Freitag, 25. Oktober 2024

Margareta Kurz-Meierhofer: Stille Schafferin an der Heimatfront

Die im Ersten Weltkrieg geborene Generation wurde auch gleich im nächsten Weltkrieg zum Opfer. Das galt besonders für junge Frauen aus dem ländlich-bäuerlichen Umfeld. Pflichterfüllung stand über Selbstverwirklichung. Auch Sekundarschulabschlüsse, im nachstehend geschilderten Fall an der Bezirksschule Kaiserstuhl, halfen da wenig, wie dieser heute vor 50 Jahren publizierte Nachruf aus dem Thurgau zeigt:

«Klingenberg. Margareta Kurz-Meierhofer †. Margareta Kurz wurde 1915 in Weiach im Kanton Zürich geboren. Dort wuchs sie im Kreise ihrer sechs Geschwister auf, besuchte die Primar- und Bezirksschule und half daneben fleissig auf dem elterlichen Gehöft. Nach der Schulzeit trat sie in die Haushaltschule Wülflingen ein, nahm danach manche Stellen in Privathäusern an und half daneben weiterhin ihren Eltern. 1939 vermählte sie sich mit Hans Kurz. Bald danach brach der Krieg aus, und ihr Gatte musste einrücken. Sie selbst besorgte allein den Landwirtschaftsbetrieb im Klingenberg. Ihrer Ehe entsprossen 6 Kinder, vier Knaben und 2 Mädchen, denen sie eine treubesorgte Mutter war. Oft und gerne empfing sie Besuch. Manch einem von Sorgen Niedergedrückten konnte sie helfen. Das Geheimnis ihrer stillen Seelsorgetätigkeit bestand im geduldigen Zuhören und Mitfühlen. Wenn es die Zeit erlaubte, griff sie gerne zu einem guten Buch; ihre Lieblingsdichter waren die beiden Sänger des Bauerntums, Gotthelf und Huggenberger. Während einiger Zeit erteilte Margareta Kurz auch Sonntagsschule in Müllheim. 1966 musste sich die Verstorbene erstmals einer schweren Operation unterziehen. Später verschlimmerte sich ihr Gesundheitszustand wieder, und seit Mitte Januar dieses Jahres durfte sie nicht mehr aufstehen. Am 1. Oktober konnte sie ihr Leben im Kreise ihrer Angehörigen in ihrem Heim beschliessen. Wer sie gekannt hat, wird ihr ein ehrendes Andenken bewahren.»

Aus welchem Zweig der zahlreichen Meierhofer sie stammt, ist WeiachBlog bislang nicht bekannt, das wissen vielleicht noch einige Alteingesessene.

Klar ist aber, dass die allzu früh Verstorbene einst eine Schülerin des Weiacher Lehrers Walter Zollinger war. Der führte ab 1919 die 4. bis 8. Klasse und hatte damit bspw. im Schuljahr 1922 insgesamt 70 (!) Schülerinnen und Schüler zu betreuen. Wohlverstanden: in EINEM Schulzimmer des Alten Schulhauses...

Wer weiss, vielleicht hat Margareta den Bauerndichter Alfred Huggenberger (1867-1960) ja dank Zollinger kennengelernt, der ihn in seinen Schriften zitiert (vgl. WeiachBlog Nr. 741). Oder dank der Jugend- und Volksbibliothek Weiach. Die wurde 1862 explizit zum Zweck der Vermittlung guter Bücher eröffnet.

Quelle

[Veröffentlicht am 13. November 2024 um 00:43 MEZ]

Donnerstag, 24. Oktober 2024

Tierarzt lieferte «Waare für das Mädchen». 6 Monate Gefängnis!

Liebe, Verzweiflung, Krankheit, Tod und Verbrechen. Der perfekte Mix für eine saftige Geschichte in der Zeitung. Ein Fall wie geschaffen für einen Gerichtsberichterstatter.

Heute vor 150 Jahren begann im zürcherischen Pfäffikon ein Schwurgerichtsprozess, über den auch in der Neuen Zürcher Zeitung ausführlich berichtet wurde. WeiachBlog bringt hier Auszüge:

«Auf der Anklagebank erscheinen

1) Die seit 1870 verwittwete Frau Barbara Fisler, geborne Peier von Berg [am Irchel], geboren 1834, deren Ehemann beim Schlitten verunglückt ist, Mutter von 2 Kindern;

2) Konrad Peter von Berg, bis zum Beginn des gegenwärtigen Prozesses Gemeindammann [d.h. der Betreibungsbeamte] in Berg, verheirathet, Vater von 2 Kindern, unter der Anklage der Abtreibung durch innere und äußere Mittel;

3) Jakob Meier von Dättlikon, Thierarzt in Hüntwangen, geboren 1798, Wittwer, angeklagt, Räthe, Anweisungen und Mittel zu dieser Abtreibung gegeben und dadurch dieses gleichen Vergehens sich schuldig gemacht zu haben.»

In Weyach die Ausbildung zum Tierarzt begonnen

Letzterer soll uns hier besonders interessieren, denn er gab, da als einziger von den dreien nicht geständig, die eigentliche Veranlassung für diesen Prozess:

«Am Ende des vorigen Jahrhunderts, der Sohn eines Thierarztes, in Dättlikon geboren, kam der Angeklagte, 20 Jahre alt, zu Thierarzt Willi in Weiach und nach Verfluß eines Jahres in die Thierarzneischule in Zürich, wo er 1/2 Jahre verblieb. Nachdem er im Examen durchgefallen war, bildete er sich praktisch aus bei einem Thierarzt in Flaach, erstand dann das Examen und ließ sich selbständig nieder in Dättlikon.»

In den Jahren 1818 und 1819 war der junge Meier also Tierarztlehrling in Weyach. Wie er sich bei uns gehalten hat, ist in der NZZ nicht weiter dokumentiert, darüber finden sich eventuell noch Angaben in alten Weiacher Protokollen, beispielsweise denen des Stillstandes (Kirchenpflege und kommunale Sittenaufsicht).

Wahrlich kein unbeschriebenes Blatt

Dass ich das hier so explizit erwähne, kommt nicht von ungefähr, denn im Verlauf seines Lebens geriet Meier immer wieder mit seinen Zeitgenossen, den Obrigkeiten und den Gesetzen ins Gehege und wurde überdies gar verbeiständet.

So wurde vor Gericht ausgeführt, der Angeklagte habe zwar in Hüntwangen einen guten Ruf, sei aber in seiner alten Heimat Dättlikon (nördlich der Töss, zwischen Embrach und Neftenbach), wo er bis 1869 wohnte, wegen «Beschimpfung, Körperverletzung, falscher Zeugnisse, Ehebruchs und sehr oft wegen Verfehlung gegen das Medizinalgesetz bestraft worden. Vor 5 Jahren stand er in Untersuchung wegen Abtreibung, die Untersuchung wurde sistirt, der Angeklagte aber wegen wiederholter Pfuscherei mit Fr. 150 Buße belegt. 1857 wurde er wegen Verschwendung bevogtet

Da gab es also eine ganze Reihe von Warnsignalen und sogar bereits ein einschlägiges, wenn auch eingestelltes Strafverfahren, was natürlich aufhorchen lässt.

Der Gerichtsreporter zitiert den Staatsanwalt, der den Meier in seinem Schlussplädoyer als «gewerbsmäßigen Abtreiber» und «alten Sünder» bezeichnete, «dem seine Haushälterin treulich sekundire».

Viele Hilfesuchende landeten bei diesem Alternativpraktiker

Wobei ihm seine Lebenspartnerin in Hüntwangen geholfen hat, machte der Ankläger allen Anwesenden deutlich. Barbara Fisler war nämlich kurz nach dem Unfalltod ihres Mannes im Spätjahr 1870 mit dem seit kurzem getrennt lebenden Gemeindeammann zusammengekommen. Der habe sie darauf wie ein Sperber bewacht vor lauter Eifersucht und sie dann – weil immer noch verheiratet und damit als Ehebrecher strafbar – gezwungen, das Kind, das sie seit Dezember 1873 von ihm erwartete, abzutreiben. Hier kommt nun wieder Tierarzt Meier ins Spiel. In den Worten des NZZ-Journalisten:

«Der Angeklagte ist weithin bekannt als „Doktor Meier“ und er erfreut sich einer ganz ausgezeichneten Praxis, nicht bloß als Thierarzt, sondern vorzugsweise als Arzt gegen menschliche Gebrechen aller Art. Er beschaut „das Wasser“ der Patienten, erkennt daraus den Grund ihrer Leiden und receptirt, obwohl er eine geradezu gräuliche Orthographie schreibt, wie ein Professor. Als Frau Fisler ihn das erste Mal aufsuchte, traf sie ungefähr 25 Personen in seiner Wohnung, die auf den „Herrn Doktor“ warteten. Sie brachte das Wasser ihres unpäßlichen Knaben mit, der Doktor untersuchte dasselbe, fand, der Knabe leide am Herz und gab der Mutter Thee für ihn, später auch Tropfen. Gleichzeitig trug sie ihr persönliches Anliegen vor.»

Schwunghafter Handel mit Heilmitteln

Bei einer Hausdurchsuchung seien bei ihm «geradezu massenhaft [...] Briefe Hülfesuchender aus dem Kanton Zürich, Schaffhausen, Thurgau, Aargau; ja bis in's aufgeklärte deutsche Reich hinein» gefunden worden.» So habe unter anderen «eine Mutter von 14 Kindern» den «Doktor» angefleht, ihr «eine Mixtur gegen einen Krebs im Unterleib» zu geben, eine andere Frau wollte ein Mittel gegen «eine Geschwulst am Hals, die der Hausarzt nicht heilen kann; ein Gemeinderathschreiber will ein Mittel gegen Bangigkeit, ein Waisengerichtsschreiber ein solches gegen Lungenschwindsucht; gegen Magenleiden und Flechten, gegen Blasenleiden, Kopfschmerzen». Und so weiter. Ein wahrer Wunderdoktor also, der sich überdies als sehr guter Kunde diverser Apotheken erwies und seinerseits «Händlern ganze Kisten voll Güldenbalsam» lieferte.

Besonders begehrt: Mittel für danach...

«Zahlreich sind die Briefe um „die bekannte Waare für das Mädchen“ oder gar „für meine Frau“ und es sind diese Briefe theilweise mit ganz besonderen Artigkeiten ausgestellt. Der eine „ist der Kenntnisse des Herrn Doktors in der medizinischen Fakultät gewiß“, der andere fleht den „hochgeehrtesten Herrn Doktor“ um Zusendung weiterer stärkerer Mittel an, und zwar „auf mein Gewissen, nicht auf Ihr Gewissen, da ich eine Wittwe von 2 Kindern bin, während der Vater 5 Kinder hat“, und man bekommt durch den Einblick in diesen Theil der Praxis des „Herrn Doktor“ eigenthümliche Begriffe von der Sittlichkeit des Volkes.» Den letzten Satzteil würde man heute wohl als journalistische Einordnung bezeichnen.

Die Untersuchungsbehörden hätten sich gar veranlasst gesehen, «in einzelnen, besonders anstößigen Fällen gegen die Besteller solcher Waaren für ihre Frauen in Winterthur und Frauenfeld vorzugehen; die Untersuchung führte aber nicht zu förmlichen Anklagen

Sassafras und Tausendgüldenkraut

Aus medizin- und kulturhistorischer Sicht interessant ist, was Tierarzt Meier seinen menschlichen Patienten zu verordnen pflegte. Die NZZ bringt das erstaunlicherweise in aller Ausführlichkeit: «Gegen Brustleiden Franzosenholz, Sassafras und Bittersüß; Tisanenholz gegen Geschlechtskrankheiten; als Abführmittel gab er Glaubersalz und Salpeter; Frauen verordnete er gegen gewisse Leiden Turmentibwurzel und Tausendgüldenkraut. Daß er sehr häufig um Abtreibmittel angegangen werde, gab der Angeklagte zu, aber er will nie solchen Begehren entsprochen, die Leute entweder rund abgewiesen oder, „um sie los zu werden“, ihnen unschädliche Mittel gegeben haben. Auch Frau Fisler habe mehrere Mal und stürmisch Abtreibungsmittel verlangt, unter der Drohung, sonst werde sie sich das Leben nehmen u.s.w. Aber auch ihr, so behauptete er schon in der Voruntersuchung, habe er nur unschädliche Mittel gegeben: Sandelholz, Süßholz, Bittersüß, Fenchel, Calmiswurzel, Sassafras, Argemoniankraut, Tausendgüldenkraut, Lindenblüthen und Glaubersalz.»

Dass diese Mittel allesamt ungefährlich seien, konnte Meier vor Gericht zwar nicht bekräftigen, wies aber dennoch jede Schuld von sich:

«Der Angeklagte Meyer, ein robuster breitschultriger Greis mit starkem grauem Haar und Backenbart, gibt zu, daß er seit 55 Jahren „Menschen und Vieh praktizirt habe“, „wenn es gefährlich war, wies ich die Patienten zum Menschenarzt“. Mit Abtreiben habe er sich nie abgegeben. Die inkriminirten Briefe habe er nie gelesen, nur seine Haushälterin, die Regula, die den Leuten aber auch nichts gegeben habe. Frau Fisler habe Mittel „gegen den andern Stand“ verlangt, aber nichts als unschädliche Mittel, später einmal Mutterkorn erhalten; er habe sie gewarnt.»

Allzu erdrückende Indizien

Da auch der Bezirksarzt sich vor Gericht überzeugt zeigte, dass «die Frucht der Frau Fisler abgetrieben worden» sei, nützte auch der Einwand des Verteidigers, der «Beweis des Causalzusammenhanges zwischen den von dem Angeklagten verabreichten Mitteln und der Frühgeburt der Frau Fisler» sei nicht gegeben, nichts mehr: Barbara Fisler wurde zu 5 Monaten, Konrad Peter zu 9 Monaten und der Wunderdoktor zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt.

Die vollständige Berichterstattung können Sie auf e-newspaperarchives.ch nachlesen, siehe die Links in den Quellen.

Quellen

[Veröffentlicht am 12. November 2024 um 23:45 MEZ]

Mittwoch, 23. Oktober 2024

Wenn der Präsident des Ehegerichts Deine Hochzeit bewilligt

Im Zusammenhang mit dem sog. Krieghof gibt es dieses Jahr nicht nur ein 250-Jahr-Ereignis, dessen gedacht werden sollte, sondern ebenso ein 300-jähriges. Auch in diesem Fall handelt es sich um den Hochzeitstag eines Baumgartners im Krieg.

Die älteste erhalten gebliebene und uns bekannte Erwähnung «der Bomgartern vnd Krieghof zue Wiach» datiert auf 1635 (vgl. WeiachBlog Nr. 2097; dort auch die Jahre 1672 und 1774).

Der Weiacher Pfarrer machte nur die Buchhaltung ...

Unter dem heutigen Datum vor 300 Jahren notierte der Weiacher Pfarrer im Ehebuch die Trauung von Jakob Baumgartner mit Anna Meierhofer, beide aus unserer Gemeinde, und zum Bräutigam die Erläuterung: «Jacob Baumgartners Schneiders im Krieg».

Speziell an dieser Hochzeit ist, dass es unter demselben Datum auch einen Eintrag in einem Ehebuch in der Stadt Zürich gibt. Und zwar mit dem Vermerk «perm. Ampl. Praeside Cons. Matrim.». Heisst: Mit Genehmigung durch den Vorsitzenden des Ehegerichts. Diese Behörde war die oberste Instanz des Zürcher Stadtstaates in familien- und unterhaltsrechtlichen Angelegenheiten. 

... die Kasualie wurde in der Stadt vollzogen

Angesichts des Doppeleintrags und insbesondere des Bewilligungsvermerks darf angenommen werden, dass die kirchliche Zeremonie in einer der Zürcher Stadtkirchen stattfand.

Was genau vorgelegen hat, dass der Präsident des Ehegerichts sein Plazet geben musste? Dazu wäre in den Akten des Ehegerichts nachzusehen. Vielleicht steht dort etwas Sachdienliches. 

Am wahrscheinlichsten ist ein näherer Verwandtschaftsgrad, als er in der Gesetzgebung vorgesehen war. Die Zürcher Regierung wollte damit der Inzucht vorbeugen, eine Gefahr, die beim sog. «Heiraten über den Miststock» regelmässig drohte. Diese Praxis bestand nicht zuletzt wegen der fiskalischen Hürden beim Umzug von Frauengut selbst zwischen zürcherischen Land- und Obervogteien (vgl. WeiachBlog Nr. 2079).

Quellen und Literatur

  • Baumgartner, Jakob, getraut mit Meierhofer, Anna, 1724.10.23. Signatur: StAZH E III 136.1, EDB 658.
  • Baumgartner, Jakob, Weiach, getraut mit Meierhofer, Anna, Weiach, 1724.10.23. Signaturen: StAZH TAI 1.740 (Teil 1); StadtAZH VIII.C.6., EDB 1795.
  • Brandenberger, U.: Eine Frau aus dem falschen Nachbarort kam teuer zu stehen. WeiachBlog Nr. 2079, 12. April 2024.
  • Brandenberger, U. «Im Chrieg». Zu den Ursprüngen eines Weiacher Siedlungsnamens. WeiachBlog Nr. 2097, 10. Mai 2024. 

Mini-Serie «Im Chrieg. Ein Weycher Flurname», Teil 5

Dienstag, 22. Oktober 2024

Nächtliche Übung auf Gegenseitigkeit mitten im Dorf, 1943

In den Jahren vor dem Fall der Berliner Mauer anfangs November 1989 gab es hierzulande noch viele Militärmanöver, in denen die Planer ganze Grossverbände mit mehreren tausend Wehrmännern (Brigaden, Divisionen, etc.) aufeinanderprallen liessen. 

Überall ratterten zu jeder Tages- und Nachtzeit die Panzerketten, hinter gefühlt jeder zweiten Scheune lugte ein Gewehrlauf hervor. Und die Zivilschutzanlage Hofwies (unter dem Pausenplatz) war regelmässig mit Truppeneinquartierungen belegt. Zur Freude der Schulkinder (Biscuits, Biscuits!!) und zum Entsetzen einiger Lehrkräfte (Wachtdienst mit Kampfmunition).

Auch im Zweiten Weltkrieg gab es Übungen, die allerdings in viel kleinerem Massstab durchgeführt wurden. Eine, die im Sommer 1943 mitten im Weiacher Ortskern Angriff und Verteidigung im überbauten Gebiet trainierte, ist in gleich zwei Kompanie-Tagebüchern dokumentiert: Dem der Grenzfüsilierkompanie V/269, stationiert in Kaiserstuhl und dem der Gz Füs Kp II/269, abkommandiert nach Weiach. 

Mondhelle Nacht erschwerte das Anpirschen

Es sind Einträge, in denen dicht an dicht Weiacher Örtlichkeiten und Namen von Weiacher Wehrmännern Erwähnung finden.

Unter dem Samstag, 14. August 1943 findet man bei der fünften Kompanie den folgenden Vermerk:

«0015 Beginn der Nachtübung gegen die II. Kp. Abmarsch gruppenweise nach Saxenholz. Auftrag der Kp.: Strassenkreuz mit den Zündstellen in W. in Besitz nehmen. Kampf-Idee: 9 Patrouillen arbeiten sich an die Zündstellen heran, (sternförmig) um dieselben um 0415 in Besitz zu nehmen. 0415 erfolgt Scheinangriff, unmittelbar darauf der Hauptangriff. Die helle Nacht erschwert dem Angreifer das Heranarbeiten an den Feind. Die II. Kp hat sich igelförmig zur Verteidigung eingerichtet.» (Tagebuch Gz Füs Kp V/269, Dok_8, S. 14/15)

Man sieht hier, dass auch die Hauptachsen in und durch Weiach mit Sperren versehen und als Sprengobjekte definiert waren, befestigt und mit Mineuren besetzt, die sie jederzeit in die Luft jagen konnten, um den Feind (in der Realität: die Wehrmacht Hitlerdeutschlands) in seinem Angriffsschwung zu bremsen. Es ging darum, zu überprüfen, ob man die Bewachung dieser Sperre im Handstreich überwältigen könne.

Der Ablauf aus Sicht des Angreifers

Ebenfalls in den Unterlagen der aus Kaiserstuhl vorrückenden Truppe ist eine Zusammenstellung der erfolgten Meldungen von 8 der 9 Patrouillen erhalten, samt Abgangszeitpunkt auf der Meldung und dem Zeitpunkt des Eintreffens beim Kompaniekommandanten, übermittelt offenbar durch Meldeläufer:

Tagebuch Gz Füs Kp V/269; Dokument-Fortsetzung_0000009, S. 59 

Ziel war die zentrale Schlüsselposition, die Zündstellen, die sich ungefähr dort befunden haben, wo heute die Chälenstrasse und die Büelstrasse von der Stadlerstrasse abgehen.

Meldungen von der Nacht - Uebung vom 14.8.43.

[geordnet nach Zeitpunkt der Meldungserstellung]

«0220 Gruppe Schenkel Hans: ist ca. 200 m Ostl. von Kirche Weiach in Ausgangsstellung. Vom [supponierten] Feinde nichts bemerkt.

0230 Gruppe Kpl. Piller: über Höhberg [Höbrig] nach Säge Weiach gelangt, vom Feinde nichts bemerkt.

0250 Gruppe Wm. Zollinger: bei der Trotte Weiach [gemeint: heutige Trottenstr. 7] vom Feinde nichts bemerkt.

0250 Gruppe Bersinger: Gruppe von Süden gegen Kunsum Weiach vorgestossen bis 30 m vom Objekt bei Meierhofer entfernt. Hinter Konsum auf Feind gestossen. Eine Signaleinrichtung zerstört.

0300 Gruppe Kpl. Lips: hat den Stacheldraht Ausgang Oestl. Weiach überschritten und ist bis Neuhof Weiach vorgestossen. Vom Feinde nichts bemerkt.

0300 Gruppe Meierhofer Ar. von Bunker Weiach-Ost[:] Barrikade nicht besetzt. Gruppe rückt weiter vor in Richtung Gemeindehaus. Kein Feind bemerkt.

0310 Gruppe Kpl. Schumacher meldet von Osten her über Fastnachtfluh-(unterer Rand) angeschlichen. Stosse weiter Richtung Zündstelle Weiach vor. Vom Feinde nichts bemerkt.

0310 Gruppe Wm. Gut: meldet südl. der Strasse (zwischen) Weiach-Bachs zwischen Schulhaus und Kunsum [sic!] Weiach vorgestossen.  3 Mann ca. 40 m von der Zündstelle entfernt.»

Vier oder gar fünf der Patrouillen hatten einen Gruppenführer, der in Weiach ansässig gewesen sein dürfte. Bei Wachtmeister Zollinger (jawoll, es handelt sich um den hiesigen Dorfschullehrer und späteren Chronisten) wissen wir das mit Sicherheit. Und bei den Soldaten Meierhofer Arnold und Bersinger dürfen wir es mit fast ebenso hoher Wahrscheinlichkeit annehmen. Zollinger war mitten in der Nacht nur wenige Meter von seinem Wohnhaus am Müliweg 4 entfernt. 

Allein schon die Koordination zwischen den fünf Gruppen, die sich östlich des Dorfkerns durch die nächtliche Landschaft vorgearbeitet haben, dürfte alles andere als einfach gewesen sein. Man konnte ja nicht per Funkgerät oder gar Mobiltelefon kommunizieren.

Die Gruppe von Wachtmeister Gut muss sich südlich der Chälenstrasse über die Hofwiese zwischen Altem Schulhaus und dem VOLG-Gebäude bewegt haben.

Die Sicht des Verteidigers der Zündstellen in Weiach

Die Gz Füs Kp II/269 hatte es bei dieser Bataillonsübung einfacher. Sie mussten nur einen möglichst undurchdringlichen Stützpunkt organisieren. Hier der Eintrag zum 14. August aus Sicht der zweiten Kompanie:


Nach zwei Stunden hatte man den Stützpunkt verteidigungsbereit organisiert. Von 2 Uhr nachts an hiess es in den Stellungen warten und beobachten. Nicht allzu schwierig, wenn man die Helle der Nacht berücksichtigt. Das Tagebuch des Verteidigers schliesst mit den Worten:

«0400 erfolgte der Hauptangriff des Feindes, welcher aber durch die hermetische Verdrahtung des Stützpunkts [mit Stacheldraht] nicht eindringen konnte. ca. 04.30 Uebung abgebrochen.»

Quellen

  • Tagebuch Gz. Füs. Kp. II/269, Bd. 6, 1943. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1872*
  • Tagebuch Gz. Füs. Kp. V/269, Dok 8 u. 9, 1943. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1875*.

Montag, 21. Oktober 2024

Blitz schlägt in die SBB-Fahrleitung zwischen Zweidlen und Weiach

Heute vor 50 Jahren, wie dieses Jahr einem Montag, fegte ein heftiges Gewitter über unsere Gegend. Es verursachte den Ausfall sowohl der Linie KoblenzEglisau, wie der Strecke SchaffhausenEglisau. Die  Reparaturdienste der SBB mussten im Rafzerfeld und auf Weiacher Gebiet fast gleichzeitig eingreifen. 

Die Schweizerische Depeschenagentur SDA verfasste dazu eine Meldung, die über den Ticker lief und wohl in etlichen Zeitungen abgedruckt wurde: 

Gestörter Bahnverkehr

«Gewitter verursacht SBB-Fahrleitungsstörungen sda. Ein heftiges Gewitter in der Gegend des Rafzerfeldes verursachte am Montag [21.10.74] zwei Fahrleitungsstörungen. Um 13.42 Uhr stürzte eine Übertragungsleitung der NOK bei Rafz auf die SBB-Fahrleitung. Die Strecke Hüntwangen–Lottstetten war infolge des dauernden Kurzschlusses bis 15 Uhr gesperrt, so dass zwei Schnellzüge über Winterthur umgeleitet werden mussten. Der Zürich um 13.21 Uhr verlassende Schnellzug nach Schaffhausen wurde kurz nach Bülach angehalten und über Embrach–Winterthur–Andelfingen geführt. Er wurde dabei um mehr als eineinhalb Stunden verspätet. Der zweite Schnellzug erlitt 16 Minuten und einige Personenzüge 10 bis 15 Minuten Verspätung. Fast zur gleichen Zeit schlug der Blitz in die Fahrleitung zwischen Zweidlen und Weiach, was ebenfalls dauernden Kurzschluss verursachte. Bis zur Behebung dieser Störung wurden die Züge in Weiach und Eglisau gewendet, für das Zwischenstück Autobusse eingesetzt.» (Thuner Tagblatt, 23. Oktober 1974)

Quelle 

Sonntag, 20. Oktober 2024

Wenn Gevatter Tod einen Künstler aus dem Spiel nimmt

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein kunstsinniger Verein unsere Gemeinde zum Tagungsort seiner Generalversammlung erkürt und im Anschluss daran auch noch zu einem öffentlichen Vortrag einlädt. 

Der Freundeskreis Ruth von Fischer hat am heutigen Sonntag einen dieser seltenen Momente organisiert (vgl. Mitteilungsblatt Weiach, August 2024, S. 15). 

Wer um 14 Uhr den Weg in die Weiacher Pfarrscheune gefunden hat, wurde nicht enttäuscht. Die Künstlerin Ruth von Fischer (1911-2009) hat ihre gestaltende Handschrift gleich bei zwei Farbtupfern hinterlassen, die in der Weiacher Kirche Akzente setzen: dem Teppich um den Taufstein von 1970 und den Chorfenstern von 1981. 

Zwei seltene Stücke in unserer Kirche

Beide Objekte sind seltene Stücke im Werkkaleidoskop ihrer Erschafferin. Denn Ruth von Fischer ist eher für Wandteppiche bekannt, die in verschiedenen Gemeinden von freiwilligen Helferinnen in tausenden von Arbeitsstunden nach ihren Entwürfen geschaffen wurden. Ihre Bodenteppiche muss man schon fast mit der Lupe suchen. 

Auch Glasarbeiten gehören zu den Solitären in ihrem Schaffen, wie der Vortrag von Organisator und Vereinsmitglied Dominik Heeb eindrücklich aufgezeigt hat: Es gibt von ihr nur zwei Werke aus Glas. Den Erstling, eine Darstellung von Mutter mit Kind (selbstverständlich mit sakralem Anklang) hat sie für den Architekten Paul Hintermann geschaffen. Er ist im Privatbesitz seiner Nachkommen. Ihr zweites glasmalerisches Werk ist gleichzeitig das einzige öffentlich zugängliche. Und: es leuchtet in Weiach!

Wieso zwei Glasmaler?

Dass es überhaupt dazu gekommen ist, muss man wohl als seltsame Fügung des Schicksals bezeichnen. Wie kommt der WeiachBlog-Autor darauf? Nun, als ich vor bald fünf Jahren die Artikeltrilogie zur Entstehung der Chorfenster verfasst habe (erschienen vom 20. bis 22. Dezember 2019), da ging mein quellenkritischer Blick eindeutig zu wenig in die Tiefe. Die bei der Gostelistiftung aufbewahrten Unterlagen im Werkdossier Weiach erschienen derart umfangreich, dass die Personalie Willy Kaufmann völlig unter den Tisch gefallen ist.

Ich habe damals geschrieben: «Vorarbeiten für diese Fenster begannen allerdings bereits in den 70er-Jahren». Willy Kaufmann, wiewohl selber Glasmaler, wurde von mir faktisch als eine Art Sachverständiger interpretiert, den man im Vorfeld angefragt hat. 

War ein Heimspiel geplant?

Auf die naheliegende Idee, dass dieser im nahen Rümikon (der ehemaligen westlichen Nachbargemeinde von Fisibach) wohnhafte Künstler der eigentliche, von der Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach ursprünglich Beauftragte gewesen sein könnte, bin ich nicht gekommen.

Wie gesagt: Quellenkritik! In WeiachBlog Nr. 1446 ist das Memorandum des Architekten Paul Hintermann, datiert 23.3.1978, betreffend eine Unterredung mit Willy Kaufmann am 16.3.1978 im vollen Wortlaut wiedergegeben.

Ich hätte die Frage stellen müssen, wieso man doch recht konkrete gestalterische Absprachen vornimmt und ihnen dann keine Taten folgen. Ich hätte weiter fragen müssen, wie diese seltsame Bruchlinie einer drei Jahre dauernden Lücke (März 1978 bis April 1981 = Beginn der Arbeiten Ruth von Fischers) zustande gekommen ist. Eine simple Recherche nach dem Künstler Willy Kaufmann hätte genügt für einen kompletten Sichtwechsel...

Gott hatte andere Pläne

Dominik Heeb hat den Job gemacht, den ich damals versäumt habe und hat den Weg gewiesen: Willy Kaufmann ist kurz nach diesem Arbeitstreffen mit Architekt Hintermann am 15. Juni 1978 im 58. Altersjahr verstorben! 

Die Evang.-ref. Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach, die wohl nicht zuletzt dank seiner in der Rümiker St. Anna-Kapelle zu findenden Glasfenster auf ihn gestossen ist, wurde damit jäh gestoppt. Und hätte Architekt Hintermann nicht Ruth von Fischer sozusagen dazu überredet, den Auftrag anzunehmen, dann wäre womöglich aus dem Mäzenatenimpuls aus dem Aargau nichts mehr geworden.

Was wäre gewesen, wenn...

Wer sich den Stil Willy Kaufmanns ansieht  – er hat (im Gegensatz zu Ruth von Fischer) über mehrere Jahrzehnte hinweg viele verschiedene Glasfenster in sakralen wie weltlichen Gebäuden geschaffen –, der kann sich leicht ausmalen, wie völlig anders die Weiacher Fenster heute daherkommen würden, wäre Gevatter Tod nicht auf den Plan getreten.

Jedenfalls besteht nun einiger Forschungsbedarf. Einerseits im Nachlass Willy Kaufmanns. Vielleicht sind dort ja noch Notizen und Entwürfe erhalten geblieben, die seine Seite der 1978 angestossenen Arbeiten reflektieren. Und andererseits in den Beschlussprotokollen der Evang.-ref. Kirchenpflege Weiach sowie des Vorstandes der Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach aus den Jahren 1977 bis 1981. 

Wieder einmal heisst es: Affaire à suivre!

[Veröffentlicht am 22. Oktober 2024 um 00:15 MESZ]

Samstag, 19. Oktober 2024

Weiacher Warenzoll nur während Zurzacher Messe geöffnet

Am heutigen Datum vor 200 Jahren befasste sich die Zürcher Kantonsregierung erneut mit einem Streit, der aus Zürcher Sicht primär eine unzulässige Ungleichbehandlung zwischen verschiedenen Reussübergängen darstellte, aus Aargauer Sicht jedoch legitim erschien, da er das höherstehende souveräne Recht eines Staates betreffe, selber bestimmen zu dürfen, über welche Grenzübergänge zollpflichtiger Warenumschlag abgewickelt werden kann.

Die Schweiz, ein Bündel souveräner Kleinstaaten

Man sieht an diesem Beispiel deutlich, wie stark die damals über den Bundesvertrag von 1815 nur lose miteinander verknüpften Kantone sich als eigenständige Staaten verstanden haben, auch und gerade in der Fiskalpolitik.

Die Aargauer Regierung stellte sich jedenfalls auf den Standpunkt, wenn ihre Zürcher Kollegen sich herausnähmen, Zollabfertigung nur an bestimmten Übergängen zulassen zu wollen, dass ihnen dann dieselbe Befugnis ebenfalls zustehen müsse. Der entsprechende Ausschnitt aus dem ziemlich umfangreichen Material liest sich wie folgt:

«[...] und daß, was die Fähre zu Ottenbach betrifft, die Aargauische Regierung einerseits, aus gleichen Gründen, warum auch in hiesigem Kanton der Gebrauch der von Kaiserstuhl über Weyach führenden Straße außer den Zurzacher-Meßen verboten sey, weil auf derselben die von hiesiger Regierung angeordneten Zollstätten und Weggeldbüreaux abgefahren werden können, die dortseitige Befugniß behauptet, den Gebrauch von Nebenwegen und Fähren zu untersagen, auf welchen die geordneten Geleitsstätten ausgewichen werden, [...]» (StAZH MM 1.88 RRB 1824/0656)

Temporäre Zollabfertigung an Messetagen

Es ging also darum, zu verhindern, dass die regulären Kontrollposten der Zolleinnehmer und Strassengebühren-Inkassostellen umfahren wurden. Neu war das nicht, es war nach der Zeit des helvetischen Einheitsstaates (1798-1803) lediglich die Rückkehr zu einem System, wie man es in der Alten Eidgenossenschaft über Jahrhunderte praktiziert hatte. 

Die Zürcher haben die Strasse zwischen Kaiserstuhl und Weyach für den grenzüberschreitenden Warenverkehr gesperrt. Einzig an den Tagen, wo in Zurzach die traditionelle grosse Warenmesse stattfand, befand es die Zürcher Regierung offenbar für angemessen, an der Grenze einen temporären Zollabfertigungsposten zu betreiben.

Eine wirtschaftliche Katastrophe

Sonst war offensichtlich nur kleiner Grenzverkehr erlaubt, was den wirtschaftlichen Austausch zwischen dem Studenland und unserer Gemeinde doch ziemlich massiv beeinträchtigt haben dürfte. Unter dieser Abschottung litten vor allem auch die Kaiserstuhler, die nach dem Abbrennen ihrer Rheinbrücke während des Zweiten Koalitionskriegs 1799 während Jahren auf einen Ersatz warten mussten und in dieser Situation wohl nicht zuletzt auch der Zürcher Zollpolitik wegen wirtschaftlich einen massiven Niedergang erlebt haben.

Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass der Weyacher Ziegelhütten-Betreiber (auf dem Näpferhüsli-Areal bei der Kirche) anfangs der 1820er-Jahre mehrere Häuser im Städtchen auf Abbruch gekauft hat, um mit dem Baumaterial seine Kalkproduktion befeuern zu können. Stellt sich trotzdem die Frage, wie das wohl mit dem Verzollen dieses Abbruchmaterials gehandhabt wurde. (Lutz 1822, vgl. Quellen unten)

Vor dem Bau der Stadlerstrasse (RVS 566)

Bemerkenswert ist diese praktisch durchgehende Sperre vor allem, wenn man bedenkt, dass die Verbindung Kaiserstuhl–Weyach–Zürich (im Weiacher Ortskern via Büelstrasse, Oberdorfstrasse, Alte Post-Strasse, Bergstrasse) damals die wichtigere Strasse war als die heutige Hauptstrasse Nr. 7 Richtung Osten (Weyach–Glattfelden–Wagenbreche–Winterthur).

Quellen

  • Nachträge und Berichtigungen zu «Geographisch-statistisches Handlexikon der Schweiz für Reisende und Geschäftsmänner: enthaltend vollständige Beschreibungen der XXII Kantone, deren Bezirke, Kreise und Aemter, so wie aller Städte, Flecken, Dörfer, Weiler, Schlösser und Klöster, auch aller Berge, Thäler, Wälder, Seen, Flüsse und Heilquellen, in alphabetischer Ordnung. Nebst einem Wegweiser durch die Eidsgenossenschaft sammt Nachrichten für Reisende über Postenlauf, Geldeswerth und Gasthöfe. Im Vereine mit Vaterlandsfreunden herausgegeben von Markus Lutz, Pfarrer in Läufelfingen im Kanton Basel. Aarau 1822. Bei Heinrich Remigius Sauerländer» – S. 58.
  • Protokoll der Zürcher Kantonsregierung vom 20. Juli 1824: Antwort L[öblichen] Standes Aargau auf die hiesige [d.h. zürcherische] Beschwerde über Retorsionsstrafen von den Behörden zu Mury, und über Benachtheiligung des Fahrs zu Ottenbach zu Gunsten desjenigen zu Rottenschweil. Signatur: StAZH MM 1.88 RRB 1824/0656.
  • Protokoll der Zürcher Kantonsregierung vom 19. Oktober 1824: Gutachten des Staatsraths wegen der Aargauischen Beeinträchtigung der Fähre zu Ottenbach, und des unstatthaften Geleitsbezugs zu Rottenschwyl. Antwort an Lbl. Stand Aargau. Weisung an das L. Oberamt Knonau. Signatur: StAZH MM 1.89 RRB 1824/0885.

Freitag, 18. Oktober 2024

Die Wappenkarte «Weiach» der Antiquarischen Gesellschaft

Es ist ziemlich genau ein Jahrhundert her, seit die Antiquarische Gesellschaft in Zürich Ende 1924 auf Anregung des Staatsarchivs eine Gemeindewappenkommission bestellt hat. In jedem Bezirk wurde dann ein Kommissionsmitglied tätig, um vor Ort zusammen mit lokalen Gewährsleuten auf die Suche nach sachdienlichen Informationen zu gehen. 

Für den Bezirk Dielsdorf war dies Dr. h.c. Heinrich Hedinger und für Weiach der Dorfschullehrer und spätere Ortschronist Walter Zollinger. Das Resultat der Nachforschungen vor Ort wurde mit den aus Archivalien im Staatsarchiv gewonnenen Informationen kombiniert und die Kommission machte dann dem jeweiligen Gemeindevorstand einen Vorschlag. 

Genehmigt 28. November 1931, gedruckt 1932

Zwischen Sommer und Herbst 1931 fiel der Entscheid in der Wappenkommission (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 85, S. 312ff). Den für Weiach auf 12. November 1931 datierten Vorschlag hat unser Gemeinderat am 28. November 1931 offiziell genehmigt. 

Die Karte zeigt das Wappen nicht nur grafisch, sondern beschreibt es auch in verbaler Form, der sogenannten Blasonierung, die sämtliche offiziell verbindlichen Elemente festhält:

«Von Silber und Blau schräggeteilt mit achtstrahligem Stern in gewechselten Farben.»

Weiter nennt die Karte auch einige ausgewählte historische Eckdaten: «Weiach. Der Stern im Zürcher Schild geht wohl auf die alte Taverne zum "Sternen" zurück. Weiach kam 1424 mit der Grafschaft Kyburg an Zürich und gehörte seit 1442 zur Obervogtei Neuamt. 1591 wurde das Dorf zur Pfarrei erhoben.»

Ornamentiert wird das Ganze mit zwei Eichhörnchen als faktischen Schildhaltern und diversen Vögeln im gleichen Farbton wie die Tannenzweige samt Zapfen.

Huhn-und-Ei-Frage ist ungeklärt

Zur Herkunft des Sterns ist anzumerken, dass nach wie vor offen ist, ob sich dieses Dorfzeichen auf den ehaften, obrigkeitlich konzessionierten Gasthof vererbt hat, oder es (wie auf der Karte insinuiert) gerade umgekehrt gewesen ist, der Stern also ein obrigkeitliches Symbol war, das zuerst vom Gasthof geführt wurde und danach von der Gemeinde übernommen wurde.

Heinrich Hedinger liess dies bereits 1936 in einem Artikel im «Wehnthaler» offen. Die Weiacher hätten, so schreibt er, «als Abzeichen» den Stern gewählt, «sei es als bloße Verzierung oder im Zusammenhang mit der alten Taverne zum "Sternen"». 1971 übernahm er dann allerdings die Auffassung der Wappenkarte (vgl. WeiachBlog Nr. 800). 

Der Autor dieser Zeilen war 2010 noch gegenteiliger Auffassung, hat aber 2020 in zwei Artikeln herausgearbeitet, dass es auch anders sein könnte (vgl. WeiachBlog Nr. 1481 und 1482).

Der Zeichner war ein städtischer Beamter

Bei dieser Wappenkarte handelt es sich um die Nummer 144 aus der 29. Serie der «Zürcher Gemeindewappen». Ziegler erwähnt in seinem erst viele Jahre später (1977) in den Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich erschienenen Wappenbuch, diese Postkarten-Sätze seien in den Jahren 1926-1936 erschienen (was zumindest für letztere Jahrzahl durch die Graphische Sammlung der Zentralbibliothek Zürich mit einem Fragezeichen versehen wird). Die Serie 29 erschien frühestens im Dezember 1931, wahrscheinlich im Jahre 1932. 

Gezeichnet wurden die Wappen von Robert Brutschy, einem Beamten des Stadtarchivs Zürich. Die hölzernen Druckstöcke wurden bei Rudolf Fretz-Bryner in Zollikon erstellt und der Druck der Karten erfolgte bei Müller, Werder & Co. in Zürich (Ziegler, 1977 – S. 17).

Quelle und Literatur
  • Wappenkarte Weiach. Ansichtskarte. Strichklischee; 14 x 9,3 cm. Herausgegeben durch die Antiquarische Gesellschaft in Zürich. Zürich 1932. Scan des Exemplars der Graphischen Sammlung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: Wappen Zürich I, 34 ac
  • Hedinger, H.: Die Gemeinde-Wappen im Bezirk Dielsdorf. In: Der Wehnthaler, 7. u. 10. Februar 1936. (Vgl. Auszug in WeiachBlog Nr. 313)
  • Ziegler, P.: Die Gemeindewappen des Kantons Zürich. Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. 49. 142. Neujahrsblatt. Zürich 1977 – S. 17 (Einleitung) u. 106 (Wappen Weiach).
  • Brandenberger, U.: 75 Jahre offiziell anerkanntes Wappen. Wie unsere Gemeinde zu ihren Erkennungszeichen kam (Teil 2). Weiacher Geschichte(n) Nr. 85. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Dezember 2006 – S. 14-21 (vgl. S. 314 der Gesamtausgabe).  
  • Brandenberger, U.: Heinrich Hedingers «Gemeinde-Wappen im Bezirk Dielsdorf». WeiachBlog Nr. 313, 13. November 2006.
  • Brandenberger, U.: Woher kommt der Stern im Weiacher Wappen? WeiachBlog Nr. 800, 21. März 2010.
  • Brandenberger, U.: Woher kommt der Weiacher Stern? Hat er Schaffhauser Wurzeln? WeiachBlog Nr. 1481, 9. März 2020.  
  • Brandenberger, U.: Geht der Weiacher Stern auf die Familie Escher zurück? WeiachBlog Nr. 1482, 11. März 2020.

Donnerstag, 17. Oktober 2024

Orgelrevision, mitfinanziert von der Glaubensgenossenschaft

Das erste fix in der Weiacher Kirche platzierte Instrument war ein Harmonium des süddeutschen Herstellers Trayser. Die im Jahre 1930 eingeweihte erste richtige Orgel hingegen war ein Werk der Firma Kuhn mit Sitz an den Gestaden des Zürichsees. 

Auf Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsschwankungen reagieren solche Instrumente teils höchst empfindlich. Töne bleiben hängen, wie Organisten das nennen, wenn sich im komplizierten Inneren einer Orgel etwas verklemmt (vgl. WeiachBlog Nr. 1206). So einen Vorfall hört dann selbst der Laie. Deshalb muss man Orgeln regelmässig Pflege angedeihen lassen. Nebst dem Stimmen ist periodisch auch eine Revision fällig, die dann schnell einmal einige Prozente des ursprünglichen Anschaffungspreises kosten kann. 

Revision 1959

Anfangs des Jahres 1959 wussten die Weiacher noch nicht, dass sie wenige Jahre später im Rahmen der grossen Gesamtrestauration ihre im Chor platzierte Orgel herausreissen und durch ein neues, auf der Empore platziertes Instrument ersetzen würden:

«Die unterm 26.2. beschlossene Revision der Orgel wurde während des April durchgeführt und kostete gesamthaft Fr. 2'671.25, woran die Glaubensgenossenschaft Kaiserstuhl/Fisibach Fr. 500.- beisteuerte. Die Gottesdienste waren während dieser Zeit ins Oberschulzimmer verlegt worden.» (G-Ch Weiach 1959, S. 8)

Was schreibt der Chronist Walter Zollinger da? «Glaubensgenossenschaft»? Ja, keine Erfindung. Das war damals der offizielle Name der heutigen Evangelisch-Reformierten Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach. Bereits in der gedruckten Broschüre mit den Jahresrechnungen 1945 der verschiedenen Weiacher Gemeinwesen ist exakt diese Bezeichnung zu finden.

Mit dem «Oberschulzimmer» ist nicht etwa eine Räumlichkeit der Sekundarschule in Stadel gemeint, da geht es um Zollingers eigenes Klassenzimmer im Alten Schulhaus Weiach.

Quelle und Literatur

  • Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Hier: Chronik des Jahres 1959. Signatur: G-Ch Weiach 1959 – S. 8.
  • Brandenberger, U.: Zeitgeschmack und Holzwurmsorgen. Vor 75 Jahren wurde die erste grosse Weiacher Orgel festlich eingeweiht. Weiacher Geschichte(n) 68. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Juli 2005 – S. 11-17. (Weiacher Geschichte(n) Gesamtausgabe, S. 214-220)
  • Brandenberger, U.: Pneumatische Orgeln: früh ein Sanierungsfall. WeiachBlog Nr. 1206, 5. März 2015.

Dienstag, 15. Oktober 2024

Bombendrohung wegen Beschwerde ans Bundesgericht

Im September vor 25 Jahren wurde bekannt, dass mehrere von Fluglärm betroffene Gemeinden sich einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht angeschlossen hatten. Ziel war die Klärung der Frage, ob die Fünfte Ausbauetappe des Flughafens Zürich so wie geplant (und vom Kanton bewilligt) in die bauliche Wirklichkeit überführt werden dürfe.

Konkret ging es da um das Dock Midfield samt den dafür nötigen Tunnelbauten. Wer schon einmal von dort abgeflogen oder dort angekommen ist, der weiss: Um zu diesem Inselterminal zu gelangen, muss man als Passagier eine automatisch betriebene U-Bahn benutzen. Gebaut wurde also dann doch.

Vor einem Vierteljahrhundert verfügte die zuständige Kammer des Bundesgerichts allerdings erst einmal einen temporären Baustopp und verlangte, dass nur Arbeiten ausgeführt werden dürften, die leicht wieder rückgängig zu machen wären, sollte die Beschwerde gutgeheissen werden.

Nur Stadel und Weiach wurden zum Hassobjekt

Unter den beschwerdeführenden Gemeinden waren nebst anderen auch Stadel und Weiach. Diese beiden Gemeinden – und offenbar nur sie – wurden Zielscheibe eines Zeitgenossen, dem alle Sicherungen durchgebrannt sind. Verstieg sich diese Person doch zu einer veritablen Bombendrohung!

Wenn es um Sprengstoff geht, dann versteht der Bund bekanntlich keinen Spass. Und so wurde auch diese Nachricht schnell zu einer nationalen Angelegenheit, die in Form einer Kurzmitteilung der Schweizerischen Depeschen-Agentur selbst in regionalen Printmedien der Romandie abgedruckt wurde. Unter dem Titel: «Kloten. Deux communes menacées» steht die folgende Nachricht:

«Deux communes opposées à l'agrandissement de l'aéroport de Zurich ont reçu des menaces d'attentat à la bombe. Une lettre anonyme leur est parvenue fin septembre, quelques jours après l'annonce de leur recours auprès du Tribunal fédéral contre le début des travaux. La missive est considérée comme un dérapage. Ecrite à la main et dans un style maladroit, elle exigeait des communes de Weiach et de Stadel (ZH) qu'elles retirent leurs oppositions sous peine de voir une bombe exploser./ats»

Bei Zuwiderhandlung platzt die Bombe

Das handschriftlich abgefasste anonyme Schreiben, so die SDA-Journalisten, müsse als (verbale) Entgleisung betrachtet werden. Es verlange von den beiden Gemeinden (warum nur diese beiden versteht man nicht wirklich), ihre gegnerische Haltung aufzugeben, bei Strafe einer Bombenexplosion im Falle der Zuwiderhandlung.

Dass die Bundesanwaltschaft in dieser Angelegenheit tätig wurde, ist anzunehmen. Ob die Täterschaft je ermittelt wurde, das ist WeiachBlog zurzeit noch unbekannt. Affaire à suivre. Und vielleicht weiss die Leserschaft ja mehr darüber.

Quellen

[Veröffentlicht am 17. Oktober 2024 um 00:15]

Montag, 14. Oktober 2024

Walter Baumgartner. Nachruf auf eine Weiacher Velolegende

Es gibt nicht allzu viele Söhne und Töchter unserer Gemeinde, die die sogenannten Relevanzkriterien der deutschsprachigen Version der Online-Enzyklopädie Wikipedia erfüllen. Man kann sie an einer Hand abzählen.

Walter Baumgartner, genannt «Bäumli», war der erste Schweizer, der in der Disziplin Punktefahren an den Bahnradsport-Weltmeisterschaften eine Medaille geholt hat – die silberne. Ihm folgten so bekannte Grössen wie Urs Freuler (1981 bis 1987 ununterbrochene Gold-Serie) oder Bruno Risi (1992, 1994 und 1999 Gold).

Vier Kilometer. An der Weltspitze in Sachen Mannschaftsverfolgung

Insgesamt zweimal holte Walter Baumgartner für die Schweiz die Bronzemedaille in der Weltmeisterschaft der Mannschaftsverfolgung:

Sieger war in diesen beiden Jahren die DDR. Und wo wir schon eingangs die Wikipedia erwähnt haben, sei hier auch aus ihr zitiert, um zu zeigen, wie gross die Leistung dieser Viererteams war:

«Die Mannschaftsverfolgung gilt als „Königsdisziplin“ des Bahnradsports, weil neben der Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Mannschaftsmitglieds die perfekte Abstimmung aufeinander von entscheidender Bedeutung ist. Bis die Führungswechsel und das Hinterradfahren auf minimalem Abstand optimal durchgeführt werden [..], ist ein erheblicher Trainingsaufwand erforderlich. [...] Im Gegensatz zu Rennen mit Massenstart, bei denen die Fahrer mit einem Abstand von 30 cm bis zu über einem Meter am Hinterrad des Vorausfahrenden fahren, beträgt der ideale Abstand zwischen den Fahrern eines solchen „Viererzuges“ 15–20 cm. [...] Die Distanz beträgt 4000 Meter, die beiden Mannschaften starten an den gegenüberliegenden Geraden der Bahn an der Verfolgerlinie. Sieger ist, wer die Distanz als Erster bewältigt oder die gegnerische Mannschaft vorher einholt. Als Einholen gilt bereits die Annäherung auf einen Meter.»

Auf der Schlussetappe

Aber auch auf der Strasse war «Bäumli» präsent und mischte sowohl in Eintagesrennen (u.a. Tour du Nord-Ouest) als auch in Rundfahrten teils an vorderster Front mit. 1984 gewann er nach 1626.5 Kilometern die Schlussetappe der Tour de Suisse. Gestartet waren 109 Fahrer, im Ziel angekommen sind nur 77.

Nun hat «Bäumli» am 1. Oktober die Schlussetappe seines Erdengangs abgeschlossen, wie WeiachBlog erst gestern erfahren hat:

«Nach längerer Krankheit und doch so plötzlich» sei der Verstorbene von uns gegangen, schreibt die Trauerfamilie in der Todesanzeige. 

Ein stiller Schaffer im Hintergrund

Wer ihn näher gekannt hat, der weiss: Bäumli war nie einer, der sich in den Mittelpunkt gestellt oder grosses Aufheben um seine Befindlichkeit gemacht hätte. Noch letztes Jahr war er es, der viele Radsportgrössen an einem Tisch versammeln konnte, wie man dem Zürcher Unterländer entnehmen kann: 

«Auf Initiative des Ex-Radprofis Walter Baumgartner aus Weiach trafen sich kürzlich rund 30 ehemalige Radrennfahrer und ein paar Radsportfreunde im Restaurant Neuhof in Bachs zu einer Tavolata.»

An diesem Anlass konnten sogar Beat Breu (der «Bergfloh», der 1984 die Tour-de-Suisse-Etappe von Bürglen auf den Klausenpass gewann) und Godi Schmutz über die alten Zeiten ihrer Rivalitäten lachen.

Der Motor hinter dem Nationalen Kriterium Weiach

Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts (zwischen 2003 und 2012) fungierte der ehemalige Rennfahrer als Organisator des Kriteriums Weiach. Das war sozusagen die Strassenversion eines Bahnrennens. Je nach Kategorie galt es bis zu 90-mal, eine 1040-Meter-Runde durch Oberdorf und Bühl zu drehen. Was besonders im Jahr 2006 bei grosser Juli-Hitze eine ziemliche Herausforderung war (vgl. die vier WeiachBlog-Artikel aus dem Jahre 2006 in der Literaturliste). Die nahmen die Fahrerinnen und Fahrer aber gern auf sich, galt doch das Kriterium sozusagen als Meisterschafts-Revanche.

Im Dorf bleibende Erinnerungen hinterlassen

Noch vor wenigen Tagen, so hört man, sei Walter zu Fuss im Dorf unterwegs gewesen. Und vor nicht allzu langer Zeit habe er noch seine Reben gepflegt. 

Manch ein Weycher verdankt ihm und seinen Söhnen Spenglerarbeiten. Man findet sie auf und an Häusern quer durch das Dorf.

Zum Spielplatz-Hüsli auf der Wiese zwischen Gemeindehaus und Baumgartner-Jucker-Haus steuerte Bäumli den Güggel auf dem Dach bei (leider vor nicht langer Zeit einer Brandstiftung zum Opfer gefallen).

Und das sind nur ein paar wenige Eindrücke. Genauso knapp kommen die Medienberichte daher.

Die Schweizerische Depeschenagentur teilt mit...

«Die Radsport-Familie trauert um Walter Baumgartner. Er ist nach längerer Krankheit im Alter von 70 Jahren gestorben. Das Palmarès des Allrounders zieren unter anderem zwei WM-Bronzemedaillen mit dem Bahnvierer in den Jahren 1977 und 1978 sowie WM-Silber im Punktfahren 1978. 1984 gewann Baumgartner, der als Querfeldein-Fahrer seine Karriere lanciert hatte, die Schlussetappe der Tour de Suisse. (sda)»


Ein Cilo-Rennrad by Bäumli

Auch dem hier Schreibenden bleibt eine ganz handfeste Erinnerung an den von uns Gegangenen. Ein für heutige E-Bike-Zeiten schon fast unwirklich filigran wirkendes rotes Rennrad, Marke Cilo 240. Von der Velolegende im Herbst 1985 in seiner Werkstatt an der Bergstrasse höchstpersönlich aus Einzelkomponenten zusammengebaut.

Cilo, eine Schweizer Velomarke aus der Romandie, war damals in Helvetien sozusagen das fahrradmässige Nonplusultra. Wo andere sich von ihrem ersten Zahltag ein Töffli gekauft hätten, da leistete sich der junge spätere WeiachBlogger nach vielen Stunden als Fensterputzer im Bezirksspital Dielsdorf eine ganz besondere Anschaffung: Die heute noch fahrtüchtige Alltagsversion einer der Rennmaschinen, auf die Radprofis damals vertraut haben (mit Schutzblechen *hust*).

Quellen und Literatur

Freitag, 11. Oktober 2024

Die erste «Tusche» in Weiach? Eine Militärerrungenschaft

In der über 500 Seiten starken Sammlung der ausgehenden Meldungen des Stabs Grenzfüsilierbataillon 269 mit Kommandoposten in Weiach (vgl. WeiachBlog Nr. 2177) sind auch Trouvaillen versteckt wie das Dokument A  239 vom 11. Oktober 1939; ein Antrag an das vorgesetzte Kommando Grenzregiment 54 mit Kommandoposten im Gasthof Löwen, Glattfelden:

«Laut Befehl auf dem blauen Dienstweg soll die Trp. tuschen können. Die Kp. II. & III. können dies ohne grossen Zeitverlust im Schulhaus Glattfelden tun, was für die Kp. II bereits angeordnet ist.»

Man berücksichtige, dass die Truppe bereits seit Ende August im Einsatz war und beim Stellungsbau auch ordentlich ins Schwitzen gekommen sein dürfte. (Kp. = Kompanie)

Farbiger Dienstweg

Der erwähnte blaue Weg ist auch Dienstpflichtigen im 21. Jahrhundert keine Unbekannte. Gemeint ist der fachliche Befehlsweg des Sanitätsdienstes (blaue Kragenspiegel) von der Armeeführung bis hinunter zum Bataillon.

«Die übrigen Kp. in Weiach, Bachs, Fisibach und Kaiserstuhl haben einen zu weiten Weg dorthin. Daher soll zur abwechslungsweisen Benützung für diese Kp. oder Teile derselben zentral in Weiach eine einfache Douschgelegenheit geschaffen werden, laut beiliegendem Projekt. Wenn auch der Raum etwas eng ist, so eignet sich doch dieses Objekt. 

Eine Ab- und Ankleidemöglichkeit kann durch einen Vorbau aus Holz geschaffen werden.»

Anschliessend folgt die Berechnung der erforderlichen Materialien samt Antrag auf Genehmigung. 

Leider sind weder die Beilagen erhalten geblieben, noch wissen wir, wie die Antwort des Regiments-Quartiermeisters ausgefallen ist. Wir wissen auch nicht, in welchem Weiacher Gebäude diese Bataillonsdusche eingebaut wurde (denn dass sie bewilligt werden sollte, dafür sorgte schon der im Schreiben erwähnte Befehl).

Wie schreibt man dieses chätzers Wort?

Wie man den doch sehr kreativen Schreibweisen des Verbums «tuschen» und des Substantivs «Dousche» (samt durchgestrichenem s) entnehmen kann, war dem Tippenden die Orthographie dieser Begrifflichkeiten nicht so geläufig. Was wiederum darauf hindeutet, dass es sich bei Duschen damals noch um eine recht neue Errungenschaft gehandelt haben muss, zumindest für einige der Wehrmänner des Bataillons, die mehrheitlich aus dem Zürcher Unterland stammten.

Quelle

  • Tagebücher Stab Gz Füs Bat 269, 1939-1940, Bd. 1-5. Signatur: CH-BAR E5790#1000/948#1869*. Bild in Subdossier_0000004, Unterlagen_0000006, S. 623.
[Veröffentlicht am 14. Oktober 2024 um 22:36 MESZ]

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Ein Vaterunser kommt selten allein

Waren Sie schon einmal im siebten Himmel? Man sieht der volkstümlichen Formulierung an, dass zum Zeitpunkt, als dieses schon fast geflügelte Wort zur Bezeichnung nicht steigerbaren Glücksgefühls geprägt wurde, durchaus noch die Vorstellung herrschte, es gebe in den himmlischen Sphären mehrere Abteilungen. Mit unterschiedlichen Komfortstufen sozusagen. Sieben an der Zahl.

Rund sieben Jahre ist es her, seit ich anlässlich des Reformationssonntags eine Fassung des Vaterunsers publiziert habe, wie sie 1836 vom damaligen Weiacher Pfarrer im Manuskript zum Gottesdienst anlässlich der Einweihung des Alten Schulhauses niedergeschrieben wurde (vgl. WeiachBlog Nr. 1354). Und er verwendet explizit den Plural: Himmeln. 

Himmel oder Himmeln? In der Bibel steht beides.

Verwundern sollte uns das überhaupt nicht. Diesen Plural findet man nämlich auch in den gebräuchlichsten Fassungen der Bibel in griechischer und lateinischer Sprache (Septuaginta und Vulgata). 

Hier (zu Vergleichszwecken) die hiesige Fassung vom 24. November 1836, selbstverständlich in deutscher Sprache:

«Unser Vater der du bist in den Himmeln!
Geheiligt werde dein Namme.
Zukomme dein Reich.
Dein Wille geschehe auf Erde, wie im Himmel.
Gieb uns heut unser tägliches Brod,
Und vergieb uns unsere Schulden, wie auch
wir vergeben unsern Schuldnern,
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern
erlöse uns von dem Bösen!

Denn dein ist das Reich und die Kraft und
die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Der Herr segne Euch und behüte euch!
Der Herr lasse sein Angesicht über euch leuchten
und seye euch gnädig!
Der Herr erhebe sein Angesicht über euch und
gebe euch den zeitlichen und ewigen Frieden! Amen.
»

Vulgata. Die hochoffiziell-katholische Lesart

In der ab 1592 für Jahrhunderte in der römisch-katholischen Kirche geltenden offiziellen Fassung, genannt Vulgata Clementina, wird Lateinisch ebenso selbstverständlich verwendet. So sagt Jesus während der Bergpredigt:

«Sic ergo vos orabitis» (So also werdet ihr beten; Matthäus 6,9) und das darauf folgende Gebet lautet: 

«Pater noster qui es in caelis.
Sanctificetur nomen tuum.
Adveniat regnum tuum.
Fiat voluntas tua sicut in caelo et in terra.
Panem nostrum supersubstantialem da nobis hodie
et dimitte nobis debita nostra sicut et
nos dimittimus debitoribus nostris.
Et ne nos inducas in tentationem
sed libera nos a malo. Amen.
»  (Matthäus 6,9-13) 

Statt «supersubstantialem» (in etwa «überlebensnotwendig») steht in anderen Versionen der Vulgata an dieser Stelle der Begriff «cotidianum» bzw. «quotidianum» (also «tägliches Brot», was den Reformierten wesentlich geläufiger sein dürfte).

Von den Himmeln bzw. dem Himmel ist im bekanntesten Gebet der Christenheit gleich zweifach die Rede. In der Ansprache des Höchsten (vgl. Zeile 1, Plural) sowie dort, wo der Wunsch geäussert wird, der Wille dieses Höchsten möge im Himmel (Singular) wie auf Erden geschehen (vgl. Zeile 4).

Mehrklassen- und Einheitsvorstellung sind also in einem der zentralsten Texte des Neuen Testaments friedlich vereint.

Heutige Zürcher Bibel kennt nur Einheitshimmel

Getreu der heutigen Vorstellung eines nichtkompartimentalisierten Himmels lautet die Fassung von Matthäus 6,9-13 nach der Zürcher Bibel (TVZ 2007): «9 So sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel. Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. 11 Das Brot, das wir nötig haben, gib uns heute! 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben haben jenen, die an uns schuldig geworden sind. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.»

Mit diesem Bösen, von dem man erlöst werden soll und dem Amen, das bekanntlich in der Kirche ganz sicher ist, hat es – wie man oben gesehen hat – nicht sein Bewenden. Das Vaterunser kommt nicht allein. Es wird in der Liturgie regelmässig mit zwei Zusätzen versehen: einer Doxologie und einem Segen.

Doxologie, das Rühmen der Herrlichkeit Gottes

Der Begriff Doxologie leitet sich vom altgriechischen δόξα dóxa «Herrlichkeit» bzw. «Ehre» ab. Gemeint ist damit ein das Gebet abschliessendes feierliches Rühmen der Herrlichkeit Gottes.

Eines der Vorbilder für die Formel «Denn dein ist das Reich...» ist die Bibelstelle 1. Chronik 29,10-13 (Fassung der Zürcher Bibel, TVZ 2007):

«10 Und David lobte den HERRN vor den Augen der ganzen Versammlung, und David sprach: Gelobt seist du, HERR, Gott Israels, unseres Vaters, von Ewigkeit zu Ewigkeit! 11 Dein, HERR, ist die Grösse und die Macht und die Herrlichkeit und der Ruhm und die Hoheit. Denn alles im Himmel und auf Erden ist dein. Dein, HERR, ist das Reich, und du bist der, der erhaben ist über alles als Haupt. 12 Und Reichtum und Ehre kommen von dir, und du bist Herrscher über alles. Und in deiner Hand sind Stärke und Macht, und in deiner Hand liegt es, alles gross und stark zu machen. 13 Und nun, unser Gott, wir danken dir und preisen deinen herrlichen Namen.»

In der Wikipedia wird behauptet, die Doxologie der Protestanten sei aus der Didache entnommen, der sog. Zwölfapostel-Lehre (Διδαχὴ τῶν δώδεκα ἀποστόλων Didachḕ tõn dṓdeka apostólōn). Diese urchristliche Gemeindeordnung wurde jedoch erst 1873 wiederentdeckt. Die Doxologie muss also auf anderen Wegen in die Weiacher Tradition hineingekommen sein.

Aaronitischer Segen macht den Abschluss

Nach dem ersten Amen kommt in der Weiacher Fassung noch ein weiteres mit einem Amen abgeschlossenes Element hinzu: der sog. Aaronitische Segen (auch: Priestersegen, weil er vom Pfarrer über die Gemeinde gebracht wird). Dieser Text leitet sich aus 4. Mose 6,24-26 ab. Er soll von Martin Luther 1525 in den protestantischen Gottesdienst eingeführt und von Zwingli übernommen worden sein.

Fassung nach der Zürcher Bibel (TVZ 2007): «24 Der HERR segne dich und behüte dich. 25 Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. 26 Der HERR erhebe sein Angesicht zu dir und gebe dir Frieden.»

Nach dem, was ich aus Jugendzeiten noch im Gehör habe, lautete eine frühere Fassung des Verses 26 in der bei der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich üblichen Form: «erhebe sein Angesicht auf Dich und gebe Dir seinen Frieden

So ändern sich die Zeiten und Formeln. Die Botschaft aber bleibt.

Quelle und Literatur

  • Auszug aus: Weiherede Altes Schulhaus Weiach, gehalten am 24. November 1836 durch Pfr. Johann Heinrich Burkhard. Nach der Transkription von W. Zollinger, 1969. Vorabdruck aus Wiachiana Fontes Bd. 2.
  • Brandenberger, U.: Unser Vater, der du bist in den Himmeln! WeiachBlog Nr. 1354, 5. November 2017.

[Veröffentlicht am 18. Oktober 2024 um 16:42 MESZ]

Mittwoch, 2. Oktober 2024

Leuchtendes Glas feiert ganzjährig Erntedank

Seit August 1981 erfreuen die farbigen Chorfenster der evangelisch-reformierten Kirche Weiach die Besucher. Gestiftet wurden sie von der Kirchgenossenschaft Kaiserstuhl-Fisibach. Für die Gestaltung zeichnete Ruth von Fischer, Zürich verantwortlich. Die Herstellung von Glas und Fassung besorgte Albert Rajsek, Boswil.

In der unteren Hälfte des Ostfensters ist sozusagen ganzjährig Erntedankzeit. Man sieht dort reife Kornähren, saftige blaue Trauben, bunt gemischte Blumen (laut von Fischer sind es Malven) und ganz rechts ein Früchtesortiment von Bäumen und aus Hausgärten.

Auf den Skizzenblättern von Fischers, die in Schachteln im Gosteli-Archiv schlummern, sind die Entwürfe erhalten geblieben:


Im selben Dossier findet man auch eine offizielle Aufnahme der drei Fenster zur Einweihung (hier der entsprechende Ausschnitt):


Wie unterschiedlich die Farben je nach Tageslichtqualität aufleuchten, zeigt dieser Ausschnitt einer Aufnahme der Weycherin Johanna-Jessica OFS vom Juli 2018:


Quelle und Literatur
  • Dossier «Weiach Glasfenster 1981». Gosteli-Stiftung, Archiv Ruth von Fischer; Faszikel Weiach. Signatur: AGoF 605.11
  • Brandenberger, U.: Die Sprossenteilung schützt gegen das «Auslaufen» des Raumes. WeiachBlog Nr. 1446, 20. Dezember 2019.
  • Brandenberger, U.: Ruth von Fischer zur Entstehung der Weiacher Chorfenster. WeiachBlog Nr. 1447, 21. Dezember 2019.
  • Brandenberger, U.: Die profanen Hintergründe eines Kunstwerks. WeiachBlog Nr. 1448, 22. Dezember 2019.
[Veröffentlicht am 16. Oktober um 21:33 MESZ]