Sonntag, 23. August 2020

Die Weiacher Kirche auf Karten und Plänen des 19. Jahrhunderts

«Zwischen 1789 und 1862». Mit dieser bezogen auf ein Menschenleben sehr vagen Angabe sind viele der in der Graphischen Sammlung der Zentralbibliothek Zürich erhaltenen kolorierten Zeichnungen von Heinrich Keller (1778-1862) in ihren Katalogeinträgen versehen.

Mit anderen Worten: maximale Vorsicht. Keine Ahnung, wann der Künstler, der offenbar schon im zarten Alter von 11 Jahren angefangen hat, Gebäude zu porträtieren, in seinem Leben was gezeichnet und aquarelliert hat.

Kirch-Ansichten nach der Natur

Keller war der Sohn eines Bäckers aus der Stadt Zürich und ging zu Johann Heinrich Füssli in die Lehre. Nach dieser Ausbildung war er sein Leben lang als «Kartograph, Panoramenzeichner und Verleger» tätig, wie der Artikel über ihn im e-HLS erläutert. Zuerst wohl im Auftrag Dritter und später dann auch auf eigene Rechnung. Sein Sohn, Heinrich jun. (1829-1911) folgte ihm jedenfalls in seinen Fussstapfen nach und führte den von ihm begründeten Kartographieverlag weiter (vgl. WeiachBlog Nr. 1568).

Wann genau Heinrich Keller auf die Idee gekommen ist eine topographische Karte herauszugeben, die mit nach der Natur gezeichneten Kirch-Ansichten glänzt, ist mir ebenfalls nicht bekannt (vielleicht steht dazu etwas in der 1865 erschienenen Vita aus der Feder von J. Hess, vgl. Literatur unten).

Er hat jedenfalls begriffen, was ein Wahrzeichen ist. Und die markanten Gebäude auch kleinerer Gemeinden wie Weiach als separate Vignette auf seinen Planskizzen verewigt:

Zentralbibliothek Zürich, Graph. Sammlg. Signatur: PAS 547

Keller verdanken wir denn auch die oben abgebildete, zweitälteste erhalten gebliebene Darstellung der Weiacher Kirche, die man als nach der Natur gezeichnet verstehen darf. Die älteste stammt von Heinrich Meister, ist ebenfalls Teil der Graphischen Sammlung der ZB (Signatur: PAS 4.34_2) und wird auf 1716 datiert (vgl. WeiachBlog Nr. 1456).

Zwei oder drei Bearbeitungsschichten

Über der Darstellung der Kirche finden wir einen Plan von «Weyach» mit Strassen und Häusern, die mit schwarzer Tusche vermerkten Ortsteilbezeichnungen «Oberdorf», «Biel» und «Källen», den Flurnamen «Fasnachtfluh», sowie die Richtungsbezeichnungen «n. Rath», «n. Kaiserstuhl» und «nach Glattfelden». Als Symbole sind ein Mühlezeichen, ein Wirtshauszeichen (auf Grundlinie stehendes Dreieck), die Kennzeichnung «Pf» für das Pfarrhaus, sowie ein Ziegelhüttenzeichen (Doppelwinkel) zu erkennen. Weiter der Mülibach und seine Fortsetzung als Dorfbach (der Sagibach fehlt), ein markanter Einzelbaum (Linden), sowie Rebensignaturen.

Die Experten der Graphischen Sammlung ordnen die Entstehung dieser aquarellierten Zeichnung im Format 7 x 6.5 cm zeitlich «um 1820» ein (vgl. Katalogeintrag). Das kann dann stimmen, wenn man nur die mit schwarzer Tusche gezogenen Elemente in Betracht zieht und sie als die ursprünglichen versteht. Denn hätte Keller das Plänchen nach 1830 gezeichnet, dann müsste das ehafte Wirtshaus zum Sternen bereits seinen heutigen Standort am Beginn der Strasse nach Kaiserstuhl erhalten haben (vgl. WeiachBlog Nr. 944).

Die wohl mit Rötel gezeichnete Doppellinie, die vom (die Mühle im Oberdorf bezeichnenden) sechszackigen Zahnrad- oder Sternsymbol aus relativ geradlinig zur Sternenkreuzung führt (dort wo die Kaiserstuhlerstrasse und die Glattfelderstrasse zusammentreffen) steht für die heutige Stadlerstrasse, die erst in den 1840ern projektiert und gebaut wurde (s. StAZH PLAN S 385 vom August 1844; vgl. WeiachBlog Nr. 1511).

Auch die mit Bleistift eingetragenen Flurnamen sind wohl späteren Datums. Sie präzisieren das mundartliche «Biel» als hochsprachliches «Bühl», dito die «Källen» als «Kellen», die mit dem «Unterdorf» gleichgesetzt wird. Sie bezeichnen den Standort von «Bödmen» (Bedmen) und «Linden» und sie führen die mit Fragezeichen versehenen Namen «Gassäckern», «Hafnergass» sowie «Höhberg» ein. Eine zeitliche Einordnung ist hier nicht möglich.

Die Karte des Cantons Zürich, 1828 bzw. 1831

Zieht man aus dem Verlag Kellers stammende Kartenwerke zu Rate, dann findet man auf der 1828 herausgegebenen «Karte des Cantons Zürich, mit vorzüglicher Hinsicht auf Straßen und Wege und die wichtigern Ortsgebäude» eine etwas seltsame relative Anordnung von Mühle, Wirtshaus, Kirche und Ziegelhütte zueinander (was die Frage aufwirft, welche Plangrundlage dem Stecher Scheuermann vorgelegen hat):

ETH-Bibliothek, Signatur: Rar K 295

Bereits auf der nach der Staatsumwälzung von 1831 nötigen Neuausgabe sind allerdings diese Fehler samt und sonders korrigiert (vgl. nächstes Bild). Die relative Zuordnung der «wichtigern Ortsgebäude» zueinander ist korrekt (gemessen am Stand 1828). Auch der Verlauf der alten Strasse nach Zürich ist hier korrekt wiedergegeben, indem sie über die heutige Bergstrasse führt. Einzig der Ortsteil Chälen («Kallen») ist stiefmütterlich dargestellt:

Zentralbibliothek Zürich, Kartensammlung, Signatur: 16 Kb 05: 3

Bei dieser jüngeren Karte ist es offensichtlich, dass der Kartenstecher das zuoberst gezeigte Plänchen PAS 547 zur Verfügung hatte.

Pech für Keller war allerdings, dass er die Standortverschiebung des Gasthofs Sternen im Jahre 1830 nicht mitbekommen hat (dieser Fehler vererbte sich nämlich in allen folgenden Ausgaben dieser beliebten Karte bis 1879; vgl. WeiachBlog Nr. 1568).

Als Druckgrafik herausgegeben

Mutmasslich ebenfalls von Heinrich Keller herausgegeben (und von Scheuermann gestochen) ist die nachstehende Druckgrafik, die von der Graphischen Sammlung der Zentralbibliothek zeitlich «nicht nach 1850» eingeordnet wird. Sie sei «in Kellers Sammlung "Zürcher-Ortschaften"» erschienen, steht im Katalog weiter. Wie wir weiter oben gesehen haben (Bau der Kunststrasse Seebach-Kaiserstuhl 1845/46), dürfte die Grundlage älter sein und basiert wohl auf der eingangs gezeigten Planskizze:

Zentralbibliothek Zürich, Graph. Sammlg. Signatur: Res 441

Dieses von e-rara.ch unter der Nr. 70704 aufgenommene Druckblatt zeigt die Weiacher Kirche mutmasslich nach der Natur. Jedenfalls sind Fenster und Türen ziemlich korrekt eingezeichnet. Nur das mittlere Fenster der Südostfassade mit dem darunterliegenden Nebenportal liegt zu weit links, auf PAS 547 hingegen korrekt.

Zu erkennen ist an derselben Fassade zwischen Haupteingang und erstem Fenster eine Struktur, die man als Sonnenuhr interpretieren kann. Weiter sieht man, wie das Hauptportal von einem Vordach geschützt wird, das keine Seitenwände aufweist, sondern lediglich Stützen. Dieses Vordach ist in ähnlichem Stil bereits auf der Darstellung von Heinrich Meister zu erkennen. Es wurde erst mit der Verlegung des Mauerstücks zwischen Kirche und Altem Gemeindehaus im Jahre 1859 abgebrochen und durch einen geschlossenen Vorbau ersetzt.

Auf dem Dachreiter ist auf der Südostseite klar und deutlich eine quadratische Zeittafel zu erkennen. Auf der Südwestseite des Reiters scheint hingegen keine solche Tafel angebracht zu sein (für die Anzahl Zeittafeln, vgl. WeiachBlog Nr. 1562). Eine künstlerische Freiheit hat sich Keller aber mit Sicherheit genommen. Die in der Realität rechts vom Nebenportal und links vom Hauptportal ansetzenden Teile der schiessschartenbewehrten Friedhofmauer hat der Künstler komplett weggelassen.

Auch in einer kolorierten Ausgabe

Neben der schwarz-weissen gibt es auch eine kolorierte Ausgabe derselben Druckgrafik. Sie wird zeitlich gleich eingeordnet wie die unkolorierte Fassung und trägt bei e-rara.ch die Nr. 70737:

Zentralbibliothek Zürich, Graph. Sammlg. Signatur: ZH, Weiach I, 5

Bereits das Turmkugeldokument Nr. 3 vom 1. September 1763 über die Renovation des Dachreiters enthält Angaben zum Auftrag an den Baumeister (und Maler) Volkart aus Nöschikon. Erwähnt wird, dass er «Oel» und «Farb» selber mitbringen musste, um den von ihm neu beschindelten Dachreiter mit einem Schutzanstrich zu versehen. (Kirchenbauw 2007)

Welche Farbe dieser Anstrich hatte, ist leider nicht bekannt. Wenn wir dem Verlag von Heinrich Keller glauben wollen, dann war es spätestens nach der zweiten Dachreiter-Renovation vom Sommer 1820 (Turmkugeldokument Nr. 5) ein kräftiges Rot. Auch Pfr. Joh. Heinrich Burkhard hat in seinem Dokument vom August 1820 nur erwähnt, dass der Auftragnehmer aus dem Schwarzwald «den ganzen Helm nebst Knopf und Fahnen zweyenmahl mit Oelfarbe anzustreichen» hatte. (Kirchenbauw 2007)

Quellen und Literatur
  • Keller, H.: Weyach. [Ortsplan und Kirche] [um 1820]. Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung, Signatur: PAS 547.
  • Keller, H.; Scheuermann, S. J. J.: Der Canton Zürich mit seinen nähern Angränzungen. Zürich 1828. ETH-Bibliothek Zürich, Signatur: Rar K 295. Link: http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-20744 (Auf dem Umschlag: Kellers Karte des Cantons Zürich, mit vorzüglicher Hinsicht auf Straßen und Wege und die wichtigern Ortsgebäude. Gestochen von J. J. Scheurmann. Zürich, bey Heinrich Keller, Untere Zäune N.° 367, 1828)
  • Keller, H.; Scheuermann, S. J. J.: Der Canton Zürich mit seinen nähern Angränzungen. Zürich 1831. Zentralbibliothek Zürich, Signatur: 16 Kb 05: 3. Link: http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-32229
  • Keller, H.: Weyach. [Karte von Weiach; unterhalb eine kleine Illustration der Dorfkirche] [nicht nach 1850]. Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung. Unkolorierte Radierung,  Signatur: Res 441; e-rara-70704. Kolorierte Radierung, Signatur: ZH, Weiach I, 5; e-rara-70737.
  • Hess, J.: Das Leben des Heinrich Keller von Zürich, Landkarten- und Panorama-Zeichners (1778-1862). Neujahrsblatt der Künstlergesellschaft in Zürich, Jg. 25, Zürich 1865.
  • Brandenberger, U.: «ein nöüer Kirchenbauw allhier zu Weyach». 300 Jahre Kirche Weiach, 1706 – 2006. 2., korrigierte und ergänzte Auflage, April 2007 (pdf, 17156 kB) – S. 49.

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