Sonntag, 8. September 2024

Wehrmannspoesie von der Spitze des «Römerturms»

Pistolenschützen aus unserer Region ist es ein Begriff, das sog. «Römerturmschiessen». Organisiert wird es vom 1931 gegründeten Pistolenklub Kaiserstuhl und Umgebung. Durchführungsort ist jeweils der 1956 erbaute Schiessstand auf Weiacher Boden (Schützenweg 8), mit Kugelfang am Haslirain, direkt hinter dem ehemaligen Lager der Holz Benz AG südlich der Hauptstrasse Nr. 7 (Basel–St. Margrethen).

Der Begriff «Römerturm» für das Kaiserstuhler Wahrzeichen, das die südseitige Spitze des befestigten Stadtmauerdreiecks bildet, ist zwar im Volksmund nach wie vor verankert, transportiert aber eine durch den Stand der historischen Forschung nicht bestätigte Vorstellung, nämlich, dass zumindest seine Fundamente aus der Zeit des Römischen Reichs (um 400 n. Chr. in unserer Gegend untergegangen) stammen. 

Nicht von den Römern gebaut

Diese bis weit ins 20. Jahrhundert kolportierte Vermutung lässt sich jedoch nicht belegen, weder mit archäologischen Funden noch mit typologischen Befunden des Baustils. Der Obere Turm, wie er laut Franziska Wenzinger Plüss im Historischen Lexikon der Schweiz genannt wird, ist «archäologisch um 1260 datiert» und wurde «nach einem Brand 1360 auf die heutige Höhe aufgestockt». Er ist also dem Hochmittelalter zuzurechnen und wurde wohl im Zusammenhang mit der Gründung der Stadt Kaiserstuhl unter Beteiligung der Freiherren von Regensberg erbaut.

Wie dem auch immer sei: Es gab über Jahrhunderte hinweg einen Turmwächter, der laut einem Entscheid von 1548 das Recht auf 8 Klafter Holz aus dem Weiacher Gemeindewald hatte (vgl. WeiachBlog Nr. 1664). Durchaus gerechtfertigt, denn er diente den Weychern von seinem erhöhten Standort aus ja auch als Feuerwächter.

Militärischer Beobachtungspunkt

Für die heisse Phase des Zweiten Weltkriegs, als die Schweiz im Frühjahr 1940 jederzeit mit dem Angriff deutscher Divisionen rechnen musste, ist die Besetzung des Turms mit einer Wache schriftlich belegt. 

Jeder, der schon einmal im Militär Wache geschoben hat, weiss, wie langweilig das sein kann. Es läuft – glücklicherweise – in aller Regel nichts. Jedenfalls nichts, was des Meldens pflichtig und würdig wäre. Wie es in den Tagesberichten der Multinationalen Brigade Süd der KFOR bei den meisten obligatorischen Berichtspunkten jeweils hiess: «NSTR» (nothing significant to report), manchmal scherzhaft – und leicht vulgär – gar «ABNSTR» (absolutely bloody nothing...). Vorteil: Solche Berichte lesen sich in Windeseile, wenn man sich nach einigen Tagen Abwesenheit wieder auf den neusten Stand bringen muss.

NSTR?

Zu den Pflichten des Kommandanten (oder eines dazu bestimmten Offiziers) gehört es, die Wachtjournale zu konsultieren. Und da fand sich am «Sonntag, den 31. März 1940» ein poetisches Äquivalent zu diesem NSTR:

«Der Abend so schön, so sonnig und klar,
die Wacht auf dem Turm ist wunderbar,
das Bild das wir haben vor Augen so schön,
die Sonne bescheint es im Abendglüh'n.
Ich schaue hinüber auf das schöne Schloss =
[Röteln]
Dass [sic!] Bild, es ist einzig, ein wahrer Genuss.
Ich blicke hinüber, hinab und hinauf
drum weil ich nichts melde, so schreib ich das auf.»

Hauptmann Rohrer, Kdt V/269, kopierte diese Zeilen ins Tagebuch und vermerkte darunter:

«Heute gedichtet von der Wache auf dem Römerturm 
= Füs. Boll, Eduard, 1896, Bachs, Landwirt u. Meisterschütze.
»

Sozusagen eine Statusmeldung der Motivation, mit der die Wacht am Kaiserstuhler Rhein von den nicht mehr ganz jugendlichen Wehrmännern absolviert wurde.

Quelle

Keine Kommentare: