Freitag, 30. April 2021

Gefährliche Jagdmethode im Weyacher Wald

In der Züricherischen Freitagszeitung vom 25. Januar 1861, nach ihrem Verleger die «Bürkli-Zeitung» genannt, findet sich zusammen mit anderen Kurznachrichten über Unglücksfälle und Verbrechen die folgende kurze Notiz:

«Im Wald von Weyach wurde ein Mann durch einen s. g. Legeschuß zum Wildschießen schwer verwundet. Der Urheber solcher verbotener Jagdart ist entdeckt.»

Stellt sich die Frage: Was ist das, ein so genannter Legeschuss? 

Die Antwort findet man – Digitalisierungsanstrengungen der letzten Jahre sei Dank – im dreibändigen Wörterbuch von Heyse, das zwischen 1833 und 1849 erschienen ist. Dieses über 3150 Seiten starke Werk des deutschen Grammatikers Johann Christian August Heyse (1764-1829) wurde postum durch dessen Sohn Karl Wilhelm Ludwig Heyse (1797-1855) fertiggestellt und publiziert.

Dort ist dem Begriff ein eigener Eintrag gewidmet: «der Legeschuß, s.v.w. Selbstschuß; (Bd. 2-1, S. 38), wie auch den Verweiseintrag, mit der Erklärung:

«der Selbstschuß, ein so eingerichtetes und gestelltes Feuergewehr, daß ein Mensch od. Thier durch einen Stoß daran sich selbst erschießen muß, auch Legebüchse, Legeschuß;»  (Bd. 2-1, S. 901)

Da hat also einer seine Schusswaffe mit einem Stolperdraht o.ä. kombiniert. Kein Wunder ist diese Art von Fallenstellerei verboten.

Quellen
  • Handwörterbuch der deutschen Sprache mit Hinsicht auf Rechtschreibung, Abstammung und Bildung, Biegung und Fügung der Wörter, so wie auf deren Sinnverwandtschaft. Nach den Grundsätzen seiner Sprachlehre angelegt von Dr. Joh. Christ. Aug. Heyse, weil[and] Schuldirector in Magdeburg; ausgeführt von Dr. K. W. L. Heyse, außerord. Professor an der Universität Berlin. Zweiten Theiles erste Abtheilung: L bis Steg. Magdeburg 1849 – S. 38 u. 901.
  • Zürcherische Freitagszeitung, Nummer 4, 25. Januar 1861 – S. 3.

Donnerstag, 29. April 2021

Wer die Hosen anhat

Ja, wer die anhat, der hat das Sagen. Hosen tragen hat in unserem Kulturkreis viel mit Symbolpolitik zu tun. Man denke nur an die Frage, die in konservativen Kreisen bis heute verneint wird: ob Frauen sie tragen sollten.

Auch in der Spätantike hatte die Frage, ob Hosen getragen werden sollten, Symbolcharakter. Unter dem römischen Kaiser Honorius (* 384; im Amt von 395 bis zu seinem Tode im Jahre 423) wurde im Jahre 397 das Hosentragen in der Stadt Rom verboten (vgl. ohne Jahresangabe: Demandt, S. 406). 

Römer trugen Toga (vor allem, wenn sie freie römische Bürger waren). Für die unteren Klassen waren andere Kleider vorgesehen: solche mit denen man eher arbeiten konnte. Denn eine Toga ist für körperliche Arbeit nicht ideal. Hosen wurden sowohl von Männern wie von Frauen getragen, galten aber als ursprünglich von ausserhalb des Reiches stammendes Kleidungsstück:

«Um 750 v. Chr. übernahmen die Germanen von anderen Völkern, möglicherweise von den Kelten, die knöchellange Hose. Für die Eisenzeit sind Hosen bei den Germanen belegt. Daneben wurden aber auch Beinwickel getragen. Die sehr weiten Hosen ohne Latz wurden in der Taille durch einen Gürtel gehalten. Römer und Griechen lehnten in der Antike die germanischen und gallischen Beinkleider als unzivilisiert und barbarisch ab. Ende des 4. Jahrhunderts, als sie [d.h. die Hose] sich, bei den Soldaten der römischen Legionen beginnend, allmählich durchsetzte, stellte eine Verfügung des Kaisers Flavius Honorius das Hosentragen innerhalb der Stadt Rom unter Strafe, um die ethnisch-kulturelle Abgrenzung zwischen Römer- und Germanentum aufrechtzuerhalten – eine Reaktion auf die steigende Bedrohung durch den Niedergang des Weströmischen Reiches durch germanische Invasionen und darauf, dass sich immer öfter Germanen in Italien, u. a. als Söldner im römischen Heer, aufhielten.» (aus dem Wikipedia-Artikel Hose)

Hosen waren im spätrömischen Reich eine durchaus häufige Erscheinung. Und sie wurden auch im Römischen Imperium selber hergestellt, wie man einer Höchstpreisverordnung aus der Zeit Kaiser Diocletians (284-305) entnehmen kann. Was also sollte dieses Hosenverbot?

Ziviles vom Militärischen trennen

Um das herauszufinden, muss man im Codex Theodosianus nachschauen, einer von Ost- und Westrom gemeinsam zwischen 430 und 438 erstellten Gesetzessammlung, wo dieses Verbot überliefert ist. Da heisst es (CTh. XIV 10,2.): 

«Impp. Arcadius et Honorius aa. ad populum. Usum Tzangarum adque Bracarum intra urbem venerabilem nemini liceat usurpare. Si quis autem contra hanc sanctionem venire temptaverit, sententia viri illustris praefecti spoliatum eum omnibus facultatibus tradi in perpetuum exilium praecipimus.»  

Der oströmische Kaiser Arcadius und sein weströmischer Kollege Honorius halten hier also fest, dass innerhalb der Hauptstadt (d.h. Rom bzw. Konstantinopel) niemandem das Tragen von Militärstiefeln (tzangi) und Hosen (bracae) zustehe. Wer dagegen verstösst, kann mit lebenslänglichem Exil bestraft werden.

Weitere Kleidervorschriften aus dem Jahre 382 (die im Codex unmittelbar davor stehen) zeigen, was hier vor allem verhindert werden sollte: Dass hochgestellte Personen sich in Militäruniform (mit den bei den barbarischen Söldnern beliebten Hosen und Stiefeln) in der Hauptstadt zeigten. Der zivile Charakter des traditionell für die Armee verbotenen Stadtbezirks sollte damit erhalten bleiben. 

Undurchdringliche Glasdecke 

In militarisierten Zeiten ist das ja eine durchaus verständliche Anordnung. Man kommt aber nicht umhin, ihr eben auch den Symbolcharakter zuzugestehen, wie er im oben zitierten Artikel aufscheint. Das Hosendekret lässt nämlich auch die Abneigung der obersten Führungsschicht gegen die zunehmende Einflussnahme durch Barbaren erkennen. 

Der in WeiachBlog Nr. 1638 erwähnte Patricius Stilicho, der faktischer Regierungschef und Oberbefehlshaber aller Streitkräfte war, besass das römische Bürgerrecht. Erworben hatte es sein Vater, der ursprünglich Wandale (ein Germanenstamm) war und eine Römerin geheiratet hatte. Sein Sohn war also ein halber Secondo. Stilicho konnte eine Nichte des Kaisers Theodosius (dem letzten Herrscher vor der Reichsteilung 395) ehelichen und damit in die obersten Ränge einheiraten. Und: er war sozusagen eine Art lebende Brandmauer. Die hochrangigen Offiziere der weströmischen Armee waren nämlich überwiegend Franken, also rein germanischer Herkunft. Die brauchte Rom zwar dringend zur Verteidigung gegen andere Barbaren. Aber es waren halt eben letztlich nur Barbaren.

Unter den Germanen gab es denn auch bereits seit Jahrhunderten Diskussionen, ob man sich in die römische Kultur integrieren oder sie ablehnen und bekämpfen sollte. Das war schon in der Zeit von Arminius so. Er hatte seine militärische Ausbildung in römischen Legionen erhalten, wechselte dann die Seiten und schlug die Römer 9 n. Chr im Teutoburger Wald mit einer Guerrillataktik (sog. Varusschlacht, bei der mehrere Legionen – über 10 Prozent des Gesamtbestandes der römischen Streitkräfte – aufgerieben wurden).

Der Goten-König Alarich (gestorben 410) war einer derjenigen, die sich mit ihren Leuten im Reich nur insofern integrieren konnten, als sie dort in einer militärischen Rolle letztlich Versorgung suchten (sog. rent seeking), das ursprüngliche römische Erfolgskonzept aber nicht wirklich übernehmen wollten oder konnten. Sie verbrauchten also Ressourcen (annona militaris) und mussten immer wieder feststellen, dass sie eigentlich nicht so wirklich willkommen waren (was sich indirekt und exemplarisch am Hosendekret von 397 zeigte). 

Inkompatible Krieger

Die Germanen waren nicht rom-kompatibel zu bekommen (am Beispiel der Alamannen erklärt in WeiachBlog Nr. 169). Wohl auch deshalb, weil sie einerseits eine inhärent rebellische Ader hatten und andererseits ihre eigene Kultur angesichts der als dekadent empfundenen spätrömischen als überlegen ansahen (vgl. auch die Kulturkritik Salvians von Marseille in WeiachBlog Nr. 1404):

«Eine Schlüsselszene für das Selbstverständnis der Germanen im Reich überliefert Orosius (VII 43). Athavulf, der Schwager und Nachfolger Alarichs, hatte 414 in Narbonne Galla Placidia geheiratet. Ein ungenannter vir illustris aus dieser Stadt, der mit Athavulf viel zusammengekommen war, lebte später in Bethlehem, und ihn hörte Orosius zu Hieronymus sagen, Athavulf habe, gemäß seinen eigenen Worten, ursprünglich aus dem Imperium Romanum ein Imperium Gothorum machen und den römischen Namen der Vergessenheit anheimgeben wollen. Er selbst habe für die Gothia das werden wollen, was Augustus einst für die Romania gewesen war. Aber dann habe er, Athavulf, feststellen müssen, daß die Goten in ihrer unbändigen Art nicht bereit seien, sich Gesetzen zu unterwerfen, daß ohne Gesetze jedoch kein Staat zu regieren sei. Darum habe Athavulf beschlossen, seine und der Goten Kräfte zur Erneuerung und Erweiterung des römischen Reiches einzusetzen, da er das Imperium nun einmal nicht umwandeln könne. Dieses Programm entspricht dem politischen Denken der großen germanischen Heermeister der Zeit.» (Demandt, S. 386)

Mit dem vir illustris ist ein hochgestellter römischer Bürger gemeint, der in diesem Fall aus der gallischen Provinz stammte. Leute seines Standes waren entsetzt über das Verhalten des Alarich und seines Nachfolgers, die sich 401 einem Heuschreckenschwarm gleich in Marsch gesetzt hatten (und zwar nach Westen, weil auf dem Balkan nichts mehr zu holen war), dann in Italien versuchten, die Erneuerung des Föderationsvertrags mit Westrom zu erzwingen und als dieses Vorhaben nach dem Tod Stilichos definitiv missglückt war, im Jahre 410 schliesslich Rom plünderten. Dort hatte Alarich, sozusagen als Kriegsbeute, die 22-jährige Enkelin des Kaisers Valentinian I., Galla Placidia, mitlaufen lassen. [Valentinian I. ist der Initiator des Donau-Iller-Rhein-Limes, zu dem die beiden Wachttürme auf Weiacher Gebiet gehörten].

Mit seinen wilden Westgoten, das war Athaulf offenbar klar, war schlicht kein Staat zu machen. Jedenfalls nicht einer von der Ausdehnung und Strahlkraft eines Imperium Romanum. Die Kraft der Reichsidee und ihre überragende ökonomische Potenz (und das damit verbundene Machtentfaltungspotential) wurde von den Germanenfürsten wohl erkannt, konnte von ihnen aber nicht auf eigene Faust reproduziert werden, weil sie von der Nomenklatura, sozusagen dem Tiefen Staat im römischen Herrschaftsbereich, letztlich nicht akzeptiert wurden. 

Erst dem Frankenkönig Karl dem Grossen gelang es im Jahre 800 wieder, sich durch den Papst Leo III. die Kaiserwürde verleihen zu lassen. Passenderweise am Weihnachtstag. Und in der Stadt Rom.

Der Verwaltungsunterbau ist geblieben

Was das alles mit Weiach zu tun hat? Nun, der Verwaltungsapparat blieb in unserer Gegend auch nach dem Abzug der Grenztruppen durch Stilicho im Jahre 401 erhalten. Auf diese Strukturen mussten sich die neuen Machthaber stützen. Da es keinem von ihnen gelang, in Rom in die obersten Ränge aufzusteigen und dort dauerhaft die Kaiserwürde zu gewinnen, blieb ihnen nur die Errichtung von regionalen Herrschaftsbereichen, die je ihre eigene Sprache und Kultur entwickelten.

Von den Galloromanen im ehemaligen Helvetien ging kein eigentlicher Separatismus aus. Für diese Bevölkerung war nach so langer Zugehörigkeit zum Imperium die Reichsidee der Leitstern und sie blieb es letztlich noch weitere tausend Jahre. Nur die Überformung durch die neuen Machthaber – die mit den Hosen – führte zu einer schrittweisen Verwandlung in eine neue Kultur. 

Dass die Idee dennoch nicht auszurotten war, zeigte der weitere Verlauf der Geschichte mit dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation als einer Jahrhunderte nach Karl dem Grossen entstandenen Nachfolgeorganisation, die bis zum Ende des Ancien Régime Bestand hatte. Und die heute in Form der Europäischen Union (und Anknüpfung an Karl den Grossen) Wiederauferstehung gefeiert hat.

Quellen und Literatur

  • CTh.14.10. De habitu, quo uti oportet intra urbem. Imperatoris Theodosii Codex Liber Decimus Quartus. Rom/Konstantinopel 438.
  • Demandt, A.: Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian, 284-565 n. Chr. Vollst. bearb. u. erw. Neuaufl. München 2007 – S. 386 (Athaulf); S. 406 (Hosendekret des Honorius).
  • von Rummel, Ph.: Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert. Berlin/New York 2007 – S. 157-159.

Mittwoch, 28. April 2021

Kantonale Subvention für den Schulhausbau 1836

Bekanntlich haben die Weyacher Männer im Spätherbst 1833 in einer tumultartigen Gemeindeversammlung den erst kurz zuvor gefassten Beschluss zur Errichtung eines neuen Schulhauses annulliert (vgl. WeiachBlog Nr. 1536). 

Das heutige Alte Schulhaus wurde dann aber doch noch gebaut und konnte am 24. November 1836 feierlich eingeweiht werden (vgl. WeiachBlog Nr. 324). Diesen Umstand hat auch die Zürcher Obrigkeit öffentlich gewürdigt.

Startkonfiguration: Zwei Schulzimmer und zwei Lehrerwohnungen

Der Erziehungsrat berichtete an die zweite Zürcher Schulsynode, die am 24. August 1835 in der Stadtkirche Winterthur durchgeführt wurde, über die Entwicklung der Finanzmittel und insbesondere über Schulhausneubauten: 

«Mit Bezug auf diese erfreulichen Berichte über die Vermehrung der ökonomischen Mittel zur Beförderung unsers Volksschulwesens darf wohl nicht unbemerkt bleiben, daß von den 382 Schulgenossenschaften unsers Kantons, 55 derselben (worunter mehrere sehr arme sind), sich durch außerordentliche Aufopferungen  für das Schulwesen rühmlich ausgezeichnet haben, wofür wir folgende Züge anführen: [...]  

Die Schulgenossenschaft Weyach erbaut ein neues Schulhaus mit zwei Lehrzimmern und zwei Lehrerwohnungen.»

Man sieht, dass die Schulgemeinden damals noch als Genossenschaften bezeichnet wurden. Dies geht auf den Umstand zurück, dass in vielen Fällen bereits vor der radikal-liberalen Staatsumwälzung 1831 sogenannte Fonds geäufnet und dort (mehr oder weniger freiwillig) Gelder einbezahlt wurden, die man dann für Schulzwecke verwenden konnte. Gemäss Pfr. Hans Conrad Hirzel (vgl. Turmkugeldokument Nr. 8 von 1855) wurde 1826 «ein besonderer Schulfonds» gestiftet, wodurch 1828 eine zweite Lehrerstelle finanziert werden konnte (daher brauchte man auch zwei Lehrerwohnungen). 

Der Bericht des Zürcher Erziehungsrates fand 1836 auch Eingang in die Allgemeinen Schweizerischen Schulblätter, einer von vier Lehrern (davon drei aus dem Aargau) zusammengestellten Fachzeitschrift:

«Kanton Zürich. Folgende Schulgenossenschaften haben sich durch außerordentliche Aufopferungen für das Schulwesen im Schuljahr 1834-1835 sehr rühmlich hervorgethan: [...]

Die Schulgenossenschaft Weyach erbaute ein neues Schulhaus mit 2 Lehrzimmern und 2 Lehrerwohnungen.»

Die Redaktion nahm also an, der Schulhausbau sei schon vollendet, was zum Zeitpunkt des Erscheinens wohl noch nicht ganz der Fall war.

Wie hoch war der Staatsbeitrag?

Im blauen Büchlein von Zollinger (seiner 1972 in erster Auflage gedruckten «Chronik Weiach») ist auf Seite 50 erwähnt, dass der Schulhausbau total 8750 Gulden gekostet hat, wovon der Staat (d.h. die Kantonskasse) 750 Gulden übernommen habe, d.h. 8.57 %. Eine Quellenangabe gibt Zollinger leider nicht.

Einem Verzeichniß über die Beiträge des Staates an die Schulhäuser seit Erlassung des Schulgesetzes vom 28. Septbr. 1832 bis Ostern 1838, das anlässlich der Fünften Synode am 27. August 1838 in der Kirche Uster aufgelegt wurde, kann aber entnommen werden, dass 9.79 % der Kosten übernommen worden seien.

Quelle: Swistoval

Im Verzeichnis ist als 45ster Eintrag (Fortlaufende Nr. der Unterstützung) für den 1837 Jul. 8 (Zeit der Ertheilung der Unterstützungen; Jahr Monat Tag) und die Schulgenossenschaft Weyach, Schulkr. gl. N. [Schulkreis gleichen Namens] die Summe der Baukosten mit 12,252 Frkn. - Rp. angegeben.

Da 8750 Gulden gemäss dem Tool Swistoval 13'059 alten Franken (vor dem Münzregal des Bundes v. 1850) entsprechen, wurden somit rund 800 Franken als nicht anrechenbar erachtet, kamen also bei der Berechnung des Beitrags nicht in Betracht. Wie man der nach dem Historischen Lohnindex HLI  errechneten Summe ansieht, würde heute ein solches Gebäude wohl wesentlich mehr kosten als nur 1.5 Millionen.

Die Subvention, die laut staatlichem Verzeichnis nach Weyach ausbezahlt wurde (Summe des Staatsbeitrages an jede einzelne Baute) belief sich laut Verzeichnis auf Frkn. 1,200 (9.79 %).

Die Dielsdorfer erhielten übrigens für ihr Schulhaus, das 12'621 Franken und 26 Rappen gekostet hatte, eine Subvention von 1'300 Franken (10.3 %), die Bassersdorfer (Baukosten 16896 Fr.) aber nur 1'600 (9.47 %). Nach welchen Kriterien da auf- oder abgerundet wurde, ist nicht ganz klar.

Eindeutig ist: Arme Schulgemeinden erhielten mehr aus der Staatskasse, so z.B. Tössriedern (Gemeinde Eglisau) mit Baukosten von Fr. 5'968 eine Subvention von 800 Franken (13.40 %). Dem wohlhabenderen Männedorf hingegen mit 25'173 Fr. Baukosten wurden lediglich 1'600 Fr. Staatsbeitrag gewährt (6.35 %). 

Quellen und Literatur

Freitag, 23. April 2021

Die Schwangerschaft frech geleugnet!

Pfarrer Hans Heinrich Brennwald (in Weiach von 1693 bis zu seinem Tod im November 1707) hat sich nicht nur über die Handwerker geärgert, die beim Bau der Kirche nicht so wollten wie er (vgl. WeiachBlog Nr. 1553, s. Quellen unten).

Wie man an seinen Einträgen im Tauf-, Ehe- und Totenregister der Gemeinde Weiach ablesen kann, hatte er wohl auch höheren Blutdruck bei gewissen Ehewilligen, die ihm – aus seiner Sicht – nicht die Wahrheit sagten.

Jungfräulichkeitsschwindel...

Da waren in seinem zweiten Jahr in Weiach beispielsweise Hans Heinrich Meierhofer, «Lismers s. Sohn» und Maria Bersinger, «Kesslers Tochter». Die beiden traten am 6. November 1694 in den Stand der Ehe.

Wir wissen nicht sicher, ob Maria darauf bestand, bei der Hochzeit Kranz und Schäppeli zu tragen (und damit als Jungfrau zu gelten), jedenfalls notierte Brennwald bei diesem Hochzeitseintrag die empörte Bemerkung: «gravida sed audacter negavit», was so viel bedeutet wie: «war schwanger, hat das aber kühn verneint». (StAZH E III 136.1, EDB 472 S. 325)

Zwei Jahre später, am 17. November 1696, hat ebenfalls eine bereits Schwangere geheiratet. Regula Schmid aus Windlach ehelichte an diesem Datum den Weiacher Matthias Baumgartner. Und auch da hat Pfarrer Brennwald sich einen entsprechenden Eintrag nicht verkneifen können. Denn da steht: «cum sertis sed fuit gravida», übersetzt: «mit Kranz, war aber schwanger». Auch diese Braut hat also so getan, wie wenn sie noch Jungfrau gewesen wäre. (StAZH E III 136.1, EDB 485 S. 326)

Dass so etwas quasi toleriert wurde, hat vielleicht auch mit dem Bedürfnis zu tun, die Katze fruchtbarkeitstechnisch nicht im Sack kaufen zu wollen. Bauern stallen auch lieber eine trächtige Kuh ein, als ein Rind, von dem sie nicht wissen, ob es je tragen wird.

...oder ein Fall von Gravitas suppressalis?

Zur Ehrenrettung der Maria Bersinger kann man das heute in der Gynäkologie unumstrittene Phänomen der verdrängten Schwangerschaft anführen. Die Journalistin Melanie Wirz erklärt es in einem 2019 in der Zeitschrift «Beobachter» erschienenen Artikel wie folgt: 

«Kaum jemand glaubt, dass eine Frau so etwas nicht merkt, dass sie alle Symptome komplett falsch deutet. Das kann so weit gehen, dass Frauen als Lügnerinnen abgestempelt werden. «Dabei sind wir Menschen Meister im Verdrängen», sagt Sibil Tschudin, leitende Ärztin für gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik am Unispital Basel. «Und das ist bei der verdrängten Schwangerschaft der zentrale Punkt: Was nicht sein darf, das kann nicht sein.» [...] Die Psyche steuert den Körper. Wenn eine Frau nicht damit rechnet, schwanger zu sein, werden alle Anzeichen anders interpretiert und die Symptome von der Psyche schliesslich so stark unterdrückt, dass eben kein Babybauch wächst, die Periode weiterhin kommt.» 

So etwas passiert zwar nicht so häufig, aber immerhin bei rund 2 von 1000 Geburten. Wirz weiter:

«Bei einem Drittel der Fälle wird die Diagnose sogar erst bei der Geburt gemacht», sagt Sibil Tschudin. «Es gibt wohl keine Gynäkologin, die nie diese Erfahrung gemacht hat.» [...]»

In einer Zeit vor über 300 Jahren, in der eine uneheliche Schwangerschaft noch viel stärker stigmatisiert war als heutzutage, da dürften solche Phänomene möglicherweise noch häufiger aufgetreten sein, wenn eine Frau nicht wahrhaben wollte, dass sie ungewollt (oder halt auch nur zu früh vor dem geplanten Hochzeitstermin) schon schwanger geworden war – und damit spätestens bei der Geburt mit etwas Mathematik klar wurde, dass sie Kranz und Schäppeli eigentlich nicht verdient gehabt hätte.

«Das medizinische Phänomen heisst Gravitas suppressalis, verdrängte Schwangerschaft. Davon spricht man, wenn eine Frau bis mindestens zur 20. Woche nicht merkt, dass sie schwanger ist – wenn es für einen Abbruch bereits zu spät ist.»

Für eine Heirat ist es dann allerdings noch nicht zu spät. Nicht ganz klar ist überdies, ob der empörte Eintrag des Herrn Pfarrer erst Wochen oder Monate später erfolgt ist, nämlich zeitgleich mit dem Eintrag des Geburtstermins des ersten Nachwuchses der jeweiligen Eheleute.

Quellen und Literatur
  • Meierhofer, Hans Heinrich, getraut mit Bersinger, Maria. In: Tauf-, Ehe- und Totenregister der Gemeinde Weiach, 6. November 1694. Signatur: StAZH E III 136.1, EDB 472 
  • Baumgartner, Matthias, getraut mit Schmid, Regula, Windlach.  In: Tauf-, Ehe- und Totenregister der Gemeinde Weiach, 17. November 1696. Signatur: StAZH E III 136.1, EDB 485
  • Wirz, M.: Nach vier Wochen war das Kind da. In: Beobachter, 14. Oktober 2019.
  • Brandenberger, U.: Pfarrer Brennwald beim Bau der Kirche zu Tode geärgert. WeiachBlog Nr. 1553 v. 25. Juli 2020.

Donnerstag, 22. April 2021

Ehemündig? Bezirksrat Dielsdorf zieht die Notbremse

Dieser Beitrag ist ein kurzes Blitzlicht auf das lange Kapitel der Sozialdisziplinierung. Es ist nicht der erste und wohl auch nicht der letzte Bericht dieser Art auf WeiachBlog.

Denn wenn sich etwas durchzieht wie ein roter Faden bis hinein in unsere Gegenwart, dann das: die vielgestaltige Repression gegen Menschen, die zwar nicht explizit kriminell sind (z.B. im Sinne des Sechsten und des Achten Gebots, wie Mord und Diebstahl), aber sich dennoch deviant benehmen, weil sie anders sind, anders leben wollen, aus der Sicht der Etablierten zu viele Ressourcen verbrauchen (weil sie Kinder auf die Welt stellen, für die dann das Sozialamt aufkommen muss). Was auch immer.

Quellenkritisches Denken im Hinterkopf zu haben, ist gerade aus diesem Grund eine sehr wichtige Sache, wenn man Texte analysiert, die heute in staatlichen Archiven liegen. Quellenkritik hat immer etwas mit Motivationsforschung zu tun. In diesem Fall mit der Motivation der Herrschenden am nachhaltigen Machterhalt und deshalb an der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. All denjenigen Massnahmen also, die man ab der frühen Neuzeit (d.h. den fünf Jahrhunderten, aus denen die meisten uns verfügbaren Schriftquellen stammen) als «gute policey» bezeichnete. Polizei wird dabei nicht nur als uniformierte Sicherheitspolizei mit Schusswaffe, Handschellen und Schlagstock verstanden, sondern auch als etliches anderes, wie Gewerbepolizei, etc.

Erkundigungen lauten nicht günstig

Heute vor 100 Jahren hat der Bezirksrat Dielsdorf eine solche Policey-Massnahme durchgezogen. Die Betroffenen kommen hier nicht zu Wort. Lediglich der ins Regierungsratsprotokoll (StAZH MM 3.35 RRB 1921/1339) eingegangene Verwaltungsakt präventiver, zeitlich begrenzter Problemeindämmung:

«A. Am 12. März 1921 stellt Gertrud Peter, geboren am 4. August 1903, von Luthern, Kanton Luzern, wohnhaft im Bühl 108, in Weiach, das Gesuch um Ehemündigerklärung. Die Gesuchstellerin sei seit August 1920 schwanger und sie wünsche ihren Bräutigam, Leo Hürlimann, vor der Niederkunft noch zu heiraten. Die Eltern der Braut haben am 12. März 1921 ihre Einwilligung zur Heirat und damit auch zur Ehemündigerklärung gegeben.

B. Der Gemeinderat Weiach enthielt sich in seiner Rückäußerung vom 21. März 1921 eines Antrages. Der Bezirksrat Dielsdorf beantragt in seinem Bericht vom 22. April 1921 Ablehnung des Gesuches der Gertrud Peter um Ehemündigerklärung. Die vom Bezirksrat Dielsdorf eingezogenen Erkundigungen lauten über beide Verlobte nicht günstig.

In Zustimmung zu dem Antrage des Bezirksrates Dielsdorf und nach Einsicht eines Antrages der Direktion des Innern beschließt der Regierungsrat:

I. Das Gesuch der Gertrud Peter, von Luthern, Kanton Luzern, in Weiach, um Ehemündigerklärung, wird abgewiesen.

II. Die Staatsgebühr beträgt Fr. 5. Sie ist mit den Ausfertigungs- und Stempelgebühren von der Gesuchstellerin zu beziehen.

III. Mitteilung an die Gesuchstellerin, unter Rückschluß von 2 Geburtsscheinen, den Gemeinderat Weiach, den Bezirksrat Dielsdorf, das Zivilstandsamt Weiach und die Direktion des Innern.» 

[Im Bühl 108 (nach dem Nummerierungsplan 1895) ist heute Büelstr. 4 (Techn. Gebäudealter gemäss kantonaler Gebäudeversicherung: 1767)].

Interessant ist hier, dass sich der Gemeinderat (wohl nach Rücksprache mit dem Stillstand, der auch gleich die Armenpflegebehörde war und von Pfr. Kilchsperger präsidiert wurde) nur indirekt zu dieser Angelegenheit geäussert hat. Ob es dazu einen Gemeinderatsbeschluss gibt, wäre noch zu überprüfen.

Man kann die Enthaltung auch als implizite Aufforderung verstehen, aktiv zu werden. Vielleicht, weil man in Weiach wusste, dass da bereits eine Vorgeschichte war. Nämlich die ihrer Familie. Die findet sich in zwei Regierungsratsentscheiden aus dem Frühjahr 1910.

Bei einer Seiltänzergesellschaft mitgewirkt...

In der Rebbaugemeinde Höngg, die erst 1934 in die Stadt Zürich eingemeindet wurde, spürte man die städtischen Probleme schon Jahre zuvor, denn viele in der Stadt Tätige liessen sich dort nieder. Schon um 1900 zählte die Gemeinde mehr als 3000 Einwohner.

In Höngg wohnte 1910 ein gewisser Johannes Peter, der ins Visier der örtlichen Sozialbehörde geriet und gegen einen Entscheid des Bezirksrates beim Regierungsrat Einsprache erhob (StAZH MM 3.24 RRB 1910/0368):

«A. Mit Beschluß vom 27. Januar 1910 bestellte der Bezirksrat Zürich auf Antrag des Waisenamtes Höngg für die fünf Kinder des Johannes Peter, städtischen Arbeiters, von Luthern, Kanton Luzern, wohnhaft in Höngg, Frieda, geboren 1893, Marie, geboren 1899. Joseph Ernst, geboren 1901, Anna Veronika, geboren 1902, und Gertrud, geboren 1903, außerordentliche Vormundschaft.

B. Gegen diesen Entscheid rekurriert Johannes Peter mit Eingabe vom 9. Februar 1910 an den Regierungsrat. 

Es kommt in Betracht:

Den Akten ist zu entnehmen, daß die Eltern Peter getrennt leben und sich zwei Kinder bei der Mutter aufhalten, während die übrigen anderweitig versorgt sind. Laut Bericht des Waisenamtes Zürich soll die älteste Tochter schon bei den Produktionen einer Seiltänzergesellschaft mitgewirkt und ferner nach dem Ergebnis einer ärztlichen Untersuchung bereits geschlechtlichen Umgang gepflogen haben. Weiter wird mitgeteilt, daß auch den jüngeren Kindern eine mangelhafte Erziehung und Überwachung zu Teil werde; sie seien, während die Mutter auswärts arbeite, tagelang sich selbst überlassen.

Wenn nun der Rekurrent einwendet, «er glaube seine Kinder richtig zu erziehen», so kann hierauf kein Gewicht gelegt werden, um so weniger, als er die in dem Entscheid der Vorinstanz angeführten Tatsachen im einzelnen nicht bestreitet und sich aller weiteren Ausführungen enthält. Der Rekurs ist demnach schon mangels irgendwelcher Begründung abzuweisen.»

Sie sehen wie das funktioniert, oder? Hier werden die Mängel in der Beschwerde mit eiskalter juristischer Präzision ausgenützt. Bei dieser Ausgangslage ist ohne weiteres klar, wie der Beschluss vom 4. März 1910 aussah. 

Interessant ist, dass es die Justiz- und Polizeidirektion war, die hier federführend war und dem Regierungsrat Antrag gestellt hatte! Ob die (hier nicht einmal namentlich genannte) Mutter damals mit ihren Kindern in Weiach gewohnt hat, ist nicht geklärt. Dass sie arbeiten gehen musste und ihre zwei jüngsten Mädchen (7 und 8-jährig) daher nicht so optimal betreut waren, hätte allein wohl nicht zu dieser Massnahme geführt.

Das Burghölzli ist viel zu teuer

Sie ahnen es sicher schon: der Stein des Anstosses war die älteste Tochter Frieda, wobei ihre beginnende Seiltänzer-Karriere nur die Begleitmusik darstellte. Des Rätsels Lösung steht in einem Regierungsbeschluss vom 28. April 1910 (StAZH MM 3.24 RRB 1910/0741):

«Auf Antrag der Direktion des Armenwesens

beschließt der Regierungsrat:

I. Peter, Frieda, geboren 1893, von Luthern, Kanton Luzern, zurzeit in der Irrenheilanstalt Burghölzli, wird gemäß Artikel 45, Absatz 3 der Bundesverfassung heimgeschafft.

Der Frieda Peter wird die Rückkehr in den Kanton Zürich ohne die ausdrückliche Erlaubnis der Direktion des Armenwesens unter Androhung der Überweisung an den Strafrichter im Falle des Ungehorsams (§ 80 des Strafgesetzbuches [des Kantons Zürich]) untersagt. 

II. An den Regierungsrat des Kantons Luzern wird geschrieben:

Das Mädchen Frieda Peter, geboren 1893, von Luthern, Kanton Luzern, wohnhaft in Zürich, ist infolge krankhafter Anlage und verfehlter Erziehung versorgungsbedürftig. Wir verweisen diesbezüglich auf die Euerem Departement des Gemeindewesens von unserer Armendirektion bereits vorgelegten Akten.

Die Heimatgemeinde lehnt es ab, die Kosten einer vom Amtsvormund der Stadt Zürich bereits ausgewirkten Versorgung zu übernehmen und verlangt die Zuführung des Mädchens.

Wir haben deshalb gemäß Artikel 45, Absatz 3 der Bundesverfassung [vgl. WeiachBlog Nr. 1628] die Heimschaffung der Peter beschlossen und werden diese Maßnahme zum Vollzuge bringen lassen, sobald dies mit Rücksicht auf eine hier schwebende Strafuntersuchung, in welche das Mädchen als angebliche Damnifikatin [sic!] verwickelt ist, geschehen kann.»

[Damnifizieren bedeutet beschädigen. Eine Damnifikantin wird beschuldigt, etwas beschädigt zu haben. Da gab es also eine Strafanzeige, was auch die Involvierung der Justiz- und Polizeidirektion erklärt.]

Die Gemeinde Luthern war 1910 nicht gewillt, die Kosten zu tragen, die der Amtsvormund der Stadt Zürich u.a. mit der Einweisung ins Burghölzli generiert hatte. Dort war man wohl der Meinung, es ginge auch billiger.

So schliesst sich der Kreis. Das Schicksal ihrer ältesten Schwester dürfte 1921 nicht ganz unwichtig gewesen sein bei der Beurteilung von Gertrud Peters Ehemündigkeitsgesuch. Wehret den Anfängen. Mit exakt 11 Jahren Differenz. 

Quellen

Mittwoch, 21. April 2021

Neubewertung der Gemeindegüter verschlampt!

Im letzten Beitrag ging es um die Gebühren, die Weiach 1835 von einem Niederlassungs- bzw. Einbürgerungswilligen einkassieren durfte. Interessenten für das Bürgerrecht gab es wohl nicht so viele, wenn man sich die prohibitiv hohen Einbürgerungsgebühren vor Augen führt.

Nach dem Gesetz musste der Gemeinderat insbesondere prüfen, ob die Einzubürgernden ohne Benachteiligung der bestehenden Bürgerschaft (d.h. vor allem Schmälerung von deren Bürgernutzen) aufgenommen werden könnten:

Die Gesetzesbestimmung im vollen Wortlaut: «Ausserdem muß derselbe [der Einbürgerungswillige] durch ein Zeugniß des Statthalters oder Unterstatthalters, in dessen Bezirks-Abtheilung er sich niederzulassen willens ist, bestimmt erweisen, daß er, nach erhaltenem Landrecht, von einer benannten Gemeinde dieses Bezirks zu ihrem Gemeindsbürger mit seiner ganzen Haushaltung werde angenohmen werden, welcher Bescheinigung auch das Befinden des betreffenden Kirchenstillstands an die Regierung beyzufügen ist. Die Gemeinden, und besonders die Gemeindräthe sollen, im Fall einer eventuellen Bürgerrechts-Zusicherung, sorgfältig erwägen, ob ein neuer Bürger, mit Hinsicht auf Zahl der Gemeinds-Bürger und Wohnungen, ohne Nachtheil der anderen aufgenohmen werden könne; und hierüber dem betreffenden Bezirks- oder Unterstatthalter, zu Handen des Kleinen Raths [Regierungsrat], pflichtmäßigen Bericht erstatten.» (Gesetz über die Landrechts-Ertheilungen v. 22. Mai 1812, § 3)

Knatsch um den Wert des Holzbodens, 1856/57

Dass es bei den Bürgergütern um nachwachsende Rohstoffe, d.h. vor allem um Waldungen ging, wird durch Erwägungen der Direktion des Innern belegt, wie sie in einem Regierungsratsbeschluss vom 7. März 1857 festgehalten wurden, der sich im Protokollband über 29 (!) Seiten hinweg erstreckt.

Nachdem sich viele Gemeinden darüber beschwert hatten, die Einschätzungen der Werte ihrer Besitztümer seien viel zu niedrig, wurden im Winter 1856/57 mehrere Konsultationen vorgenommen. Man beschloss in der Folge, die Bewertungsgrundlagen anzupassen und bestimmte die für die danach folgenden Neubewertungen Verantwortlichen: 

«Als Schazungsexperte würde für jeden Bezirk je der betreffende Kreisforstmeister bezeichnet, welcher diese Arbeit in Anwesenheit eines Mitgliedes des Bezirksrathes, sowie der hiebei betheiligten Gemeindsbehörde an Ort u. Stelle vorzunehmen hätte.»

Direktion des Innern redet Klartext

Soweit alles klar. Da der Regierungsrat nicht gerade erbaut gewesen sein dürfte über den ganzen Aufruhr, redete die Direktion des Innern in ihrem Schlussbericht auch Klartext und benannte die aus ihrer Sicht für die monatelangen Diskussionen eigentlichen Verantwortlichen:

«Was die Einwendungen des Bezirksrathes Regensberg gegen die Art der Berechnung der Gebühren anbetrifft, so sind dieselben bereits durch die Vornahme der neuen Werthungen, soweit sie begründet waren, als gehoben zu betrachten, denn der wesentlichste Punkt derselben war, die bestehenden Werthungen der Liegenschaften seien mit den Nutzungen derselben in keinem richtigen Verhältnisse, eine Thatsache, die sich aus den neuen Schatzungen als wahr erwies, welchem Uebelstande aber der Bezirksrath schon längst hätte abhelfen können, wenn er bei Anlaß der Aufnahme von neuen Inventarien über die Gemeindegüter wie es in seiner Aufgabe lag, auf eine richtige Werthung sämmtlicher Gemeindsliegenschaften hingewirkt hätte. In dieser Beziehung haben zwar auch die Bezirksräthe Andelfingen u. Bülach ihre Aufgabe nicht erfüllt; allein immerhin stellte sich die Ungleichheit in den Güterwerthungen im Bezirke Regensberg am grellsten dar.» (RRB 1857/0326, S. 494)

Autsch! So etwas will man als kantonaler Beamter über die eigene Amtsführung nicht lesen. 

Keine zehn Jahre später wurde die Bezirksverwaltung in den Wahlen 1866 in spektakulärer Art und Weise aus ihren Sesseln gekippt (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 55).

Schulgut wurde wertvoller

Weiach betreffend haben sich im Winter 1856/57 nach der aktualisierten Bewertungsmethode folgende neuen Gebühren ergeben: 

Einzug in das Schulgut:  130 Franken  (1835: 64.-)
Einzug in das Gemeindgut:  540 Franken  (1835: 500.-)


Gemäss SWISTOVAL ergeben diese Beträge nach dem Historischen Lohnindex HLI auf den Wert von 2009 umgerechnet ca. 12'600 bzw. 52'400 Franken (1835 noch 57'200). Dass die Schule nun fast doppelt so hoch bewertet war wie noch 1835, ist wohl auf den Bau des 1836 eingeweihten Alten Schulhauses zurückzuführen.

Quellen und Literatur

Montag, 19. April 2021

Können Sie sich Weyach leisten?

Wer sich heutzutage in einer Gemeinde niederlassen will, der besorgt sich eine permanente Unterkunft (miet- oder kaufweise) und meldet sich dann innert 14 Tagen nach Einzug (früher 8 Tage) auf der Einwohnerkontrolle an. Dort CHF 20 hinblättern. Fertig.

Im Jahre 1835 musste man da noch wesentlich mehr hinlegen:

Niederlaßungsgebühren

Fr. 0  B. 4    dem Kirchengut
Fr. 0 B. 6     dem Schulgut
Fr. 3  B. 0    dem Gemeindgut

4 Batzen für die Kirchgemeinde, 6 Batzen für die Schulgemeinde und 3 Franken für die politische Gemeinde. Macht total 4 Franken. Je nach zugrundegelegtem Index ergibt sich in heutigen Werten ein recht hoher Betrag:

Diese Angaben wurden durch das Tool SWISTOVAL der Uni Bern berechnet.
Eine neuere Bezugsbasis als 2009 ist nicht verfügbar.

Das geht ja noch halbwegs, werden Sie sagen. Einverstanden. Jetzt möchten Sie aber Bürger von Weyach werden. Wie hoch wird die Rechnung da ausfallen?

Einbürgerung heute: Einheitstarif

Wer heutzutage das Schweizer Bürgerrecht erwerben will, der zahlt einen relativ moderaten Betrag an die Bundeskasse, der höchstens die Kosten für die ganzen Registeranpassungen etc. abdecken darf (gemäss Art. 35 Abs. 2 BüG 2014). Dasselbe gilt für den Kanton. Für die Gemeinde Weiach gilt das Kapitel 4 des Gebührentarifs von 2018 (PGW-620.11; Art. 14-17 GT):

Alles in allem kostet eine Erteilung der drei Bürgerrechte von Gemeinde, Kanton und Bund den Kandidaten in Weiach heutzutage maximal rund 2000 Franken, auch bei Ausländern ohne Anspruch auf Einbürgerung.

Einbürgerung 1835: Es kann sehr teuer werden

Was das Landrecht (Kantonsbürgerrecht) betrifft, war das in den ersten Jahren des 19. Jahrhundert noch ganz anders. Vor der Gründung des Bundesstaats 1848 war das Landrecht gleichbedeutend mit einer Staatsbürgerschaft und das Schweizerbürgerrecht so etwas wie heute das Unionsbürgerrecht der EU.

Ein Ausländer (Nicht-Schweizer) musste nach § 8 des Gesetzes über die Landrechts-Ertheilungen von 1812 dem Kanton für das Landrecht das sogenannte Schirmgeld in der Höhe von mindestens 360, maximal aber 1200 Franken hinblättern. Der genaue Betrag belief sich auf zwei Drittel der Gemeindegebühr, durfte aber die obgenannten Schranken weder unter- noch überschreiten. Einzige Ausnahme: Franzosen (das war der Mediationsverfassung geschuldet, die damals noch galt). Diese waren den Schweizern gleichgestellt und wurden nach § 7 eingestuft. Sie zahlten nur die Hälfte der Gemeindegebühr als Schirmgeld, mindestens 240, aber maximal 800 Franken.

Einkauf in die Nutzniessung an Gemeindegütern

Beim Gemeindebürgerrecht hing alles davon ab, wie gross das Gemeindevermögen war. Denn da musste sich der neu Eingebürgerte in die althergebrachte genossenschaftliche Struktur einkaufen. Wer Bürger wurde, kaufte sich sozusagen seinen Anteilschein an den werthaltigen Eigentumspositionen seiner neuen Heimat. 

Wie hoch die bewertet waren und wie viel Geld die Gemeinde verlangen durfte, das stand in dem von der Obrigkeit ausgestellten sogenannten Einzugsbrief, einem amtlichen Dokument, das der Gemeinde diese Gebühren genehmigte. 

Die Bürgerrechtsurkunde, die man nach Bezahlung der Einzugsgebühren erhielt, war damit auch so etwas wie ein Partizipationsschein mit Naturaldividende.

In Weiach sah die Rechnung im Jahre 1835 so aus:

Einzugsgebühren

Dem Armengut       Fr. 60
Dem Schulgut        Fr. 64
Dem Kirchengut    Fr. 20
Dem Gemeindgut  Fr. 500

Total Fr. 644

Original-Eintrag im Protokoll der Zürcher Kantonsregierung vom 17. Januar 1835

Sehr teuer, nicht wahr? Und in der Tat war das eine der höchsten Gebühren, die man im Norden des Kantons Zürich (Bezirke Regensberg und Andelfingen) für ein Gemeindebürgerrecht hinlegen musste. Der Grund lag v.a. in den ausgedehnten Waldungen, die bis heute im Eigentum der Gemeinde stehen.

Die Gemeinde entscheidet selber, wen sie aufnimmt

Wenn man jetzt noch die oben erwähnten Landrechtsgebühren dazurechnet, dann wird schnell klar, dass der Einkauf ins Weiacher Bürgerrecht zu dieser Zeit prohibitiv hoch war. Der würde zu heutigen Geldwerten nämlich bis zu 123'000 Franken kosten (Landrecht und Gemeindebürgerrecht). Gleichzeitig musste der Einzubürgernde nachweisen, dass ihm nach Bezahlung dieser Gebühren noch mindestens ein Vermögen in etwa derselben Höhe übrigblieb (entsprechend 1000 Franken nach damaligem Wert, vgl. § 2 des Gesetzes über die Landrechts-Ertheilungen)!

Und selbst wenn jemand über diese Mittel verfügte: die Gemeinde konnte ihn dennoch ablehnen - was durch den Kanton in jedem Fall respektiert wurde. 

Wenn man dem Protokoll des Regierungsrats folgt, dann gab es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur eine einzige Landrechtserteilung für einen in Weiach ansässigen Nicht-Zürcher. Und die erfolgte erst noch unentgeltlich, denn der junge Mann, der da aufgenommen wurde, hätte eine solche Summe nie und nimmer aufbringen können.

Was das Gemeindebürgerrecht 1835 in den übrigen Gemeinden des Bezirks kostete

Zum Vergleich seien nachstehend die übrigen damaligen Gemeinwesen in unserem Bezirk aufgeführt (ohne Affoltern, das seit 1934 zur Stadt Zürich gehört).

Bachs  352.- // Hub  340.-

Stadel  430.- // Windlach  190.- // Schüpfheim  138.- oder 98.- je nach Schulgutzugehörigkeit (Stadel oder Windlach-Raat) // Ober-Raat  98.-  // Unter-Raat  100.-

Neerach  506.-

Schleinikon/Dachslern/Wasen  270.-

Schöfflisdorf  400.-

Oberweningen  426.-.

Otelfingen  570.- // Hüttikon   98.- // Boppelsen  140.-

Obersteinmaur  198.- // Niedersteinmaur  138.- // Sünikon  298.-

Regensberg  380.-

Dielsdorf  280.-

Niederweningen  440.-

Niederhasli  272.- // Oberhasli  280.- // Nöschikon  128.- // Nassenwil  112.- // Niederglatt  290.-

Oberglatt  178.- // Hofstetten  148.-

Rümlang  300.-

Buchs  420.-

Dällikon  200.- // Dänikon  226.-

Regensdorf  150.- // Adlikon  112.- // Watt  176.-

Die Gruppierung erfolgt nach politischen Gemeinden, wobei jeweils alle Zivilgemeinden aufgeführt sind, die namengebende Zivilgemeinde vorab.

Quellen und Literatur
  • Bestimmung der Einzugs- und Niederlaßungsgebühren für die Gemeinden der Bezirke Andelfingen und Regensperg. Regierungsbeschluss vom 17. Januar 1835. Signatur: StAZH MM 2.21 RRB 1835/0110
  • SWISTOVAL. Swiss Historical Monetary Value Converter des Historischen Instituts der Universität Bern für die Abschätzungen der Wertentsprechungen.

Dienstag, 13. April 2021

Kontaktschuld? Kantonspolizist Bill und die Frau des SS-Offiziers

Kontaktschuld ist ein politischer Begriff, der in Deutschland geprägt wurde und insbesondere die Frage betrifft, ob jemandem Verfassungsfeindlichkeit nachzuweisen ist. In diesem Zusammenhang werden Organisationen, in denen, sowie «Orte, an denen er sich aufgehalten hat, oder Personen, mit denen er gesprochen hat», als verdächtig erachtet «und sodann ein Rückschluss auf die politische Einstellung des Angegriffenen selbst gezogen.» (vgl. Wikipedia-Artikel Kontaktschuld).

In die Nähe des Dunstkreises von als problematisch gesehenen Personen zu kommen, kann also sehr heikel werden. Vor allem dann, wenn sich Spionageabwehr und Geheimdienst dafür interessieren. Und erst recht, wenn man Amtsträger desjenigen Staates ist, für welchen diese Dienste tätig sind. Der Fall des zwischen 1940 und 1946 in Weiach stationierten Kantonspolizisten Otto Bill (*21.1.1910) kann da als Beispiel dienen.

Bill hatte damals Wohnung und Büro an der Stadlerstrasse 4 in der Wohnung oberhalb des VOLG-Ladens (wie Willi Baumgartner-Thut zu berichten weiss). Er war Bürger der bernischen Gemeinde Kernenried im Unteremmental (nahe Burgdorf). Aufgewachsen war er aber in Nesslau im oberen Toggenburg.

Ebenfalls dort aufgewachsen war Berta Diebold, verwitwete Huber (*2.12.1911). Sie geriet im Frühjahr 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, voll ins Visier der Spionageabwehr der Armee sowie des Staatsschutzes mehrerer Kantone. Weshalb, kann gleich zwei Dossiers im Bundesarchiv entnommen werden. Beide wurden von der Bundesanwaltschaft angelegt, eines über ihre Person, eines über ihren Ehemann Paul (vgl. Quellen und Literatur).

Sich an Schülerinnen vergriffen und aus der Armee ausgeschlossen

Der 1908 in Kreuzlingen geborene Paul Diebold war ursprünglich im Lehrdienst tätig, bis er 1938 wegen Sittlichkeitsdelikten verurteilt wurde und dadurch nicht nur seine Stellung als Lehrer verlor, sondern darüber hinaus unehrenhaft aus der Armee entlassen wurde. 

Für einen Sohn des Kreuzlinger Gemeindeschreibers, der es bis dahin immerhin zum Oberleutnant gebracht hatte, war das ein brutaler Einschnitt. Mit gravierenden Folgen, wie einem ausführlichen Bericht des Thurgauer Polizeikommandanten Ernst Haudenschild vom 13. August 1942 zu entnehmen ist:

«Nun schien es, als ob Diebold nirgends mehr Halt finden konnte, indem er Verbindungen mit politisch verdächtigten Elementen anknüpfte, was natürlich auch über seine Person Verdachtsmomente einer ev. illegalen Tätigkeit des verbotenen Nachrichtendienstes aufkommen liess. Der Armeestab, Spab [d.h. die Spionageabwehr], welcher sich inzwischen dieser Angelegenheit angenommen hatte, verfügte deshalb im März 1940 die Postsperre über den Vorerwähnten und im Mai 1940 musste er sogar, zufolge seines verdächtigen Verhaltens auf Weisung des Kdos. der Gz.Br.7 [der in diesem Abschnitt zuständigen Grenzbrigade der Schweizer Armee] verhaftet werden, wurde dann aber, weil die Untersuchung nichts Positives zeitigte, wieder auf freien Fuss gesetzt.»

Illegal nach Deutschland ausgereist

Trotzdem konnte Diebold eine Stelle als Büroangestellter bei der Nähmaschinenfabrik Fritz Gegauf AG (Marke Bernina!) in Steckborn ergattern. Später war er dann beruflich in Schaffhausen tätig. Dort hatte er offenbar Kontakt mit führenden Frontisten (u.a. Karl Meyer von der Nationalen Gemeinschaft Schaffhausen) und deutschen Staatsangehörigen mit nationalsozialistischen Denkmustern.

«Am 12. Februar 1942 gelang es ihm nun», schreibt Haudenschild weiter, «illegal nach Deutschland auszureisen, wo er sich, wie durch die Schaffhauser Polizei anlässlich einer dienstlichen Verrichtung in Singen in Erfahrung gebracht werden konnte, zur Waffen-SS anwerben liess.»

[Anmerkung: Paul Diebold selber spricht in einem Lebenslauf zuhanden der Waffen-SS vom 11. März 1942, vgl. Weber 2014, S. 91]

Vor allem aus diesem Grund wurde Paul Diebold in Abwesenheit zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt und im Schweizerischen Polizeianzeiger zur Verhaftung ausgeschrieben.

Auch die Geliebte reist nach Deutschland

Haudenschild weiter: «Unterm 18. April d.J. erhielten wir nun von einer Amtsperson die vertrauliche Mitteilung, dass die in Salenstein wohnhafte Frau Berta Huber geb. Brunner, Metzgerei z. ”Schäfli”, deren Mann vor einigen Tagen verstorben war, um Ausstellung einer Passempfehlung zur Ausreise nach Deutschland nachgesucht habe und dieselbe mit "Geschäftsangelegenheiten" begründe. Da unsere Vertrauensperson wusste, dass der mehrfach erwähnte Diebold, dessen politische Einstellung ihm bekannt war, s.Zt. bei Frau Huber sein Logis hatte, traute er der Angelegenheit nicht mehr recht und ersuchte uns deshalb, diese Sache an die Hand zu nehmen, umsomehr, weil er auch wusste, dass Diebold öfters mit verschiedenen gleichgesinnten Personen im Hause Huber zusammengekommen war.

In der Zwischenzeit reiste die Huber nach Deutschland aus und zwar überschritt sie nicht in Kreuzlingen, sondern in St. Margrethen die Grenze [Österreich gehörte seit 1938 zum Deutschen Reich]. Die auf dem Zollamt Kreuzlingen vorgesehene körperliche Visitation konnte somit nicht vorgenommen werden. Unsererseits wurde dieser Fall an die Spab abgetreten, welche dann bei der Einreise der Huber deren Verhaftung anordnete.»

Der in die Waffen-SS Eingetretene hatte also seine spätere Frau Berta in Mannenbach kennengelernt. Im dortigen Gasthof Schäfli hatte Diebold ein Zimmer. Sie war damals noch mit dem Schäfli-Wirt und Metzgermeister Huber verheiratet.

Ist die Waffen-SS-Uniform nur eine Tarngeschichte?

Haudenschild schliesst seinen Bericht mit den Worten: «Eine illegale Tätigkeit konnte ihr bis heute nicht nachgewiesen werden. Immerhin möchten wir Ihnen empfehlen, die nunmehrige Frau Diebold diskret überwachen zu lassen. Vielleicht muss Diebold ja gar nicht an die Ostfront und kommt ev. unter falschem Namen zu Spitzelzwecken in die Schweiz. In diesem Falle würde er ganz sicher auch Verbindung mit seiner jetzigen Frau aufnehmen.» (Quelle: Als vertraulich klassifiziertes Schreiben vom 13. August 1942 an das Polizeikommando des Kantons St. Gallen)

Die Überwachung lief da bereits. Denn schon am 11. August hatte die Ortswehr Salenstein (eine von über 2800 im Jahre 1940 aufgestellten kommunalen Freiwilligenformationen der Schweizer Armee) dem Polizeiposten Nesslau mitgeteilt, dass die «Jhnen unterm 3. August gemeldete Frau Diebold» die «Luftpost» ab Dübendorf nach Deutschland benütze. Das vom Posten Nesslau informierte Kommando in St. Gallen hatte danach den Thurgauer Polizeikommmandanten angefragt und das oben ausführlich zitierte Schreiben erhalten. 

Bereits am 22. August schrieb das Kommando der Ortswehr Salenstein erneut an den Nesslauer Polizeiposten: «Im Lauf nächster Woche wird Frau B. Diebold [...] Besuch erhalten, nämlich Herr & Frau R., Bahnangestellter, Mannenbach. Bitte Sie aufzupassen, denn es ist die gleiche Brut, oder richtig gesagt, noch ärger.» Mit anderen Worten: Herr und Frau R. waren wohl Frontisten.

Die Massnahmen, die gegen die knapp über 30-jährige Berta Diebold eingeleitet wurden, hatten es also in sich. Es wurde nicht nur ihre gesamte Post mitgelesen (von einem St. Galler Polizisten), sie wurde auch auf vielen Reisen beschattet, was man an zahlreichen erhaltenen Protokollen ablesen kann. Vor allem aber hatte der in Nesslau postierte Landjäger Kpl. Kuster ein sehr wachsames Auge auf das Zielobjekt.

Wer ist Otto Bill?

Auf diesem Posten landeten auch die (heute noch sattsam bekannten) Hotelmeldezettel aus seinem Verantwortungsbereich. Darunter der hier: 


Und dieser Otto Bill hatte sich in den Augen des Polizisten höchst verdächtig verhalten. Er habe die Diebold nicht nur besucht, sondern sei auch in ihrer Begleitung gesehen worden, schrieb Kuster am 5. September 1942 ans Kommando. Was kein Wunder ist, denn sie wohnte zu diesem Zeitpunkt mitten in Nesslau in der Nähe der Kirche.


Damit geriet Bill ins Visier der Spionageabwehr. Was hatte er mit der Diebold zu tun? War er ein Fröntler, ein Nazi-Sympathisant? Das Polizeikommando des Kantons St. Gallen wollte das herausfinden und fragte in Zürich nach:

Die Kantonspolizei Zürich ihrerseits brauchte nicht lange um herauszufinden, um wen es sich bei diesem kantonalen Angestellten handelte. Der Gesuchte gehörte zu ihren eigenen Leuten, was natürlich einige Alarmglocken läuten liess.

Persönliche Beziehung, minutiös seziert

Am 16. September 1942 fand ab 08.00 das Verhör statt. Bill wurde von einem Polizeioffizier im Range eines Leutnants mit dem passenden Namen Hammer in die Zange genommen. Und das ausführlich, das Protokoll umfasst nicht weniger als sieben Seiten (von 47 in diesem Dossier)!

Bill erläuterte dem Offizier, woher er die Überwachte kannte und wie es dazu kam, dass er sie wieder getroffen hat. Denn nach der Schulentlassung habe er sie nur noch einmal per Zufall gesehen. Die Sommerferien 1942 verbrachte Otto Bill damit, die ehemalige Wohnung seiner Mutter in Lichtensteig zu räumen, seiner Schwester bei der Montage der von der Mutter übernommenen Möbel zu helfen und bei den neuen Logisgebern seiner Mutter beim Heuet mitzuhelfen. Letztere Hilfe nahmen diese gewiss gern an, vor allem wenn der Vater oder Sohn sich gerade im Aktivdienst befand.

Bei diesem Ferienaufenthalt, so Bill, habe er Josef Brunner, den Bruder von Berta Diebold getroffen und sich über das Wohlergehen seiner Angehörigen erkundigt. «Dabei habe ich vernommen, dass sich seine Schwester Berta in Mannenbach aufhalte, wo sie im Restaurant "Schäfle" wohne. Auch habe ich dabei vernommen, dass ihr Mann bereits gestorben und ihre Schwester ebenfalls bei ihr wohne. Auch vernahm ich, dass dessen Onkel, Jakob Brunner, z.Zt. die Geschäfte in der Metzgerei in Mannenbach tätige. Ich eröffnete ihm, dass ich gedenke mit dem Velo dem Bodensee entlang nach Schaffhausen zu fahren. Wenn ich diese Route durchfahre, so werde ich bei seiner Schwester (Frau Huber) vorbeigehen und einen Gruss bestellen.»

Treffen am Untersee, Juni 1942

«Am Abend des 24. Juni 1942 kam ich mit dem Velo nach Mannenbach, wo ich im Restaurant Schäfle abstieg. Ich traf hier Berta Brunner sowie ihren Onkel Jakob Brunner. Ich habe die beiden seit mindestens 12 Jahren erstmals wieder gesehen. Erst am darauffolgenden Tage habe ich von der Schwester der Frau Huber, die mit einem Lehrer verheiratet ist (den heutigen Namen habe ich nicht in Erinnerung) habe ich vernommen, dass die verwitwete Frau Huber bereits wieder verlobt sei. Dabei hat man mir durchblicken lassen, dass es sich um einen fortgejagten Lehrer handeln soll, der nach Deutschland gegangen sei, um Kriegsdienst zu leisten. Am Abend des 25. Juni 1942 habe ich Frau Huber vorgehalten, was ich vernommen hatte.»

Lt. Hammer: «Was wurde Ihnen damals des weiteren über die Person des Verlobten der Frau Huber bekannt?»

PolSdt. Bill: «Frau Huber war mir bei der Auskunftsgabe über ihren neuen Verlobten ziemlich zugeknöpft. Sie erzählte mir dann jedoch, dass sie vor etwa 14 Tagen besuchshalber in München gewesen sei, wo sie sich verlobt habe. Ich war natürlich überrascht zu vernehmen, dass die Trauer nicht ernster gewesen war. Dabei hat sie mir dann aus ihrem Familienleben mit Huber erzählt. Ich konnte daraus schliessen, dass sie mit diesem nicht gut gelebt hatte, und dass ihre Eltern ihr Vorgehen mit Diebold sanktioniert hatten. Ueber die Person des Diebold habe ich sowohl von Frau Huber wie Ihren Angehörigen vernommen, dass es sich um einen Lehrer handelte, der wegen eines Sittlichkeitsdeliktes das Lehrerpatent verloren und schwarz über die Grenze nach Deutschland ausgereist sein musste.»

Lt. Hammer: «Wurde Ihnen auch erzählt, dass dieser Paul wegen des gleichen Deliktes aus der Armee ausgestossen und vom Grade eines Oberleutnant der Artillerie entsetzt wurde?»

PolSdt. Bill: «Nein. Ueber die militärische Einteilung von Diebold bezw. über seine Tätigkeit in Deutschland habe ich damals noch nichts vernommen.

Lt. Hammer: «Hat Ihnen Frau Huber erzählt, dass sie vor kurzem in Deutschland gewesen und anlässlich ihrer Rückkehr in die Schweiz verhaftet worden sei?»

PolSdt. Bill: «Kurz vor meiner Abreise von Mannenbach hat mir ihr Götti, Jakob Brunner sowie ihre mit einem Lehrer verheiratete Schwester durchblicken lassen, dass Frau Huber einen unüberlegten Schritt gemacht, sich von Diebold habe beeinflussen lassen und deshalb mit der Polizei in Konflikt geraten sei. Ich habe vernommen, dass sie einen Tag in Steckborn verhaftet gewesen sei.»

Lt. Hammer: «Wie haben Sie sich nach Kenntnisnahme dieses Sachverhaltes Frau Huber gegenüber verhalten?»

PolSdt. Bill: «Ich habe vorerst versucht von ihr möglichst viel über Diebold zu vernehmen. Sie war jedoch ziemlich zugeknöpft. Schliesslich erzählte sie mir, dass sie bei ihrer Rückkehr aus Deutschland verhaftet worden sei, da man vermutet habe sie treibe Spionage.»

Lt. Hammer: «Haben Sie sich daraufhin nicht schon damals sagen müssen, dass sich der Umgang mit einer solchen Person für einen Kantonspolizisten nicht geziemt?»

PolSdt. Bill: «Die Sache beschäftigte mich insofern, als ich mir sagen musste, dass meine ehemalige Schulkameradin eine grosse Dummheit begangen hatte. Ich habe auch auf sie eingeredet und ihr nach Rücksprache mit ihrem Onkel vorgehalten, was eine Heirat mit Diebold für ihre 3 Knaben für Folgen haben könnte. In Bezug auf meine Stellung habe ich mir keine weiteren Gedanken gemacht, da ich per Zufall auf die Sache gestossen war und es sich bei Frau Huber um eine alte Bekannte aus der Schulzeit handelte.»

Treffen im Toggenburg, September 1942

Im weiteren Verlauf des Verhörs kam dann die Angelegenheit mit dem verdächtigen Treffen in Nesslau zur Sprache. Das kam so zustande: Bill hatte Ferien und war am 2. September bei seiner Schwester in St. Gallen zu Besuch und da er wusste, dass Jakob Huber, der Onkel von Berta, gleich vis-à-vis wohnte, ging er auch dort noch kurz vorbei. Er habe dann feststellen müssen, dass dieser sich in Nesslau aufhalte. Darauf habe er sich entschlossen, per Bahn noch dorthin zu fahren. Am Abend des 3. September traf er in Nesslau auf Berta und Jakob. Um keine falschen Vorstellungen aufkommen zu lassen, habe er sich im Hotel Traube einquartiert (vgl. den Meldezettel oben).

«Am Vormittag des 4. Sept. 1942 machte ich dann einen Spaziergang mit Jakob Brunner allein. Dabei äusserte Jakob Brunner Bedenken in Bezug auf die Zukunft seiner Nichte Berta.»

Lt. Hammer: «Hat sich Frau Diebold Ihnen gegenüber des näheren über ihre Hochzeit und ihren Gatten geäussert?»

PolSdt. Bill: «Ich habe vernommen, dass Frau Diebold nach Stuttgart geflogen war [das meinte die Ortswehr Salenstein also mit der Luftpost!], dass sie von dort weg mit ihrem Verlobten nach Berlin weitergereist sei. Hier habe die Trauung stattgefunden. Sie hat mir auch eröffnet, dass sie Schweizerbürgerin geblieben sei, indem ihr Mann Bürger von Kreuzlingen sei.»

Lt. Hammer: «Haben Sie damals zum ersten Mal erfahren, dass dieser Diebold von dem Sie wussten, dass er in deutschen Militärdienst [sic!] stehe, Schweizerbürger sei?»

PolSdt. Bill: «Ich war der Auffassung dass Diebold Deutscher sei, d.h. ich vermutete, dass er möglicherweise Doppelbürger sei, da er in der Schweiz als Lehrer tätig gewesen sein konnte. Nachdem ich von Frau Diebold gehört hatte, dass sie nun Schweizerbürgerin geblieben sei und ihr Mann als Schweizer fremden Kriegsdienst leistete, war ich überrascht. Ich habe dabei von ihr näheres zu erfahren gesucht. Sie sagte mir dann, dass er irgendwo in Polen Dienst leiste. An eine Einteilung erinnere ich mich nicht mehr. Sie zeigte mir dann eine Photo, worauf ich ersah, dass er der SS zugeteilt sein musste. Auch vernahm ich, dass er als Oberleutnant Dienst leistete.»

Lt. Hammer: «Es ist Ihnen bekannt, dass der Eintritt in fremden Kriegsdienst unter Strafe gestellt ist [Art. 94 MStG; seit 1928 in Kraft]. Fühlten Sie sich nicht verpflichtet, Ihre Vorgesetzten oder die Kantonspolizei St. Gallen auf Diebold aufmerksam zu machen?»

PolSdt. Bill: «Da ich wusste, dass die damalige Frau Huber seinerzeit, d.h. nach der Rückkehr von Deutschland verhaftet und über ihre Beziehungen zu Diebold verhört worden war, wusste ich, dass bereits die nötigen Schritte gegen Diebold eingeleitet waren».

Dann wollte Hammer noch wissen, aus welchem Grund er die zweite Nacht in Nesslau (4./5.9.1942) im Hotel Sternen verbracht habe und nicht mehr in der Traube. 

Die Mata-Hari-Frage

Danach bohrte der Befrager noch tiefer. Denn es war schon damals ein offenes Geheimnis, dass Frauen als Agentinnen eingesetzt werden und der gegnerische Dienst sie zu diesem Zweck ihre Reize spielen lässt.

Lt. Hammer: «Hatten Sie oder haben Sie heute noch intime Beziehungen zu Frau Diebold?»

PolSdt. Bill: «Nein. Ich habe wirklich nur freundschaftlich verkehrt. Ich kannte Frau Diebold von der Schule her. Um auch nur einen falschen Schein zu vermeiden, bin ich absichtlich beide Nächte in einem Gasthof abgestiegen.»

Lt. Hammer: «Ist Ihre Frau über Ihre Freundschaft zu Frau Diebold auf dem Laufenden?»

PolSdt. Bill: «Ja. Ich habe meiner Frau nach der Rückkehr aus den Ferien von meinem Aufenthalt [...] erzählt. Auch habe ich ihr alles erzählt, was ich gehört hatte.»

Lt. Hammer: «Ist Ihnen bei Frau Diebold sonstwie etwas verdächtiges aufgefallen?»

PolSdt. Bill: «Etwas Besonderes ist mir eigentlich nicht aufgefallen. Dagegen halte ich Frau Diebold für leicht beeinflussbar. Ich muss schon sagen, dass ich mich entweder sofort zurückgezogen oder dann aufs Ganze gereist wäre, wenn ich nur im geringsten hätte feststellen können, dass sich Frau Diebold zu irgend einer Handlung gegen unser Land hergegeben hätte.»

Lt. Hammer: «Haben Sie zu dieser Angelegenheit noch etwas zu bemerken?»

PolSdt. Bill: «Ich habe mir bei diesen Besuchen keine weiteren Gedanken gemacht. Es handelte sich hier lediglich um 2 zufällige Besuche bei alten Bekannten. Die Person des Diebold war mir nur vom Hören-sagen bekannt. Richtig ins Bild gesetzt über diesen Mann wurde ich auch erst anlässlich meines zweiten Besuches in Nesslau. Ich habe rein freundschaftlich mit Frau Diebold, die mir immer nur als Berta bekannt war, verkehrt. Ueber sämtliche Besuche habe ich meine Frau immer orientiert.»

Otto Bill wurde danach mit dem expliziten Hinweis entlassen, dass es in seinem «eigensten Interesse» liege, wenn er «jeden weiteren Verkehr mit Frau Diebold und ihrer Familie in Zukunft unterlasse», insbesondere unter Berücksichtigung seiner Stellung als Polizist.

Offenbar gelangte das Polizeikommando des Kantons Zürich nach diesen Aussagen zur Auffassung, dass man Bill trauen könne und teilte St. Gallen noch am selben Tag mit, die Beziehungen Bills zur Zielperson seien «harmloser Natur» und würden keine weiteren Massnahmen erfordern (vgl. nachstehenden Brief).

Für Bill war die Sache damit erledigt. Für die Diebolds natürlich nicht. Nach einem Schreiben der politischen Abteilung der Kantonspolizei St. Gallen vom 22. April 1943 befand Paul Diebold sich zu diesem Zeitpunkt nach wie vor «als SS Obersturmführer im deutschen Kriegsdienst», weshalb gegen seine Ehefrau seit mindestens einem Jahr eine Postkontrolle erfolgte.

Warum bekommt die Diebold Geld aus Deutschland, trotz Devisenausfuhrsperre?

Besonderen Argwohn erregte der Umstand, dass Berta Diebold, die seit einigen Monaten in Nesslau ansässig sei, «pro Monat Fr. 372.-- durch den Clearing-Verkehr ausbezahlt» erhalte. Das wären nach dem Konsumentenpreisindex umgerechnet auf den Stand 2009 immerhin 1900 CHF: Mehr als die von der AHV ausbezahlte maximale Witwenrente im Jahre 2009, also ein nicht unerheblicher Betrag.

Es stehe nicht einwandfrei fest, schrieb der Polizeibeamte weiter, ob diese Sendungen auf Veranlassung deutscher Stellen oder ihres Ehemannes erfolgten. Das sei übrigens kein Einzelfall. Solche Transaktionen seien «zu Gunsten einer ganzen Reihe Angehöriger illegal ausgereister und in deutschen Kriegsdiensten stehender Schweizer, sowie solcher wegen Landesverrates Verurteilter» erfolgt.

Da das Deutsche Reich damals eine strenge Devisenausfuhrkontrolle kannte, mussten alle Auslandzahlungen über spezielle Stellen ausgeführt werden. Waren das etwa Zahlungen für Spionagetätigkeit? Sicher konnte man sich da nie sein.

Der O-Ton eines Frontisten

Bleibt noch die Frage: Was trieb Paul Diebold an? Kurz gesagt: Es war eine Kombination aus individueller Sackgasse und dem Gefühl, persönlich etwas gegen die Bedrohung durch den Bolschewismus tun zu müssen. Um das herauszufinden muss man allerdings schon tief graben.

In den beiden Dossiers gibt es nur eine einzige Aussage von seiner Hand. Am 1. Juni 1943 richtete der Rapperswiler Rechtsanwalt Dr. Ferdinand Elsener im Auftrag Berta Diebolds ein Schreiben an die kantonale Fremdenpolizei St. Gallen, dem er einen Brief des Mannes seiner Klientin beilegte. Paul Diebold (damals offenbar wg. Verletzung nicht an der Front) schreibt am 21. Mai 1943 aus dem SS-Standortlazarett München-Dachau u.a.:

«Es erübrigt sich bestimmt, hier zu begründen was mich zur illegalen Ausreise nach Deutschland bewog, aber immerhin möchte ich feststellen, dass ich nie gegen meine Heimat agitierte; im Gegenteil bin ich der Auffassung, dass ich für meine Heimat kämpfe, kein Landesverräter bin, wie das in der Schweiz ausgelegt wird. Der Krieg ist heute eine europäische Angelegenheit und schlussendlich steht oder fällt die Schweiz mit dem Deutschen Reiche. Wenn das in der Eidgenossenschaft nur endlich begriffen würde. Auch glaube ich kaum, dass man Leute die sich freiwillig zum Kampfe stellen und die Gefahren und Strapazen der Ostfront auf sich nehmen, einfach mit dem unschönen Namen Feiglinge betiteln darf, wie dies leider in der Heimat mit uns geschieht

In der ersten Jahreshälfte 1943 konnte man eine solche Haltung noch verstehen (auch aus der Sicht eines rein rational kalkulierenden Opportunisten), denn zu diesem Zeitpunkt war es wohl gerade für untere Chargen noch nicht offensichtlich, dass der Zusammenbruch der Achsenmächte unausweichlich wäre. Finanzielle Erwägungen waren wohl auch im Spiel. Aber Diebold wollte an der Ostfront kämpfen. Denn er war (wie auch die Frontisten, mit denen er in Schaffhausen Kontakt hatte) davon überzeugt, dass die Rote Gefahr für Europa nur abgewendet werden könne, wenn Deutschland gegen die Sowjets gewinne. Für die Hintergründe und weitere Aussagen zur Person von Diebold aus seiner eigenen Feder, vgl. die Masterarbeit von Sarah Weber von 2014 (s. Quellen und Literatur).

[Anmerkung: In ihrer Befragung durch die Bundesanwaltschaft am 26. Januar 1944 äusserte sich Berta Diebold gemäss Protokoll wie folgt über die Beweggründe ihres Mannes: «Diese Vorstrafe [Urteil zum Sittlichkeitsdelikt von 1938] wurde ihm zum Verhängnis indem ihm diese Strafe bei jeder Gelegenheit vorgehalten wurde. Er erklärte in der Folge, dass er ein neues Leben beginnen wolle und zwar in Deutschland, wo ihm wegen seiner Vorstrafe keine Schwierigkeiten mehr gemacht würden.»]

Verbotener fremder Militärdienst. Kommts auf die Gesinnung an?

Dazu ergänzte der Rechtsanwalt: «Aus dem Briefe ergibt sich meines Erachtens mit aller Deutlichkeit, dass es nicht eine ehrlose Gesinnung war, die Diebold veranlasste, seine Heimat zu verlassen und in die deutsche Waffen-SS einzutreten. Beweggrund war zweifellos eine ehrliche Begeisterung, - ob es eine irrige Begeisterung war und ist, kann erst die Zukunft mit Sicherheit erweisen.

Auf Paul Diebold trifft zu, was Philipp Anton von Segesser im Nationalrat im Jahre 1859 anlässlich einer Debatte über die fremden Kriegsdienste ausdrückte:

"Und wie mancher junge Mann, der etwa eines Raufhandels wegen in den Händen der Justiz unfehlbar zugrunde gegangen wäre, hat im auswärtigen Kriegsdienst sich zu einem wackern und geehrten Manne emporgeschwungen. Alle diese Leute gehen nicht aus dem Lande, um Kattundrucker, Schornsteinfeger, Türhüter zu werden; es sind die kräftigeren und stolzern Naturen aus allen Ständen des Volkes." (Ph.A. v. Segesser, Sammlung kleiner Schriften, Bd.3)»

Die angesprochenen Worte von Segessers fielen im Zusammenhang mit der Diskussion über ein Verbot des Militärunternehmertums in Form der Schweizerregimenter in fremden Diensten, wie es sie zugunsten des Königreichs beider Sizilien bis dahin noch gab; vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 29, Gesamtausgabe S. 49.

Bis am 31.12.1927 konnten Schweizer noch individuell Dienst bei einer fremden Armee leisten. Mit dem Inkrafttreten des Militärstrafgesetzbuches war es auch damit vorbei. Seit dem 1. Januar 1928 verbietet Artikel 94 jeglichen fremden Militärdienst, aus welchen Beweggründen auch immer er geleistet wird. 

Rein juristisch war der Brief des Rapperswiler Anwalts also ziemlich nutzlos, wenn nicht gar kontraproduktiv. Denn der einzige Grund, aus dem SS-Offizier Diebold nach Militärstrafgesetz hätte freigesprochen werden müssen, wäre das deutsche Bürgerrecht gewesen. Die Regelung nach Art. 94 Abs. 2 MStG, wonach Doppelbürger, die im andern Staat niedergelassen sind und dort Militärdienst leisten (und dies im Krieg nach dessen Gesetzgebung auch müssen), galt nach einem notrechtlichen Bundesratsbeschluss wohl bereits ab 1940 (vgl. Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Teilrevision des Militärstrafgesetzes und der Militärstrafgerichtsordnung vom 22. Juli 1949. BBl 1949 II 137; Art. 94 auf S. 142).

Quellen und Literatur

  • Diebold-Brunner Berta, verw. Huber, 2.12.1911, Radolfzell/D; ND-Verdacht, Ehemann Paul, 1908, illeg. ausgereist, Of. der Waffen-SS. Dossier der Bundesanwaltschaft. Entstehungszeitraum: 1942-1944. Signatur: BAR E4320B#1993/214#3147*
  • Diebold Paul Albert, 25.4.1908; illeg. Ausreise, Dienst als Of. in der Waffen-SS. Dossier der Bundesanwaltschaft. Signatur: BAR E4320B#1993/214#3148*
  • Weber, S.: Between Nazism and Opportunism. Swiss Volunteers in the Waffen-SS. Master Thesis, Holocaust and Genocide Studies, University of Amsterdam, June 2014 – S. 44-46, sowie 83-84, 88-90, 121-122 u. 150. Mit weiteren Quellen zu Paul Diebold, insbesondere seine Lebensläufe.
[Abschnitt Der O-Ton eines Frontisten am 14.4.2021 ergänzt: Motivation Bolschewismus herausgeschält]

Sonntag, 11. April 2021

Flugblätter an französische Soldaten bereits 1939 abgeworfen

Wer sucht, der findet. Allerdings nicht immer das Gesuchte. Eigentlich ging es mir um die frühe Weiacher Siedlungsgeschichte (vor weit über tausend Jahren). Unverhofft beantwortet wurde dabei eine offene Frage zum Zweiten Weltkrieg. Ein aktueller Werkstattbericht.

Gräberfund beim Stellungsbau?

1979 hat man beim Kiesabbau im Raum Leeberen (in der Nähe eines damals aufgrund des Bewässerungssystems noch bestehenden Arms des Dorfbachs) mehrere Steinplattengräber angebaggert. Zugeschrieben werden sie aufgrund einer Grabbeigabe (einem als «Scramasax» bezeichneten Kurzschwert) dem Frühmittelalter.

Dazu schrieb die Kantonsarchäologie im Weiacher Mitteilungsblatt: «Ob die beim Stellungsbau im Jahre 1939 zum Vorschein gekommenen Gräber zum gleichen Gräberfeld gehörten, ist ungeklärt». (Nagy, P.: Neues zu den Anfängen von Weiach. In: Mitteilg. f. d. Gde. Weiach (MGW), Juni 2001 – S. 11.)

Die auf Weiacher Gebiet im genannten Zeitraum mit ebendiesem Stellungsbau beauftragte Grenzfüsilierkompanie I/269 hat (wie von den vorgesetzten Stellen befohlen) über ihre gesamte Aktivdienstzeit Tagebuch geführt und die entstandenen Bände vorschriftsgemäss abgeliefert, sodass sie heute noch im Bundesarchiv eingesehen werden können. Begebenheiten aus diesen Tagebüchern sind im Beitrag «E luschtigi Söili-Jagd», Weiacher Geschichte(n) Nr. 96 (MGW, November 2007) festgehalten.

An einen Tagebuch-Eintrag, in dem der Fund von Gräbern thematisiert wurde, kann ich mich nicht erinnern. Habe ich bei der Durchsicht des Originals etwas übersehen? Normalerweise müsste ich nun den Gang nach Bern antreten. In diesem Fall aber nicht. 

«Auf Bestellung digitalisieren wir analoge Dossiers»

Dank dem grossangelegten Digitalisierungsprojekt des Bundesarchivs werden Aktenbestände sukzessive elektronisch erfasst und im Format PDF, verpackt in ZIP-Ordnern, zum Download bereitgestellt. Welche Akten das sind, erfährt man aber nur, wenn man sich beim Schweizerischen Bundesarchiv einschreibt. Das nötige Login läuft über den eGovernment-Zugang des Bundes (Bundesangestellte können mit ihrer sog. PKI-Karte zugreifen, ohne die im Bundesumfeld kein PC oder Laptop läuft).

Dass sämtliche Tagebücher der Grenzfüsilierkompanie I/269 bereits digital vorliegen, verdanken wir auch der freien Journalistin und Niederweninger Ortschronistin Katrin Brunner, die bereits vor mehr als zehn Jahren einen Beitrag über die Normalität im Wahnsinn des Krieges im Zürcher Unterländer platziert hat (vgl. WeiachBlog Nr. 939 v. 24. Oktober 2010). 

Am 22. Januar 2021 erschien ihr Artikel über den Alltag an der Grenze auf dem Blog des Nationalmuseums  und dafür brauchte sie ein hochaufgelöstes Bild der eingefangenen Kompaniesau Jda, die vor 13 Jahren den Titel von Weiacher Geschichte(n) Nr. 96 inspiriert hat. 

Wie bestellt, so digitalisiert. Das Resultat (alle 11 Tagebücher) ist rund 180 MB «schwer». Es kann bequem heruntergeladen und auf dem heimischen PC in aller Ruhe gesichtet werden. In Zeiten, wo es dem Bundesrat oder einem Regierungsrat alle paar Tage einfallen kann, wieder sämtliche Bibliotheken und Archive für unbestimmte Zeit schliessen zu lassen (vgl. WeiachBlog Nr. 1500), ist das sehr praktisch.

Die Flugblatt-Verwirrung

Von einem Gräberfund ist in den Tagebüchern der Gz Füs Kp I/269 für das Jahr 1939 an keiner Stelle die Rede. Dafür aber von Flugblättern, was an eine Anmerkung in Walter Zollingers blauem Büchlein (Rückentitel «Chronik Weiach») erinnert:

«Eine Illustrierte mit Bildern dieser Zerstörungen im Kraftwerkgebiet und kleine Zeitungsabschnitte sowie ein Aufruf an die «soldats français», abgeworfen aus deutschen Flugzeugen, sind ebenfalls im Ortsmuseum Weiach.» (Zollinger, W.: Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach, 1. Auflage. Weiach 1972 – S. 93, Anmerkung 80)

Diese Anmerkung wurde auch in spätere Auflagen ab 2003 übernommen. Ich habe sie dort allerdings mit einem Fragezeichen versehen, weil diese Flugblattgeschichte keinen Sinn zu ergeben schien, denn Angriffsspitzen der französischen 1. Armee (Rhin et Danube) hatten ja erst kurz vor dem Kriegsende  unseren Abschnitt des Hochrheins erreicht (vgl. WeiachBlog Nr. 1504). Was sollten da an französische Soldaten gerichtete Flugblätter? Und wie waren die abgeworfen worden, wenn die deutsche Wehrmacht schon im Jahre 1944 grösste Mühe hatte, der alliierten Luftüberlegenheit auch nur ansatzweise etwas entgegenzusetzen (vgl. WeiachBlog Nr. 1639)? 

Deshalb habe ich sogar in Frage gestellt, ob diese «Propagandazettel wirklich aus der Luft abgeworfen und dann auf Weiacher Gebiet gefunden worden sind». (Fn-275 der 6. Auflage bis zur Version 6.35 v. März 2021, PDF 2.88 MB).

Soldatische Schützenhilfe für Zollinger

Der vorstehend angesprochene Tagebucheintrag findet sich in Bd. 3 unter dem 17. November 1939 und lautet wie folgt:

«Deutsche Flieger werfen auf Schweizergebiet Flugblätter mit französischem Text ab. Die franz. Soldaten werden darin gegen England aufgehetzt. Um 15.25 überfliegt eine deutsche Aufklärungsmaschine aus der Richtung Belchen kommend im Tiefflug ca 200 m Höhe unsere Stellungen. Da die ganze Kp. in diesem Momente mit Erdarbeiten und Abtransport [der Betonmaschine aus dem Kaibengraben nach Kaiserstuhl] beschäftigt war, konnte das Flugzeug von uns nicht beschossen werden. Die Maschine flog auf Schweizergebiet  Rhein aufwärts, stieg dann plötzlich in die Höhe als der Pilot das grosse Schweizerkreuz auf dem Kraftwerk Rheinsfelden erblickte. Im Hinterland sollen am gleichen Tage auf [recte: auch] Flugblätter abgeworfen worden sein, sodass angenommen werden muss, die Flieger haben sich durch das sehr schlechte Flugwetter verflogen.»

Der dazugehörende Wettereintrag: «Leichte Niederschläge. Aufhellung gegen Abend. Starker Wind.»

Darauf muss man auch erstmal kommen: Flugblätter, die über Frankreich (konkret wohl: dem Elsass) hätten abgeworfen werden sollen, fielen also u.a. in Weiach zu Boden! Da hatte sich jemand wirklich ziemlich heftig verflogen, möglicherweise abgetrieben durch den starken Wind. Immerhin: die «feindliche» Seite des Rheins hatte der «Propagandabomber» erwischt.

Diese Flugblätter waren offenbar Teil der psychologischen Kriegführung, die letztlich zur Vorbereitung des Blitzkriegs nach Westen (sog. Sichelschnittplan) diente. Dieser wurde dann ab dem 10. Mai 1940 unter Umgehung der Maginot-Linie über die Benelux-Staaten vorgetragen.

In diesem Fall kann man Zollinger also vollumfänglich rehabilitieren. Das Flugblatt im Ortsmuseum wurde tatsächlich von einem deutschen Flugzeug abgeworfen. Nur eben schon 1939!

P.S.: Ab der Version 6.36 vom April 2021 wird die Ortsgeschichte auf S. 79 diesen Zufallsfund rezipieren.

Quelle

  • Armeestab: Tagebücher der Stäbe und Einheiten (1939-1945). Gz Füs Kp I/269, Bd 1-11. Signatur: BAR E5790#1000/948#1871* (hier: Bd. 3, unpaginiert).

Samstag, 10. April 2021

Amerikanische Luftüberlegenheit 1944 aus deutscher Sicht

«Als Luftüberlegenheit wird der Grad an militärischer Kontrolle über den Luftraum über einem definierten Gebiet und eines bestimmten Zeitraums bezeichnet, der eigene Operationen ohne wesentliche Einwirkungsmöglichkeit eines Gegners ermöglicht. Vollständige Kontrolle über einen Luftraum wird als Luftherrschaft oder totale Luftüberlegenheit bezeichnet.» (Wikipedia-Artikel Luftüberlegenheit; wesentlich ausführlicher der Beitrag in der englischsprachigen Ausgabe Air supremacy)

Seit dem Zweiten Weltkrieg ist das Erringen einer Überlegenheit in der dritten Dimension das entscheidende Element in allen konventionell geführten Konflikten. Wer den eigenen Luftraum nicht kontrolliert, der kann am Boden praktisch keine Truppenbewegungen ausführen, ohne grosse Verluste zu riskieren. Deshalb ist es für eine Armee so wichtig, eine Luftwaffe zu haben, die auch wirklich etwas taugt. Sonst kann man die Bodentruppen auch gleich weglassen.

Jagd auf Eisenbahnzüge

Die Bedrohung aus der Luft wurde den Weiacherinnen und Weiachern vor allem 1944 eindrücklich vor Augen geführt:

Am 9. September 1944, zwei Monate vor der Bombardierung des Kraftwerks Eglisau bei Rheinsfelden (vgl. WeiachBlog Nr. 1617), griffen US-Jagdflugzeuge Eisenbahnzüge bei Rafz und Weiach an. Solche Angriffe waren für die Amerikaner je länger desto risikoärmer, denn: 

«Seit dem Februar [1944] beherrschen die Alliierten den Himmel über dem ganzen Reichsgebiet.» (Amerikanische «Luftgangster»? Weiacher Geschichte(n) Nr. 41. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, April 2003; Gesamtausgabe S. 85.)

Top-Piloten als letztes Aufgebot

Dass dem wirklich so war (also allierte Luftüberlegenheit herrschte), konnte man 2003 online erst vereinzelt lesen. Und vor allem in US-Quellen. Die Deutschen selber sahen das aber ähnlich, so u.a. das Flieger-As Günther Rall, der mit seiner Messerschmitt Me-109 an der Ostfront viele Luftkämpfe gegen sowjetische Piloten für sich entschieden hat:

«Im April 1944 wurde er, nunmehr im Rang eines Majors und mit 273 Luftsiegen zu diesem Zeitpunkt erfolgreichster Jagdflieger der Luftwaffe, zur Reichsverteidigung in den Westen beordert, wo er Gruppenkommandeur im JG 11 [Jagdgeschwader an der Nordsee] wurde. Am 12. Mai 1944 wurde er unmittelbar nach seinem 275. und letzten Luftsieg abgeschossen.»

Die Anmerkung zu diesem Abschnitt: «dabei kämpften 25 Flugzeuge der Luftwaffe gegen 900 schwere Bomber der US-Luftwaffe, geschützt durch 800 Jagdmaschinen.» (Interview Ralls mit der Süddeutschen Zeitung; SZ, 5. April 2009)

Auch wenn Rall, dem späteren Inspekteur der Luftwaffe der Bundeswehr, diese Zahlen erst durch seine NATO-Kontakte zur US Air Force bekannt geworden sein sollten: Die Überlegenheit muss schon damals deutlich fühlbar gewesen sein. Denn es war nicht nur die schiere Zahl an Flugzeugen. Auch ihre technischen Eigenschaften waren teils deutlich besser als die der deutschen Jagdmaschinen:

«Ende 1943/Anfang 1944 übertrafen die alliierten Jäger – vor allem die North American P-51 – die Flugleistungen der hauptsächlich eingesetzten Bf 109 G-6 erheblich. Die modernere Focke-Wulf Fw 190 wurde immer mehr eingesetzt, war aber in Höhen über 7000 m – zumindest bis zum Erscheinen der Fw 190 D Ende 1944 – den alliierten Jägern ebenfalls unterlegen.» (Wikipedia-Artikel Messerschmitt Bf 109).

Die P-51 Mustang war übrigens der Flugzeugtyp, der am 9. September beim Luftangriff auf Weiacher Gebiet zum Einsatz kam. 

«Total superiority of the air»

In einem aktuellen Quora-Beitrag von Peter Feigal, einem US-Künstler der auf Militärthemen spezialisiert ist, wird die ausweglose Lage der deutschen Kampfpiloten noch deutlicher:

«He [Rall] said he was a bit fatalistic about facing the American P-47’s and P-51’s but was a soldier and did his duty. His fears were justified when, after he had jumped one of Zemke’s Wolfpack’s P-47’s, (Rall always used the hit-and-run tactics, NEVER got into tight turning contests, had no use at all for “dogfighting” and taught all his students, including Barkhorn and Hartmann that “if they ever found themselves “dogfighting” they had done something majorly wrong,” and considering these were the three greatest aces in history, I believe he had a point,) shooting it down, he was instantly attacked by other P-47’s. Already diving on the attack, he had no choice but to continue down, but his 109 was a terrible diver/roller and no aircraft except perhaps a P-38 could out dive a P-47 and no plane except perhaps a FW 190 could out roll it. He took many hits, including, “a bit disconcertingly!” a .50 that severed his left thumb. He bailed out and survived, but was, thankfully, out of the action for good. He said it ultimately saved his life as the Allies had total superiority of the air and he doubted he could have survived many more encounters.» (Feigal, P.: Is it true that most Luftwaffe pilots would rather be sent to the Eastern Front than the Western Front? In: Quora.com, 7. April 2021)

Es kann also auch ein Glück sein, rechtzeitig abgeschossen zu werden, wie Rall am 12. Mai 1944. Denn eigentlich war der Kampf längst aussichtslos, wie Bob Smith in einem Kommentar zu Feigal klarmacht:

«The death of the Luftwaffe actually occurred on the Western front from late 1943 onward.»

Wenn also das Piloten-As Günther Rall noch ab April 1944 an der Westfront zum Einsatz kam, dann gehörte er buchstäblich zum letzten Aufgebot. Der Materialschlacht der Allierten konnte sein Jagdgeschwader nur noch wenig entgegenhalten.