Montag, 13. Juli 2020

Einmal Reformation und zurück, bitte!

Wie wichtig Angaben dazu sind, woher eine bestimmte Information stammt, das hat sich grad vor einigen Tagen wieder einmal gezeigt. Nämlich bei der Frage, wann die Kaiserstuhler ihren kurzen kollektiven Ausflug in die Welt der Reformation getan haben. War das 1530/31? Oder hat die Rekatholisierung wirklich erst 1534 stattgefunden?

Letzteres muss man annehmen, wenn man WeiachBlog Nr. 329 v. 29. November 2006 liest. Oder den Artikel WeiachBlog Nr. 1483 v. 13. März 2020 (in dem die Jahrzahl 1534 aus dem Beitrag von 2006 übernommen wurde). Der Haken daran: Der Autor hat keine Angabe dazu gestellt, woher diese Zahl stammt. Eigene Überlegungen? Quellen? Fehlanzeige.

Nun gibt es aber auch Beiträge MIT Quellenangaben, so WeiachBlog Nr. 958 v. 7. Januar 2011, der auf 1531 hinweist und den HLS-Artikel über Kaiserstuhl von Franziska Wenzinger Plüss referenziert, wo sie den Reformationsabstecher mit den Worten: «1530 bestand vorübergehend eine ref. Mehrheit.» en passant streift.

Katholizismus ante portas

Warum interessiert das aus Weiacher Sicht überhaupt? Nun, Kaiserstuhl hat als Nachbarstädtchen seit seiner Gründung Mitte des 13. Jahrhunderts immer einen wichtigen Einfluss ausgeübt, wirtschaftlich wie kulturell. Dort waren nicht nur finanzkräftige Geschäftsleute wie die Escher oder die Grebel wohnhaft (bis zum gescheiterten Putsch gegen den Fürstbischof kurz nach 1400), dort war auch der Priester der Grosspfarrei Hohentengen ansässig, zu der Weiach seit dem Frühmittelalter gehört hat. Und: auf Rotwasserstelz am nördlichen Brückenkopf von Kaiserstuhl war der Amtssitz des fürstbischöflich-konstanzischen Obervogts, zu dessen niedergerichtlichem Herrschaftsbereich Weiach bis 1798 gehörte. Dieser Obervogt musste qua Amtseid im Sinne seines Dienstherrn katholisch handeln. Dazu kam dann noch, dass Kaiserstuhl zwar (im Gegensatz zu Klingnau) einen eigenen Schultheiss und einen Stadtrat hatte, aber dennoch sehr stark vom Wohlwollen des Fürstbischofs abhängig war.

Zurück zur kurzen Episode mit reformatorischem Anstrich. Wenn man etwas recherchiert, dann gibt es etliche online verfügbare Informationen, die alle auf die Zeit zwischen 1529 und 1531 hinweisen. Die sollen hier ausgebreitet und in den Kontext gestellt werden. In dieser Zeit hatte sich der Gegensatz zwischen sogenannt Altgläubigen und Neugläubigen derart hochgeschaukelt, dass militärische Auseinandersetzungen nicht mehr unmöglich erschienen. Zumal das mächtige Bern 1528 auf die reformatorische Seite gewechselt hatte. In Zürich und Bern gab die Regierungspolitik den Takt vor. In den Gemeinen Herrschaften aber, wie es die Grafschaft Baden in unmittelbarer Nähe von Weiach war, stellte sich die Frage, auf welche Seite es gehen sollte.

Zwingli als Influencer avant la lettre

«Der Landfriede nach dem ersten Zusammentreffen in Kappel 1529 (1. Kappeler Krieg), das noch friedlich beigelegt wird, überlässt es den Gemeinden in den Gemeinen Herrschaften, ihren Glauben selbst zu wählen. Ab 1529 bricht sich die Reformation in vielen Orten in der Grafschaft Baden und den Freien Ämtern Bahn.» (Widmer-Dean et. al, S. 5)

So beschreibt der Reader Geschichten zur Reformation im Aargau von Widmer-Dean und di Fronzo aus dem Jahre 2016 die Entwicklung der Glaubenlandschaft ab dem Sommer 1529 nachdem ein erster Waffengang gerade noch abgewendet werden konnte.

Von der anderen Seite her, also aus dezidiert antizwinglischer Sicht, geht Thomas Fassbind, ein katholischer Pfarrer und Würdenträger im Kanton Schwyz, die Sache an. Er schreibt in seinem 1834 herausgegebenen grossen Werk über die Geschichte seines Kantons:

«Die Zeit der Friedensunterhandlungen [nach dem 1. Kappelerkrieg von 1529] benutzte der für sich und sein neues Lehrsystem allzueifrige Zwingli, um die Proselitenmacherei rasch zu betreiben. Die Regierung des löbl. Standes Zürich, von Zwingli selbst wieder mächtig influenzirt, gieng dem Reformator kraftvoll an die Hand. Herrn Johann Jakob Hottingers Geständniß zufolge fanden reformsüchtige Geistliche und Weltliche zu Zürich Beifall, Ermunterung und Hülfe. Man gieng so weit, daß man Ortschaften, wie Baden und Kaiserstuhl, geradehin im Namen von Zürich aufforderte, den katholischen Gottesdienst abzuschaffen und den protestantischen einzuführen. Umsonst protestirten die V katholischen Orte. Zwingli wollte das Eisen schmieden, da es glühend war.» (Fassbind, S. 137)

Wenn plötzlich weite Kreise Bücher kaufen 

Proselytenmacherei ist ein negativ besetzter Begriff, der das Abwerben von Gläubigen bezeichnet (vgl. Wikipedia). Für die Fünf Orte (Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern undwar die Bearbeitung der Stadt Kaiserstuhl (aber auch von Zurzach) auch strategisch besonders sensitiv, da sich dort die wenigen von ihnen über die Gemeine Herrschaft Baden mitkontrollierten Rheinübergänge nach Norden befanden. Auch deshalb waren ihnen die Aktivitäten der Zürcher nicht geheuer. In der Innerschweiz erinnerte man sich schliesslich noch gut des Alten Zürichkriegs von 1440 bis 1446, wo die Zürcher mit den Habsburgern gegen sie gemeinsame Sache gemacht hatten.

Ob es nun dem (aus Sicht der katholischen Stände) Unterwanderungseinfluss der Zürcher Regierung zuzuschreiben ist, oder die Reformationsbewegungen in den Gemeinden der Grafschaft Baden dem eigenen Antrieb entsprangen: Es gab damals jedenfalls etliche Problemkreise, die man der katholischen Kirche entgegenhalten und als Reformgrund anführen konnte. Von offen praktiziertem Ämterkauf über kaum verheimlichte Liebschaften der Weltgeistlichen und Klosterbewohner (trotz offiziellem Zölibat) bis hin zur Frage, ob das Gepredigte auch dem entspreche, was tatsächlich in der Bibel stehe und all die Heiligenbilder nicht den Blick auf das Wesentliche versperren würden. Seit der Einführung des Buchdrucks konnten sich immer grössere Kreise Zugang zu Informationen verschaffen, auf welche der geistliche Stand vorher das Monopol hatte. Das konnte nicht ohne Folgen bleiben.

Staatsarchivar Meyer von Knonau mit neutraler Darstellung

Der Zürcher Staatsarchivar Gerold Meyer von Knonau hatte in seiner Erdkunde der schweizerischen Eidsgenossenschaft von 1839 eine etwas weniger polemische Sicht auf die Entwicklung der Lage als Fassbind:

«1530 beschloß die Mehrheit der Einwohner in Gegenwart des Landvogts von Baden die Einführung der Reformation, allein im folgenden Jahre wurde dieselbe wieder abgeschafft.» (G-MvK, S. 190)

Der 1927 erschienene Band IV des Historisch-biographischen Lexikons der Schweiz gibt noch ein Detail mehr als Meyer von Knonau:

«1530 nahm K. auf Drängen Zürichs den neuen Glauben an, kehrte aber schon nach dem 2. Kappelerkriege 1531 zum alten zurück.» (HBLS, Bd. IV – S. 439)

Hatten die Zürcher also offenbar etwas nachgeholfen, wie schon Fassbind 1834 wissen wollte? Das ist sogar sehr gut möglich. Vor allem wenn der Landvogt zu diesem Zeitpunkt ein Zürcher und Anhänger der Reformation gewesen sein sollte.

Pfarrer Bollinger wird neugläubig und muss fliehen

Wo in anderen Orten in der Grafschaft Baden bereits ab 1529 die Wende zum protestantischen Gottesdienst umgesetzt wurde (mit allen üblen Folgen wie Bilderstürmerei, etc.), da muss man für Kaiserstuhl annehmen, dass der dortige Pfarrer, Matthias Bollinger, noch länger am Alten festhielt – aus welchen Gründen auch immer. Der fürstbischöfliche Einfluss und/oder eine starke altgläubige Fraktion mit politischer Macht mögen da ihre Wirkung gehabt haben.

Pater Siegfried Wind gibt zu Pfr. Bollingers Wirken in seinem Artikel aus dem Jahre 1940 folgende Details:

«2. Mai 1528 - 12./13. Okt. 1531 (öfters erwähnt): Matthias Bollinger, Neugläubig. Hat Kaisertuhl im März 1531 vorübergehend auf Seite der Neugläubigen herübergezogen. Aber nach dem Siege der Katholiken bei Kappel (11. Okt. 1531) hat er das Weite gesucht [Fn-1]»

Fn-1: Strickler, Aktensammlung zur Schweiz. Reformationsgesch. I. Bd. Nr. 1980; III. Bd. Nr. 214; 226, 6; 265; IV. Bd. Nr. 64 -- Eidgen. Absch. IV. Bd., Abt. 1 b, S. 496 und S. 519 Nr. 13.

Wind sieht die Sache also anders als Meyer von Knonau, das HBLS und Wenzinger Plüss: statt auf 1530 – es soll gegen Jahresende gewesen sein – verortet Wind den Umschwung Richtung Reformation an einem späteren Punkt auf der Zeitachse: im März 1531.

Zurück zum alten Glauben

In Kaiserstuhl gewann also die katholische Fraktion  die Oberhand und machte die reformatorischen Neuerungen rückgängig. Fassbind (1839) bemerkt dazu: «In der Landvogtei Baden nahm noch im Winter von 1531 auf 1532 die Stadt Kaiserstuhl und mehrere Dorfgemeinden wieder den katholischen Glauben an.»

Das war aber nicht überall so. Die Mehrheits- und Machtverhältnisse in der jeweiligen Gemeinde bestimmten, was nach der Niederlage der Zürcher im 2. Kappelerkrieg passierte:

«Nach dem Sieg der altgläubigen Orte im 2. Kappeler Krieg und dem Tod Zwinglis wird im zweiten Kappeler Landfrieden der Grundsatz der konfessionellen Autonomie beschlossen: Jeder Ort sollte frei über seine Konfession entscheiden. [...] Offen blieb allerdings, was in den von reformierten und katholischen Orten gemeinsam verwalteten Gemeinen Herrschaften geschehen sollte. Die altgläubigen Orte, die sehr viel öfter turnusgemäss die Landvögte stellen, bringen dort die Reformation zum Stehen bzw. machen sie rückgängig.» (Widmer-Dean et. al, S. 5)

Kapelle als Erinnerung an den Kampf gegen die Reformation?

Auch im Schweizerischen Kunstführer über Kaiserstuhl ist ein Hinweis auf die Reformationsepisode  enthalten. Franziska Wenzinger Plüss und Brigitte Frei-Heitz äussern sich da vorsichtig zur Frage, ob die Kapelle vor den Toren der Stadt etwas mit dem kurzen reformatorischen Intermezzo zu tun haben könnte. War die Kapelle ein antireformatorisches Bauwerk der katholischen Fraktion?

«Vor der Stadt Kaiserstuhl befindet sich die um 1530 erbaute Kapelle der Vierzehn Nothelfer mit polygonalem Chor, Treppengiebel und elegantem Glockentürmchen mit Spitzhelm. Nothelfer sind Heilige, die in Zeiten besonderer Sorge um Fürbitte angerufen werden. Möglicherweise steht die Errichtung der Kapelle im Zusammenhang mit den Ereignissen der Reformation. 1531 kehrte Kaiserstuhl nach einer kurzen Zeit des Eingehens auf das reformierte Glaubensbekenntnis zum katholischen Glauben zurück.»  (Website Pfarrei Kaiserstuhl-Fisibach, abgerufen 12.7.2020)

Innerzürcherischer Machtkampf

Neben den Kaiserstuhlern selber und ihrem Priester Bollinger gab es noch weitere Akteure. Weiter oben war ja vom fürstbischöflich-konstanzischen Obervogt die Rede. Der war just in diesen entscheidenden Jahren ein Zürcher. Dazu noch einer mit Top-Beziehungen in höchste Kreise. Und einer, der der Reformation offenbar mehr als nur skeptisch gegenüberstand:

«Cornelius (Cornel, Cornell) Schultheiß (Schultheß) vom Schopf, Junker, 1505-1514 Achtzehner der Konstaffel im Großen Rat, seit 1514 im Kleinen Rat, nahm als Kriegsrat an den italienischen Feldzügen teil, Parteigänger der Franzosen, obschon im Pensionenprozeß ihm nicht Annahme von Pensionen nachgewiesen werden konnte; "hält zäh fest am überlieferten Glauben"; "in seiner hohen gesellschaftlichen und politischen Stellung einer der gefährlichsten Gegner Zwinglis", Georg Gerig, S.30.; [...] 1526 Juni 18 und Oktober 30 als "Amtmann" oder Vogt des Bischofs von Konstanz in Kaiserstuhl mit Residenz auf Schloß Rötteln auf dem rechten Rheinufer erwähnt (Strickler II, Nr. 291), auch 1531 November 24 als solcher erwähnt, EA 4 1b, S. 1223. [...]»  (Zwinglis sämtliche Werke Bd. VI, Teil 2, S. 423)

Die Passage mit dem gefährlichsten Gegner Zwinglis findet sich in «Georg Gerig, Reisläufer und Pensionenherren in Zürich 1519-1532, Zürich 1947.» Es gab also auch unter den Regierungsmitgliedern solche, die gegen die Reformation waren.

Ihnen entgegen standen glühende Befürworter, darunter auch Angehörige des einflussreichen Escher-Clans, die als ehemalige Kaiserstuhler noch immer ein wachsames Auge auf die dortige Entwicklung hatten, zumal dann, wenn sie selber in der Nähe ein öffentliches Amt ausübten:

«In der Nähe von Kaiserstuhl, in Eglisau, war Meister (Zunftmeister) Konrad Escher [...] Landvogt von 1525 bis 1531. [...] Nur war Konrad Escher offenbar eifriger Anhänger der Reformation, häufig Ratsverordneter in Fragen der Säkularisation der Klöster, der Beseitigung der Bilder und der Messe [...]» (Zwinglis sämtliche Werke Bd. VI, Teil 2, S. 423)

Bei dieser Konstellation ist klar: die beiden Amtsträger arbeiteten zwar bei der Verfolgung von Täufern zusammen (denn diese galten beiden als zu radikal und letztlich staatsfeindlich). Sie hatten auch sonst regelmässig miteinander zu tun. In der Reformationsfrage aber waren sie erbitterte Gegner. Und beide wussten, dass die Escher mit dem Fürstbistum seit Beginn des 15. Jahrhunderts noch eine Rechnung offen hatten.

Möglich ist, dass Konrad Escher offen oder verdeckt die reformatorische Fraktion unterstützte. Denn ein Umsturz in Richtung Reformation hätte allenfalls auch eine Entfremdung von der Herrschaft des Bischofs und letztlich die Rückkehr der Escher nach Kaiserstuhl bedeuten können. Umso beunruhigter dürfte die fürstbischöfliche Regierung gewesen sein. Und umso wachsamer Cornel Schultheß. Nicht auszuschliessen, dass er es war, der massgeblich für den Umschwung zurück zum alten Glauben sorgte, sobald sich die Gelegenheit dazu bot.

Quellen und Literatur

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