Freitag, 10. September 2021

Bundesrat Pilet-Golaz war zu schnell unterwegs

Ja genau, DER Pilet-Golaz, der kurz nach seinem Einstand beim Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (damals Politisches Departement genannt) im Sommer 1940 in den Geruch des Defätismus geraten ist:

«Am 25. Juni hält Bundespräsident Marcel Pilet-Golaz eine Radioansprache. Die Wortwahl ist höchst unglücklich. Der Romand, obwohl im Unterschied zu einigen Deutschschweizer Offizieren kein Nazi-Sympathisant, steht als Anpasser da.» (Aargauer Zeitung, 25. Juli 2015)

General Henri Guisan organisierte in der Folge den Rütli-Rapport, wo er der versammelten obersten Führungsebene der Armee die Reduit-Strategie erläuterte (vgl. den Wikipedia-Artikel mit weiteren Hinweisen).

Andere mussten früher gehen

Erstaunlicherweise hat sich der ab 1929 als Bundesrat aktive Waadtländer FDP-Mann Pilet-Golaz (1889-1958, vgl. den e-HLS-Artikel) trotz einem (nach der erwähnten Ansprache) erfolgten Empfang von Fröntlern noch bis Ende 1944 halten können. Erst nach dem missglückten Versuch, die diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion wiederaufzunehmen, verlor er jeden Rückhalt und trat im Dezember 1944 zurück.

Andere erwischte es viel direkter. Der 1896 in Steinmaur geborene Berufsoffizier Gustav Däniker, Oberst und Autor militärischer Fachbeiträge, wurde beispielsweise hochkant aus dem Bundesdienst geschmissen, nachdem er 1941 die Einschätzung geäussert hatte, die Schweiz sollte ihre «freiwillige Eingliederung» in das (von den Nazis gerade aufgebaute) «neue Europa» anstreben.

Magistrales Erstaunen

Und dieser Bundesrat war zu schnell unterwegs? Nein, nicht auf der Strasse. Aber beim Versuch, möglichst zeitnah bei den Amerikanern wegen der Luftangriffe vom 9. September 1944 (vgl. WeiachBlog-Beitrag Nr. 1738 von gestern) Protest einlegen und Schadenersatzforderungen stellen zu lassen.

Im Dossier zu den Schäden in Rafz und Weiach ist auch eine Aktennotiz eines leitenden EDA-Beamten vom Sonntag [!] 10. September 1944, 10:45 Uhr, erhalten geblieben:

«Herr BR Pilet-Golaz hat angeläutet. [...]

2. Herr Pilet hat sich nach Mitteilungen betr. die Grenzverletzungen durch amerik. Jäger vom 9.9.44 erkundigt. Da ich ihm nur berichten kann, dass die üblichen Meldungen der Flieger+Flab-Trp. auf Formular vorlägen [Bild vgl. WeiachBlog v. gestern], ist er etwas erstaunt. Damit könne er in Washington nichts anfangen.»

Es war wohl auch besser, dass der Herr Bundesrat seiner Gesandtschaft in Washington nicht sofort den Marschbefehl erteilen konnte, nachdem wir gestern gesehen haben, dass die Armeeführung im Falle des Angriffs bei Weiach noch in den Zeitungen vom Montag, 11. September tatsachenwidrig hat verbreiten lassen, das Bahnwärterhäuschen auf der Höh sei in Brand geschossen worden. Da hat man sich eine Peinlichkeit erspart.

Quellen und Literatur

  • Grenzverletzungen vom 9. September 1944. Beschiessung von 2 fahrenden Güterzügen bei Rafz und Weiach durch amerikanische Jäger. Dossier mit Entschädigungsforderungen und Zusammenstellung der Schadensummen. Schweizerisches Bundesarchiv, Signatur: BAR E2001E#1967/113#1629*  (Online-Dossier 1751160, hier: Unterlagen 27).
  • N.N. (nomen nescio): Was General Guisans Rütli-Rapport heute bedeutet. In: Aargauer Zeitung, 25. Juli 2015.

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