Montag, 27. September 2021

Leeberen. Kantonale Scheuklappen in der Flurnamenforschung

Was auch immer man im Leben vorhat: Die für die Zielerreichung aufzuwendenden Ressourcen sind begrenzt. Man muss sich also einschränken. 

Wenn es gilt, Material für ein Orts- und Flurnamenbuch des Kantons Zürich zu sammeln, heisst das: Konzentration der Quellen auf das Kantonsgebiet. Für die historischen Belege also: Urkundenbücher und Regestenwerke über den Kanton Zürich sowie im Staatsarchiv des Kantons Zürich verfügbare Urbare durchforsten.

Aargauer Urkunden vergessen

Dabei kann man den Fokus aber auch zu eng setzen, wie man an den in den 1950er- bis 1970er-Jahren von Bruno Boesch (1911-1981) und Jörg Rutishauser im Hinblick auf ein Zürcher Namenbuch aufgenommenen Daten sieht. Auf diese Vorarbeiten stützen sich nämlich die aktuell von Mitarbeiterinnen des Schweizerischen Idiotikons verfassten Texte für das Zürcher Siedlungsnamenbuch, die gerade sukzessive in die Online-Datenbank von ortsnamen.ch eingearbeitet werden.

Eine Quelle fehlt da durchwegs: das Urkundenbuch über das Stadtarchiv Kaiserstuhl, das 1955 als Nr. 13 in der Reihe Aargauer Urkunden erschienen ist. Der Bearbeiter dieses Bandes, Paul Kläui (1908-1964), hat die Regesten teils sehr ausführlich gestaltet und in einigen Fällen ganze Flurnamenverzeichnisse ins gedruckte Werk eingerückt. Da Kaiserstuhl als Sitz des Priesters einer Grosspfarrei sowie als Wirtschaftszentrum für die ganze Region Bedeutung hatte, sind neben Urkunden, die Weiach betreffen, u.a. auch solche enthalten, in denen es um Steinmaur, Raat oder Windlach geht. Für diese vier zürcherischen Ortschaften vermerkt Kläui im Namenregister auch Flurnamen.

Nicht erst im 16. Jahrhundert erwähnt

Die meisten der Weiacher Flurnamenbelege stammen aus dem 16. Jahrhundert und sind damit nicht älter als die aus Urbaren gezogenen Fundstellen nach Boesch/Rutishauser. Für den Flurnamen Leeberen (https://search.ortsnamen.ch/de/record/7063757) hingegen stösst man auf eine wesentlich ältere Fundstelle: in einer Pergamenturkunde mit abgefallenem Siegel, ausgestellt im Jahre 1407!

Das Regest Nr. 43 (AU XIII, S. 29) ist datiert auf «samstag nach sant Uolrichs tag des bischofs», d.h. den 9. Juli und lautet:

«Vor Pantlion von Mandach, schultheiss ze Keiserstuol, der im Namen des hochwirdigen fuirsten bischofs Albrechtz von Konstanz ze Keiserstuol in der stat an offner strasse zu Gericht sitzt, verkaufen Cuonrat Gaessler und mit im sin tochter Gret dem Johans Scherer genant Bik ein wisen und ein aeckerli dar an, die gelegen werin ze Lewren an Wigacher bach, die ze der obren siten stosset an Johans Saltzmans wisen und ze der nidren siten an Cuonratz Wirtz wisen und ze der vordren siten an des Rafzers wisen, um 14 1/2 Pfund hlr. für ledig eigen. Fertigungs- und Währschaftsformel. Siegler: der Schultheiß. - Orig. Perg. StAK Urk. 30. S. abgef.» (vollständiger Originaltext; kursive Abschnitte von Kläui)

Das verkaufte landwirtschaftliche Grundstück befindet sich eindeutig auf Weiacher Gemeindegebiet, nämlich am «Wigacher bach» (Schreibweise mit g im Kanzleistil), d.h. dem Dorfbach nördlich des heutigen Dorfkerns.

Abb.: Die Archäologische Zone Nr. 4 Weiach-Leeberen 
(Quelle: Kantonsarchäologie Zürich auf maps.zh.ch)

Der Flurname «Lewren» passt in der Schreibweise zu «vnder Lewern» (1526 in StAZH G I 164, 644v), bzw. «bj der Oberen Leweren» (1560 in StAZH F II a 318, 250.) aus der Sammlung Boesch/Rutishauser.

Und man kann sogar anhand der Anstösser Vermutungen darüber anstellen, wo sich das Verkaufsobjekt exakt befunden hat, nämlich direkt am Ostrand des Bacheinschnitts, sehr nahe an den nicht konservierten Fundamentresten des zweiten spätrömischen Wachtturmes auf Weiacher Gebiet. Denn «obren siten» dürfte sich hier auf die Laufrichtung des Bachs beziehen, d.h. südlich. «Vordren siten» wäre dann in Richtung Rheinsfelden und die hintere Seite das Bachtobel.

Ein wehrhafter Heiliger

Der oben erwähnte Festtag des Hl. Ulrich ist der 4. Juli, der 1407 auf einen Montag fiel. Dieser Heilige wurde auch im Machtbereich des Bistums Konstanz verehrt. Es handelt sich um Ulrich von Augsburg, (890-973), einen Abkömmling des Hochadels, der sich bei den Ungarneinfällen schon 924 und bis zur Schlacht auf dem Lechfeld am 10. August 955 grosse Verdienste erworben hat. Er soll sich durch persönliche Tapferkeit im Kampf ausgezeichnet haben.

Eine auf diesen Heiligen bezogene Reliquie in Kreuzform, das sog. Ulrichskreuz, war «im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit als Amulett und Wallfahrtsmitbringsel aus Augsburg, auch mit teufelsbeschwörenden Sprüchen, im gesamten süddeutschen Raum und im Elsass» weit verbreitet (Quelle: Wikipedia-Artikel Ulrichskreuz; Stand 27.9.2021).

Der 4. Juli gehörte nach dem Festkalender der Diözese Konstanz zu den sog. festa fori. Das ist gemäss Ad Fontes die «Bezeichnung für die hervorragenden kirchlichen Festtage, an denen nicht gearbeitet wird und an denen das bürgerliche Leben ruht (z.B. kein Gericht, keine Schule)».

Die von Mandach als fürstbischöfliche Amtsträger

Dass der Kaiserstuhler Schultheiss 1407 ein Zürcher Unterländer Ministerialadliger aus dem Hause derer von Mandach war, hängt mit der im Mai 1406 durch Fürstbischof Marquard von Randeck gewaltsam beendeten Abspaltung zusammen. Die Familien Escher und Grebel hatten versucht, die Stadt Kaiserstuhl unabhängiger zu machen und sie indirekt habsburgischer Oberhoheit zu unterstellen. Pantaleon von Mandach wurde von Marquards Nachfolger Fürstbischof Albrecht Blarer offensichtlich als zuverlässiger eingestuft (obwohl es im Jahre 1301 auch unter seinen Verwandten solche gab, die versucht hatten, den damaligen Fürstbischof auszutricksen).

Quelle und Literatur

  • Kläui, P.: Die Urkunden des Stadtarchivs Kaiserstuhl. Aargauer Urkunden Bd. 13 (AU XIII), Verlag Sauerländer, Aarau 1955 – Nr. 43, S. 29.
  • Leonhard, M.: Mandach, von. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 8. Dezember 2009.

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