«Leistungen und Abgaben an das bischöfliche Amt Kaiserstuhl». So lautet der Titel der Nummer 191 im Rechtsquellenband über die zürcherische Obervogtei Neuamt, zu der Weiach von 1442 bis 1798 gehört hat. Wenn man an eine Organisationsstruktur Sach- und Geldleistungen abführen muss, dann gehört man in bestimmter Hinsicht dort auch dazu, oder? So war das tatsächlich.
Weiach musste sich gleich mit mehreren Obervögten herumschlagen: den zwei Zürcher Ratsherren, die gerade Neuamtsobervögte waren und die Hochgerichtsbarkeit vertraten. Und mit zwei weiteren Statthaltern, nämlich dem Obervogt des fürstbischöflich-konstanzischen Amts Kaiserstuhl sowie (bis 1605) dem Obervogt der Herrschaft Schwarzwasserstelz, die je zur Hälfte die Niedergerichtsbarkeit zu Weyach unter sich hatten und damit das Dorfgericht als unterste juristische Instanz auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde Weiach.
Nun gab es aber dieses «Amt Kaiserstuhl» gleich zweimal, wie man dem Historischen Lexikon der Schweiz (HLS) im Lemma Kaiserstuhl entnehmen kann. Auch das hat wieder mit den unterschiedlichen Sichtweisen von Herrschaftsträgern zu tun, deren Interessen sich an unserer Westgrenze in mannigfaltiger Weise ineinander verzahnt und verkeilt hatten.
Fürstbischöfliches Amt und Eidgenössisches Amt
Die Autorin des HLS-Lemmas, Franziska Wenzinger Plüss, schreibt:
«Das ältere bischöflich-konstanzische Amt Kaiserstuhl, auch als Obervogtei oder Vogtei Rötelen bezeichnet, umfasste die ab 1294 vom Schloss aus verwalteten Ortschaften und niederen Gerichte in Kaiserstuhl, Hohentengen, Herdern und Lienheim (Letzteres hälftig bis 1540 mit der Burg Weisswasserstelz Lehen des Klosters Reichenau) sowie in Weiach (1295). Die Orte waren auf drei Hochgerichte aufgeteilt, nämlich ab dem 15. Jahrhundert auf die eidgenössische Grafschaft Baden, auf den Klettgau der Grafen von Sulz und auf das zürcherische Neuamt. 1798 wurde das Amt aufgehoben.»
Und just diese Dreiteilung führte nach der durch König Sigismund angestossenen Vertreibung der Habsburger aus ihren aargauischen Stammlanden (vgl. WeiachBlog Nr. 2034) zur Bildung des zweiten Gebildes gleichen Namens:
«Das jüngere Amt Kaiserstuhl gehörte zur Grafschaft Baden. Zu ihm zählten die 1415 nicht eroberten bischöflich-konstanzischen Gerichtsherrschaften Kaiserstuhl ohne Weiach und Schwarzwasserstelz (Fisibach). Abgeleitet aus dem bis dahin habsburgischen hohen Gericht setzten die Eidgenossen in den Verträgen von 1450, 1520 und 1578 gegen den Willen des Bischofs linksrheinisch alle landesherrlichen Rechte durch, hinzu kam in den rechtsrheinischen, zur Neutralitätszone erklärten Dörfern das Mannschaftsrecht.»
Diese Art von Herrschaft rein hochgerichtlicher Art nannte man in Baden Äusseres Amt. Denselben Status hatten sowohl das Amt Klingnau (ebenfalls fürstbischöflich-konstanzisch) wie das Amt Zurzach.
Schutzbrief in Form einer Tafel
Die erwähnte Neutralitätszone umfasste faktisch die fürstbischöflichen Gebiete nördlich des Rheins, namentlich Hohentengen, aber auch Herdern, Lienheim und wohl auch Bergöschingen, wo die Eidgenossen in Krisenzeiten eine sog. Salva Quardia-Stele aufpflanzten und damit klarmachten, dass, wer in diese Gebiete eindringt und plündert, es mit den Eidgenossen zu tun bekommt (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 87, S. 321).
Reichsboden und Schweizerboden
Linksrheinisch hiess ab 1499 de facto und ab 1648 de jure, dass es eidgenössischer Boden war, rechtsrheinisch (in Fliessrichtung gesehen) lag an unserem Abschnitt des Rheins Reichsboden, also Gebiete, die beim Heiligen Römischen Reich deutscher Nation geblieben waren.
Was wir hier sehen, ist ein Ergebnis der sog. Territorialisierung. Zu Zeiten des alten Hochadels (in Weiach beispielsweise die Freiherren von Wart) waren Menschen und Rechtsverhältnisse nach persönlichen Loyalitäten und Abhängigkeiten organisiert worden. Das änderte sich mit dem Ende des Mittelalters immer stärker, weil die Landesherren (d.h. die Hochgerichtsinhaber) möglichst viele Rechte in einer Hand bündeln wollten. Was natürlich zu entsprechenden Konflikten führen musste.
Dass die eidgenössischen Stände, die sich die Gemeine Herrschaft Baden teilten, dieses oben erwähnte jüngere Amt Kaiserstuhl festigen wollten, hat auch mit dem Expansionsstreben der Zürcher zu tun. Nach der pfandweisen Übernahme der Grafschaft Kyburg (und damit von Weiach) im Jahre 1424 konnten sie sich in einige Angelegenheiten von Kaiserstuhl einmischen (z.B. Erbschaften bestimmter Kategorien von Einwohnern beanspruchen). 1471 ging Zürich sogar so weit, die hochgerichtlichen Rechte bis an den Tägerbach (weit über das Gebiet von Kaiserstuhl und Fisibach hinaus!) für sich zu reklamieren, scheiterte aber mangels Beweismitteln mit diesem Ansinnen (vgl. den Schiedsspruch vom 29. Oktober 1471, RQNA Nr. 6).
Ein «Amt Rötteln» als Reaktion auf eidgenössische Begehrlichkeiten?
In jüngeren Publikationen aus Baden-Württemberg findet man den Begriff «Amt Rötteln», so u.a. beim Hohentengener Ortshistoriker Herbert Fuchs (1932-2021).
Wenzinger Plüss erwähnt jedoch kein (separates) Amt Rötteln. Das ist nachvollziehbar, denn selbst der fürstbischöflich-konstanzische Obervogt Johann Franz Freiherr von Landsee, der seinen Sitz auf dem Schloss «Röttelen, oder Rothwasserstelz» am nördlichen Brückenkopf bei Kaiserstuhl hatte, bezeichnet 1778 in seinem Enchiridion Helveticum Constantiae Episcopalis die Gesamtheit aller fürstbischöflichen Gebiete um Kaiserstuhl, ob auf Reichs- oder Schweizerboden, als zum Amt Kaiserstuhl gehörig (vgl. S. 48-49), so explizit für Lienheim.
Thengen, Herderen, Lienheim und der Thürner-Hof [950 m NNW Weisswasserstelz] sowie sein Amtssitz Schloss Rötteln gehörten rechtsufrig laut von Landsee zusammen: «Und dieser ganze Bezirk wird die Herrschaft Röttelen genennet» (S. 49). Das Schloss Weisswasserstelz (auch Hohenwasserstelzen genannt) zählte nicht direkt zu dieser Herrschaft (da über Jahrhunderte hinweg an Adelige verliehen), wurde aber nach dem Heimfall ab 1754 «von dem fürstlichen Obervogtey-Amt Kaiserstuhl besorget» (S. 50).
Das Historische Ortslexikon von Landeskunde entdecken Online (LEO-BW) erweckt aber (wohl abgeleitet vom kurzlebigen Stabsamt Rötteln, 1803-1807) im Abschnitt Geschichte des Lemmas «Rötteln, Schloss - Wohnplatz» just diesen Eindruck, es habe eine offizielle herrschaftstechnische Aufteilung nach Hochgerichtsbezirk gegeben (vgl. den unterstrichenen Abschnitt):
«1185 de Rotenlein. Adel 1185-1396, wohl am Zweig der Familie von Regensberg. Turmburg, seit dem 14. Jahrhundert im Besitz des Konstanzer Bischofs. Bau des 12./13. Jahrhunderts, im 15. und 18. Jahrhundert um zwei Geschosse bzw. eines erhöht, zuletzt 1978/79 Turm renoviert. Sitz eines bischöflichen Obervogtes seit Ende des 15. Jahrhunderts, zuständig für Lienheim, Hohentengen, Herdern, Türnenhof, Weißwasserstelz und Gugenmühle. Ständige Streitigkeiten mit den Grafen von Sulz wegen der Gerichtsrechte, 1486 und zuletzt 1683 wird diesen lediglich das Blutgericht zugestanden. Mannschaftsrecht im 15./16. Jahrhundert von den Eidgenossen angesprochen. Rötteln bildete nach 1803 ein Stabsamt, dem Hohentengen, Herdern und Lienheim samt den zugehörigen Höfen angehörten. Dieses unterstand 1807 dem Oberamt Waldshut. 1813 gingen die zugehörigen Orte zum Amt Jestetten über, mit diesem endgültig 1872 zum Bezirksamt/1936 Landkreis Waldshut.»
Interessanterweise erwähnen weder von Landsee noch LEO-BW den Weiler Bergöschingen, was die Frage aufwirft, ob er nur vergessen ging oder tatsächlich nicht zum fürstbischöflichen Gebiet gehört hat. In letztere Richtung tendiert Kläui 1955 (Aargauer Urkunden XIII, S. 7 i.V.m. Nr. 444), wo ein Hof an diesem Ort als Lehen des Klosters Säckingen erscheint und weitere Urkunden zeigen, dass Handänderungen im Zusammenhang mit Bergöschinger Gütern vor dem Sulzischen Dorfgericht in Stetten gefertigt werden mussten. Anderer Meinung wäre dann der Historische Atlas von Baden-Württemberg mit der Karte 6.13, Herrschaftsgebiete und Ämtergliederung in Südwestdeutschland 1790, wo eine von sulzischem Gebiet umgebene fürstbischöfliche Exklave Bergöschingen eingezeichnet ist.
Unbeugsam der Gewalt des Stärkeren widerstehen
Für die fürstbischöfliche Verwaltung gab es aber offiziell keine gesonderten Bereiche, die man mit den Begrifflichkeiten «Obervogtei Kaiserstuhl» für den auf Schweizerboden befindlichen Teil des Kaiserstuhler Efadens samt Fisibach, bzw. «Obervogtei Rötteln» für den auf Reichsboden befindlichen Teil (inkl. den dem Spital Kaiserstuhl gehörenden Thürner-Hof) hätte belegen können. Es durfte sie nicht geben. Nur ein Amt Kaiserstuhl mit einem Obervogt, der seinen Sitz auf Rötteln hat.
Alles andere wäre auch völlig widersinnig gewesen, angesichts des jahrhundertelangen Kampfes gegen die Versuche sowohl der Eidgenossen (Grafschaft Baden) als auch der Grafen von Sulz (Landgrafschaft Klettgau) sich Rechte im bischöflichen Amt Kaiserstuhl unter den Nagel zu reissen. Eine allzu offensichtliche Aufteilung müsste geradezu als Unterwerfungsgeste bezeichnet werden. So tief wollte der Fürstbischof bei aller faktischen Machtlosigkeit dann doch nicht sinken. Die Realität war bitter genug, wie man dem Enchiridion entnehmen kann:
«Die Appellationen gehören, und giengen ehedeme von denen Gerichten Schwarzwasserstelzen, und Visibach an das fürstliche Hochstift Constanz, vor wenigen Jahren aber hat der baadische Landvogt, Ludwig von Graffenried, selbige samt dem Bereinigungs Recht an sich gerissen, dagegen zwar das fürstl. Hochstift protestirt, und die nöthige Vorstellung bey denen löbl. Ständen gemacht, jedoch diese Rechte bis dahin noch nicht zuruck bekommen hat.» (S. 48)
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