Im WeiachBlog-Beitrag Nr. 1663 vom Donnerstag wurde der älteste überlieferte Rechtsstreit um das Weiacher Holz aus dem Jahre 1521 erläutert. Keine dreissig Jahre später datiert die nächstjüngere Urkunde über eine Auseinandersetzung mit Auswärtigen um die Holzrechte auf Weiacher Boden: auf den Juni 1548.
Normalerweise hält man sich auf der Landschaft ja zurück mit dem Anrufen höherer Instanzen, getreu dem Motto: «Geh' nicht zum Fürsten, wenn Du nicht gerufen wirst». Denn die Obrigkeit könnte noch auf dumme Ideen kommen. Und Strafbefehle oder Vorschriften erlassen, die die kommunale und individuelle Handlungsfreiheit beschneiden.
Der Druck auf die Ressource Holz nimmt zu
Insofern ist es ein gutes Zeichen, dass erst aus dem 16. Jahrhundert Dokumente über Konflikte um das Weiacher Holz in den Archiven dieser Obrigkeiten vorliegen. Denn das bedeutet im Umkehrschluss, dass man sich bis dahin offenbar noch selber einigen konnte. Dorfintern wie mit den Nachbarn.
Der Grund für die zunehmend verhärteten Fronten bei den Streitparteien liegt in der starken Bevölkerungszunahme dieser Jahre. Wo man 1295 noch problemlos Holz für die Kaiserstuhler Brücke liefern konnte, ohne selber zu kurz zu kommen und den eigenen Wald übernutzen zu müssen, da wurde es nun sichtlich enger.
Otto Sigg weist darauf hin, dass im Zeitraum zwischen 1467 (als die Zürcher Geld brauchten um den Erwerb von Winterthur finanzieren zu können) und 1585 die Bevölkerung im Zürcher Herrschaftsgebiet auf das 2.5-fache angewachsen war. Die Zeitgenossen stellten selber fest, dass die Einwohner «gemehret» hätten (deshalb verlangten die Weiacher in den 1540er-Jahren auch einen eigenen Pfarrer und wollten nicht nach Stadel in den Gottesdienst).
So kommt man auf die Idee, dass es doch wohl von Vorteil wäre, die Holzerei durch Auswärtige zu unterbinden, damit für eigene Zwecke mehr übrigbleibe. Man darf auch annehmen, dass die Weiacher von den Obervögten des Neuamts in allgemeiner Form dazu angehalten wurden, Sorge zu ihren Wäldern zu tragen.
Blitzableiter: Kaiserstuhler Stadtwächter
Zwar konnten die Weiacher nach dem Urteil von 1521 den Holzeinschlag für den Unterhalt der Kaiserstuhler Brücke nicht verhindern, sondern mussten regelmässig stattliche Eichen für diesen Zweck abgeben. Davon aber, dass neben den Vögten des Amtes Kaiserstuhl (wozu u.a. Weiach gehörte) auch andere Amtsträger aus der Stadt Kaiserstuhl selber holzen dürften, stand in dem Schiedsspruch nichts. Und so wurde der Turmwächter zur Zielscheibe. Die Weiacher versuchten, diesem Stadtangestellten das Holzen auf dem Stocki (Waldstück auf der Nordflanke des Sanzenbergs, westlich des Dorfkerns) zu verbieten.
Der Streit kam der Zürcher Regierung zu Ohren. Was danach passierte, hat Paul Kläui 1955 im Kaiserstuhler Urkundenbuch (AU XIII, Regest Nr. 199 zu StAK Urk 178) notiert.
Zuerst versuchte es die Regierung mit gutem Zureden aus der Ferne. Als aber «früntliche handlung und schriben nützit verfachen mögen», beauftragte sie die zwei Zürcher Ratsherren Petter Meiger und Ludwig Meyger (der damals übliche Kanzleistil setzte ein -g- zwischen das ei und einen folgenden Vokal. Also Meier und Meyer) das Problem vor Ort anzugehen. Sie sollten die Streitparteien vernehmen und einen Vergleich ausarbeiten.
Ein Vergleich kommt zustande
Das gelang offenbar, denn in der «uff zinstag den zwofften [!] tag brachmonats» (von Kläui als 12. Juni 1548 interpretiert) ausgestellten Pergamenturkunde Nr. 178 im Kaiserstuhler Stadtarchiv steht, die Streitparteien hätten sich «güttlich und früntlich vereint und betragen».
Die Ratsherren nennen zuerst die Kontrahenten: «als sich irtung und spenn [Streitereien] zuogetragen hatt zwüschent den erbaren undervogt und einer gantzen gmeind zuo Wyach eins, sodenne dem edlen, vesten junckher Bernharten Segißer, vogt [Obervogt des Fürstbischofs von Konstanz], ouch den fromen, ersamen und wysen schultheißen, rethen und buirgeren zu Keyserstuol anders theils».
Dann beschreiben sie den Streitgegenstand wie folgt: «deßwegen das sich die bemelten von Wyach erclagten [beklagten], wie der wechter uff dem thurn zuo Keyserstuol hie disenthalb Ryns [gemeint ist der obere Turm (sog. Römerturm); es gab auch noch den Turm des Schlosses Röteln auf der Reichsseite des Rheins], inen in irem holtz genant Stöckin mit ußrüten und abhowen holtzes großen schaden thette;»
Es läuft wieder ähnlich wie 27 Jahre zuvor
Die Weiacher – angeführt von ihrem Untervogt (d.h. faktisch der Gemeindepräsident) – argumentierten gleich wie schon 1521. Sie hätten dem Wächter aus reiner «fründt- und nachpurschaft» bislang «ettlich stumpen holtz frygs willens gegeben». Also ohne eine Rechtspflicht!
Die von Kaiserstuhl – sekundiert von Obervogt Segesser – hielten dagegen, «das ir wechter uff dem thurn denen von Wiach in Stöckin mit holtzhowen dheinen sonderen schaden gethan, anders dann zuo siner notdurft, wie von alters har in übung gewesen». Sie stellten den angeblich grossen Schaden also als vernachlässigbar dar und betonten, der Wächter habe nicht mehr entnommen, als was er wirklich brauche. Das entspreche überdies einem alten Gewohnheitsrecht.
Dann zogen Obervogt und Bürgermeister ein besonderes As aus dem Ärmel, nämlich das Sicherheitsargument: «dann sollicher thurn am anstoß und einem paß einer eydtgnoschaft gelegen, daruf tag und nacht wacht gehalten, nit allein inen, sonders ouch iren nachpuren und mengklichem in fürs und anderen notten zuo wolfart und guottem.»
Betont wurde also die Schutzfunktion des Turmwächters gegen alle Arten von Gefahren (Feuer und andere Nöte), insbesondere auch in kriegerischen Zeiten, wovon auch die Weiacher profitieren würden.
Dieses bereits 1521 im Fall der Rheinbrücke verwendete Argument des gemeinen Nutzens fusste nun nicht mehr nur auf altem Herkommen, denn die Eidgenossen hatten den Aargau und damit die hohe Gerichtsbarkeit über Kaiserstuhl ja erst 1415 erobert.
Dass die Kaiserstuhler noch nachschoben, sie hofften deshalb, die Weiacher würden dem Turmwächter auch in Zukunft das Holzen gestatten, war taktisch klug zur Schau gestellte Bescheidenheit. Denn aus Sicht der Zürcher Regierung – so spekulierten sie – müsste dieses Sicherheitsargument ein schlagendes sein.
Holzen ja, aber Mengenbegrenzung und Zuweisungsrecht
So war es dann auch. Der Kaiserstuhler Wunsch ging in Erfüllung. Allerdings wurde nun festgelegt, wie viel der Stadtbedienstete an Holz aus dem Wald holen durfte. Die Weiacher mussten jährlich «uß irem holtz in Stockin einem jeden wechter uff dem thurn zu Keyserstuol hie disenthalb Ryns acht clafter holtz Keyserstuoler meß gefolgen». Der Wächter darf es aber nur dort nehmen, wo es ihm die Weiacher anweisen, wobei er «allweg das größist howen und was jung ist zum uffwachs stan laßen soll». Auch hier sieht man das Bestreben, den Wald optimal in einer Art und Weise zu nutzen, dass auch der Aufwuchs von Bauholz nicht zu kurz kommt.
Damit nicht genug: Nachdem nun die Weiacher ja sowieso Eichenstämme für die Kaiserstuhler Brücke beisteuern mussten (aus ihrer Sicht ein Verschenken), wurde im Vergleich auch festgehalten, wenn sie «eichen verschangktend und dem wechter das abholtz anzoigten ufzumachen, deßglich, so ein oder mer windfel kemen», müsse er das an die Ausrichtung der 8 Klafter nehmen. Dem Wächter wurde also nicht nur das Rüsten der Eichenäste aufgetragen und angerechnet. Ihm wurde auch das aufwendige, gefährliche und daher wenig beliebte Sturmholzrüsten aufs Auge gedrückt (ob nur im Stockiwald oder auch anderwärts ist nicht bekannt).
Vogt, Schultheiss und Rat von Kaiserstuhl wurden von den Zürcher Ratsherren auch noch weiter in die Pflicht genommen. Der Urteilstext verlangt von ihnen, sie sollten «bei den iren abstellen und verschaffen, das den vilgesagten von Wyach niemans in dem selben holtz [d.h. Stockiwald] uber iren einung nüdtzit how noch neme». Sie mussten also bei den Forstpolizei-Aufgaben der Gemeinde Weiach mitwirken und Kaiserstuhler Übertreter des Vergleichs von 1548 bestrafen. Einerlei, ob es sich nun um den Turmwächter oder sonst einen Stadtbürger handelte.
Quelle
- Kläui, P.: Die Urkunden des Stadtarchivs Kaiserstuhl. Aargauer Urkunden Bd. 13 (AU XIII), Aarau 1955 – Nr. 199, S. 95-96.
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