Dienstag, 31. Dezember 2024

An Silvester 1824 brannten zwei Haushalte lichterloh

Vor 200 Jahren genehmigte sich der Zürcher Kleine Rath (heute wäre das der Regierungsrat des Kantons Zürich) einen verlängerten Neujahrsurlaub. Die Herren Räte trafen sich erst am 6. Januar zur ersten Sitzung des neuen Jahres.

Ihr allererstes Geschäft war dann gleich ein recht unerfreuliches aus der Nordwestecke des Staatsgebiets. Ein auf den 1. Januar datiertes Schreiben des Oberamtmanns auf Schloss Regensberg (heute wäre das der Bezirksstatthalter), das über einen Grossbrand an Silvester 1824 berichtet:

«Das Lbl. Oberamt Regensperg erstattet der hohen Regierung sub dato 1sten hujus den Bericht, daß Tags vorher die mit No. 17. und 18. bezeichneten, zusammen für fl 1500. aßecurirten Wohnungen der Jacob Baumgartnerschen und Heinrich Bersingerischen Haushaltung zu Weyach gänzlich abgebrannt seyen. Dieser Bericht wird, in Gewärtigung des hierüber abzufaßenden Gutachtens der Lbl. Brandaßecuranz-Commißion, einstweilen ad acta gelegt.»

Ein versicherter Schaden von 1500 Gulden also. Von der (wohl nicht versicherten) ebenfalls verbrannten Fahrhabe und persönlichen Effekten der nun ohne Häuser dastehenden Familien ist hier keine Rede. Die Regierung nahm die Angelegenheit erst einmal lediglich zur Kenntnis und liess die löbliche (das bedeutet Lbl. nämlich) Gebäudeversicherungskommission ihres Amtes walten.

Gutachten der Brandassekuranz innert 10 Tagen erstellt

Und diese Kommission hat sich wohl schon kurz nach dem Eintreffen des Schreibens aus Regensberg vor Ort begeben, hat die Akten durchgesehen und sich ein eigenes Bild verschafft. 

Bereits am 11. Januar behandelte die Regierung die traurige Angelegenheit erneut, denn am Vortag hatte die Kommission ihren Antrag formuliert und das am 6. Januar offiziell bestellte Gutachten eingereicht. 

Diesmal geht das Protokoll tiefer und erwähnt (wohl basierend auf dem Bericht) die Versicherungssummen der beiden Gebäude:

«Mit einer Weisung d. d. 10ten hujus hinterbrachte die Lbl. Brandaßecuranz-Commißion der hohen Behörde des Kleinen Rathes ihren gutächtlichen Bericht und Antrag, betreffend das am 31sten passati zu Weyach Statt gehabte Brandunglück, durch welches die zwey Behausungen, No. 17. für fl 1000. aßecurirt, den Erben des Heinrich Bersinger, und No. 18. für fl 500. eingeschrieben, dem Jacob Baumgartner zugehörig, gänzlich eingeäschert wurden.»

Die Abkürzung «d.d.» steht für lateinisch «de dato»: «vom Datum» oder «datiert vom»; «hujus» (abgekürzt für «huius mensis») bedeutet «dieses Monats», also desselben, auf den der vorliegende Eintrag datiert ist. Diese Formulierung war insbesondere in der Verwaltungssprache und in juristischen Texten bis ins 19. Jahrhundert verbreitet. «Passati» steht entsprechend für den vorangehenden Monat, also hier den Dezember.

Wieder einmal vernachlässigte Feuerstellen!

Die Ermittlungen der Kommission zur Brandursache ergaben laut dem Regierungsratsprotokoll vom 11. Januar 1825 ein durchzogenes Bild:

«Da die Ursache des Brandes, dieser in ihrer Feuereinrichtung sehr übel bestellt gewesenen Gebäude, nicht ausgemittelt ist, die erstbenannte Haushaltung aber, welche ein ungetheilt gutes Zeugniß genießt, alles Verdachtes entschlagen ist, und gegen die zweyte, die sich zwar auch schon die Ahndung für Fahrläßigkeit mit dem Feuer zugezogen hat, keinerley Indicien vorhanden sind, auch beyde Parteyen alle ihre Fahrnuß verloren haben und sehr dürftig sind, so haben UHHerren und Obern erkennt, denselben den ganzen Ersatz der obbemeldten Aßecuranz-Summe, nebst der gewohnten Obrigkeitlichen Steuer an Frucht und Geld verabfolgen zu laßen.

Hievon wird der Lbl. Brandaßecuranz-Commißion, der Lbl. Finanz-Commißion, und dem Lbl. Oberamte Regensperg Kenntniß gegeben.
»

UHHerren (Unsere Hohen Herren) zeigten sich angesichts des Umstandes, dass im Gutachten keine Brandursache direkt angesprochen werden konnte (ausser dem generell schlechten Zustand der Feuerstellen) sowie aufgrund der Armut der beiden vom Brand betroffenen Weyacher Haushalte also gnädig. Und das, obwohl die Familie von Jacob Baumgartner punkto Feuersicherheit bereits mindestens einen Tolggen im Reinheft hatte!

Es wurde also erkannt (d.h. beschlossen), die volle Versicherungssumme zur Auszahlung bringen zu lassen und den Betroffenen auch die üblichen Leistungen des Staates zugesprochen.

In welchem Dorfteil standen Nr. 17 und 18?

Aufgrund des Umstandes, dass die Nummerierung nach dem ältesten System bei der Mühle im Oberdorf begonnen wurde, kann man direkt ableiten, dass es sich um Häuser am Fuss der Fasnachtflue gehandelt hat. Und das ist auch so, wie man dem im Gemeindearchiv liegenden Lagerbuch der Brandassekuranz (PGA Weiach IV.B.06.01) entnehmen kann:



Aus diesen beiden im Jahre 1834 mutmasslich aus einem älteren Lagerbuch kopierten Einträgen ersieht man, dass die Nr. 18 (versichert für 500 Gulden) nicht wiederaufgebaut wurde. Wohl aber die Nr. 17 (ursprünglich assekuriert für 1000 Gulden). 1834 gehörte das neu erstellte Gebäude Hans Ulrich Bersinger (wohl einer der Erben des Heinrich Bersinger sel.) und war für 1550 Gulden versichert.

Diese Assekuranzsumme entspricht fast exakt der 1825 ausbezahlten Entschädigung. Aufgrund dieser Angaben könnte man nun annehmen, dass das neue Gebäude im Verhältnis 2:1 unter den beiden brandgeschädigten Familien aufgeteilt wurde, schliesslich waren ja beide Parteien mittellos. Fragt sich nur, weshalb dann das Eigentum nun zu 100 % bei Hs. Ulrich Bersinger lag. Waren die Baumgartner ausgewandert? Und woher wäre dann das Geld gekommen, mit dem sie ausbezahlt wurden?

Abgebrannt war ein Strohdachhaus

Nicht allzu viel weiter kommt man mit dem 1812 erstellten Lagerbuch, das mittlerweile im Staatsarchiv (allerdings nur noch in Form der Negative der Mikroverfilmung) einsehbar ist (Original: StAZH RR I 575.1):

Die beiden versicherten Objekte sind auf ein und derselben Seite des Lagerbuchs eingetragen und die Versicherungssummen beider Parteien werden zusammengezählt, sodass man annehmen muss, sie seien zusammengebaut gewesen. Zudem ist bei beiden Parteien ein Strohdach eingetragen. Brannte eins der beiden Objekte ab, dann war es unvermeidlich auch um das andere geschehen. 

Bereits der Eintrag für den Neubau nach dem Brandunglück, datiert auf das Jahr 1825, weist als Eigentümer einzig den oben erwähnten Hs. Ulrich Bersinger aus! Der Neubau hatte ein Ziegeldach erhalten und als Versicherungssumme wurde offenbar der bisherige Gesamtbetrag für beide Objekte (1500 Gulden) übernommen. Und: Der Zuname dieses Zweiges der Bersinger war Weibelrudis (wenn ich das ab der leider ziemlich verschwommenen Aufnahme richtig entziffert habe).

Von der zweiten brandgeschädigten Partei findet man aber in den Eigentümereinträgen keine Spur mehr. Dieses Rätsel harrt also noch der Auflösung.

Nummer 17 (1809) ist jetzt Oberdorfstrasse 13 (1992)

Aus der Gebäudenummernkonkordanz geht hervor, dass die wiederaufgebaute Liegenschaft Nr. 17 im Jahre 1895 die Nummer 33 und im Jahr 1955 die Assekuranznummer 265 zugeteilt erhalten hat und heute immer noch steht. 

Es handelt sich um das einzige Gebäude, das zurückversetzt von der Oberdorfstrasse gelegen ist (hinter der Nr. 11) und nach den offiziellen Richtlinien eigentlich die Adresse Rebweg 1 tragen müsste.

Laut Gebäudeversicherung ist das Baujahr (technisches Gebäudealter) 1826. Auf welche Angaben sich diese Verschiebung um ein Jahr bezieht (Fertigstellungsjahr?), ist derzeit noch offen. 


Als Eigentümer der Parzelle 293 firmierten noch im Oktober letzten Jahres Roger und Nadja Kappeler. Aktuell sind es Daniel und Kathrin Rimensberger.

Quellen 
  • Das Lbl. Oberamt Regensperg berichtet, daß in Weyach 2. Wohnungen abgebrannt. Beschluss des Kleinen Raths (Regierungsrat) vom 6. Januar 1825. Signatur: StAZH MM 1.90 RRB 1825/0001
  • Aßecuranzvergütung des Brandunglückes zu Weyach an die Haushaltungen Bersinger und Baumgartner. Beschluss des Kleinen Raths (Regierungsrat) vom 11. Januar 1825. Signatur: StAZH MM 1.90 RRB 1825/0028.
  • Lagerbuch Gebäudeversicherung Kt. ZH, Expl. Gemeinde, 1834-1894. Signatur: PGA Weiach IV.B.06.01.
  • Brandenberger, U. (Bearb.): Gebäudenummernkonkordanz der Gemeinde Weiach 1809-1895-1955-1992, nachgeführt bis 31.12.2024; in Verbindung mit der Gebäudealterkarte sowie der Eigentümerauskunft des Geoportals des Kantons Zürich (maps.zh.ch).

Samstag, 28. Dezember 2024

Elsässischer Wehrmachtsoldat desertiert in die Schweiz

Die Grenzfüsilierkompanie V/269, bei welcher der Weiacher Lehrer und Ortschronist Walter Zollinger als Wachtmeister seinen Aktivdienst geleistet hat, war um den Jahreswechsel 1944/45 nicht mehr im angestammten Kaiserstuhl, sondern am Kraftwerk Rheinsfelden und bei Eglisau stationiert.

Am 27. Dezember musste die Kompanie in Stadel mobilisieren. Der langjährige Bataillonskommandant Grossmann verabschiedete sich an diesem Tag von der Kompanie und übergab sein Kommando an den Generalstabshauptmann Pfenninger. 

Kaum eingerückt, schon Ernstfall

Am nächsten Tag war die V. Kompanie dann bereits im Grenzschutzeinsatz. Unter dem 28. Dezember 1944 – also heute vor 80 Jahren – schrieb ihr Kompaniekommandant folgenden Tagebucheintrag:


Bestand: 3 Of, 101 Uof + Soldaten, 6 HD  [HD = Hilfsdienst]

Wetter: kalt, sehr schön.

Arbeit nach Tagesbefehl. Die Arbeit an den Waffen hat gezeigt, dass die Mannschaft solche bis auf wenige Ausnahmen noch gut beherrscht.  [Anmerkung: Hoffentlich auch, sie wurde ja erst am 12. Oktober desselben Jahres aus einem Ablösungsdienst entlassen und nun folgte schon der nächste.]

Hr. Hptm. Pfenninger besucht die Kp. [gehört sich so für einen neuen Bataillonskommandanten]

Die Kp. V/269 nimmt Verbindung auf mit der Flabgruppe 108. [Das war also das für den Raum Eglisau/Hüntwangen zuständige Flab-Detachement. In Weiach stand zur selben Zeit die Schwestereinheit mit der Nr. 104, vgl. WeiachBlog vom 26. Dezember]

Brückenköpfe wurden streng bewacht

1515 meldet sich auf der Wache ein deutscher Wehrmachtsangehöriger. [Elsässer]. Er wird verpflegt und in Verwahr genommen. Übergabe an die Kantonspolizei.

Die zu diesem Satz gehörende Randbemerkung «Viadukt Nord» ist besonders wertvoll. Sie zeigt nämlich an, wo genau sich dieser Wehrmachtssoldat gestellt hat. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am nördlichen Ende der Eisenbahnbrücke über den Rhein, die Teil der 1895-97 erstellten Linie Eglisau-Neuhausen ist. Also in unmittelbarer Nähe der Station Hüntwangen-Wil und der Wagendecken- und Wachstuch-Fabrik Stamm & Co (mehrheitlich auf Eglisauer Boden).


Ein Malgré-nous setzt sich ab

Dieser letzte Eintrag zum 28.12. steht für eine Tragödie der besonderen Art. Hier ist nicht ein Deutscher desertiert, sondern ein Soldat in deutscher Uniform, der sich mutmasslich von Hohentengen her durch den Wald über die Grenze ins Rafzerfeld geschlagen hat. 

Dieser Elsässer war ein Malgré-nous. Das ist die Bezeichnung für rund 130'000 zwangsweise in die deutsche Wehrmacht und die Waffen-SS eingezogene deutschsprachige Franzosen aus Elsass-Lothringen, die sich nach dem Krieg dem Verdacht ausgesetzt sahen, mit dem Feind gemeinsame Sache gemacht zu haben. Es gab aber nur wenige Freiwillige. Die überwiegende Mehrheit sahen sich als Soldat wider Willen, malgré-nous eben.

Gegen die Haager Landkriegsordnung

Das Gebiet Elsass-Lothringen war zwar im Mai 1940 von den Deutschen besetzt, jedoch nicht per Annexion ins Deutsche Reich integriert worden. Dagegen sprach der Umstand, dass der deutsche Aussenminister von Ribbentrop noch 1938 eine Vereinbarung mit den Franzosen getroffen hatte, wonach Deutschland keine territorialen Ansprüche an Frankreich habe (also insbesondere nicht das von 1871 bis 1918 zum Reich gehörende Reichsland Elsaß-Lothringen).

Aus diesem Grund war auch die Rekrutierung rechtlich unzulässig. Dies kann man aus der Internationalen Übereinkunft betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (sog. Haager Landkriegsordnung) vom 29. Juli 1899, ableiten: 

Art. 44: Es ist verboten, die Bevölkerung eines besetzten Gebietes zur Teilnahme an den Kriegsunternehmungen gegen ihr eigenes Land zu zwingen.

Art. 45: Es ist verboten, die Bevölkerung eines besetzten Gebietes zu zwingen, der feindlichen Macht den Treueid zu leisten.

Und deutsche Soldaten wurden ja bekanntlich auf Adolf Hitler persönlich vereidigt. Für elsässische Zwangsrekrutierte also auf den Führer der Besatzungsmacht.

Umkämpftes Elsass

Am 23. November hatte die 1. Französische Armee Strassburg erreicht, am 25. November Mülhausen (Mulhouse; vgl. die Karten zum Artikel Kämpfe um Elsass und Lothringen (1944). Diese Vorstösse dürfte der Deserteur mitbekommen haben. 

Man kann ihm nicht verdenken, dass er nicht gegen die Franzosen (und damit gegen Elsässer, die auf der anderen Seite mitkämpften) in den Einsatz geschickt werden wollte. Das machte seinen Entscheid leichter, das Risiko auf sich zu nehmen, als Deserteur gefangengenommen und erschossen zu werden.

Den Deutschen gelang es zwar zwischen dem 31. Dezember 1944 und 25. Januar 1945 (sozusagen als Nebenkriegsschauplatz der Ardennenoffensive) noch einmal, rund 40 % des Elsass einzunehmen. Von langer Dauer waren diese Geländegewinne allerdings nicht.

Quelle und Literatur
  • Tagebuch Gz Füs Kp V/269. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1875*.
  • Tagebuch Flab Bttr 108, 1942-1945. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#3119*.
  • Neukom, Th.: Eisenbahnviadukt (Eglisau, 1897). In: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, 74 (2007), S. 88-89.
  • Kunz Bolt, Ch.: NOK-Kraftwerk Rheinsfelden-Eglisau (Glattfelden 1915/20). In: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, 74 (2007), S. 116-117.

Donnerstag, 26. Dezember 2024

Irrtümlich auf eine eigene C-36 geschossen

In den Zeiten des Kalten Kriegs war man als männlicher Jugendlicher gut beraten, sich auf die Rekrutierung vorzubereiten. Nicht nur mit physischem Training. Auch geistig. Dafür gab es etliche vom EMD geförderte Abendkursangebote. 

Kleine Auswahl gefällig? Der Erste-Hilfe-Kurs des Militärsanitätsvereins (besser als jede heutige Nothelferkurs-Schnellbleiche), Morsekurse für Funkbegeisterte und Flugzeugerkennungskurse, wo man anhand von Modellen, Silhouetten und Filmaufnahmen lernte. Der Absolvent solcher Kurse konnte sich sein Spezialwissen in einem rosafarbenen Büchlein bescheinigen lassen. Das konnte helfen, den Aushebungsoffizier davon abzuhalten, einen als Füsilier einzuteilen.

Fensterplatz beim Flugzeugerkennungsunterricht?

Dass solche Theorie sehr praktischen Nutzen haben kann, das belegt der Nachmittag des zweiten Weihnachtstages 1944, heute vor 80 Jahren. Damals donnerten auf Leebern nördlich des Dorfes Weiach und nahe dem Rhein nämlich die Geschütze der Schweizer Fliegerabwehr, wie man dem Tagebuch des Kommandanten der Flab-Batterie 104, Hauptmann Kissling, entnehmen kann:


Unter dem rationalen Telegrammstil der Pflichtberichtspunkte findet sich unter 8. Besondere Vorkommnisse die Prosa einer mehr als peinlichen Schussabgabe:

«Die Bttr. eröffnet um 1530 auf als fremdes Flz. angesprochene C 36 irrtümlicherweise das Feuer, glücklicherweise ohne Erfolg. Bestrafung der "Schuldigen" durch Abt. Kdt.»

Wie hoch die Strafe ausgefallen ist, das schreibt Hptm Kissling hier leider nicht. Bislang war es dem Verfasser dieses Artikels auch nicht möglich, in die Tagebücher der vorgesetzten Stellen (Flab Rgt 22 oder 23?) Einsicht zu nehmen.

Was ist eine C-36?

Der Mehrzahl der geneigten heutigen Leserschaft ist der Begriff C-36 und das Aussehen dieses Flugzeugs wohl ein böhmisches Dorf.

Den damaligen Angehörigen des in Weiach stationierten Flab-Detachements hätte das aber nicht passieren dürfen.

Ironie der Geschichte: Noch am Vortag, dem 25. Dezember 1944, hatte Leutnant Kummer als Stellvertreter des Kommandanten auf ebendiesen Stephanstag für das Alarm-Det. von 16:30 bis 17:30 eine Lektion «Flz.-Erkennungsdienst» anberaumt. Das geht aus dem von ihm unterzeichneten Tagesbefehl hervor. Als Einsatzbesprechung war diese Sequenz wohl nicht gedacht. Trotzdem sozusagen perfektes Timing.

Die C-36 war ein ureigenes Schweizer Gewächs. Gebaut von der Eidgenössischen Konstruktionswerkstätte (K+W), 1942 in Dienst gestellt und nach dem Krieg noch lange als Zielschleppflugzeug verwendet. Da durfte man dann drauf schiessen. Aber nur auf das Ziel im Schlepptau!

Quellen und Literatur

  • Tagebuch Flab.-Det. 104, Bd. 6, 8.5.1944 bis 13.2.1945 (Elektronische Version: Dok 8, S. 24; bzw. Dok 9, S. 86 für den Tagesbefehl). Schweizerisches Bundesarchiv. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#3115*.
  • Bild C-36 von ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Unbekannt / Ans_05035-197 / Public Domain Mark - http://doi.org/10.3932/ethz-a-000031934.
  • Brandenberger, U.: Fliegerabwehrgeschütze standen monatelang auf der Leebern. WeiachBlog Nr. 1839, 2. Juli 2022.

Dienstag, 24. Dezember 2024

Maikäferbekämpfungsbeiträge an Heiligabend gesprochen

Am heutigen Datum vor 100 Jahren war der Zürcher Regierungsrat nicht etwa weihnächtlich gestimmt. Er widmete sich unter anderem einer geradezu kriegerischen Angelegenheit: der Maikäferbekämpfung. In ihrem Antrag an die Regierung schrieb die zuständige Volkswirtschaftsdirektion: 

«Das Jahr 1924 war ein sogenanntes «Bernerflugjahr»; ein massenhaftes Erscheinen der Käfer im größten Teile des Kantons war erfahrungsgemäß mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten. Nach der von der Volkswirtschaftsdirektion vorgenommenen Zusammenstellung der gemeinderätlichen Berichte wurden denn auch in 144 Gemeinden mit einem sammelpflichtigen Areal von 73,024 ha im ganzen 1,112,549 Liter Maikäfer eingesammelt und vernichtet, trotzdem der Käferflug durch die vorwiegend kühle und regnerische Witterung der letzten Aprilwoche und der ersten Dekade des Monates Mai ziemlich beeinträchtigt war.»

Es galt Ablieferungspflicht

Damals waren noch alle Eigentümer, Pächter, etc. von Liegenschaften (unüberbaute Flächen und Laubwald) verpflichtet, nach Aufforderung durch Beauftragte des örtlich zuständigen Gemeinderats bestimmte Mengen an Käfern pro Flächeneinheit abzuliefern, um die Schäden einzudämmen, die diese gefrässigen Insekten sonst verursacht hätten:

«§ 3. Das Minimum der abzuliefernden Käfer beträgt für jeden Inhaber eines Grundstückes bis auf 10 Aren Flächeninhalt 2 Liter, für je weitere 10 Aren Grundbesitz 1/2 Liter. Die Gemeindräte sind befugt, bei starkem Auftreten der Käfer dieses Pflichtmass bis auf das Vierfache zu erhöhen.»

Diese Bestimmung findet man in der Verordnung betreffend die Einsammlung und Vertilgung der Maikäfer und Engerlinge vom 4. April 1901 (vgl. StAZH OS 26 (S. 283-286)). Dieser Erlass hatte etliche Vorgänger. Der älteste wurde noch zu Zeiten erlassen, als die Schweiz nach napoleonischer Pfeife tanzen musste: die Polizeyverordnung vom 5ten Merz 1807, betreffend die Ausrottung der Laub- oder Mayen-Käfer (vgl. StAZH OS AF 3 (S. 286-292)).

Aber auch schon die Gnädigen Herren zur Zeit des Ancien Régime sahen die Jagd auf diese Krabbeltiere als auf ihrem Staatsgebiet zu befördernde Aufgabe an. Das zeigt sich in der Mandatesammlung des Staatsarchivs des Kantons Zürich: Erinnerung für die Landschaft betreffend Bekämpfung der Laubkäfer oder Meienkäfer, 1771 (vgl. StAZH III AAb 1.13, Nr. 84).

Finanzieller Anreiz für freiwillige Mehrmengen

Die Verordnung von 1901 sah explizit monetäre Förderung vor: «§ 6. Auch die nichtpflichtigen Gemeindeeinwohner sind zur Einsammlung und Ablieferung von Maikäfern einzuladen. Für die abgelieferten Käfer erhalten sie aus der Gemeindekasse eine Entschädigung, welche für die erste Flugwoche 20 Rp., für die folgenden Wochen 10 Rp. per Liter betragen soll. Die gleiche Entschädigung erhalten diejenigen Pflichtigen, welche über ihr Pflichtmass hinaus Käfer abliefern.»

Das konnte also für eine Gemeinde ziemlich teuer werden, wenn (wie 1924: Bernerflugjahr) gerade besonders viele Maikäfer auftraten. In diesem Jahr blieben aber die Gemeinden im Bezirk Dielsdorf verglichen mit etlichen Gebieten am Zürichsee verschont.

Damit die Gemeindekassen nicht überstrapaziert würden, sah der Erlass Staatsbeiträge vor und lobte gar Prämien aus:

«§ 10. Für die von den Gemeinden gemäss den §§ 6 und 9 dieser Verordnung bezahlten Entschädigungen ist in erster Linie der Ertrag der allfällig nach § 5 erhobenen Bussen zu verwenden; an den Rest trägt der Kanton zur Hälfte bei; überdies werden vom Staate an Gemeinden, welche in rationeller und intensiver Weise den Maikäfer- und Engerlingfang betrieben oder im Sinne der Verordnung aus Gemeindemitteln dafür namhafte Opfer gebracht haben, angemessene Prämien verabreicht. Die zuständige Direktion des Regierungsrates kann von Gemeinden, welche bei Ermittlung des Staatsbeitrages in Betracht fallen, die nötigen Kontrollen, wie Grundbesitzkataster, Einsammlungslisten und Bussenverzeichnisse, zur Einsicht herbeiziehen.»

Nur ordentliche Staatsbeiträge, keine Prämien

Und um die Festsetzung der Beiträge ging es im Regierungsratszimmer an diesem Heiligabend vor 100 Jahren. Die Gemeinde Weiach hat 17 Franken und 85 Rappen ausbezahlt erhalten. Unsere direkten Nachbargemeinden Bachs, Glattfelden und Stadel tauchen in dieser Liste des Regierungsrates erst gar nicht auf.

Prämien gab es keine, obwohl beispielsweise die Gemeinde Gossau in den höchsten Tönen gelobt wurde. Erklärt wird das im Regierungsratsbeschluss so:

«Obschon einzelne Gemeinden unter Aufwendung bedeutender Mittel in der Durchführung des Käferfanges anerkennenswerter Weise zum Teil außerordentliche Leistungen zu verzeichnen haben, muß doch von der Ausrichtung von Prämien mit Rücksicht auf die starke Überschreitung des bewilligten Kredites durch die ordentlichen Staatsbeiträge und angesichts der immer noch ungünstigen finanziellen Lage des Staates, welche in den Ausgaben größte Zurückhaltung erfordert, Umgang genommen werden.»

Nichts mit Bescherung für die Gemeindekassen! 

Quelle

Montag, 9. Dezember 2024

Das Sechspfarrerjahr 1566

Ein Dreikaiserjahr erlebten die Untertanen des Deutschen Reichs 1888, Dreipäpstejahre waren auf dem Stuhl Petri keine Seltenheit (letztmals 1978) und 1276 verzeichnete die katholische Christenheit gar ein Vierpäpstejahr.

Weiach toppt das alles locker. Unsere Vorfahren mussten 1566 nämlich als Sechspfarrerjahr abbuchen. Weshalb? In der Stadt Chur war die Wahrscheinlichkeit in diesem Jahr hoch, an der Pest zu sterben. Und auch sonst war das Leben damals durchaus nicht ungefährlich. 

Nach kurzer Zeit wegbefördert

Aber im Gegensatz zu den obgenannten Fällen hochgestellter Herren und auch den zwei Vierkaiserjahren der Römerzeit (69 und 193 n. Chr.) kam kein einziger dieser sechs Pfarrer bei uns ums Leben. Sie wurden alle durch den Zürcher Rat, der sie eingesetzt hatte, bereits nach wenigen Wochen auf eine andere Stelle verschoben.

Das Jahr 1566 zeigt besonders eindrücklich, wie damals unsere Pfarrstelle sozusagen als erste Bewährungsprobe für junge Absolventen angesehen wurde. Fünf dieser sechs wurden im selben Jahr 1566 als Pfarrer ordiniert. Und Weiach war ihre erste Pfarrstelle überhaupt. 

Im Telegramm-Stil des älteren der beiden gedruckten Zürcher Pfarrerverzeichnisse, dem Etat von 1890, liest sich die Abfolge so:

1565. Jesaias Wecker, ordin. 65.  Er wurde Pfr. in Kirchberg (St. Gl.), später in Wytikon.

1566. Leonhard Hofmeister, ordin. 66.  Er wurde Diakon in Stein, 67 Pfr. in Steckborn, später in Männedorf.

1566. Joh. Wilhelm Brennwald, geb. 42, ordin. 66, Sohn des Schaffners Jost B. in Embrach.  Er wurde Diakon zu Kappel.

1566. Rudolf Bräm v. Zürich, geb. 40, ordin. 66.  Er wurde Diakon zu Küsnacht.

1566. Kaspar Zurlinden v. Zürich, geb. 41, ordin. 66.  Er kam nach Hombrechtikon.

1566. Georg Boßhardt v. Zürich, geb. 40, ordin. 66.  Er wurde Pfr. in Balgach (St. Gl.) später in Niederhasle.

Nach der Weiacher Pfarrerzählung WPZ24 sind das die Nummern 36 bis 41.

Aus anderen Quellen wissen wir, dass Wecker (auch Wegger geschrieben) vom Zürcher Rat am 13. März 1566 auf die Stelle im Untertoggenburg gewählt wurde. Und weiter, dass Zurlinden im Dezember 1566 nach Hombrechtikon kam. Also sechs Amtsträger in rund neun Monaten.

Miserabler Praktikantenlohn

Dass keiner länger als unbedingt nötig Pfarrer für die Weiacher bleiben wollte, hatte einen einfachen Grund: Schlechter bezahlt war kaum eine andere Pfarrstelle im Zürcher Gebiet. 

Die Jahresbesoldung aus der Staatskasse betrug gerade einmal 10 Gulden! Davon konnte man selbst als Einzelperson kaum überleben. Und ein Pfarrhaus gab es in diesen ersten Jahren nach der Reformation in Weiach auch noch nicht.

Eine Stelle als Assistenzpfarrer (Diakon), wie sie Hofmeister, Brennwald und Bräm erhielten, war offensichtlich einiges besser dotiert.

Quelle

  • Wirz, K.: Etat des Zürcher Ministeriums von der Reformation bis zur Gegenwart. Aus gedruckten und ungedruckten Quellen zusammengestellt und nach Kirchgemeinden geordnet. Zürich 1890 – S. 197.

Sonntag, 8. Dezember 2024

Verrauchter Kirchenraum kommt teuer zu stehen

Die Reformierten hätten «kilchen glych den rossställen». So oder ähnlich tönten katholische Schmähreden im ersten und zweiten Jahrhundert nach der Reformation. 

Vielleicht sprach aus solchen spitzen Bemerkungen auch ganz einfach der bare Neid. Denn wenn man nur glatte weisse Wände hat, ohne jegliche Verzierung, dann ist auch die Renovation ähnlich billig wie das regelmässige Kalken der Wände von Viehställen. 

In aufwändig verzierten und opulent mit Malereien ausgestatteten Kirchen geht das nicht. Da wird eine Renovation schnell zur superteuren Restauration oder führt gleich zu einer kompletten Neugestaltung. Wenn man berücksichtigt, dass in katholischen Kirchen wesentlich häufiger Kerzen brennen, dann schlägt sich pro Zeiteinheit auch viel mehr Russ an den Wänden nieder.

Exakteste Reinigungsarbeit erforderlich

Ganz so teuer wurde es in der evangelisch-reformierten Weiacher Kirche bei der letzten Renovation 2019/2020 nicht. Denn die Innenwände präsentieren sich so schlicht, wie es das zwinglianische Glaubensbekenntnis verlangt. Mit einer einzigen Ausnahme: dem Bibelzitat (Jer 17, 12-14) an der Nordwestmauer. Gemalt im April 1968 von Otto Rüger.

Im Bild sieht man die Initiale E im Verlauf der Arbeiten. Die beauftragte Firma Fontana tastete Rügers Werk nicht an. Ihre Spezialistin entfernte in minutiöser Präzisionsarbeit den Schmutz, der sich in einem halben Jahrhundert auf den weissen Stellen rundherum festgesetzt hatte.

Quelle

  • Aufnahme Gregor Trachsel, 29. April 2020, 09:10 (IMG_7598.jpg).

Donnerstag, 5. Dezember 2024

Budgetversammlung: Des öffentlichen Schaukampfs zweite Auflage

Heute vor einem Jahr wurden auf diesem Blog die Differenzen zwischen RPK und Gemeinderat bezüglich des diesjährigen Budgets beleuchtet (vgl. WeiachBlog Nr. 2018).

Die weitestgehende Absenz von Budgetkritikern an der Gemeindeversammlung vom 7. Dezember 2023 hat dann zuverlässig dazu geführt, dass der Gemeinderat mit seiner Auffassung, man dürfe auch auf Vorrat Steuern erheben, um das Budget mittelfristig ausgeglichen zu gestalten, per Handmehr in der Versammlung durchgedrungen ist.

Der diesjährige Abschied der RPK zum Budget ist sozusagen eine Neuauflage, ein ceterum censeo, was das beim Bundesgericht zu Lausanne schlummernde Infrastrukturprojekt betrifft. Die RPK lehnt zwar das Budget 2025 nicht in globo ab, macht aber erneut zwei Anträge, um die Diskussion an der Versammlung anzukurbeln:

«Das Budget wird einstimmig unter Berücksichtigung der untenstehenden Änderungsanträge verabschiedet und der Gemeindeversammlung zur Annahme empfohlen.

Änderungsantrag 1: Vollständige Streichung des Betrages über CHF 5'000'000.00 der Budgetposition 5040.04, Gemeindeinfrastrukturprojekt

o Begründung: Ein Budget hat die Ist-Situation im kommenden Jahr abzubilden. Da der Abstimmungsentscheid vor dem Bundesgericht hängig ist, ist mit einem Baustart 2025 nicht zu rechnen. Damit werden auch keine Mittel benötigt und deshalb ist die Budgetposition zu streichen.

Änderungsantrag 2: Rückabwicklung der Steuererhöhung von 67% auf 73% wieder auf 67%

o Begründung: Die Steuererhöhung auf Vorrat war weder notwendig (Asylantenunterkunft von CHF 400'000.00 ist nicht gebaut worden), noch erlaubt (Art. 92, Abs. 1 Gemeindegesetz des Kantons Zürich) und deshalb ist der Steuersatz wieder auf 67% zu senken. Es können trotzdem noch 140'000.00 in die finanzpolitische Reserve eingebracht werden.»

Ebenso sicher wie das Amen in der Kirche war natürlich, dass sich die Rechtsauffassung des Gemeinderates ebenfalls um kein Iota verändert hat.

Da von einer fristgerechten Beschwerde gegen den Beleuchtenden Bericht nichts bekannt ist – und nur dieses Vorgehen auf dem Rechtsweg würde zur Klärung der Frage führen, wer von beiden denn nun tatsächlich im Recht ist – wird sich heute Abend wohl lediglich eine Neuauflage des Schaukampfes zwischen dem Gemeindepräsidenten und dem Präsidenten der RPK abspielen. 

Amüsant, ärgerlich, wie auch immer man das Spektakel dann einstufen will. Nur halt nicht wirklich zielführend. Im Gegenteil. Doch dazu mehr am morgigen Samichlaustag.

Finanzunterlagen auf den letzten Drücker vorgelegt

Eine andere Beobachtung im Zusammenhang mit dieser Budgetversammlung soll hier noch Erwähnung finden. 

Da hat doch die Gemeindeverwaltung die amtliche Publikation des Budgets 2025 samt Beleuchtendem Bericht erst auf den letzten Drücker hinbekommen: am 21. November um exakt 10:00 Uhr, d.h. wenige Stunden vor Ablauf der gesetzlichen Mindestfrist von zwei Wochen! 

Immerhin so, dass die Stimmberechtigten, die den Newsletter abonniert haben, das auch mitbekommen haben. Die Push-Benachrichtigung funktioniert. Aber man fragt sich schon, weshalb das nicht speditiver ging. Warum man dem Souverän nicht mehr Zeit lässt, um sich das Budget genauer anzusehen.

Eine Spurensuche beim Präsidenten RPK ergibt: 

Der Gemeindeschreiber forderte eine Antwort per spätestens 4. November 2024 abends. Und erhielt den Beschluss von der RPK auch fristgerecht. 

Dann schaute er sich das Protokoll der RPK-Sitzung aber offenbar nicht an, merkte daher erst eine Woche später, dass der RPK-Aktuar den Titel des Traktandums 2 «Beschlussfassung Budget 2024» (noch vom Vorjahr her) auf «Beschlussfassung Budget 2025» zu ändern vergessen hatte.

Am 12. November monierte jedenfalls die Gemeindeverwaltung besagten Fehler bei der RPK, den diese am 13. durch Einreichung eines korrigierten Protokolls richtigstellte. 

Daraus kann man jetzt folgendes Fazit ziehen:

Die Stimmberechtigten hätten die entscheidenden Unterlagen für die Gemeindeversammlung von heute Abend also eigentlich bereits vor vier Wochen erhalten können! Oder zumindest vor drei Wochen erhalten sollen. Denn was hat bitteschön höhere Priorität als die Bedenkzeit des Souveräns?

Eigentlich möchte ich die Frage nicht stellen, ob der Finanzvorstand dem Gemeindeschreiber den Auftrag erteilt hat, dem Souverän möglichst wenig Zeit zu lassen, um die Unterlagen zu sichten. Sie drängt sich aber leider ob dieser Art von Fristenlösung mit Macht in den Vordergrund.

Donnerstag, 28. November 2024

Der Damast liegt oberhalb der mittleren Rebstrasse

In WeiachBlog Nr. 2009 steht zum Flurnamen «Damast» u.a.: «Die bislang älteste Nennung, die ich finden konnte, datiert auf das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Der von Willi Baumgartner-Thut der Nachwelt zur Kenntnis gebrachte Plan des Rebstrassenprojekts (1909-1911) weist ihn in der heutigen Schreibweise auf.» Dabei wurde aber sowohl die Beigabe des Plans versäumt, aus dem die konkrete Verortung des Flurnamens «Damast» hervorgeht, wie auch die Referenzierung der angesprochenen Unterlage unterlassen.

Wichtig ist das, weil eine Diskrepanz zwischen der Auffassung des Planes «Rebweganlagen Weiach» von 1908 und dem Flurnamenplan von Boesch von 1958 besteht. Gewährsmann für Prof. Boesch war mutmasslich der damalige Gemeindepräsident Albert Meierhofer-Nauer.

Herr Professor, wo ist die Flur «Im Lee»?

Laut dem ein halbes Jahrhundert älteren Rebweganlagen-Plan ist der Damast ausschliesslich oberhalb der heutigen Leestrasse zu verorten. Und zwar vom Oberdorf her gesehen im Abschnitt zwischen der Verzweigung Winkelstr./Oberdorfstr. und der Einmündung des Rebwegs in die Trottenstrasse, was wiederum der horizontalen Ausdehnung nach Boesch entspricht. Am selben Abschnitt ist zwischen Trottenstrasse und Leestrasse der Flurname «Im Lee» eingezeichnet.

Bei Boesch hingegen fehlt diese Flurbezeichnung «Im Lee» völlig (vgl. WeiachBlog Nr. 2009)! Nach seiner Auffassung umfasst die Flur Damast auch dieses Lee und ist damit rund doppelt so gross. Zollinger andererseits unterschlägt zwar in seiner Flurbezeichnungen-Liste die Flur Damast, führt dort jedoch den Namen «Im Lee» auf, mit der Erläuterung: «Hang zwischen unterer und mittlerer Rebstrasse» (vgl. Zollinger 1972, S. 88). Er folgt in diesem Punkt also dem Rebweganlagen-Plan.

Laut einer älteren Flurnamenliste im Ortsgeschichte-Ordner Pfister/Zollinger (Teil Zollinger, d. Vereinzelte) ist allerdings die Lage der Flur «im Lee» noch wie folgt beschrieben: «an mittl. Rebstr., wo Haus Pfenninger steht». Damit ist das 1962 von der Gebäudeversicherung mit Nr. 313 aufgenommene Haus Leestr. 23 gemeint. [Abschnitt ergänzt am 29.11.]

Man erkennt aus dieser kurzen Auslegeordnung erneut, wie fluide solche Flurnamen in der Landschaft sind. Und was die Wahl der Gewährsperson und/oder der Verzicht auf den systematischen Beizug bereits bestehender lokaler Pläne und Karten anrichten können.

Quellen und Literatur

  • Boesch, B.: Orts- und Flurnamen-Karte Gemeinde Weiach. Erfassungen der Jahre 1943-2000 (Signatur: StAZH O 471). Datenerfassung für Weiach durch Prof. Bruno Boesch mit dem Gewährsmann Alb. Meierhofer, 1958.
  • Zollinger, W.: Weiach 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach. Rückentitel "Chronik Weiach", 1. Aufl. Weiach 1972, S. 88.
  • Baumgartner-Thut, W.: Der Rebberg von Weiach im 20. Jahrhundert. Weiach 2023. -- Reb- und Wiesland um 1910 gemäss Landabtretungstabelle, S. 4; Junge Obstbäume, S. 39 sowie Rutschverbauung im Rebberg, S. 67.
  • Brandenberger, U.: Wie kam der Flurname «Damast» zustande? WeiachBlog Nr. 2009, 13. November 2023.

[Ergänzten Abschnitt und Korrekturen eingefügt am 23.12.2024]

Mittwoch, 20. November 2024

Si tacuisses... Vorlauter Gemeindepräsident

Manchmal ist es besser zu schweigen und gegenüber seinem Hofjournalisten kein Statement abzugeben. Denn hättest Du geschwiegen (so die Bedeutung des lateinischen Titelbeginns) wärst Du zwar nicht Philosoph geblieben (wie das geflügelte Wort im Original weitergeht), aber zumindest ein souveränerer Präsident, besserer Teamspieler und ausgefuchsterer künftiger Verhandler. 

Was ist vorgefallen? Gestern hat die Nagra unter erheblichen Begleitgeräuschen und Rascheln im Zeitungswald das sogenannte Rahmenbewilligungsgesuch für das Tiefenlager Nördlich Lägern beim Bundesrat eingereicht.

Die einen halten sich bedeckt... 

Astrit Abazi, seines Zeichens Journalist des Zürcher Unterländer, hat dazu am letzten Samstag in der Online-Ausgabe, am Montag auch in Print-Form einen Beitrag veröffentlicht mit dem Titel «Mögliches Referendum gegen das Tiefenlager spaltet die Region». Und fasst die Angelegenheit im Untertitel so zusammen: «Der Entscheid, wo das Lager für radioaktive Abfälle hinkommt, soll vors Volk. Das fordern Kritikerinnen und Kritiker. Die Standortgemeinden sehen es anders.» 

Liest man dann den Beitrag, dann sieht das allerdings so aus: Der Stadler Gemeindepräsident Schaltegger äussert sich zur Referendumsfrage nur indirekt und betont, der Gemeinderat werde die «spezifischen Interessen von Stadel» vertreten sowie «zeitnah und transparent» informieren. Abazi weiter: «Auch der Glattfelder Gemeindepräsident Marco Dindo möchte sich nicht dazu äussern.» 

Bei den politischen Exponenten unserer Nachbarn kann man da also nicht sagen, was sie denken. Ganz anders bei unserem eigenen Häuptling. 

... die andern fallen mit der Tür ins Haus

«Weiachs Gemeindepräsident Stefan Arnold wiederum macht klar: «Nein, die Gemeinde Weiach unterstützt kein Referendum.» Die politischen Behörden seien seit Jahren intensiv in den Prozess um das geologische Tiefenlager involviert worden. «Diese jahrelange, sachlich-kritische Auseinandersetzung mit allen relevanten Parteien und Organisationen basiert auf einer soliden Vertrauensbasis. Es gibt ein hohes Vertrauen in die bis heute involvierten Institutionen und in die unabhängige Prüfbehörde, welche den Prozess überwacht», sagt Arnold. [WeiachBlog: Er meint wohl das ENSI, eine Bundesstelle] 

Dass Gegner des Projekts ein Referendum ergreifen würden, sei klar gewesen, sagt Arnold. «Gleichzeitig möchten wir darauf hinweisen, dass viele der Gegner grundsätzlich Bedenken gegenüber dem Konzept eines Tiefenlagers haben, ohne bisher konkrete und konstruktive Alternativvorschläge zu unterbreiten.» Das erschwert es, den Diskurs auf eine sachliche und lösungsorientierte Ebene zu bringen. Arnold betont ausserdem, dass erst jetzt überhaupt die Prüfung und die Machbarkelt eines Tiefenlagers am besagten Standort beginnen. «Es wäre wohl viel seriöser, den langjährigen Prüf- und politischen Prozess abzuwarten», sagt er. «Denn – Stand heute – ist der Standort Nördlich Lägern lediglich ein Standortvorschlag.»»

Kommentar WeiachBlog 

Angesichts dieses Zitatefüllhorns weiss der Kommentator kaum, wo er anfangen soll... 

O-Ton Abazi: «Die Standortgemeinden sehen es anders».

Wirklich? Herr Abazi, ist Monsieur Arnold der Mediensprecher der Tiefenlager-Gemeindepräsidentenkonferenz GlaStaWei? Vielleicht sind ja Schaltegger und Dindo ganz anderer Meinung.

Oder ist Weiach allein massgebend? Genauer gesagt: nur der Weiacher Gemeinderat? Wir wissen ja nicht einmal, ob es sich bei dieser Auffassung um einen Gemeinderatsbeschluss, oder zumindest einen begründeten Konsens der Gemeinderäte und -innen handelt. Oder ob das nur die Privatmeinung des Herrn Präsidenten ist.

Was ist der Wille des Volkes?

O-Ton Arnold 1: «Nein, die Gemeinde Weiach unterstützt kein Referendum.»

La commune, c'est moi? Hat der Präsident je einmal Anstalten gemacht, herauszufinden, wie die Weiacher in ihrer Gesamtheit darüber denken? Und da geht es nicht nur um die Stimmberechtigten.

Ein solches Stimmungsbild wäre für ihn als – selbsternannten? – Verhandlungsführer in der Entschädigungsfrage dann doch von grosser Bedeutung. Läge eine repräsentative Meinungsumfrage vor, dann ist es egal, ob sie zugunsten der Nagra oder gegen das Projekt ausfällt. In den Verhandlungen mit der Atomlobby kann man das so oder so in klingende Münze umsetzen. Sind die Leute mehrheitlich positiv, dann braucht es Finanzspritzen, damit das so bleibt. Sind sie negativ eingestellt, dann kann man darauf pochen, dass man den Ortsansässigen zumindest mit möglichst viel Geld den Schneid abkauft.

Wo läge das Problem, wenn die Stimmung so ist, wie vor der ersten NAGRA-Bohrung, als die Gemeindeversammlung am 17. September 1980 mit 104 gegen 2 Stimmen konsultativ gegen das Vorhaben war? Auch dann ist es nur eine Frage des Verhandlungsgeschicks, die Haut der Weycher so teuer wie möglich zu verkaufen. Denn wenn die Atomlobby eines nicht brauchen kann, dann sind es unschöne Bilder, die in die Stuben von Herrn und Frau Schweizer flimmern. Bilder mit einer ihr ablehnend gegenüberstehenden Lokalbevölkerung, die auf die Barrikaden geht. Ob dann Mistgabeln und Traktoren mit von der Partie sind oder nicht.

Ungelegte Eier, aber vorsorglich kräftig gackern? 

O-Ton Arnold 2: «Es wäre wohl viel seriöser, den langjährigen Prüf- und politischen Prozess abzuwarten. Denn – Stand heute – ist der Standort Nördlich Lägern lediglich ein Standortvorschlag.»
 
Richtig. Das wäre es. Und erst in ca. sechs Jahren werden wir wissen, wie ein allfälliges Referendum ausfällt. Es kann ja durchaus sein, dass bei den Hiesigen bis dahin aus Passivität offene Ablehnung wird. Oder die Technologieschiene sich in eine andere Richtung entwickelt hat, daran arbeiten ja u.a. die Chinesen mit Hochdruck (Stichwort: Vierte Generation and beyond). Wenn aus Abfällen begehrte Rohstoffe werden, dann redet von Verlochen kein Mensch mehr. 

Da fragt man sich erst recht, wieso der Herr Präsident bei dieser Ausgangslage überhaupt nur schon von einer Verhandlungsführung mit den Atömlern zu träumen begonnen hat. 

Das geneigte Publikum darf sich seinen Reim darauf selber machen.

Quelle
  • Abazi, A.: Mögliches Referendum gegen das Tiefenlager spaltet die Region. In: Zürcher Unterländer, 18. November 2024, S. 3.

Dienstag, 19. November 2024

Gemeinderat gesteht: Schuldenobergrenze bleibt ein Luftschloss

«Im aktuellen Plan werden die finanzpolitischen Ziele mehrheitlich erreicht. Mit dem Infrastrukturneubau kann die Verschuldung allerdings während mehrerer Jahre nicht bei den gewünschten 5'000 Franken je Einwohner begrenzt werden. Dies ist dem Gemeinderat bewusst – als langfristiges Ziel wird die Obergrenze dennoch beibehalten.

Der Gemeinderat hat den Finanzplan 2024-2028 genehmigt. Dieser wird der Gemeindeversammlung vom 5. Dezember 2024 zur Kenntnisnahme vorgelegt.» (MGW, November 2024, S. 6)

Wie hoch sie denn nun wirklich sein wird, das verschweigt der Gemeinderat in seiner Berichterstattung im Mitteilungsblatt. Wird es bei den 9000 Franken liegen, von denen in früheren Finanzplänen die Rede ist (vgl. WeiachBlog Nr. 2000)? Wir wissen es nicht, denn der neue Finanzplan 2024-2028 ist immer noch nicht veröffentlicht.

Nur der Beleuchtende Bericht ist Pflicht

Muss der Gemeinderat aber auch nicht. Laut dem Gemeindegesetz (§ 19 Abs. 2 GG-ZH) hat der Gemeindevorstand lediglich den Beleuchtenden Bericht zum Budget spätestens zwei Wochen vor der Gemeindeversammlung den Stimmberechtigten zur Verfügung zu stellen, d.h. im Fall der Gemeinde Weiach auf der Gemeindewebsite aufschalten oder im Gemeindehaus auflegen zu lassen. Als Randnotiz sei erwähnt: Immerhin steht in besagtem Gesetzesartikel auch, dass die Gemeinde verpflichtet ist, den Beleuchtenden Bericht jedem Stimmberechtigten auf dessen Verlangen kostenlos zuzustellen.

Der Steuerzahler muss massiv tiefer in den Sack greifen

Doch zurück zur Hauptsache: In welche Richtung sich das Weltfinanzsystem bei einem nicht unwahrscheinlichen Zusammenbruch der US-Überschuldungswirtschaft entwickeln wird, wissen wir nicht. Ein Zusammenbruch liegt durchaus im Rahmen des Möglichen. Der in früheren Zeiten normalerweise übliche Zins belief sich auf 5 % vom aufgenommenen Kapital. Bei den 20 Millionen CHF Schulden (9000 CHF x 2200 Einwohner) wären das nur schon für den Schuldendienst 1 Mio. Franken pro Jahr, entsprechend mind. 25 Steuerprozenten. 

Wie man das neben allen anderen Ausgaben künftig stemmen will, wenn die Kiesentschädigungen wegbrechen (und das werden sie mit Sicherheit) und falls die Tiefenlagermillionen ausbleiben, auf die man die Stimmberechtigten in verantwortungsloser Manier hoffen lässt (vgl. Beleuchtender Bericht zu «Zukunft8187», S. 24, Abschnitt «Fazit und Empfehlungen»), darüber schweigt der Finanzvorstand lieber. Und versucht stattdessen, Kritiker seines Hazardspiels durch öffentliche Herabsetzung zum Schweigen zu bringen.

[Zweiter Zwischentitel und Präzisierung Fundstelle im Beleuchtenden Bericht eingefügt am 23.12.2024]

Sonntag, 17. November 2024

«Daudapf!!!» – Am Anfang war das Schimpfwort

Was war das erste Wort, das aus Ihrem Mund kam? Ich weiss ja nicht, was Ihnen Ihre Eltern erzählt haben. Laut meiner Mutter – Gott hab' sie selig – war es bei mir jedenfalls «Daudapf». Nicht etwa «Mamma» oder «Pappa», wie das sonst so üblich zu sein scheint. Nein. Für mich waren mit Nachdruck geäusserte Worte offenbar schon in ganz jungen Jahren von höchster Wichtigkeit.

Als mein Vater sich am Abend erkundigte, was denn dieses in Dauerschleife wiederholte Wort bedeuten könnte, musste meine Mutter eingestehen, dass sie sich lautstark über einen landenden Jet enerviert habe. Und das mit dem Ausruf: «Scho wieder so en SAUCHLAPF!!!».

Als die Flugzeugmechaniker noch keine Mantelstromtechnik warten mussten

Dazu muss man wissen, dass ich ein Flughafenkind bin. Eines, das seine ersten Monate sozusagen umwabert von Kerosindämpfen erlebt hat: In einem mehrstöckigen mittlerweile längst wieder abgerissenen Wohnhaus an der Schaffhauserstrasse mitten im aufstrebenden Flughafendorf Kloten.

Wer vor über einem halben Jahrhundert im Zürcher Unterland wohnhaft war, der kann sich noch lebhaft an vibrierende Fensterscheiben und klirrende Gläser im Chuchichäschtli erinnern. Wie alt Regierungsrat Markus Kägi in seiner Weiacher 1. August-Rede im Jahre 2007 (vgl. WeiachBlog Nr. 498). Das war damals völlig normal, wenn die Tupolevs und Caravelles aus aller Herren Ländern gestartet sind. Viele davon noch mit Militärtriebwerken. Ohne jede Mantelstromtechnik.

Was dieses erste Wort des Stammhalters in der Paarbeziehung meiner Eltern angerichtet hat? Versetzen Sie sich in den Haushaltsvorstand. Mein Vater war ein stolzer Swissair-Angestellter. Bei der nationalen Airline als gelernter Flugzeugmechaniker direkt an der Wartung dieser «Daudäpfe» beteiligt. Von seiner Warte aus betrachtet könnte in dieser pädagogischen Meisterleistung der Kindsmutter – einer ausgebildeten Primarlehrerin mit mehrjähriger Berufserfahrung – doch eine recht bittersüsse Note mitschwingen.

Die Kraft der Kraftausdrücke

Falls Sie sich je gefragt haben sollten, woher eine gewisse Faszination für die Kraft der Kraftausdrücke, die Tendenz des Redaktors zum verbalen Zweihänder oder seine zuweilen nicht nur als subtiles Stilmittel verwendete Provokation mit Worten stammen, dann haben Sie jetzt zumindest einen Erklärungsansatz zur Hand.

P.S.: Mein Vater erinnert sich nicht mehr an diese Daudapf-Geschichte. Dafür an das Interesse seines kleinen Buben für Baukräne. «Graaanä!» sei ein Wort gewesen, das man von mir immer wieder gehört habe. Verbunden mit «düllätä, düllätä!». Nicht so überraschend, dass in der Hochkonjunktur im Zürichbiet signifikante Bautätigkeit geherrscht hat. Sein Sohn werde Bauingenieur oder Architekt, habe er damals gedacht. Wurde der dann aber nicht.

[Veröffentlicht am 26. November 2024 um 22:46 MEZ]

Freitag, 25. Oktober 2024

Margareta Kurz-Meierhofer: Stille Schafferin an der Heimatfront

Die im Ersten Weltkrieg geborene Generation wurde auch gleich im nächsten Weltkrieg zum Opfer. Das galt besonders für junge Frauen aus dem ländlich-bäuerlichen Umfeld. Pflichterfüllung stand über Selbstverwirklichung. Auch Sekundarschulabschlüsse, im nachstehend geschilderten Fall an der Bezirksschule Kaiserstuhl, halfen da wenig, wie dieser heute vor 50 Jahren publizierte Nachruf aus dem Thurgau zeigt:

«Klingenberg. Margareta Kurz-Meierhofer †. Margareta Kurz wurde 1915 in Weiach im Kanton Zürich geboren. Dort wuchs sie im Kreise ihrer sechs Geschwister auf, besuchte die Primar- und Bezirksschule und half daneben fleissig auf dem elterlichen Gehöft. Nach der Schulzeit trat sie in die Haushaltschule Wülflingen ein, nahm danach manche Stellen in Privathäusern an und half daneben weiterhin ihren Eltern. 1939 vermählte sie sich mit Hans Kurz. Bald danach brach der Krieg aus, und ihr Gatte musste einrücken. Sie selbst besorgte allein den Landwirtschaftsbetrieb im Klingenberg. Ihrer Ehe entsprossen 6 Kinder, vier Knaben und 2 Mädchen, denen sie eine treubesorgte Mutter war. Oft und gerne empfing sie Besuch. Manch einem von Sorgen Niedergedrückten konnte sie helfen. Das Geheimnis ihrer stillen Seelsorgetätigkeit bestand im geduldigen Zuhören und Mitfühlen. Wenn es die Zeit erlaubte, griff sie gerne zu einem guten Buch; ihre Lieblingsdichter waren die beiden Sänger des Bauerntums, Gotthelf und Huggenberger. Während einiger Zeit erteilte Margareta Kurz auch Sonntagsschule in Müllheim. 1966 musste sich die Verstorbene erstmals einer schweren Operation unterziehen. Später verschlimmerte sich ihr Gesundheitszustand wieder, und seit Mitte Januar dieses Jahres durfte sie nicht mehr aufstehen. Am 1. Oktober konnte sie ihr Leben im Kreise ihrer Angehörigen in ihrem Heim beschliessen. Wer sie gekannt hat, wird ihr ein ehrendes Andenken bewahren.»

Aus welchem Zweig der zahlreichen Meierhofer sie stammt, ist WeiachBlog bislang nicht bekannt, das wissen vielleicht noch einige Alteingesessene.

Klar ist aber, dass die allzu früh Verstorbene einst eine Schülerin des Weiacher Lehrers Walter Zollinger war. Der führte ab 1919 die 4. bis 8. Klasse und hatte damit bspw. im Schuljahr 1922 insgesamt 70 (!) Schülerinnen und Schüler zu betreuen. Wohlverstanden: in EINEM Schulzimmer des Alten Schulhauses...

Wer weiss, vielleicht hat Margareta den Bauerndichter Alfred Huggenberger (1867-1960) ja dank Zollinger kennengelernt, der ihn in seinen Schriften zitiert (vgl. WeiachBlog Nr. 741). Oder dank der Jugend- und Volksbibliothek Weiach. Die wurde 1862 explizit zum Zweck der Vermittlung guter Bücher eröffnet.

Quelle

[Veröffentlicht am 13. November 2024 um 00:43 MEZ]

Donnerstag, 24. Oktober 2024

Tierarzt lieferte «Waare für das Mädchen». 6 Monate Gefängnis!

Liebe, Verzweiflung, Krankheit, Tod und Verbrechen. Der perfekte Mix für eine saftige Geschichte in der Zeitung. Ein Fall wie geschaffen für einen Gerichtsberichterstatter.

Heute vor 150 Jahren begann im zürcherischen Pfäffikon ein Schwurgerichtsprozess, über den auch in der Neuen Zürcher Zeitung ausführlich berichtet wurde. WeiachBlog bringt hier Auszüge:

«Auf der Anklagebank erscheinen

1) Die seit 1870 verwittwete Frau Barbara Fisler, geborne Peier von Berg [am Irchel], geboren 1834, deren Ehemann beim Schlitten verunglückt ist, Mutter von 2 Kindern;

2) Konrad Peter von Berg, bis zum Beginn des gegenwärtigen Prozesses Gemeindammann [d.h. der Betreibungsbeamte] in Berg, verheirathet, Vater von 2 Kindern, unter der Anklage der Abtreibung durch innere und äußere Mittel;

3) Jakob Meier von Dättlikon, Thierarzt in Hüntwangen, geboren 1798, Wittwer, angeklagt, Räthe, Anweisungen und Mittel zu dieser Abtreibung gegeben und dadurch dieses gleichen Vergehens sich schuldig gemacht zu haben.»

In Weyach die Ausbildung zum Tierarzt begonnen

Letzterer soll uns hier besonders interessieren, denn er gab, da als einziger von den dreien nicht geständig, die eigentliche Veranlassung für diesen Prozess:

«Am Ende des vorigen Jahrhunderts, der Sohn eines Thierarztes, in Dättlikon geboren, kam der Angeklagte, 20 Jahre alt, zu Thierarzt Willi in Weiach und nach Verfluß eines Jahres in die Thierarzneischule in Zürich, wo er 1/2 Jahre verblieb. Nachdem er im Examen durchgefallen war, bildete er sich praktisch aus bei einem Thierarzt in Flaach, erstand dann das Examen und ließ sich selbständig nieder in Dättlikon.»

In den Jahren 1818 und 1819 war der junge Meier also Tierarztlehrling in Weyach. Wie er sich bei uns gehalten hat, ist in der NZZ nicht weiter dokumentiert, darüber finden sich eventuell noch Angaben in alten Weiacher Protokollen, beispielsweise denen des Stillstandes (Kirchenpflege und kommunale Sittenaufsicht).

Wahrlich kein unbeschriebenes Blatt

Dass ich das hier so explizit erwähne, kommt nicht von ungefähr, denn im Verlauf seines Lebens geriet Meier immer wieder mit seinen Zeitgenossen, den Obrigkeiten und den Gesetzen ins Gehege und wurde überdies gar verbeiständet.

So wurde vor Gericht ausgeführt, der Angeklagte habe zwar in Hüntwangen einen guten Ruf, sei aber in seiner alten Heimat Dättlikon (nördlich der Töss, zwischen Embrach und Neftenbach), wo er bis 1869 wohnte, wegen «Beschimpfung, Körperverletzung, falscher Zeugnisse, Ehebruchs und sehr oft wegen Verfehlung gegen das Medizinalgesetz bestraft worden. Vor 5 Jahren stand er in Untersuchung wegen Abtreibung, die Untersuchung wurde sistirt, der Angeklagte aber wegen wiederholter Pfuscherei mit Fr. 150 Buße belegt. 1857 wurde er wegen Verschwendung bevogtet

Da gab es also eine ganze Reihe von Warnsignalen und sogar bereits ein einschlägiges, wenn auch eingestelltes Strafverfahren, was natürlich aufhorchen lässt.

Der Gerichtsreporter zitiert den Staatsanwalt, der den Meier in seinem Schlussplädoyer als «gewerbsmäßigen Abtreiber» und «alten Sünder» bezeichnete, «dem seine Haushälterin treulich sekundire».

Viele Hilfesuchende landeten bei diesem Alternativpraktiker

Wobei ihm seine Lebenspartnerin in Hüntwangen geholfen hat, machte der Ankläger allen Anwesenden deutlich. Barbara Fisler war nämlich kurz nach dem Unfalltod ihres Mannes im Spätjahr 1870 mit dem seit kurzem getrennt lebenden Gemeindeammann zusammengekommen. Der habe sie darauf wie ein Sperber bewacht vor lauter Eifersucht und sie dann – weil immer noch verheiratet und damit als Ehebrecher strafbar – gezwungen, das Kind, das sie seit Dezember 1873 von ihm erwartete, abzutreiben. Hier kommt nun wieder Tierarzt Meier ins Spiel. In den Worten des NZZ-Journalisten:

«Der Angeklagte ist weithin bekannt als „Doktor Meier“ und er erfreut sich einer ganz ausgezeichneten Praxis, nicht bloß als Thierarzt, sondern vorzugsweise als Arzt gegen menschliche Gebrechen aller Art. Er beschaut „das Wasser“ der Patienten, erkennt daraus den Grund ihrer Leiden und receptirt, obwohl er eine geradezu gräuliche Orthographie schreibt, wie ein Professor. Als Frau Fisler ihn das erste Mal aufsuchte, traf sie ungefähr 25 Personen in seiner Wohnung, die auf den „Herrn Doktor“ warteten. Sie brachte das Wasser ihres unpäßlichen Knaben mit, der Doktor untersuchte dasselbe, fand, der Knabe leide am Herz und gab der Mutter Thee für ihn, später auch Tropfen. Gleichzeitig trug sie ihr persönliches Anliegen vor.»

Schwunghafter Handel mit Heilmitteln

Bei einer Hausdurchsuchung seien bei ihm «geradezu massenhaft [...] Briefe Hülfesuchender aus dem Kanton Zürich, Schaffhausen, Thurgau, Aargau; ja bis in's aufgeklärte deutsche Reich hinein» gefunden worden.» So habe unter anderen «eine Mutter von 14 Kindern» den «Doktor» angefleht, ihr «eine Mixtur gegen einen Krebs im Unterleib» zu geben, eine andere Frau wollte ein Mittel gegen «eine Geschwulst am Hals, die der Hausarzt nicht heilen kann; ein Gemeinderathschreiber will ein Mittel gegen Bangigkeit, ein Waisengerichtsschreiber ein solches gegen Lungenschwindsucht; gegen Magenleiden und Flechten, gegen Blasenleiden, Kopfschmerzen». Und so weiter. Ein wahrer Wunderdoktor also, der sich überdies als sehr guter Kunde diverser Apotheken erwies und seinerseits «Händlern ganze Kisten voll Güldenbalsam» lieferte.

Besonders begehrt: Mittel für danach...

«Zahlreich sind die Briefe um „die bekannte Waare für das Mädchen“ oder gar „für meine Frau“ und es sind diese Briefe theilweise mit ganz besonderen Artigkeiten ausgestellt. Der eine „ist der Kenntnisse des Herrn Doktors in der medizinischen Fakultät gewiß“, der andere fleht den „hochgeehrtesten Herrn Doktor“ um Zusendung weiterer stärkerer Mittel an, und zwar „auf mein Gewissen, nicht auf Ihr Gewissen, da ich eine Wittwe von 2 Kindern bin, während der Vater 5 Kinder hat“, und man bekommt durch den Einblick in diesen Theil der Praxis des „Herrn Doktor“ eigenthümliche Begriffe von der Sittlichkeit des Volkes.» Den letzten Satzteil würde man heute wohl als journalistische Einordnung bezeichnen.

Die Untersuchungsbehörden hätten sich gar veranlasst gesehen, «in einzelnen, besonders anstößigen Fällen gegen die Besteller solcher Waaren für ihre Frauen in Winterthur und Frauenfeld vorzugehen; die Untersuchung führte aber nicht zu förmlichen Anklagen

Sassafras und Tausendgüldenkraut

Aus medizin- und kulturhistorischer Sicht interessant ist, was Tierarzt Meier seinen menschlichen Patienten zu verordnen pflegte. Die NZZ bringt das erstaunlicherweise in aller Ausführlichkeit: «Gegen Brustleiden Franzosenholz, Sassafras und Bittersüß; Tisanenholz gegen Geschlechtskrankheiten; als Abführmittel gab er Glaubersalz und Salpeter; Frauen verordnete er gegen gewisse Leiden Turmentibwurzel und Tausendgüldenkraut. Daß er sehr häufig um Abtreibmittel angegangen werde, gab der Angeklagte zu, aber er will nie solchen Begehren entsprochen, die Leute entweder rund abgewiesen oder, „um sie los zu werden“, ihnen unschädliche Mittel gegeben haben. Auch Frau Fisler habe mehrere Mal und stürmisch Abtreibungsmittel verlangt, unter der Drohung, sonst werde sie sich das Leben nehmen u.s.w. Aber auch ihr, so behauptete er schon in der Voruntersuchung, habe er nur unschädliche Mittel gegeben: Sandelholz, Süßholz, Bittersüß, Fenchel, Calmiswurzel, Sassafras, Argemoniankraut, Tausendgüldenkraut, Lindenblüthen und Glaubersalz.»

Dass diese Mittel allesamt ungefährlich seien, konnte Meier vor Gericht zwar nicht bekräftigen, wies aber dennoch jede Schuld von sich:

«Der Angeklagte Meyer, ein robuster breitschultriger Greis mit starkem grauem Haar und Backenbart, gibt zu, daß er seit 55 Jahren „Menschen und Vieh praktizirt habe“, „wenn es gefährlich war, wies ich die Patienten zum Menschenarzt“. Mit Abtreiben habe er sich nie abgegeben. Die inkriminirten Briefe habe er nie gelesen, nur seine Haushälterin, die Regula, die den Leuten aber auch nichts gegeben habe. Frau Fisler habe Mittel „gegen den andern Stand“ verlangt, aber nichts als unschädliche Mittel, später einmal Mutterkorn erhalten; er habe sie gewarnt.»

Allzu erdrückende Indizien

Da auch der Bezirksarzt sich vor Gericht überzeugt zeigte, dass «die Frucht der Frau Fisler abgetrieben worden» sei, nützte auch der Einwand des Verteidigers, der «Beweis des Causalzusammenhanges zwischen den von dem Angeklagten verabreichten Mitteln und der Frühgeburt der Frau Fisler» sei nicht gegeben, nichts mehr: Barbara Fisler wurde zu 5 Monaten, Konrad Peter zu 9 Monaten und der Wunderdoktor zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt.

Die vollständige Berichterstattung können Sie auf e-newspaperarchives.ch nachlesen, siehe die Links in den Quellen.

Quellen

[Veröffentlicht am 12. November 2024 um 23:45 MEZ]

Mittwoch, 23. Oktober 2024

Wenn der Präsident des Ehegerichts Deine Hochzeit bewilligt

Im Zusammenhang mit dem sog. Krieghof gibt es dieses Jahr nicht nur ein 250-Jahr-Ereignis, dessen gedacht werden sollte, sondern ebenso ein 300-jähriges. Auch in diesem Fall handelt es sich um den Hochzeitstag eines Baumgartners im Krieg.

Die älteste erhalten gebliebene und uns bekannte Erwähnung «der Bomgartern vnd Krieghof zue Wiach» datiert auf 1635 (vgl. WeiachBlog Nr. 2097; dort auch die Jahre 1672 und 1774).

Der Weiacher Pfarrer machte nur die Buchhaltung ...

Unter dem heutigen Datum vor 300 Jahren notierte der Weiacher Pfarrer im Ehebuch die Trauung von Jakob Baumgartner mit Anna Meierhofer, beide aus unserer Gemeinde, und zum Bräutigam die Erläuterung: «Jacob Baumgartners Schneiders im Krieg».

Speziell an dieser Hochzeit ist, dass es unter demselben Datum auch einen Eintrag in einem Ehebuch in der Stadt Zürich gibt. Und zwar mit dem Vermerk «perm. Ampl. Praeside Cons. Matrim.». Heisst: Mit Genehmigung durch den Vorsitzenden des Ehegerichts. Diese Behörde war die oberste Instanz des Zürcher Stadtstaates in familien- und unterhaltsrechtlichen Angelegenheiten. 

... die Kasualie wurde in der Stadt vollzogen

Angesichts des Doppeleintrags und insbesondere des Bewilligungsvermerks darf angenommen werden, dass die kirchliche Zeremonie in einer der Zürcher Stadtkirchen stattfand.

Was genau vorgelegen hat, dass der Präsident des Ehegerichts sein Plazet geben musste? Dazu wäre in den Akten des Ehegerichts nachzusehen. Vielleicht steht dort etwas Sachdienliches. 

Am wahrscheinlichsten ist ein näherer Verwandtschaftsgrad, als er in der Gesetzgebung vorgesehen war. Die Zürcher Regierung wollte damit der Inzucht vorbeugen, eine Gefahr, die beim sog. «Heiraten über den Miststock» regelmässig drohte. Diese Praxis bestand nicht zuletzt wegen der fiskalischen Hürden beim Umzug von Frauengut selbst zwischen zürcherischen Land- und Obervogteien (vgl. WeiachBlog Nr. 2079).

Quellen und Literatur

  • Baumgartner, Jakob, getraut mit Meierhofer, Anna, 1724.10.23. Signatur: StAZH E III 136.1, EDB 658.
  • Baumgartner, Jakob, Weiach, getraut mit Meierhofer, Anna, Weiach, 1724.10.23. Signaturen: StAZH TAI 1.740 (Teil 1); StadtAZH VIII.C.6., EDB 1795.
  • Brandenberger, U.: Eine Frau aus dem falschen Nachbarort kam teuer zu stehen. WeiachBlog Nr. 2079, 12. April 2024.
  • Brandenberger, U. «Im Chrieg». Zu den Ursprüngen eines Weiacher Siedlungsnamens. WeiachBlog Nr. 2097, 10. Mai 2024. (Mini-Serie «Im Chrieg. Ein Weycher Flurname», Teil 2)

Dieser Artikel ist Teil 5 der Mini-Serie «Im Chrieg. Ein Weycher Flurname».

Dienstag, 22. Oktober 2024

Nächtliche Übung auf Gegenseitigkeit mitten im Dorf, 1943

In den Jahren vor dem Fall der Berliner Mauer anfangs November 1989 gab es hierzulande noch viele Militärmanöver, in denen die Planer ganze Grossverbände mit mehreren tausend Wehrmännern (Brigaden, Divisionen, etc.) aufeinanderprallen liessen. 

Überall ratterten zu jeder Tages- und Nachtzeit die Panzerketten, hinter gefühlt jeder zweiten Scheune lugte ein Gewehrlauf hervor. Und die Zivilschutzanlage Hofwies (unter dem Pausenplatz) war regelmässig mit Truppeneinquartierungen belegt. Zur Freude der Schulkinder (Biscuits, Biscuits!!) und zum Entsetzen einiger Lehrkräfte (Wachtdienst mit Kampfmunition).

Auch im Zweiten Weltkrieg gab es Übungen, die allerdings in viel kleinerem Massstab durchgeführt wurden. Eine, die im Sommer 1943 mitten im Weiacher Ortskern Angriff und Verteidigung im überbauten Gebiet trainierte, ist in gleich zwei Kompanie-Tagebüchern dokumentiert: Dem der Grenzfüsilierkompanie V/269, stationiert in Kaiserstuhl und dem der Gz Füs Kp II/269, abkommandiert nach Weiach. 

Mondhelle Nacht erschwerte das Anpirschen

Es sind Einträge, in denen dicht an dicht Weiacher Örtlichkeiten und Namen von Weiacher Wehrmännern Erwähnung finden.

Unter dem Samstag, 14. August 1943 findet man bei der fünften Kompanie den folgenden Vermerk:

«0015 Beginn der Nachtübung gegen die II. Kp. Abmarsch gruppenweise nach Saxenholz. Auftrag der Kp.: Strassenkreuz mit den Zündstellen in W. in Besitz nehmen. Kampf-Idee: 9 Patrouillen arbeiten sich an die Zündstellen heran, (sternförmig) um dieselben um 0415 in Besitz zu nehmen. 0415 erfolgt Scheinangriff, unmittelbar darauf der Hauptangriff. Die helle Nacht erschwert dem Angreifer das Heranarbeiten an den Feind. Die II. Kp hat sich igelförmig zur Verteidigung eingerichtet.» (Tagebuch Gz Füs Kp V/269, Dok_8, S. 14/15)

Man sieht hier, dass auch die Hauptachsen in und durch Weiach mit Sperren versehen und als Sprengobjekte definiert waren. Befestigt und mit Mineuren besetzt, die sie jederzeit in die Luft jagen konnten, um den Feind (in der Realität: die Wehrmacht Hitlerdeutschlands) in seinem Angriffsschwung zu bremsen. Es ging darum, zu überprüfen, ob man die Bewachung dieser Sperre im Handstreich überwältigen könne.

Der Ablauf aus Sicht des Angreifers

Ebenfalls in den Unterlagen der aus Kaiserstuhl vorrückenden Truppe ist eine Zusammenstellung der erfolgten Meldungen von 8 der 9 Patrouillen erhalten, samt Abgangszeitpunkt auf der Meldung und dem Zeitpunkt des Eintreffens beim Kompaniekommandanten, übermittelt offenbar durch Meldeläufer:

Tagebuch Gz Füs Kp V/269; Dokument-Fortsetzung_0000009, S. 59 

Ziel war die zentrale Schlüsselposition, die Zündstellen, die sich ungefähr dort befunden haben, wo heute die Chälenstrasse und die Büelstrasse von der Stadlerstrasse abgehen.

Meldungen von der Nacht - Uebung vom 14.8.43.

[geordnet nach Zeitpunkt der Meldungserstellung]

«0220 Gruppe Schenkel Hans: ist ca. 200 m Ostl. von Kirche Weiach in Ausgangsstellung. Vom [supponierten] Feinde nichts bemerkt.

0230 Gruppe Kpl. Piller: über Höhberg [Höbrig] nach Säge Weiach gelangt, vom Feinde nichts bemerkt.

0250 Gruppe Wm. Zollinger: bei der Trotte Weiach [gemeint: heutige Trottenstr. 7] vom Feinde nichts bemerkt.

0250 Gruppe Bersinger: Gruppe von Süden gegen Kunsum [sic!] Weiach vorgestossen bis 30 m vom Objekt bei Meierhofer entfernt. Hinter Konsum auf Feind gestossen. Eine Signaleinrichtung zerstört.

0300 Gruppe Kpl. Lips: hat den Stacheldraht Ausgang Oestl. Weiach überschritten und ist bis Neuhof Weiach vorgestossen. Vom Feinde nichts bemerkt.

0300 Gruppe Meierhofer Ar. von Bunker Weiach-Ost[:] Barrikade nicht besetzt. Gruppe rückt weiter vor in Richtung Gemeindehaus. Kein Feind bemerkt.

0310 Gruppe Kpl. Schumacher meldet von Osten her über Fastnachtfluh-(unterer Rand) angeschlichen. Stosse weiter Richtung Zündstelle Weiach vor. Vom Feinde nichts bemerkt.

0310 Gruppe Wm. Gut: meldet südl. der Strasse (zwischen) Weiach-Bachs zwischen Schulhaus und Kunsum [sic!] Weiach vorgestossen.  3 Mann ca. 40 m von der Zündstelle entfernt.»

Vier oder gar fünf der Patrouillen hatten einen Gruppenführer, der in Weiach ansässig gewesen sein dürfte. Bei Wachtmeister Zollinger (jawoll, es handelt sich um den hiesigen Dorfschullehrer und späteren Chronisten) wissen wir das mit Sicherheit. Und bei den Soldaten Meierhofer Arnold und Bersinger dürfen wir es mit fast ebenso hoher Wahrscheinlichkeit annehmen. Zollinger war mitten in der Nacht nur wenige Meter von seinem Wohnhaus am Müliweg 4 entfernt. 

Allein schon die Koordination zwischen den fünf Gruppen, die sich östlich des Dorfkerns durch die nächtliche Landschaft vorgearbeitet haben, dürfte alles andere als einfach gewesen sein. Man konnte ja nicht per Funkgerät oder gar Mobiltelefon kommunizieren.

Die Gruppe von Wachtmeister Gut muss sich südlich der Chälenstrasse über die Hofwiese zwischen Altem Schulhaus und dem VOLG-Gebäude bewegt haben.

Die Sicht des Verteidigers der Zündstellen in Weiach

Die Gz Füs Kp II/269 hatte es bei dieser Bataillonsübung einfacher. Sie mussten nur einen möglichst undurchdringlichen Stützpunkt organisieren. Hier der Eintrag zum 14. August aus Sicht der zweiten Kompanie:


Nach zwei Stunden hatte man den Stützpunkt verteidigungsbereit organisiert. Von 2 Uhr nachts an hiess es in den Stellungen warten und beobachten. Nicht allzu schwierig, wenn man die Helle der Nacht berücksichtigt. Das Tagebuch des Verteidigers schliesst mit den Worten:

«0400 erfolgte der Hauptangriff des Feindes, welcher aber durch die hermetische Verdrahtung des Stützpunkts [mit Stacheldraht] nicht eindringen konnte. ca. 04.30 Uebung abgebrochen.»

Quellen

Montag, 21. Oktober 2024

Blitz schlägt in die SBB-Fahrleitung zwischen Zweidlen und Weiach

Heute vor 50 Jahren, wie dieses Jahr einem Montag, fegte ein heftiges Gewitter über unsere Gegend. Es verursachte den Ausfall sowohl der Linie KoblenzEglisau, wie der Strecke SchaffhausenEglisau. Die  Reparaturdienste der SBB mussten im Rafzerfeld und auf Weiacher Gebiet fast gleichzeitig eingreifen. 

Die Schweizerische Depeschenagentur SDA verfasste dazu eine Meldung, die über den Ticker lief und wohl in etlichen Zeitungen abgedruckt wurde: 

Gestörter Bahnverkehr

«Gewitter verursacht SBB-Fahrleitungsstörungen sda. Ein heftiges Gewitter in der Gegend des Rafzerfeldes verursachte am Montag [21.10.74] zwei Fahrleitungsstörungen. Um 13.42 Uhr stürzte eine Übertragungsleitung der NOK bei Rafz auf die SBB-Fahrleitung. Die Strecke Hüntwangen–Lottstetten war infolge des dauernden Kurzschlusses bis 15 Uhr gesperrt, so dass zwei Schnellzüge über Winterthur umgeleitet werden mussten. Der Zürich um 13.21 Uhr verlassende Schnellzug nach Schaffhausen wurde kurz nach Bülach angehalten und über Embrach–Winterthur–Andelfingen geführt. Er wurde dabei um mehr als eineinhalb Stunden verspätet. Der zweite Schnellzug erlitt 16 Minuten und einige Personenzüge 10 bis 15 Minuten Verspätung. Fast zur gleichen Zeit schlug der Blitz in die Fahrleitung zwischen Zweidlen und Weiach, was ebenfalls dauernden Kurzschluss verursachte. Bis zur Behebung dieser Störung wurden die Züge in Weiach und Eglisau gewendet, für das Zwischenstück Autobusse eingesetzt.» (Thuner Tagblatt, 23. Oktober 1974)

Quelle 

Sonntag, 20. Oktober 2024

Wenn Gevatter Tod einen Künstler aus dem Spiel nimmt

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein kunstsinniger Verein unsere Gemeinde zum Tagungsort seiner Generalversammlung erkürt und im Anschluss daran auch noch zu einem öffentlichen Vortrag einlädt. 

Der Freundeskreis Ruth von Fischer hat am heutigen Sonntag einen dieser seltenen Momente organisiert (vgl. Mitteilungsblatt Weiach, August 2024, S. 15). 

Wer um 14 Uhr den Weg in die Weiacher Pfarrscheune gefunden hat, wurde nicht enttäuscht. Die Künstlerin Ruth von Fischer (1911-2009) hat ihre gestaltende Handschrift gleich bei zwei Farbtupfern hinterlassen, die in der Weiacher Kirche Akzente setzen: dem Teppich um den Taufstein von 1970 und den Chorfenstern von 1981. 

Zwei seltene Stücke in unserer Kirche

Beide Objekte sind seltene Stücke im Werkkaleidoskop ihrer Erschafferin. Denn Ruth von Fischer ist eher für Wandteppiche bekannt, die in verschiedenen Gemeinden von freiwilligen Helferinnen in tausenden von Arbeitsstunden nach ihren Entwürfen geschaffen wurden. Ihre Bodenteppiche muss man schon fast mit der Lupe suchen. 

Auch Glasarbeiten gehören zu den Solitären in ihrem Schaffen, wie der Vortrag von Organisator und Vereinsmitglied Dominik Heeb eindrücklich aufgezeigt hat: Es gibt von ihr nur zwei Werke aus Glas. Den Erstling, eine Darstellung von Mutter mit Kind (selbstverständlich mit sakralem Anklang) hat sie für den Architekten Paul Hintermann geschaffen. Er ist im Privatbesitz seiner Nachkommen. Ihr zweites glasmalerisches Werk ist gleichzeitig das einzige öffentlich zugängliche. Und: es leuchtet in Weiach!

Wieso zwei Glasmaler?

Dass es überhaupt dazu gekommen ist, muss man wohl als seltsame Fügung des Schicksals bezeichnen. Wie kommt der WeiachBlog-Autor darauf? Nun, als ich vor bald fünf Jahren die Artikeltrilogie zur Entstehung der Chorfenster verfasst habe (erschienen vom 20. bis 22. Dezember 2019), da ging mein quellenkritischer Blick eindeutig zu wenig in die Tiefe. Die bei der Gostelistiftung aufbewahrten Unterlagen im Werkdossier Weiach erschienen derart umfangreich, dass die Personalie Willy Kaufmann völlig unter den Tisch gefallen ist.

Ich habe damals geschrieben: «Vorarbeiten für diese Fenster begannen allerdings bereits in den 70er-Jahren». Willy Kaufmann, wiewohl selber Glasmaler, wurde von mir faktisch als eine Art Sachverständiger interpretiert, den man im Vorfeld angefragt hat. 

War ein Heimspiel geplant?

Auf die naheliegende Idee, dass dieser im nahen Rümikon (der ehemaligen westlichen Nachbargemeinde von Fisibach) wohnhafte Künstler der eigentliche, von der Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach ursprünglich Beauftragte gewesen sein könnte, bin ich nicht gekommen.

Wie gesagt: Quellenkritik! In WeiachBlog Nr. 1446 ist das Memorandum des Architekten Paul Hintermann, datiert 23.3.1978, betreffend eine Unterredung mit Willy Kaufmann am 16.3.1978 im vollen Wortlaut wiedergegeben.

Ich hätte die Frage stellen müssen, wieso man doch recht konkrete gestalterische Absprachen vornimmt und ihnen dann keine Taten folgen. Ich hätte weiter fragen müssen, wie diese seltsame Bruchlinie einer drei Jahre dauernden Lücke (März 1978 bis April 1981 = Beginn der Arbeiten Ruth von Fischers) zustande gekommen ist. Eine simple Recherche nach dem Künstler Willy Kaufmann hätte genügt für einen kompletten Sichtwechsel...

Gott hatte andere Pläne

Dominik Heeb hat den Job gemacht, den ich damals versäumt habe und hat den Weg gewiesen: Willy Kaufmann ist kurz nach diesem Arbeitstreffen mit Architekt Hintermann am 15. Juni 1978 im 58. Altersjahr verstorben! 

Die Evang.-ref. Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach, die wohl nicht zuletzt dank seiner in der Rümiker St. Anna-Kapelle zu findenden Glasfenster auf ihn gestossen ist, wurde damit jäh gestoppt. Und hätte Architekt Hintermann nicht Ruth von Fischer sozusagen dazu überredet, den Auftrag anzunehmen, dann wäre womöglich aus dem Mäzenatenimpuls aus dem Aargau nichts mehr geworden.

Was wäre gewesen, wenn...

Wer sich den Stil Willy Kaufmanns ansieht  – er hat (im Gegensatz zu Ruth von Fischer) über mehrere Jahrzehnte hinweg viele verschiedene Glasfenster in sakralen wie weltlichen Gebäuden geschaffen –, der kann sich leicht ausmalen, wie völlig anders die Weiacher Fenster heute daherkommen würden, wäre Gevatter Tod nicht auf den Plan getreten.

Jedenfalls besteht nun einiger Forschungsbedarf. Einerseits im Nachlass Willy Kaufmanns. Vielleicht sind dort ja noch Notizen und Entwürfe erhalten geblieben, die seine Seite der 1978 angestossenen Arbeiten reflektieren. Und andererseits in den Beschlussprotokollen der Evang.-ref. Kirchenpflege Weiach sowie des Vorstandes der Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach aus den Jahren 1977 bis 1981. 

Wieder einmal heisst es: Affaire à suivre!

[Veröffentlicht am 22. Oktober 2024 um 00:15 MESZ]

Samstag, 19. Oktober 2024

Weiacher Warenzoll nur während Zurzacher Messe geöffnet

Am heutigen Datum vor 200 Jahren befasste sich die Zürcher Kantonsregierung erneut mit einem Streit, der aus Zürcher Sicht primär eine unzulässige Ungleichbehandlung zwischen verschiedenen Reussübergängen darstellte, aus Aargauer Sicht jedoch legitim erschien, da er das höherstehende souveräne Recht eines Staates betreffe, selber bestimmen zu dürfen, über welche Grenzübergänge zollpflichtiger Warenumschlag abgewickelt werden kann.

Die Schweiz, ein Bündel souveräner Kleinstaaten

Man sieht an diesem Beispiel deutlich, wie stark die damals über den Bundesvertrag von 1815 nur lose miteinander verknüpften Kantone sich als eigenständige Staaten verstanden haben, auch und gerade in der Fiskalpolitik.

Die Aargauer Regierung stellte sich jedenfalls auf den Standpunkt, wenn ihre Zürcher Kollegen sich herausnähmen, Zollabfertigung nur an bestimmten Übergängen zulassen zu wollen, dass ihnen dann dieselbe Befugnis ebenfalls zustehen müsse. Der entsprechende Ausschnitt aus dem ziemlich umfangreichen Material liest sich wie folgt:

«[...] und daß, was die Fähre zu Ottenbach betrifft, die Aargauische Regierung einerseits, aus gleichen Gründen, warum auch in hiesigem Kanton der Gebrauch der von Kaiserstuhl über Weyach führenden Straße außer den Zurzacher-Meßen verboten sey, weil auf derselben die von hiesiger Regierung angeordneten Zollstätten und Weggeldbüreaux abgefahren werden können, die dortseitige Befugniß behauptet, den Gebrauch von Nebenwegen und Fähren zu untersagen, auf welchen die geordneten Geleitsstätten ausgewichen werden, [...]» (StAZH MM 1.88 RRB 1824/0656)

Temporäre Zollabfertigung an Messetagen

Es ging also darum, zu verhindern, dass die regulären Kontrollposten der Zolleinnehmer und Strassengebühren-Inkassostellen umfahren wurden. Neu war das nicht, es war nach der Zeit des helvetischen Einheitsstaates (1798-1803) lediglich die Rückkehr zu einem System, wie man es in der Alten Eidgenossenschaft über Jahrhunderte praktiziert hatte. 

Die Zürcher haben die Strasse zwischen Kaiserstuhl und Weyach für den grenzüberschreitenden Warenverkehr gesperrt. Einzig an den Tagen, wo in Zurzach die traditionelle grosse Warenmesse stattfand, befand es die Zürcher Regierung offenbar für angemessen, an der Grenze einen temporären Zollabfertigungsposten zu betreiben.

Eine wirtschaftliche Katastrophe

Sonst war offensichtlich nur kleiner Grenzverkehr erlaubt, was den wirtschaftlichen Austausch zwischen dem Studenland und unserer Gemeinde doch ziemlich massiv beeinträchtigt haben dürfte. Unter dieser Abschottung litten vor allem auch die Kaiserstuhler, die nach dem Abbrennen ihrer Rheinbrücke während des Zweiten Koalitionskriegs 1799 während Jahren auf einen Ersatz warten mussten und in dieser Situation wohl nicht zuletzt auch der Zürcher Zollpolitik wegen wirtschaftlich einen massiven Niedergang erlebt haben.

Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass der Weyacher Ziegelhütten-Betreiber (auf dem Näpferhüsli-Areal bei der Kirche) anfangs der 1820er-Jahre mehrere Häuser im Städtchen auf Abbruch gekauft hat, um mit dem Baumaterial seine Kalkproduktion befeuern zu können. Stellt sich trotzdem die Frage, wie das wohl mit dem Verzollen dieses Abbruchmaterials gehandhabt wurde. (Lutz 1822, vgl. Quellen unten)

Vor dem Bau der Stadlerstrasse (RVS 566)

Bemerkenswert ist diese praktisch durchgehende Sperre vor allem, wenn man bedenkt, dass die Verbindung Kaiserstuhl–Weyach–Zürich (im Weiacher Ortskern via Büelstrasse, Oberdorfstrasse, Alte Post-Strasse, Bergstrasse) damals die wichtigere Strasse war als die heutige Hauptstrasse Nr. 7 Richtung Osten (Weyach–Glattfelden–Wagenbreche–Winterthur).

Quellen

  • Nachträge und Berichtigungen zu «Geographisch-statistisches Handlexikon der Schweiz für Reisende und Geschäftsmänner: enthaltend vollständige Beschreibungen der XXII Kantone, deren Bezirke, Kreise und Aemter, so wie aller Städte, Flecken, Dörfer, Weiler, Schlösser und Klöster, auch aller Berge, Thäler, Wälder, Seen, Flüsse und Heilquellen, in alphabetischer Ordnung. Nebst einem Wegweiser durch die Eidsgenossenschaft sammt Nachrichten für Reisende über Postenlauf, Geldeswerth und Gasthöfe. Im Vereine mit Vaterlandsfreunden herausgegeben von Markus Lutz, Pfarrer in Läufelfingen im Kanton Basel. Aarau 1822. Bei Heinrich Remigius Sauerländer» – S. 58.
  • Protokoll der Zürcher Kantonsregierung vom 20. Juli 1824: Antwort L[öblichen] Standes Aargau auf die hiesige [d.h. zürcherische] Beschwerde über Retorsionsstrafen von den Behörden zu Mury, und über Benachtheiligung des Fahrs zu Ottenbach zu Gunsten desjenigen zu Rottenschweil. Signatur: StAZH MM 1.88 RRB 1824/0656.
  • Protokoll der Zürcher Kantonsregierung vom 19. Oktober 1824: Gutachten des Staatsraths wegen der Aargauischen Beeinträchtigung der Fähre zu Ottenbach, und des unstatthaften Geleitsbezugs zu Rottenschwyl. Antwort an Lbl. Stand Aargau. Weisung an das L. Oberamt Knonau. Signatur: StAZH MM 1.89 RRB 1824/0885.

Freitag, 18. Oktober 2024

Die Wappenkarte «Weiach» der Antiquarischen Gesellschaft

Es ist ziemlich genau ein Jahrhundert her, seit die Antiquarische Gesellschaft in Zürich Ende 1924 auf Anregung des Staatsarchivs eine Gemeindewappenkommission bestellt hat. In jedem Bezirk wurde dann ein Kommissionsmitglied tätig, um vor Ort zusammen mit lokalen Gewährsleuten auf die Suche nach sachdienlichen Informationen zu gehen. 

Für den Bezirk Dielsdorf war dies Dr. h.c. Heinrich Hedinger und für Weiach der Dorfschullehrer und spätere Ortschronist Walter Zollinger. Das Resultat der Nachforschungen vor Ort wurde mit den aus Archivalien im Staatsarchiv gewonnenen Informationen kombiniert und die Kommission machte dann dem jeweiligen Gemeindevorstand einen Vorschlag. 

Genehmigt 28. November 1931, gedruckt 1932

Zwischen Sommer und Herbst 1931 fiel der Entscheid in der Wappenkommission (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 85, S. 312ff). Den für Weiach auf 12. November 1931 datierten Vorschlag hat unser Gemeinderat am 28. November 1931 offiziell genehmigt. 

Die Karte zeigt das Wappen nicht nur grafisch, sondern beschreibt es auch in verbaler Form, der sogenannten Blasonierung, die sämtliche offiziell verbindlichen Elemente festhält:

«Von Silber und Blau schräggeteilt mit achtstrahligem Stern in gewechselten Farben.»

Weiter nennt die Karte auch einige ausgewählte historische Eckdaten: «Weiach. Der Stern im Zürcher Schild geht wohl auf die alte Taverne zum "Sternen" zurück. Weiach kam 1424 mit der Grafschaft Kyburg an Zürich und gehörte seit 1442 zur Obervogtei Neuamt. 1591 wurde das Dorf zur Pfarrei erhoben.»

Ornamentiert wird das Ganze mit zwei Eichhörnchen als faktischen Schildhaltern und diversen Vögeln im gleichen Farbton wie die Tannenzweige samt Zapfen.

Huhn-und-Ei-Frage ist ungeklärt

Zur Herkunft des Sterns ist anzumerken, dass nach wie vor offen ist, ob sich dieses Dorfzeichen auf den ehaften, obrigkeitlich konzessionierten Gasthof vererbt hat, oder es (wie auf der Karte insinuiert) gerade umgekehrt gewesen ist, der Stern also ein obrigkeitliches Symbol war, das zuerst vom Gasthof geführt wurde und danach von der Gemeinde übernommen wurde.

Heinrich Hedinger liess dies bereits 1936 in einem Artikel im «Wehnthaler» offen. Die Weiacher hätten, so schreibt er, «als Abzeichen» den Stern gewählt, «sei es als bloße Verzierung oder im Zusammenhang mit der alten Taverne zum "Sternen"». 1971 übernahm er dann allerdings die Auffassung der Wappenkarte (vgl. WeiachBlog Nr. 800). 

Der Autor dieser Zeilen war 2010 noch gegenteiliger Auffassung, hat aber 2020 in zwei Artikeln herausgearbeitet, dass es auch anders sein könnte (vgl. WeiachBlog Nr. 1481 und 1482).

Der Zeichner war ein städtischer Beamter

Bei dieser Wappenkarte handelt es sich um die Nummer 144 aus der 29. Serie der «Zürcher Gemeindewappen». Ziegler erwähnt in seinem erst viele Jahre später (1977) in den Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich erschienenen Wappenbuch, diese Postkarten-Sätze seien in den Jahren 1926-1936 erschienen (was zumindest für letztere Jahrzahl durch die Graphische Sammlung der Zentralbibliothek Zürich mit einem Fragezeichen versehen wird). Die Serie 29 erschien frühestens im Dezember 1931, wahrscheinlich im Jahre 1932. 

Gezeichnet wurden die Wappen von Robert Brutschy, einem Beamten des Stadtarchivs Zürich. Die hölzernen Druckstöcke wurden bei Rudolf Fretz-Bryner in Zollikon erstellt und der Druck der Karten erfolgte bei Müller, Werder & Co. in Zürich (Ziegler, 1977 – S. 17).

Quelle und Literatur
  • Wappenkarte Weiach. Ansichtskarte. Strichklischee; 14 x 9,3 cm. Herausgegeben durch die Antiquarische Gesellschaft in Zürich. Zürich 1932. Scan des Exemplars der Graphischen Sammlung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: Wappen Zürich I, 34 ac
  • Hedinger, H.: Die Gemeinde-Wappen im Bezirk Dielsdorf. In: Der Wehnthaler, 7. u. 10. Februar 1936. (Vgl. Auszug in WeiachBlog Nr. 313)
  • Ziegler, P.: Die Gemeindewappen des Kantons Zürich. Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. 49. 142. Neujahrsblatt. Zürich 1977 – S. 17 (Einleitung) u. 106 (Wappen Weiach).
  • Brandenberger, U.: 75 Jahre offiziell anerkanntes Wappen. Wie unsere Gemeinde zu ihren Erkennungszeichen kam (Teil 2). Weiacher Geschichte(n) Nr. 85. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Dezember 2006 – S. 14-21 (vgl. S. 314 der Gesamtausgabe).  
  • Brandenberger, U.: Heinrich Hedingers «Gemeinde-Wappen im Bezirk Dielsdorf». WeiachBlog Nr. 313, 13. November 2006.
  • Brandenberger, U.: Woher kommt der Stern im Weiacher Wappen? WeiachBlog Nr. 800, 21. März 2010.
  • Brandenberger, U.: Woher kommt der Weiacher Stern? Hat er Schaffhauser Wurzeln? WeiachBlog Nr. 1481, 9. März 2020.  
  • Brandenberger, U.: Geht der Weiacher Stern auf die Familie Escher zurück? WeiachBlog Nr. 1482, 11. März 2020.