Ein Pfarrhaus gab es da noch nicht. Woche für Woche musste der Weiacher Pfarrer den Weg aus der Stadt Zürich ins entlegene Dörfchen am Rhein unter die Füsse nehmen. Keine sehr attraktive Stelle und noch dazu schlecht entlöhnt. Logische Konsequenz: Sobald sich eine neue Gelegenheit ergab, entschwanden diese Pfarrer in andere Gefilde.
So erging es den Weiachern auch mit Pfr. Mathias Spiller, einem ursprünglich aus Kaiserstuhl stammenden jungen Mann, der mit 25 Jahren ordiniert wurde. Er war 1557 bereits der zweite neue Pfarrherr, den man den Weiachern – sozusagen frisch ab Presse – angedeihen liess. Und schon 1558 wurde er als Pfarrer nach Altstätten (im heutigen St. Galler Rheintal) berufen.
In einer Gegend mit brüchigem Landfrieden
Altstätten stand mit den niederen Gerichten unter der Kontrolle des Fürstabts von St. Gallen, und war hochgerichtlich seit 1490 ein Untertanengebiet der Eidgenossen, verwaltet von Rheineck aus als Teil der Gemeinen Landvogtei Rheintal. Vor allem aber war es eine gemischtkonfessionelle Gemeinde, was zu erheblichen Problemen führte:
«Nachdem z.Z. der Reformation 1528 grosse Teile der Bürgerschaft der Aufforderung des Stadtammanns Hans Vogler Folge leisteten, sich dem St. Galler Fürstabt zu widersetzen und den neuen Glauben anzunehmen (Bildersturm 30.11.1528), kehrte nach dem Landfrieden von 1531 etwa die Hälfte der Einw. zum alten Glauben zurück. Die Kirche wurde fortan parität. genutzt. Die Zeit bis zum Landfrieden von 1712, der die Gleichstellung beider Konfessionen verbürgte, war konfliktreich. V.a. im 17. Jh. häuften sich handfeste Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Reformierten. Oft waren diese im Recht des St. Galler Fürstabts begr., auch den ref. Pfarrer einzusetzen. Das Arbeitsverbot für Neugläubige an kath. Feiertagen führte im Sommer 1658 fast zu Bürgerkämpfen.» (e-HLS, Artikel «Altstätten (Gemeinde)», 7.10.2010).
Spärliche Eckdaten...
Doch zurück zu Pfr. Spiller. Blättert man in den Standardwerken über die Zürcher Pfarrerschaft, so findet man nicht allzu viele Angaben über Spiller, der nach der Weiacher Pfarrerzählung (WPZ) die Nr. 22 trägt.
Der Weiacher Eintrag in Kaspar Wirz' Etat des Zürcher Ministeriums von 1890 lautet:
«1557. Mathias Spiller v. Kaiserstuhl, geb. 32., ordin. 57. - Er wurde 58 Pfr. in Altstetten (St.Gl), später in Glattfelden.»
Im Zürcher Pfarrerbuch von 1953 findet man auch nicht viel mehr:
«Spiller, 2) Mathias, von Kaiserstuhl, seit 1578 von Zürich (1532-1607). Ord. 1557, dann Pfr. in Weiach, 1558 in Altstätten, St. G., 1560 in Glattfelden, 1595 Dekan, hatte längere Zeit den Kapitelsdiakon von Winterthur als Helfer. Lit.: HBLS VI S. 471.»
Spiller wurde also erst mit 46 Jahren Bürger der Stadt Zürich. Und nach dem Historisch-biographischen Lexikon der Schweiz (HBLS), Bd. VI von 1931, ist er Begründer des Zürcher Stammes der Spiller:
«Spiller Mathias, von Kaiserstuhl, 1532-1598, Bürger von Zürich 1578, Pfarrer in Weiach 1557, in Altstätten (St. Gallen ) 1558, in Glattfelden 1559, Dekan 1595. Sie erlosch im Mannesstamm 1749. Wappen: in Blau auf grünem Dreiberg drei gold. Spindeln. K. Meyer: Wappenbuch, 1674. Dürsteler St. K. Wirz: Etat.»
Das Zürcher Pfarrerbuch dürfte übrigens mit den Lebensdaten richtig liegen. Spiller ist 1598 nicht etwa im Amt gestorben, sondern hat (möglicherweise aus gesundheitlichen Gründen) bereits 1597 «vorläufig resignirt», ist also zurückgetreten, wie man der Geschichte der Kirchgemeinde Glattfelden von Arnold Näf entnehmen kann (S. 102).
... aber doch für einen Aufruhr gut
Alles völlig unspektakulär, könnte man meinen. Nun gibt es da aber doch ein Detail, das erhebliches Aufsehen erregt hat. Eines, das mit dem Abschnitt über Altstätten oben schon angedeutet wird und direkt mit den konfessionellen Streitigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten zusammenhängt.
Wie der Vater des Spiller zu seiner protestantischen Pfarrerkarriere stand, ist nicht bekannt. Gut möglich, dass er noch vor der Geburt von Mathias Kaiserstuhl verlassen musste, als dieses nach einer kurzen reformierten Episode rekatholisiert worden war.
Ob ihm dieser Aspekt der Familiengeschichte bewusst war, ist ebenfalls unbekannt. Jedenfalls war Mathias das, was man heutzutage wohl «meinungsstark» nennen würde. Er war einer, der mit seiner Glaubensüberzeugung nicht hinter dem Berg hielt. Auch nicht auf der Kanzel, wie man einem Altstätter Büchlein von 1861 entnehmen kann:
«5) 1558. Mathias Spihler, von Kaiserstuhl, vorher Pfarrer in Weiach. 1559 wurde er seiner Pfarrstelle entsetzt, weil er gepredigt: sie - die Evangelischen - haben den alten, wahren, ungezweifelten christlichen Glauben. Dies wurde als dem Landsfrieden zuwider angesehen und deswegen dem Landvogt Gisler von Uri die Weisung ertheilt, insofern der Prediger "der Gnaden begere", solle er ihn einen Tag und eine Nacht in den Thurm legen und sodann aus dem Rheinthal verweisen; würde er aber der Gnaden nicht begehren, so solle er ihn vor das Recht stellen und das Recht als über Einen, der wider den aufgerichteten Landsfrieden gepredigt, ergehen lassen. Er kam in gleichem Jahr als Pfarrer nach Glattfelden, ward 1578 auch Bürger in Zürich, 1595 Dekan des Regensberger Kapitels, und starb 1598.» (Gedenkblätter 1861 - S. 47-48)
Dieser fünfte reformierte Altstätter Pfarrer, erst kurz zuvor vom St. Galler Fürstabt eingesetzt, wurde also sozusagen zu einem Sicherheitsproblem, weil katholische Scharfmacher in diesem Kampf um die wahre christliche Lehre keine Konzessionen machen wollten. So kam es, dass Spiller im Schnellverfahren abgesetzt und ausgewiesen wurde.
Wieder zurück im Unterland
Insgeheim hatten die Zürcher Ratsherren wohl Freude an diesem streitbaren Pfarrer Spiller. Und da traf es sich gut, dass zu ebendiesem Zeitpunkt der Glattfelder Pfarrer Rudolf Gwerb «mit dem Alter gar überrungen, kindlich, kontrakt und unvermöglich» geworden sei (wie Arnold Näf S. 101 überliefert), man ihn also dringend pensionieren musste.
Mit dem Kollator der Glattfelder Pfarrerstelle, dem Fürstbischof von Konstanz, gab es trotz des Aufsehens, das Spiller in Altstätten erregt hatte, offenbar keine unüberwindbaren Probleme, sodass er noch im gleichen Jahr die gut dotierte Stelle in unserem Nachbardorf antreten konnte und dort auch fast vier Jahrzehnte im Amt blieb:
«Matthias Spiller, 1560-1598, vorher zu Altstetten im Rheinthal, wo er Gefängniß erlitten. Er hatte 3 Frauen und hob aus der Taufe als Taufpathe 57 Kinder, seine erste Frau 35, die zweite 15 und die dritte 2; dagegen scheint er selber kinderlos gewesen zu sein. Von ihm wurden 888 Kinder getauft und 181 Ehen eingesegnet.»
Dazu drei Bemerkungen
1. Wie oben erwähnt, scheint Spiller bereits 1559 das Amt angetreten zu haben und schon 1597 zurückgetreten zu sein. Insgesamt verbleiben rund 38 Jahre in Glattfelden, die – deutet man das Fehlen von Klagen in den hier zitierten Werken korrekt – anscheinend problemlos verlaufen sind. Im Gegensatz zu Altstätten war Glattfelden ja auch nicht konfessionell gemischt, sondern rein protestantisch. Dafür sorgte die Oberhoheit der Stadt Zürich.
2. Aus der Aussage «Gefängniß erlitten» wird nicht ganz klar, ob Spiller um Gnade gebeten hat oder eben nicht und dann tatsächlich vor Gericht gestellt wurde (vgl. Zitat aus den Gedenkblättern oben). Im Gefängnis war er jedenfalls.
3. Diese Aussage Näfs punkto Kinderlosigkeit konstrastiert mit den Angaben im HBLS (s. oben). Wenn letzteres richtig liegt, dann muss es doch Nachwuchs gegeben haben – sonst wird man nicht Stammvater einer ganzen Linie. Hat Spiller Kinder adoptiert, allenfalls solche, die eine seiner Ehefrauen aus früherer Ehe mitgebracht hatte?
Quellen und Literatur
- Einige Gedenkblätter zum 40 jährigen Jubiläum des Herrn Pfarrer J.C. Bänziger in Altstätten, gefeiert den 20. Oktober 1860. Altstätten. Druck und Verlag von R. Unteregger, 1861 – S. 47-48.
- Näf, A.: Geschichte der Kirchgemeinde Glattfelden mit Hinweisungen auf die Umgebung. Bülach 1863 – S. 101 u. 102.
- Wirz, K.: Etat des Zürcher Ministeriums von der Reformation bis zur Gegenwart. Aus gedruckten und ungedruckten Quellen zusammengestellt und nach Kirchgemeinden geordnet. Zürich 1890.
- Tribolet, H.: Historisch-Biographisches Lexikon der Schweiz. Deutsche Ausgabe. Bd. 6, Neuenburg 1931 – S. 471.
- Dejung, E.; Wuhrmann, W.: Zürcher Pfarrerbuch 1519–1952. Zürich 1953.
- Vogel, J.: Altstätten (Gemeinde). In: Historisches Lexikon der Schweiz Online (e-HLS), Version vom 7.10.2010. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/001340/2010-10-07/
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