Donnerstag, 10. März 2022

Seit einem halben Jahrtausend geht es um die Wurst

Der Grundstein dafür, dass Weiach heute eine eigenständige Kirchgemeinde ist, der wurde gestern vor 500 Jahren gelegt. Ohne Reformation würden wir kirchlich wohl noch immer zur Pfarrkirche von Kaiserstuhl, der Marienkirche in Hohentengen ennet dem Rhein gehören (vgl. WeiachBlog Nr. 1615).

An diesem 9. März 1522, dem ersten Sonntag der Fastenzeit, taten einige Progressive aus dem Umfeld des Zürcher Leutpriesters Zwingli etwas absolut Unerhörtes: Sie assen Wurst! Fleisch war aber gemäss kirchlicher Lehre in der Fastenzeit tabu. Höchstens Fisch war erlaubt, denn der galt nicht als Fleisch.

Reformation erst ab 1522 und nicht ab 1519?

An diesem Wurstessen in den Räumlichkeiten des Zürcher Buchdruckers Froschauer war auch Zwingli selber zugegen, ass aber nicht von der verbotenen Räucherwurst. Ruchbar wurde die Sache trotzdem und wirbelte mächtig Staub auf. So viel Staub, dass wenige Jahre später kriegerische Auseinandersetzungen unabwendbar wurden. Eine Religionsspaltung, welche die Eidgenossenschaft in grosse Schwierigkeiten stürzte, war die Folge.

Wenn in älteren Publikationen der Beginn der Reformation sozusagen auf das Jahr 1519 gesetzt wurde - und zürcherische Pfarrherren schon das 200-jährige Jubiläum im Jahre 1719 feierten (vgl. WeiachBlog Nr. 1477), dann ist das etwas irreführend. Denn diese Zürcher Reformation war ein sich über mehrere Jahre hinweg entwickelnder Reifungsprozess. 1519 war nur der Amtsantritt Zwinglis als Grossmünsterpfarrer.

Wenn also gestern im Zürcher Grossmünster eine ökumenische Feier in Erinnerung an dieses Wurstessen veranstaltet wurde, dann ist dies zwar ein passenderer, aber eben immer noch arbiträrer Zeitpunkt für den Startschuss der Umwälzungen, die folgen sollten und uns bis heute beschäftigen. 

Der Buchdruck ist schuld

Ausgelöst wurde das ganze durch das Internet der damaligen Zeit, den Buchdruck. Denn dieses Handwerk ermöglichte breiteren Schichten der Bevölkerung den Zugang zu Flugblättern und letztlich ganzen Büchern wie der Bibel, etwas, was vor den Zeiten Gutenbergs ein unerschwinglicher Luxus war. Es ist daher bezeichnend, dass dieses Wurstessen ausgerechnet bei einem Buchdrucker stattfand. Sie waren mit dafür verantwortlich, dass damals, genau wie heute, enorm aufwühlende Zeiten herrschten, in denen das Neue von einigen freudig aufgenommen, von anderen aber erbittert bekämpft wurde.

Der Zürcher Rat entschied sich, die neue Glaubensauffassung anzunehmen und damit war letztlich auch der Wechsel zur Reformation im seit 1424 zum Zürcher Herrschaftsbereich gehörenden Weiach beschlossene Sache.

Dass die Weiacher dann aber spätestens 1540 ultimativ einen eigenen Pfarrer gefordert haben und partout nicht bereit waren, für Gottesdienste über den Kistenpass nach Stadel zu pilgern, steht auf einem anderen Blatt. Die intime Nähe zum rekatholisierten Kaiserstuhl hat die Zürcher Obrigkeit letztlich dazu gezwungen, der Forderung nach einem eigenen Pfarrer stattzugeben.

SRF-Beitrag zur Feier im Grossmünster

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