselben Autors (Typoskript, Handschriftenabteilung ZB Zürich, G-Ch Weiach 1965, S. 1).
Originalquelle in den Pfrundakten?
Zollinger merkt sowohl in der Monographie 1972 wie im Typoskript 1965 an, diesen Text aus Aufzeichnungen entnommen zu haben, die von Pfr. Ernst Wipf (in Weiach 1903-1907) erstellt und im Pfarrarchiv hinterlassen wurden. Dort und in Archivalien des Weiacher Ortsmuseums (aus dem Pfarrarchiv extradiert) sind zwar noch etliche Transkripte von dieser Hand zu finden. Der oben aufgeführte Text ist in den bisher durchgesehenen Unterlagen nicht enthalten. Es stellt sich also die Frage: woher stammt das Zitat?
Das naheliegendste Suchfeld waren die Pfrundakten im Staatsarchiv. Aus den Pfrundakten Weiach (im Staatsarchiv unter StAZH E I 30.136) können diese Zitate nicht stammen, denn die ältesten dort enthaltenen Dokumente datieren auf das Jahr 1544. Darin geht es lediglich um die Frage, ob die Weiacher sich an die katholischen Feiertage zu halten haben oder nicht. Auch in späteren Dokumenten in diesem Dossier ist keine Rede von der Anfangszeit der Pfarrerentsendung nach Weiach, die gemäss Zürcher Pfarrerbuch 1542 eingesetzt haben soll (Pfr. Niklaus Ländi). Anderer Meinung ist Bluntschli in der dritten Auflage seiner Memorabilia Tigurina von 1742. Er setzt den Amtsantritt von Ländi auf das Jahr 1540.
Hilft das «Blaue Register» weiter?
Doch zurück zur Suche nach der Quelle. Weil die Pfrundakten nichts Sachdienliches enthalten, geht man jetzt am besten systematisch vor und forscht in den alten Findmitteln des Staatsarchivs nach, den handschriftlich erstellten Katalogen. Die verzeichnen nämlich auch Aktenstücke, welche noch nicht den Weg in den Onlinekatalog gefunden haben.
Das nach der Farbe der Einbände so genannte Blaue Register im Staatsarchiv des Kantons Zürich, ein Aktenverzeichnis aus der zweiten Hälfte des 18. Jh., bietet gemäss AdFontes eine «aussergewöhnliche thematische Erschliessungstiefe» bis auf einzelne Aktenstücke hinunter, vor allem für die Bestände A [Akten], E I [Religions- und Schulsachen, darunter die oben erwähnten Pfrundakten] und B VIII [Auswärtiges]. Und: man kann auch nach Orten zu einer bestimmten Zeit suchen, was hier besonders hilft. Aber auch da deutet kein Eintrag auf das Gesuchte hin.
Was steht in den Ratsmanualen?
Aufgrund des von Zollinger genannten Entscheiders (Bürgermeister und Rat) könnte es sein, dass die gesuchten Zitate in den Ratsmanualen zu finden sind. Leider ebenfalls Fehlanzeige, denn von den Ratsmanualen ist ausgerechnet für das fragliche Jahr keines mehr im Archiv zu finden. Und das schon seit dem 18. Jahrhundert, wie dem Katalogeintrag zu entnehmen ist:
«Die Lücke von 1516 bis 1545 entstand um 1700 durch Verlust. Für diese Zeit sind deshalb ersatzweise die damaligen Rats- und Richtebücher (Signaturen B VI 246 - B VI 256) zu konsultieren, die neben Ratserkenntnissen in Gerichtssachen auch solche in Verwaltungssachen enthalten.»
Auch Zollingers Gewährsperson Pfr. Wipf kann demnach diesen Text anfangs des 20. Jahrhunderts nicht in den Ratsmanualen gefunden haben.
Zwischenhalt
Bis jetzt also keine Spur! Noch ist aber nicht aller Tage Abend. Es gibt noch ein paar Aktenbestände, die man systematisch ansteuern kann. Namentlich solche, die mit den Ratsmanualen im Zusammenhang stehen.
Wenn allerdings auch da nichts zu finden ist, dann wird man wohl nur noch auf das zufällige Auffinden einer chronikalischen Überlieferung hoffen können, sofern diese einst digitalisiert und online verfügbar gemacht wird. Das wäre dann allerdings keine Originalquelle mehr.
Weiteres Vorgehen
Erstens steht immer noch eine minutiöse Durchsicht der Bestände des Pfarrarchivs Weiach aus. Was bei dessen aktuellem Ordnungzustand leider eine sehr zeitaufwändige Angelegenheit sein dürfte.
Zweitens wird eine Anfrage an das Projekt eRQZH gerichtet, denn gemäss Katalogeinträgen wird für viele der in Frage kommenden Bestände eine «Verzeichnung von Einzeleinträgen im Rahmen des Projekts Elektronische Rechtsquellen-Edition Zürich (Projekt eRQZH)» angestrebt.
Und drittens sind bei einem nächsten Besuch im Staatsarchiv die sogenannten «Ratschläge» (eine Unterabteilung des Fonds B II (Stadtbücher und Ratsmanuale), sowie die Fonds B IV (Missiven), B V (Ratsurkunden) und B VI (Gerichtsbücher) zu durchsuchen. Dazu die Akten des Neuamts-Obervogts.
Unterlagen des Neuamts-Obervogts sichten?
Wie steht es mit den Protokollen der Obervogtei Neuamt aus den fraglichen Jahren (wie von StAZH-Mitarbeiter Martin Leonhard vorgeschlagen)?
Man kann sich fragen, ob das Durchsehen der Klasse A 135 (und hier insbesondere des Dossiers A 135.1 über die Jahre 1367 bis 1551) so viel bringt, nachdem bereits das «Blaue Register» – die Bestände A, E I und B VIII tiefenerschliessend – keinen Treffer ergeben hat. Das stimmt besonders dann, wenn man annimmt, dass die Ersteller des Blauen Registers exakt gearbeitet haben.
Nun machen Menschen allerdings Fehler, das war auch vor Jahrhunderten nicht anders. Ergo: doch hineinschauen. Wer weiss, was sich da findet.
Finden sich Notizen in den «Ratschlägen»?
Zu diesen «Ratschlägen» sei die nachfolgende Erläuterung von Meinrad Suter aus dem Online-Katalog wiedergegeben:
«Beim Bestand Ratschläge handelt es sich um ehemals lose Akten, die bereits vor 1700 zu fünf Foliobänden zusammengebunden und mit einem Inhaltsverzeichnis pro Band versehen wurden (neu eingebunden 1943). Die zeitgenössische Bezeichnung "Ratschläge" bezieht sich auf den Inhalt. Dieser besteht vornehmlich aus Protokollen und Notizen (Protokollentwürfe, Konzepte) über Beratungen von Ratskommissionen und Ratsverordneten, zumeist zuhanden von Bürgermeister und Rat. Teilweise sind den Ratschlägen auch Aktenbeilagen beigegeben. Inhaltlich betreffen die Ratschläge alle Geschäftsbereiche und Angelegenheiten des Rates: Erneuerung oder Erlass von Mandaten, Instruktionen an Tagsatzungen, Verordnungen, Handwerksordnungen, Getreidehandel, Zollsachen, Bausachen - kurzum sämtliche Geschäftsbereiche des Rates der Stadt Zürich.»
Aus diesem wirklich breit gestreuten Sammelsurium wird besonders die Signatur B II 1080 von Interesse sein, mit dem Originaltitel: «Pars I, Rathschläg ohne Jahr-Zahl, auch etliche mit Jahr-Zahl. - Pars II, Rathschläg und Erkanntnussen von anno 1472 bis und mit 1549». Teil 1 betrifft die Jahre 1535 bis 1585, Teil 2 die Jahre 1517 bis 1549. Auch hier sollen Einzeleinträge im Rahmen von Projekt eRQZH erfasst werden.
Ist im Briefwechsel etwas zu finden? Missiven
Der Fonds B IV heisst «Missiven», das sind im wesentlichen Kopien ausgehender Briefe. «Abschriften und Entwürfe (Konzepte) der aus Stadtschreiberei und Unterschreiberei ausgegangenen Korrespondenz, ausgehende Schreiben des Zürcher Rats», erläutert der Katalog zu diesem Fonds. Wenn es nämlich so gewesen ist, wie Zollinger beschreibt, dann müssen Briefe zwischen Zürich und Weiach hin- und hergegangen sein. Und die Zitate wären dann nur ein kleiner Ausschnitt daraus.
Die Jahrgangsbücher enthalten auch Material weiterer Jahre (sog. Entstehungszeitraum), wie man aufgrund der Katalogeinträge vermuten muss. Daher sind die folgenden Signaturen ins Visier zu nehmen:
- B IV 9 (Originaltitel: Missiven alhier aussgangen ab Anno 1538, N.° 7.); 1531 bis 1546
- B IV 10 (Originaltitel: Missiven alhier aussgangen ab Anno 1539, N.° 8.); 1537 bis 1539
- B IV 11 (Originaltitel: Missiven alhier ausgangen ab Anno 1540 [...]); 1534 bis 1548
- B IV 12 (Originaltitel: Missiven alhier aussgangen ab Anno 1541, N.° 2.); 1530 bis 1543
- B IV 13 (Originaltitel: Missiven alhier aussgangen ab Anno 1542, N.° 3.); 1541 bis 1543
Ratsurkunden als Ergänzung zu den Ratsmanualen
Der Begriff Ratsurkunden für den Fonds B V ist für heutige Leser etwas irreführend. Gemäss Katalogeintrag handelt es sich dabei um:
«Entwürfe und Abschriften von durch obrigkeitliche Autorität und Vermittlung zustande gekommenen Urteilen und Verträgen in privaten und körperschaftlichen Angelegenheiten; Erkenntnisse, Beschlüsse von Rat und Rechenrat; Instruktionen für Gesandte auf Tagsatzungen und Konferenzen.»
Von besonderem Interesse sind diese Unterlagen aus denselben Gründen wie bei den «Ratschlägen: «Sachlich ergänzen die Ratsurkunden über weite Strecken die Ratsmanuale, in denen offenbar längst nicht alle Geschäfte eingetragen sind, über die eine Urkunde oder Erkenntnis ausgefertigt wurde.»
Konkret wird es um die folgenden Dossiers gehen: B V 4 (1528 bis 1533), B V 5 (1534 bis 1538), B V 6 (1539 bis 1543), B V 8 (1529 bis 1554), B V 9 (1533 bis 1552), B V 10 (1517 bis 1555). Eine ganze Menge wie man sieht, mit jeweils hunderten von Seiten. Glücklicherweise gibt es Register dazu (da muss man dann allerdings auf akkurate Arbeit der Archivare früherer Jahrhunderte hoffen).
Rats- und Richtebücher. Weil die Ratsmanuale fehlen
Bleiben noch die Rats- und Richtebücher, die im Halbjahrestakt abwechselnd vom Baptistalrat bzw. Natalrat geführt wurden. Darunter besonders der mit dem Titel «Raths-Buecher ab Anno 1534 ad Annum 1540» bezeichnete Band (Signatur: StAZH B VI 254). Er umfasst 224 Blätter. Dass sie durch einen 13 Blätter umfassenden Index erschlossen sind, erleichtert die Arbeit etwas.
Die «Raths- und Richt-Buecher ab Anno 1538 ad Annum 1544» (Signatur: StAZH B VI 255) dürften eher weniger Erfolg versprechen, denn, so der Onlinekatalog: «Die Richtbücher enthalten hier fast nur noch Beamtenlisten, Todesurteile und Verurteilungen zum Halseisen.»
Bleiben noch die Rats- und Richtebücher, die im Halbjahrestakt abwechselnd vom Baptistalrat bzw. Natalrat geführt wurden. Darunter besonders der mit dem Titel «Raths-Buecher ab Anno 1534 ad Annum 1540» bezeichnete Band (Signatur: StAZH B VI 254). Er umfasst 224 Blätter. Dass sie durch einen 13 Blätter umfassenden Index erschlossen sind, erleichtert die Arbeit etwas.
Die «Raths- und Richt-Buecher ab Anno 1538 ad Annum 1544» (Signatur: StAZH B VI 255) dürften eher weniger Erfolg versprechen, denn, so der Onlinekatalog: «Die Richtbücher enthalten hier fast nur noch Beamtenlisten, Todesurteile und Verurteilungen zum Halseisen.»
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