Mittwoch, 30. August 2023

Ein Skelett mit schneeweissen Zähnen

Unser altes Bahnhofsgebäude hat in wenigen Monaten bereits 150 Jahre auf dem Buckel. Und dabei war es doch nur als Provisorium gedacht: Im Eilverfahren an die Station Weiach-Kaiserstuhl hingestellt, weil die Nordostbahn auf Termin mit der Streckeneröffnung per 1. August 1876 die Konzessionsbedingungen einhalten musste.

Bei den Erdarbeiten zum Bau dieses Gebäudes oder in seiner unmittelbaren Umgebung – so muss man zumindest annehmen – wurde ein ganz spezieller Fund gemacht. Einer, über den heutige Archäologen und auch der hier schreibende Ortshistoriker gerne mehr gewusst hätten, der jedoch offenbar nirgends mehr in einem Magazin liegt, nicht einmal in Form von Notizen.

Was bislang darüber bekannt ist, steht in der NZZ vom 30. August 1873, einer Zeitung, die damals pro Ausgabe zwar nur gerade vier Seiten dünn war, aber dafür 13-mal pro Woche erschienen ist: An Sonn- und Festtagen mit einer Ausgabe und an den übrigen Tagen mit zweien.

Gefundener Bericht über einen Fund

In der zweiten Ausgabe dieses Tages, heute vor genau 150 Jahren, da rückte der Redaktor einen Fund aus einem Regionalblatt ein:

«Man meldet dem „Volksfreund“, daß letzte Woche auf dem Stationsplatz zwischen Weiach und Kaiserstuhl in der Tiefe von 3' ein vollständiges Skelett von 5' Länge ausgegraben worden sei. Die Knochen waren alle noch vollständig aneinandergereiht vom Scheitel bis zu den Fußknochen, auch die Zähne waren noch alle vollkommen und schneeweiß. Spuren von Kleidern waren keine vorhanden.»

Die 1866 gegründete Zeitung, die den Primeur über diesen Skelettfund gebracht hat, hiess damals «Bülach-Dielsdorfer Volksfreund» und wurde 1957 in «Neues Bülacher Tagblatt» umbenannt.

Die offenbar sorgfältig bestattete Person lag also auf ca. 90 cm Tiefe. Und war zu Lebzeiten rund anderthalb Meter gross. Sie lag ausserhalb der grossen archäologischen Zone, die die Kantonsarchäologie in Vorbereitung auf das Kiesabbau-Vorhaben im Hasli in Prospektion genommen hat, vgl. WeiachBlog Nr. 1813.

Nachforschungsbedarf. Resultate hier nachzureichen

Bei einem nächsten Bibliotheksbesuch (zu dem es vor dem 150. Jahrestag nicht mehr gereicht hat) wird noch zu eruieren sein, welche Informationen im «Volksfreund» zu finden sind. WeiachBlog wird den Volltext als Nachtrag in diesen Beitrag stellen.

Quelle

Dienstag, 29. August 2023

Stadtzürcher Sozialist wollte Kehrichtschlacke in Weiach entsorgen

Unerwünschte Abfallprodukte der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit will man nicht vor der eigenen Haustüre. Dafür ist dann das Unterland als Mistkübel der Metropole am Zürichseebecken (Goldküste inklusive) gerade gut genug.

Sei es beim Lärm (In welche Richtungen sollen die Pisten des Flughafens nun gerade verlängert werden? Vgl. das vom Kantonsrat gestern Montag durchgewunkene Vorhaben...) oder eben bei Rückständen aus Kehrichtverbrennungsanlagen, es ist das klassische St. Florians-Prinzip (oder amerikanisch formuliert: NIMBY, not in my backyard). Wo diese Hinterhöfe des Kantons liegen sollen, das hat ein Sozialist aus der Stadt Zürich unmissverständlich klargemacht:

«-ir. Gemeinderat Ernst Hauser (soz.) weist in einer Schriftlichen Anfrage an den Stadtrat daraufhin, dass die immer grösser werdenden Schlackenhalden der Kehrichtverbrennung wegen des Fehlens einer Schlackenaufbereitungsanlage zu einem immer dringenderen Problem werden. Hauser fragt den Stadtrat an, ob die Schlacken nicht als Auffüllmaterial in den ehemaligen Kiesgruben von Hüntwangen, Weiach oder Rafz deponiert werden könnten?»

So zu lesen in der NZZ vom 7. September 1979. 

Der Schutz der Trinkwasseranreicherungsfunktion geht vor!

Von der Stadtzürcher Verwaltung wurde diesem Parlamentarier-Ansinnen aber gleich die rote Karte gezeigt:

«Der Antwort des Stadtrates ist zu entnehmen: «Eine Ablagerung von Kehrichtschlacken in den Kiesgruben des Rafzerfeldes oder bei Weiach kommt aus Gründen des Gewässerschutzes nicht in Frage. In den dortigen Schottergebieten finden sich die letzten grossen Trinkwasserreserven des Kantons Zürich.»»

Denn den Experten der Stadt war klar, dass man sich bei der Kantonsverwaltung schon länger Gedanken um die langfristige Sicherung der Lebensgrundlagen gemacht hat. 

Wenn man sich den in den letzten fünf Jahrzehnten erfolgten exorbitanten Bevölkerungszuwachs des Kantons ansieht, die sich seither akkumuliert haben (1970: 1.11 Mio.; 2020: 1.55 Mio.), dann war das die einzig richtige Antwort (vgl. auch den aktuell gültigen Kantonalen Richtplan): 

Kantonaler Richtplan mit den geplanten Grundwasseranreicherungseinrichtungen im kümmerlichen Rest des Weiacher Hardwaldes wie er bis zum 2. Weltkrieg Bestand hatte (inkl. das damals urbar gemachte Gebiet Rodig, heute Ackerland, in dem kein Kies abgebaut werden darf)  

Bei aller Polemik (wie oben durchexerziert) ist natürlich zu konzedieren, dass es sich bei dem Problem bereits um eine Folge der Volumenreduktionspolitik handelt, ohne die es noch viel grösser gewesen wäre. Denn schon die Kehrichtverbrennungsanlagen sind u.a. aus der Not geboren worden, auf dem dicht besiedelten Gebiet nicht genügend Deponieplätze zu haben. Die Frage, wo man mit den Schlackenbergen hin sollte, war (und ist!) also eine berechtigte.

Einbau von Schlacken in den Strassenkörper?

Und so sahen die damaligen Lösungsversuche laut der (in der NZZ zitierten) Antwort der Stadt auf die Schriftliche Anfrage im Stadtparlament aus:

««Seit Jahren bemüht sich das Gesundheits- und Wirtschaftsamt bisher ohne Erfolg um Deponien für die Schlackenhalden. 1977 schien ein geeigneter Standort für eine Schlackenaufbereitungsanlage im Industriegebiet von Bassersdorf gefunden zu sein. Ein positiver Vorentscheid des Gemeinderates lag vor. Das Baugesuch wurde jedoch abgelehnt. Um das akute Problem der wachsenden Schlackenhalden bei der Kehrichtverbrennungsanlage 2 Hagenholz zu entschärfen, hat die kantonale Baudirektion die Zusage erteilt, noch im Laufe des Sommers 1979 mit dem Abbau zur Verwendung im Nationalstrassenbau zu beginnen. Ausserdem hat der Kanton seine guten Dienste bei der Suche nach einem neuen Standort für eine Deponie angeboten.»»

Schlacken in den Strassenkörper einzubauen stellt natürlich auch nur eine weitere Verlagerung des Problems dar. Statt einer Konzentration (in einer Deponie) wird eine Verdünnung erzielt. Aus diesen Strassen können dann nach und nach Schadstoffe ausgeschwemmt werden, was diese Art der Verwertung besonders in Grundwasserschutzgebieten alles andere als angeraten sein lässt.

Ein altes Problem auf der Suche nach Lösungen

Wie man einem 15-seitigen Artikel von Dr.-Ing. Markus Franz aus dem Jahre 2016 entnehmen kann (vgl. Link in den Quellen), begleitet das Schlackenproblem die Abfallwirtschaft in der Schweiz seit mindestens 120 Jahren. Spätestens mit der Eröffnung der KVA Josefstrasse mitten im Zürcher Industriequartier fielen auch diese Schlacken an.

Den aktuellen Stand findet man u.a. beim Internetauftritt des AWEL zum Thema Kehrichtverwertungsanlagen. Die Schlacke ist – wen wundert's – immer noch eine Knacknuss, allein schon aufgrund der anfallenden Mengen: «Durch die thermische Verwertung von Abfällen wird die Masse des angelieferten Abfalls um rund 80 Prozent reduziert. Es fallen jährlich rund 150'000 Tonnen Rohschlacke und 19'000 Tonnen Rauchgasreinigungsrückstände an, die weiter behandelt und entsorgt werden.» 

Zu den heutigen Strategien gehören die Optimierung der Metallrückgewinnung aus KVA-Schlacke sowie die Minimierung des Totalen Organischen Kohlenstoffs (TOC) in der KVA-Schlacke

Die 2010 gegründete Stiftung «Zentrum für nachhaltige Abfall- und Ressourcennutzung» (www.zar-ch.ch), mit einem Standort bei der KEZO in Hinwil (schon anfangs der 80er-Jahre bei der Schlackenverwertung führend) arbeitet an zukunftsweisenden Lösungen.

Quellen

Montag, 28. August 2023

«In letzter Minute inszenierte Abschussaktion...»

So einen Satzteil würde man in einem Boulevardblatt erwarten, nicht wahr? Man findet ihn aber in einem höchst distinguierten Presseerzeugnis, der «alten Dame» von der Stadtzürcher Falkenstrasse. 

Diesen begrifflichen Zweihänder hat NZZ-Redaktor Hillmar Höber, damals bereits seit Jahren für Berichte über das Zürcher Unterland zuständig, im Februar 1978 zu einem Vorgang in der Weiacher Gemeindepolitik geschwungen:

«hhö. In Weiach ist eine in letzter Minute inszenierte Abschussaktion gegen den bisherigen Gemeindepräsidenten Ernst Baumgartner misslungen; der Kampfkandidat Peter Bresch vermochte nur wenige Stimmen auf sich zu vereinigen. Bei einem absoluten Mehr von 123 Stimmen wurden in die Exekutive gewählt: Ernst Baumgartner, zugleich Präsident, 234, Peter Bresch 209, Hans Griesser 253, Paul Odermatt (alle bisher) 206 und Werner Fruet (neu) 199. Mit 53 Stimmen blieb Willy Rusterholz weit zurück und wurde nicht gewählt. Die Wahlen in die Primarschulpflege und in die reformierte Kirchenpflege erfolgten kampflos. Das Primarschulpräsidium übernimmt neu Gustav Duttweiler. Die Wahlbeteiligung betrug 62 Prozent.»

Dazu muss man nun wissen, dass Ernst Baumgartner-Brennwald bereits seit 1966 den Gemeinderat präsidiert hat. Und noch bis 1982 in diesem Amt war, d.h. während 16 Jahren. Davor war er bereits 16 Jahre als Kirchengutsverwalter der evangelisch-reformierten Kirche tätig gewesen.

Immerhin hat Höber diesen – in unserer Politikgeschichte keineswegs einmaligen Vorgang – nicht gerade als Wildwest-Geschehen eingeordnet. 

Die letzte Aktion dieser Art hat Weiach übrigens bei den Wahlen 2010 erlebt, als der sozusagen in letzter Sekunde portierte Kampfkandidat Paul Willi lanciert wurde, um einen Gemeindepräsidenten Galimberti zu verhindern. In diesem jüngeren Fall war der Coup allerdings erfolgreich. Allerdings auch nur, weil sich die mit der tiefsten Stimmenzahl gewählte Elsbeth Ziörjen-Baumgartner zurückgezogen hat, um dem Volkswillen zu entsprechen. Nach dem Buchstaben des Gesetzes hätte dieser Postenschacher jedenfalls nie und immer Bestand haben dürfen (vgl. WeiachBlog Nr. 766).

Quellen

Sonntag, 27. August 2023

Weiacherstrasse oder doch Glattfelderstrasse?

Die Rechts-Links-Kombination zwischen dem Ofenhof (Gemeinde Weiach) und dem Anschluss an die Umfahrung Glattfelden (A50 auf Zweidler Boden) hat es schon länger in sich. Seit Jahrzehnten ist das ein bekannter Unfallschwerpunkt, an dem Fahrzeuglenker die Herrschaft über ihr Automobil verlieren.

Der letzte Grosseinsatz an dieser Stelle musste gestern Samstagabend gefahren werden. In den Worten des Zürcher Unterländers von heute Sonntag, 08:14 Uhr:

«Gemeinsam mit der Kantonspolizei Zürich standen die Feuerwehren Glattfelden-Stadel-Weiach sowie Bülach, eine Patrouille der Stadtpolizei Bülach, Rettungswagen von Schutz & Rettung Zürich und dem Spital Bülach, ein Rettungshelikopter der Alpine Air Ambulance sowie die Staatsanwaltschaft Winterthur-Unterland im Einsatz.»

Zum Zeitpunkt als die Journalistin des Zürcher Unterländer auf den Auslöser gedrückt hat, waren v.a. Fahrzeuge der Feuerwehr Gla-Sta-Wei sowie Ambulanzen vor Ort:

Bildquelle: zuonline.ch, 27.8.2023

An der Grenze gelegen

Die Medienkommunikation zu diesem Unfall mit zwei Verletzten wirft nun doch einige Fragen auf. Die Orientierungstafel rechts neben dem Mast ist eindeutig auf der Glattfelder Seite. Die Gemeindegrenze zieht sich dem Westrand der im Hintergrund sichtbaren Strasse ins Dorf Zweidlen entlang und stösst in etwa dort auf die Hauptstrasse Nr. 7 Basel-Winterthur, wo die Ambulanzfahrzeuge stehen.

Die Bildlegende des Unterländer sagt, die Unfallstelle befinde sich auf Weiacher Gemeindegebiet. Das wäre dann ein Punkt auf der Glattfelderstrasse. Nimmt man sich die Karte mit eingezeichneter Grenze vor, dann müsste sie also links (d.h. westlich) der schwarzen Grenzlinie liegen:

Bildquelle: maps.zh.ch

Geht man jetzt auf die Medienmitteilung der Kantonspolizei, dann ist dort durchgehend von einer Weiacherstrasse die Rede. Und die befindet sich eindeutig und ausschliesslich auf der Glattfelder Seite, rechts (d.h. östlich) der schwarzen Grenzlinie. 

Auf welchem Territorium hat es geknallt?

Bei der Beantwortung der Frage, ob die Unfallstelle tatsächlich auf Weiacher Gebiet ist (wie vom ZU behauptet), kann nur das der Medienmitteilung beigefügte Bild helfen, auf dem der Unfallfotodienst bei der Arbeit abgebildet ist. 

Bildquelle: kapo.zh.ch

Haifischzähne, Tafel und Zaunbogen

Der auf der Fahrbahn der Hauptstrasse stehende Polizist, der Bilder von der Endlage der Unfallfahrzeuge schiesst, befindet sich ziemlich exakt auf der Gemeindegrenze, mit Blickrichtung A50. Im Hintergrund ist die Orientierungstafel zu sehen, auf der die Verzweigung angekündigt wird (vgl. das Bild der ZU-Journalistin). 

Am rechten Bildrand sind ganz knapp noch die Haifischzähne (Bodenmarkierung «Kein Vortritt») der Hardstrasse (Gemeindestrasse Richtung Zweidlen) zu erkennen. Um die muss es sich handeln, denn das sind im Umkreis von über 100 Metern die einzigen Markierungen dieser Art, wie man auf dem Orthofoto auf maps.zh.ch sieht. Weiteres Detail das für diese Lokalisierung spricht: der Zaun um die Kiesgrube Neuwingert, der hinter dem zweiten orange Gewandeten verläuft und genau dort eine Ecke bildet. Auch den sieht man auf dem Orthofoto deutlich.

Mit anderen Worten: die Endlage der Fahrzeuge ist eindeutig auf Glattfelder Boden. Aber hart an der Grenze.

Kapo-Medienstelle schiesst aus der Hüfte. ZU-Redaktion übernimmt ungeprüft

Nun zum Text der Medienmitteilung, der obigen Befund zwar nicht konterkariert, aber eben auch nicht in allen Belangen den tatsächlichen Verhältnissen gerecht wird. Nachstehend ein auszugsweises Zitat direkt von der Website des Kantons:

«Gemäss ersten Erkenntnissen fuhr ein 22-jähriger Mann mit seinem Personenwagen auf der Weiacherstrasse Richtung A50. In einer langgezogenen Rechtskurve geriet sein Fahrzeug aus bislang unbekannten Gründen auf die Gegenfahrbahn. Es kam zu einer heftigen Frontalkollision mit einem entgegenkommenden Auto eines 44-jährgen [sic!] Lenker. Beide Autofahrer erlitten mittelschwere Verletzungen und mussten mit einem Rettungshelikopter beziehungsweise einem Rettungswagen in Spitäler gebracht werden. Wegen des Unfalles musste die Weiacherstrasse für rund drei Stunden gesperrt werden; die Feuerwehr signalisierte eine Umleitung.»

Diese langgezogene Rechtskurve befindet sich eindeutig auf Weiacher Gebiet, weswegen die im ersten Satz beschriebene Strasse entweder gleich als «Hauptstrasse Nr. 7» oder dann eben korrekt mit «Glattfelderstrasse» hätte benannt werden müssen. 

Auch die musste übrigens faktisch in ihrem gesamten Verlauf ab der Sternenkreuzung Weiach über den genannten Zeitraum hinweg für den Durchgangsverkehr gesperrt werden. Diese 2.7 Kilometer sind dann doch eine ganz andere Hausnummer als die (in der Medienmitteilung weiter unten erwähnte) nur rund 300 Meter lange Weiacherstrasse auf Glattfelder Territorium, die selbstverständlich zu 100% gesperrt werden musste.

Anmerkung: Den orthographischen Schnitzer (vgl. das «[sic!]» oben) hat die ZU-Redaktion übrigens bemerkt und korrigiert.

Quellen

Samstag, 26. August 2023

Autobahnende war bei Neu-Weiach vorgesehen

Wer in Weiach wohnt, der kennt sie wohl beide: die Umfahrung Glattfelden (im Verkehrsjargon A50 genannt). Und die Hochleistungsstrasse Kloten–Bülach (genannt A51). Ihre Besonderheit: beide sind nicht vignettenpflichtig.

Erstere wurde nach vier Jahren Bauzeit auf den 1. September 1978 eröffnet. Letztere, die HLS, in zwei Etappen: Das Teilstück von Kloten bis Bachenbülach Ende November 1970. Und die eigentliche Umfahrung der Stadt Bülach bis zum Hardwald ein Jahr später, Ende November 1971.

Während die Umfahrung Glattfelden einen Raumbedarf von fast 40 Metern Breite aufweist, kommt die HLS mit 22 Metern wesentlich schlanker weg, zumindest in ihrem südlichen Teilstück. Und der Grund ist einfach: diese in den 60ern geplante kantonale Autobahn hat zwar einen Randstreifen, aber keine eigentlichen Pannenstreifen (von ein paar wenigen Metern abgesehen, z.B. Bülach–Nord bis Bülach–West in Fahrtrichtung Kloten). Die 1971 beschlossene Umfahrung Glattfelden weist Pannenstreifen auf über die gesamte Länge von 4.4 Kilometern, wenn auch nicht überall in der Breite eines vollen Fahrstreifens.

Das einzige wirklich gebaute Teilstück

Was viele nicht wissen: diese Umfahrung Glattfelden ist bis heute das einzige Teilstück einer in den 70er-Jahren von einigen mit Nachdruck geforderten, von anderen mit ebensoviel Nachdruck bekämpften Hochleistungsstrasse Wülflingen–Weiach.

Wäre sie gebaut worden, dann hätten wir heute auch einen Autotunnel durch den Dättenberg zwischen Bülach und Eglisau (und nicht nur einen für die Eisenbahn, wie ihn die Nordostbahn 1876 eröffnet hat).

Vor allem aber hätten wir hier bei uns ein Autobahnende, das irgendwo zwischen dem Bedmen und der Kantonsgrenze in die Hauptstrasse Nr. 7 einmündet. Dass dieses westlichste Teilstück nie zustandegekommen ist, das haben wir wohl unter anderem auch der Weiacher Kies AG zu verdanken.

Bildunterschrift: «Die geplante Hochleistungsstrasse von Winterthur nach Weiach. Die Zunahme des Güterverkehrs hat im unteren Tösstal bereits zu unhaltbaren Zuständen in den betroffenen Ortschaften geführt.»

Zu den Abkürzungen: Unter einer HVS wird eine Hauptverkehrsstrasse verstanden, diejenige von Winterthur über Weiach nach Zurzach wurde in den 1970ern als HVS-U bezeichnet. Eine HLS (Hochleistungsstrasse) wurde nicht zwingend als Schnellverkehrsstrasse verstanden, sondern eher als solche, auf der es nicht zu Stockungen kommt, weil Kreuzungen mit dem Lokalverkehr auf wenige Anschlusspunkte beschränkt werden (vgl. StAZH MM 3.118 RRB 1966/4387 vom 17. November 1966, S. 4/6 in der Transkriptversion).

Quelle

Freitag, 25. August 2023

Bau des Reservoirs Haggenberg genehmigt

In seiner Chronologie des 20. Jahrhunderts erwähnt Willi Baumgartner-Thut für das Jahr 1976 den «Bau des neuen Reservoirs im Hochbuck» (Weiach – Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes, 6. Aufl., S. 93). Diese Flur ist südwestlich der Gebäude Vorder Berg und Hinder Berg situiert und ihr Name wird auch in den Formen Im hohe Buck (Zollinger 1972) bzw. Hochenbuck überliefert (vgl. Eintrag bei ortsnamen.ch).

Neues und altes Reservoir

Wo ein neues Reservoir gebaut wird, da dürfte es ein altes geben. Dem ist auch so. Das alte Reservoir (genannt Reservoir Berg) stammt aus dem Jahre 1890 und befindet sich auf 419 m ü. M. im Vorder Berg, an der heutigen Bergstrasse 35 (gleich vis-à-vis des Hauses Buckley, Bergstr. 36).

Das neue Reservoir (genannt Reservoir Haggenberg) liegt rund 40 Meter höher auf 459 m ü.M., wurde 1977 dem Betrieb übergeben und trägt heute die Adresse Hintere Bergstrasse 20. So sieht es jedenfalls die kantonale Gebäudeversicherung, die diese technischen Gebäudealter in ihrer Datenbank führt.

Der diesjährige Weiacher Bannumgang führt am 2. September an den Quellfassungen im Surgen vorbei, die diese Reservoirs speisen. Und danach am neuen und am alten Reservoir. Bei ersterem wird vielleicht auch ein kleiner Einblick gewährt.

Zwei Kammern vorgesehen

Über die Genehmigung des Bauvorhabens berichtete NZZ-Redaktor Hillmar Höber in einer Wochenendausgabe (heute wäre das die NZZaS):

«hhö. An der Gemeindeversammlung hiessen die Weiacher Stimmbürger den Kredit von 812 000 Franken für die Erstellung des neuen Reservoirs Haggenberg mitsamt der dazugehörenden Hauptzuleitung mit nur einer Gegenstimme gut. Der neue Wasserbehälter wird sowohl durch Quell- als auch durch Grundwasser gespeist. Die beiden Kammern – je eine für Brauch- und Feuerlöschwasser – fassen zusammen 750 Kubikmeter. An die Erstellungskosten sind namhafte Subventionen zu erwarten. Die Versammlung genehmigte auch die beiden Kredite von total 676 000 Franken für den Ausbau der Riemli- und der Dorfstrasse. Der Gesamtsteuerfuss bleibt für das Jahr 1975 mit 160 Prozent für reformierte Steuerpflichtige unverändert. Um den mutmasslichen Ausgabenüberschuss im Ordentlichen Verkehr des Politischen Gemeindegutes decken zu können, wird ein Steueransatz von 49 Prozent erhoben.»

Was den Ausbau der «Dorfstrasse» betrifft, der in derselben Gemeindeversammlung genehmigt wurde, muss es sich um die Oberdorfstrasse handeln. Womit dieser NZZ-Fehler nach bald einem halben Jahrhundert auch noch korrigiert sein dürfte.

Fassungsvermögen 700 Kubikmeter

Tatsächlich gebaut wurden dann zwei Kammern mit je 350 Kubikmetern, d.h. zusammen 700 Kubikmeter, wie WeiachBlog auf Anfrage beim Brunnenmeister Peter Brunner in Erfahrung bringen konnte. Davon sind 300 Kubikmeter die gemäss den Vorschriften vorzuhaltende Löschwasserreserve. Diese darf nicht angetastet werden. 

Die Weiacher Haushalte können aus dem Reservoir Haggenberg also maximal 400 Kubikmeter beziehen. Wenn der Strom ausfällt, dann kann man kein Grundwasser hochpumpen. Dann sind nur noch die Quellfassungen mit einer Schüttung von rund 70-80 Minutenlitern verfügbar. Es dauert also rund dreieinhalb Tage bis so viel Trinkwasser von den Fassungen am Haggenberg ins Reservoir geflossen ist.

Hoher Steuerfuss der Politischen Gemeinde

Umgerechnet auf die Geldwerte im 21. Jahrhundert (Jahr 2009; swistoval.ch) würde sich der damalige Reservoir-Baukredit je nach verwendeter Indexierung auf zwischen 1.7 und 2 Millionen belaufen.

All diese Bauvorhaben belasteten die Gemeindekasse enorm. Wie wir in WeiachBlog Nr. 1972 gesehen haben lag der Ansatz des Gemeindeguts drei Jahre vorher noch bei 33 Prozent. Nun mussten 49 (!) erhoben werden, was seinen Grund in der intensiven Bautätigkeit bei gleichzeitig konservativer Finanzierungsstrategie haben dürfte. Und dass da gebaut wurde, das konnte jedermann sehen, der nicht blind an der Hofwiese vorbeilief.

Quellen

Donnerstag, 24. August 2023

Zivilstandsnachrichten, ein Eingriff in die Privatsphäre?

Zu Zeiten des Ancien Régime führte die Zürcher Obrigkeit ab 1634 in allen Gemeinden Bevölkerungszählungen durch. Das älteste erhaltene Tauf-, Ehe- und Totenregister der Gemeinde Weiach hebt im Jahre 1609 an und befindet sich heute im Staatsarchiv (Signatur: StAZH E III 136.1).

Der staatliche Datenhunger hat aber schon kurz nach der Reformation eingesetzt: «Das Verdienst Zwinglis und der Reformation, die Kirchenbücher im Zürcher Gebiet eingeführt und dadurch weithin beispielgebend gewirkt zu haben, ist unbestritten.» (Hauser 1940, S. 35)

Bürgermeister und Rat verpflichteten die jeweils zuständigen Pfarrer u.a., von ihnen durchgeführte Taufen (und damit faktisch die Geburten) aufzuzeichnen. Begründet wurde diese Massnahme mit dem Kampf gegen Wiedertäuferei und katholischen Einfluss. Man wollte so die Seelen für die richtige Religionsauffassung retten. 

Soziale Kontrolle als Schutz vor Hunger und Elend

Profanere Gründe hatte die Vorschrift, dass Heiratsabsichten dem Pfarrer anzukündigen waren. Der musste dann abklären, ob genügend finanzielle Mittel für das Erhalten einer Familie vorhanden und die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Mann und Frau nicht zu eng waren.

Eine Dorfgemeinschaft hatte damals aus Gründen der Armenfürsorge alles Interesse daran, dass nicht jedermann Kinder auf die Welt setzen kann. Und daher war fast jede Art von sozialer Kontrolle zwecks Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen vor Übernutzung mit einer à priori sehr hohen gesellschaftlichen Akzeptanz ausgestattet.

So wurde die Bevölkerung dazu erzogen, eine Heirat vor der Hochzeit öffentlich verkünden zu lassen, zuerst von der Kanzel aus, nach der Einführung des Zivilstandswesens im Jahre 1876 auch durch öffentlichen Anschlag, z.B. am Gemeindehaus.

Einmischung in Privates noch gerechtfertigt?

Fallen diese Gründe aber weg, dann stellt sich die Frage neu. Wenn mangelnde Finanzmittel kein Ehehinderungsgrund mehr sind und die Verehelichung und selbst Kinder als reine Privatsache angesehen werden, dann stellt sich die Frage nach dem Datenschutz. Das war bereits vor 50 Jahren so, wie man einem längeren Beitrag in der Tageszeitung «Die Tat» entnehmen kann:

«(-f.) «Soll die öffentliche Publikation von Zivilstandsfällen (Geburten, Todesfälle, Eheverkündigungen und Trauungen) in Zukunft abgeschafft werden?» Diese Frage stellte die Direktion des Inneren des Kantons Zürich allen Zürcher Gemeinden. Anstoss zu dieser Umfrage haben vor allem die zunehmenden Dispensionsgesuche (die sich allerdings immer noch im bescheidenen Rahmen halten) von öffentlicher Publikation bei der Direktion des Inneren gegeben. Direktionssekretär Dr. Hans Hug stellte auf unsere Anfrage dazu fest, dass immer mehr Menschen die Publikation ihres eigenen Zivilstandsfalles als Einmischung in ihre Privatsphäre betrachten. Zudem werde das Problem im Kanton unterschiedlich behandelt, da es in der Kompetenz der einzelnen Gemeinden liege, Zivilstandsfälle zu publizieren. Es bestehe allerdings die Tendenz zur Ablehnung, und wenn sie stark genug sei, könne dies durch eine Aenderung in der kantonalen Zivilstandsordnung verankert werden. Diese Ansicht vertritt auch der bisherige Präsident des Verbandes Zürcher Zivilstandsbeamter, Heinz Attinger. Seiner Ansicht nach müsse in der heutigen Zeit die Intimssphäre des Menschen weitestgehend gewahrt, und deshalb sollten Zivilstandsmeldungen generell nicht publiziert werden. 

«Meiers Barbara» nicht mehr in der Zeitung? 

Keine Geburten mehr, keine Todesfälle, wird man nicht mehr lesen dürfen, wer wen wann heiraten will? Was sagen die Gemeindeväter dazu? Handelt es sich wirklich nur um die persönliche Freiheit des Einzelnen – oder geht mit der Aufhebung der amtlichen Publikationen nicht doch ein Stück «gemeinschaftliches Mitleben» – nicht «Darüberherfallen» – verloren? Wir haben in kleinen und grossen Gemeinden des Kantons nachgefragt. Die grossen Gemeinden, die in den letzten Jahren ausserordentlich starken Zuzug von aussen erhalten haben, entscheiden generell nicht anders als die kleinen Gemeinden, deren seit Jahrzehnten bestehende Gemeinschaft nicht gestört worden ist. Auf beiden Seiten sind sowohl zustimmende wie ablehnende Argumente unterschiedlicher Art zu hören.

«Weiblicher Gwunder»? 

Das zumindest ist die Ansicht der Winterthurer. Hier wird man auch in Zukunft in allen vier amtlichen Publikationsorganen sämtliche Zivilstandsfälle veröffentlichen, weil es einem Bedürfnis entspreche und weil vorwiegend die weibliche Bevölkerung daran interessiert sei. Natürlich sieht man in Winterthur auch Nachteile, aber weniger in der Verletzung der Intimsphäre des Menschen, eher in der Ueberschwemmung des einzelnen mit Propagandamaterial, vor allem bei Geburtsanzeigen.

Auch in Bülach (12 000 Einwohner) wird man die Zivilstandsfälle weiter veröffentlichen. Junge Mütter, hiess es hier, legten Wert darauf, das [sic!] Geburten veröffentlicht würden, und Zivilstandsfälle würden ganz generell vom Leser verfolgt. Bachenbülach hingegen hat nie publiziert und wird auch jetzt, mit 2600 Einwohnern, von dieser Gewohnheit nicht abweichen, sondern ist für eine generelle Abschaffung. Hirzel am Südzipfel des Kantons mit 1170 Seelen will wegen der älteren Leute nicht darauf verzichten. «Man kennt sich noch in der Gemeinde.» Das gleiche gilt für Unterstammheim (675) und für Dättlikon (349). In Oetwil an der Limmat (808) und in Weiach (682) allerdings werden trotz der niedrigen Einwohnerzahl keine Zivilstandsfälle veröffentlicht. 

Keine Firmeninteressen fördern?

In Horgen (17 500) werden nur noch monatlich die Todesfälle und die Eheverkündigungen veröffentlicht, weil diese «im öffentlichen Interesse liegen». Kein Interesse hat die Gemeinde daran, Firmen durch Publikation von Geburten und Heiraten zusätzliches Adressmaterial zu liefern. Auch Adliswil (16 600) sieht nur in der Publikation von Eheverkündigungen und Todesfällen einen «Dienst am Bürger» und will weder Adressmaterial liefern noch «öffentlichen Gwunder» stillen. In Bonstetten (1718) hingegen vertritt man die gegenteilige Meinung. Man behält die völlige Publikation bei. Hauptgrund: wenn Vertreter und Firmen kein Adressmaterial mehr finden, wie sollen sie dann ihr Brot verdienen? Sie seien darauf angewiesen. Erst als zweiter Grund wird die Orientierung nicht nur der älteren Generation über einen Teil des Gemeindegeschehens genannt. 

Man kennt sich oder lernt sich kennen 

Richterswil (7700) wird die Publikationen weiter führen. Zur ständigen Orientierung des Einwohners gehörten auch die Zivilstandsmeldungen. Das Bedürfnis dafür sei vorhanden, entweder weil man sich kenne oder weil man sich kennen lerne. Auch in Grüningen (2150) ist man dieser Ansicht. Die Publikation von Geburten, Todesfällen, Eheverkündigungen gehören, so sagte man uns, zum Zusammenleben in einer Landgemeinde, die trotz aller Vermassung ringsherum eben doch noch Zusammenhalt habe. Die Stadt Zürich (über 400 000) ist für Abschaffung der Publikation. Der Gemeinderat von Affoltern am Albis (7850) hingegen weist darauf hin, dass speziell die Alteingesessenen auf diese Nachrichten warten. Denn durch sie erfahre man, was mit Gemeindebürgern, die nicht mehr in der Gemeinde wohnen, «los sei». Man hänge an dieser Information, die teilweise weit über die Landesgrenzen hinaus reichten. [sic!]

Bestimmt nicht alles nur «Neugierde» 

Wer sich heute in Gemeinden mit öffentlicher Publikation von Zivilstandsfällen schützen will, kann ein Gesuch an die Direktion des Inneren richten. Ganz sicher aber ist vor allem, dass viele Leser gerade von Lokalzeitungen die Informationen durch die Publikation der Zivilstandsfälle schätzen. Für viele geht es weit über «Neugierde» hinaus, es ist für sie echte Information über das Leben im Rahmen der eigenen, aber auch in dem der Nachbargemeinden. Und in dem Sinn wäre eine Aufhebung der Publikation zu bedauern.»

Man sieht hier, dass in dieser Frage der Vielfalt an möglichen Modellen kaum Grenzen gesetzt waren. Jede Gemeinde konnte das faktisch noch handhaben wie sie wollte.

Gemeinde Weiach im «Behörden-Snapchat-Modus»

Der «Tat»-Redaktor hat oben ja die Behauptung in die Welt gesetzt, bei uns seien damals die Zivilstandsfälle nicht veröffentlicht worden. Da liegt er allerdings aufgrund einer – wohl professionsbedingten Einschränkung des Denkens – nicht ganz richtig. 

Korrekt gewesen wäre die Formulierung: «keine Zivilstandsfälle in der Regionalpresse veröffentlicht».

Wie von alt Gemeindeschreiber Hans Meier in Erfahrung zu bringen ist, war es damals und noch bis 1982 so, dass der Weiacher Zivilstandsbeamte seine Geschäftsfälle per Aushang im Mitteilungskasten am Gemeindehaus «publiziert» hat. Dort konnte man auch die Gemeinderatsprotokolle einsehen. Zivilstandsnachrichten wurden also sehr wohl veröffentlicht. In der Gemeindewandzeitung, in einem Exemplar und für beschränkte Zeit. Wie bei Snapchat verschwand die Zivilstandsangelegenheit nach einer bestimmten Zeit spurlos aus dem Mitteilungskasten. Ganz einfach deshalb, weil sie neueren Nachrichten Platz machen musste.

Deshalb brauchte Weiach auch kein amtliches Publikationsorgan in Form von einer der Regionalzeitungen. Für die Bedürfnisse der vor Ort Ansässigen reichte das Anschlagbrett. Ganz anders als in Dättlikon oder Unterstammheim präsentierte sich also die Situation in Weiach nicht. Nur aus der Sicht eines Journalisten in der Stadt Zürich war das Weiacher Verfahren halt keine Publikation.

Heute werden nur noch Todesfälle bekanntgegeben...

So war die Situation 1974. Und wie ist das heute? Heutzutage ist die Frage weitgehend zugunsten der Privatsphäre entschieden. Zivilstandsfälle werden nicht mehr publiziert. 

Es sei denn die Betroffenen (z.B. die Eltern eines Kindes bei seiner Geburt; oder die Eheleute im Falle einer Verheiratung) willigen explizit in die Veröffentlichung im Mitteilungsblatt der Gemeinde ein. Dort wird dieser Grundsatz wie folgt formuliert: «Über die Veröffentlichung ihrer Namen entscheiden die Betroffenen selber.» Eine Art Opt-in-Verfahren also. Dasselbe Verfahren gilt bei uns im Bereich des Bestattungswesens.

Rein rechtlich gesehen ist es aber laut dem für Weiach zuständigen Zivilstandsamt in Bülach so, dass Todesfälle grundsätzlich veröffentlicht werden müssen. Da wäre dann nur ein partielles Opt-out-Verfahren möglich.

... und das müssen sie laut Gesetzgebung auch

Folgt man dem Wortlaut der kantonalen Bestattungsverordnung (ZH-BesV; 818.61) dann gibt es an der grundsätzlichen Publikationspflicht nach aktueller Rechtslage tatsächlich nichts zu rütteln:

§ 17. Öffentlichkeit 

1 Ohne anderslautende Willenserklärung der anordnungsberechtigten Person sind Abdankungen und Beisetzungen öffentlich. [D.h. jedermann darf daran teilnehmen]

2 Die Wohngemeinden veröffentlichen die Personalien der verstorbenen Person.

3 Ohne anderslautende Willenserklärung der anordnungsberechtigten Person können sie Zeit und Ort der Abdankung veröffentlichen.

4 Die Veröffentlichungen erfolgen in den amtlichen Publikationsorganen der Gemeinden oder in anderer geeigneter Form.

§ 17 Abs. 2 stipuliert eine Publikationspflicht der Wohngemeinde. Im Prinzip wäre laut § 17 Abs. 4 auch heute noch eine Veröffentlichung am Anschlagbrett des Gemeindehauses möglich. 

Die Gemeinde Weiach hat sich allerdings für eine andere Lösung entschieden: die Amtliche Publikation über die Website, bei der diese Informationen im Format PDF für jedermann abrufbar sind und an jede Person übermittelt werden, die sich für diesen Service auf der Website angemeldet hat.

Verfügung von Todes wegen wirkungslos

Der Todesfall an und für sich unterliegt also dem Öffentlichkeitsprinzip – lediglich die Veröffentlichung des Zeitpunkts der Bestattung und der Abdankung kann abgelehnt werden. 

Man kann also zwar zu Lebzeiten in einer Verfügung von Todes wegen verlangen, es dürfe der eigene Todesfall nicht veröffentlicht werden. Oder dieses Begehren nach dem Ableben durch Angehörige stellen lassen. Die Gemeinde ist dennoch verpflichtet, zumindest die Eckdaten zu publizieren.

Das von Katica Orschel, ehemalige Leiterin Bestattungswesen, verwendete Schema umfasste die folgenden Angaben: Name, Vorname, Wohnort, Jahrgang, Heimatort/Staat, Verstorben am. War die Aufenthaltsadresse ausserhalb unserer Gemeinde Weiach gelegen, hat sie Weiach als «Gesetzlicher Wohnort» bezeichnet.

Die nach dem Schweizerischen Zivilgesetzbuch korrekte Bezeichnung für letzteren Begriff müsste allerdings «Wohnsitz» lauten: 

«Der Wohnsitz einer Person befindet sich an dem Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält; der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz.» (Art. 23 Abs. 1 ZGB)

Wobei dieser Begriff gleichzeitig Exklusivität beanprucht: «Niemand kann an mehreren Orten zugleich seinen Wohnsitz haben.» (Art. 23 Abs. 2 ZGB)

Quellen

  • Hauser, E.: Die Sammlung der zürcherischen Pfarrbücher im Staatsarchiv. In: Zürcher Taschenbuch auf das Jahr 1941, Jg. 61, Zürich 1940 – S. 27-36.
  • Eingriff in die Intimsphäre des Bürgers? Amtliche Publikationen – ja oder nein? In: «Die Tat», Nr. 91, Zürich, den 19. April 1974 – S. 5.
  • Persönliches Gespräch mit alt Gemeindeschreiber Hans Meier, 22. August 2023.
  • Telefonische Auskunft Zivilstandsamt Bülach vom 24. August 2023.

Montag, 21. August 2023

Deutscher Fernsehumsetzer an der Fasnachtflue

Eines der herausragendsten Kennzeichen der modernen Zeit auf unserem Gemeindegebiet ist der Antennenmast an der Fasnachtflue

Hans Rutschmann-Griesser hat ihn auf seinen Bildern konsequent ausgeblendet. Mit einer Ausnahme: auf ausdrücklichen Wunsch ist er auf der 2003 entstandenen, nach den tatsächlichen Verhältnissen verfertigten Zeichnung verewigt, die das Titelblatt der Monografie zur Ortsgeschichte in der Tradition Zollingers ziert (vgl. die entsprechende Themenseite auf weiachergeschichten.ch).

In der nordwestlichen Ecke des Waldes, der hier noch zum Gebiet Fasnachtflue gehört (vgl. die Flurnamenkarte 1958 von Boesch), steht er nun – seit mittlerweile bald einem halben Jahrhundert. Dass der Mast mit dem in luftiger Höhe rund um den Turm tonnenförmig angebrachten Technikraum von den heutigen Telekommunikationsfirmen in ihren Mobilfunkausbaugesuchen den Flurnamen Betzenacher angeheftet bekommen hat, ist wieder einmal einer dieser Betriebsunfälle der Namensgebung durch Ortsfremde, die sich in diesem Fall am Namen der darunter an der Büechlihaustrasse liegenden Wiese vergriffen haben.


Es werden «Füllsender» installiert

Vom Anbruch der neuen Zeiten kündete ein Kurzbeitrag in der NZZ am Sonntag, 22. April 1973:

«(pd) Im Sinne eines mit der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Abkommens über das Errichten und Betreiben von Radio- und Fernsehanlagen in Grenzgebieten, sind zwischen den schweizerischen PTT-Betrieben und der Deutschen Bundespost Verhandlungen über den Bau von Fernsehumsetzern geführt worden. Vorerst sind drei kleine Fernsehumsetzer in den Gemeinden Mammern, Weiach und Laufenburg AG geplant, um die rechtsrheinischen Orte Oehningen, Hohentengen und Laufenburg/Baden mit den drei deutschen Fernsehprogrammen zu versorgen. Die Schweiz bekam durch das genannte Abkommen ebenfalls das Recht, Sender im deutschen Grenzgebiet zu erstellen und zu betreiben. Mit Oesterreich, Italien und Frankreich bestehen ähnliche Uebereinkommen.»

Im Gegensatz zu längerwelligen Radiosignalen breitet sich das höherfrequente UHF-Signal des Fernsehens viel geradliniger aus. Es biegt sich weniger gut über einen Hügel hinweg und so ergeben sich entlang des Hochrheins beidseits der Grenze eben Abschattungszonen. 

Laut der Zeitung Die Tat vom 2. Februar 1974 lief der oberhalb Weiach installierte sogenannte «Füllsender» Hohentengen «zurzeit auf Probebetrieb». Die anderen beiden obgenannten Sender waren bereits im regulären Einsatz.

Schweizer Pendant auf dem Nächstenberg?

Wo das Pendant auf deutscher Seite gestanden hat, das die Weiacher mit dem heimischen Fernsehprogramm versehen hat? Der über 100 Meter hohe Turm auf dem Wannenberg ob Bergöschingen ist es wohl nicht gewesen, denn der wurde erst 1995 gebaut. War er auf dem Nächstenberg, dem Hügel gleich nördlich des Ortskerns des Dorfes Hohentengen? Denn dort steht heute ein Funkmast, über den Richtfunkstrecken in die Schweiz betrieben werden.

Laut der Datenbank des BAKOM, die auf dem Kartendienst map.geo.admin.ch hinterlegt ist, fungiert der Mast auf Fasnachtflue nicht mehr als TV-Umsetzer. 

Noch nicht recherchiert ist die Frage, ab wann sich das TV-Signal vom Umsetzer Fasnachtflue verabschiedet hat – und er seither nur noch als Mobilfunkmast verwendet wird. Die Antwort hängt nämlich u.a. davon ab, wann die Hohentengemer zu jedem Haushalt einen Kabelfernsehanschluss verlegt bekommen haben.

Quellen

Samstag, 19. August 2023

Geplantes Mehrzweckgebäude verhinderte Steuerfusssenkung

Noch in den 1960er-Jahren konnte sich die Politische Gemeinde einen Steuerfuss von sagenhaften 0 % leisten (vgl. u.a. WeiachBlog Nr. 1964, dritter Abschnitt). 

Anfangs der 70er aber war das nicht mehr möglich. Warum? Weil die Gemeinderäte vorausschauende Finanzplanung betrieben haben, wie ein Kurzbeitrag von Hillmar Höber in der NZZ erkennen lässt:

«hhö. Auch im Jahre 1972 erfährt der Gesamtsteuerfuß der Gemeinde Weiach gegenüber dem Vorjahr mit 165 Prozent keine Veränderung. Im Hinblick auf den Bau der Turnhalle mußte von einer Reduktion des Steuerfußes Umgang genommen werden, ansonst die Schuldenberge rapid in die Höhe gehen würden. Bei 514 400 Franken Einnahmen und 575 800 Franken Ausgaben rechnet man im Ordentlichen Verkehr des Politischen Gemeindegutes mit einem mutmaßlichen Rückschlag von 59 400 Franken, der durch 33 Steuerprozente – der 100prozentige Staatssteuerertrag beträgt 180 000 Franken – gedeckt wird. Auf der Ausgabenseite sind besonders die angestiegenen Besoldungen und Entschädigungen sowie die Zinsen von angelegten Kapitalien zu erwähnen; auf der Einnahmenseite fällt der kantonale Finanzausgleichsbeitrag ins Gewicht. Der Gesamtsteuerfuß der Gemeinde Weiach setzt sich wie folgt zusammen: Politisches Gemeindegut 33 Prozent, Primarschulgut 80 Prozent, Oberstufenschulgut 27 Prozent und reformiertes Kirchengut 25 Prozent. Die Stimmberechtigten hießen die Voranschläge an der Budgetgemeindeversammlung stillschweigend gut. Auch der Bruttokredit von 298 000 Franken für den Ausbau der Chellenstraße war unbestritten. Es wird ein ansehnlicher Staatsbeitrag erwartet.»

Wer unbedingt bauen will, der opponiert nicht gegen hohe Steuerfüsse

Auf der Hofwiese stand ein für die rund 650 Einwohner zählende Gemeinde geradezu gigantisches Bauvorhaben auf dem Zettel, das die Primarschulgemeinde nicht allein stemmen konnte. Aber auch nicht musste, denn gerade das Mehrzweckgebäude sollte ja massgebend auch der Politischen Gemeinde dienen.

Wenn man grosse Bauvorhaben umsetzen will, dann sollte man einen guten Teil der dafür nötigen Gelder schon angespart haben. So setzte das Politische Gemeindegut für das Steuerjahr einen Ansatz von 33 Prozent fest, was an der Budgetgemeindeversammlung (an der nun auch die Frauen Stimmrecht hatten) zu keinerlei Diskussionen geführt hat. Wie erwartet wurde dann im Sommer 1973 das Grossprojekt durch die Stimmberechtigten auch tatsächlich genehmigt (vgl. WeiachBlog Nr. 1951).

Das Beispiel der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde, die 1964 ebenfalls vor einem grösseren Bauvorhaben stand, nämlich der umfassenden Sanierung und Restauration der Kirche (1965-1969), zeigt übrigens denselben proaktiven Finanzplanungsansatz. Der damalige Steuerfuss von 35 % konnte bis zum Jahre 1972 immerhin auf 25 % reduziert werden.

Ausbau der Chellenstraße

Zum letzten Geschäft dieser Gemeindeversammlung, dem Ausbau der «Chellenstrasse», wie Höber sie hier bemerkenswerterweise explizit nennt, lässt sich anmerken, dass dieser leider nur bis auf die Höhe der Liegenschaft Chälenstrasse 21a/b erfolgt ist. Dort endet das südseitige Trottoir. 

Leider hat man es auch bei der Baubewilligung für die Überbauung Chälenstrasse 23/25/27 versäumt, eine Rücknahme der Baulinie zu verfügen, weshalb ein Trottoir immer noch fehlt, obwohl in den grossen Mehrfamilienhäusern Im Bruchli mittlerweile ein Mehrfaches der Mitte der 70er-Jahre dort ansässigen Bevölkerung lebt. Mit entsprechend gut gefüllten Tiefgaragen.

Ausgerechnet dort ist  im Gegensatz zu den traditionell privilegierten Wohngegenden östlich der Stadlerstrasse im Oberdorf und Büel  immer noch keine 30er-Zone eingerichtet worden.

Quellen

Freitag, 18. August 2023

Der grösste «Velofritze» Zürichs, ein Weiacher Bürger

Velorennfahrer beiderlei Geschlechts, in unserer Gemeinde aufgewachsen und von hier aus auf Veloschläuchen die Welt erobernd. Da kann man aus den letzten Jahrzehnten auf Anhieb einige Namen nennen. Ich sage nur: Walter «Bäumli» Baumgartner (*1953) und Sereina Trachsel (*1981). Aber er?

Wirklich? Kennen Sie diesen Herrn in Kurzarmhemd und Krawatte? Das Porträt ist in der Duttweiler-Zeitung «Die Tat» vom 23. Januar 1971 erschienen. Versehen mit dem Untertitel «Originale unserer Stadt» folgt darunter die Würdigung eines Mannes, der in nächster Nähe des Migros-Genossenschafts-Bund-Hochhauses am Limmatplatz geschäftlich tätig war. Aber auch weit darüber hinaus Wirkung erzielte: August Schmid-Härri (1917-1974).

«Erinnern Sie sich noch an die Zeiten, als in der Schweiz die sieben Bundesräte zusammen etwa so populär und bekannt waren wie ein einziger erfolgreicher Radrennfahrer? An die Zeiten, als wir trotz Regenwetter oder Gluthitze stundenlang dichtgedrängt am Strassenrand ausharrten, um unsere Idole Hans Knecht, Hugo Koblet oder Ferdy Kübler vorbeiflitzen zu sehen? Das waren die Glanzzeiten von Gusti Schmid, dem aktivsten grössten «Velofritzen» Zürichs. Gusti trug nie ein Siegertrikot – seine Siege errang er auf idellem [sic!] und auf organisatorischem Gebiet. Sein Leben war und ist ein Leben für den Radsport! 

Gusti Schmid ist 54 Jahre alt, und – obwohl Bürger von Weiach ZH – ein waschechter Industriequartierler. In jungen Jahren entschied er sich für eine Laufbahn als Dekorateur und Verkäufer. Die Wahl war nicht schlecht – er ist seinem Beruf bis heute treu geblieben. Als 21jähriger eröffnete er in unmittelbarer Nähe der damals noch neuen Kornhausbrücke ein Herrenmodegeschäft – er hat's heute noch.»

In einem späteren Artikel in Die Tat (1. März 1974) wird es als Damen- und Herrenmodegeschäft an der Adresse Kornhausbrücke 2 bezeichnet, d.h. direkt am Limmatplatz.

«Der Verkauf von Hemden, Schuhen, Schlipsen und Manschettenknöpfen füllte Gusti und seine humorvolle, charmante Gattin nie völlig aus. Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges fand Gusti, dass es um den Quartiergeist im Kreis 5 schlecht stehe und organisierte, mit tatkräftiger Unterstützung aller politischen Gruppierungen und Vereine, das heute noch alljährlich durchgeführte Volksfest auf der Josefswiese. Für die Aufgabe, Vereinsfunktionäre und politisch Tätige aller Schattierungen für ein gemeinsames Vorhaben «unter einen Hut» zu bringen, war Gusti schon damals geeignet. Er wäre sicherlich auch ein guter Diplomat geworden!

Gustis Hauptinteresse jedoch galt dem Sport. Als Jüngling versuchte er sich als Schlittschuhläufer und als Skifahrer. Grossen Gefallen fand er am VeIofahren – Anno 1936 trat er dem Veloclub «Industrie» bei. Er ist einer der Väter der seit 1941 regelmässig stattfindenden Vierkantone-Rundfahrt, er war es auch, der die für die Schweizer Fahrer so erfolgreichen Amateur-Steherrennen anregte und durchsetzte, dass sich unsere Nachwuchsfahrer an der «Tour der Jugend» beteiligen konnten. Natürlich verzichteten auch die Organisatoren der «Tour de Suisse» nicht auf die tatkräftige Mithilfe des Velofanatikers Schmid. Im Laufe der Jahre bekleidete Gusti beinahe alle organisatorischen und administrativen Posten – vom «Bürogummi» über den Bürochef bis zum Rennleiter! Heute ist er TdS-Chefkommissär... Ein Nachlassen seiner Aktivität ist nicht abzusehen, obwohl in seinen Anzügen gut und gerne zweieinhalb Leistungssportler bequem Platz fänden. «Ich wür hüt na um de See fahre – und zwar mit em Velo!» [..]»

Ein langes Leben war Gusti nicht vergönnt. In der Ausgabe vom 1. März 1974 berichtete Die Tat, an seiner Abdankungsfeier hätten mehrere hundert Personen teilgenommen, und schliesst mit den Worten:

«Unter der Trauergemeinde bemerkte man zahlreiche Persönlichkeiten aus dem Kreis 5, Fahnen-Delegationen von Vereinen und Verbänden, ferner aus dem Radsportleben: die ex-Weltmeister Oskar Plattner und Hans Knecht, den Chef des Organisationskomitees der Tour-de-Suisse, Sepp Vögeli, Direktor Heinrich Hächler von der Hallenstadion AG.»

An Sepp Vögeli (1922-1992), der übrigens die Tour de Suisse von 1967 bis 1980 ebenfalls im Nebenamt organisiert hat (vgl. Artikel im Historischen Lexikon der Schweiz) kann sich selbst der wenig radsportaffine WeiachBlog-Redaktor erinnern.

Quellen

Donnerstag, 17. August 2023

Bildung, Boden & Botanik. Wilma Willi zur Bundesfeier 2023

Die letztjährige (vgl. WeiachBlog Nr. 1949) und die diesjährige Festrednerin an der Weiacher Bundesfeier haben zwei Gemeinsamkeiten: einen Migrationshintergrund und dieselbe Geschlechtsidentität. In vielen anderen Aspekten dominieren aber die Unterschiede, zumindest äusserlich.

Wilma Willi wurde 1960 in der Republik Südafrika geboren, erlangte dort den Bachelor in Rechtswissenschaften, darauf einen Master in Erziehungswissenschaften an der Universität Edinburgh, Schottland. Abgerundet wird ihre Ausbildung durch ein eidgenössisches Berufsschullehrerdiplom. Und als Berufschullehrerin ist sie nun auch seit über 20 Jahren tätig.

Weltlich und kirchlich engagiert

Das ist aber noch längst nicht alles, wie man den Listen der aktuellen bzw. ehemaligen Mandate und Interessenbindungen auf der Website des Zürcher Kantonsrates entnehmen kann. Diesem gehört sie seit dem 24. Februar 2020 an. Neben ihrem politischen Engagement als Mitglied der Grünen im Bezirk Dielsdorf (ab 2015 im Vorstand), als Präsidentin des Naturschutzvereins Stadel (seit 2010) und als Regionalgruppenleiterin von Birdlife, hat unsere Rednerin auch einen kirchlichen Background. 

So war sie zwischen 2000 und 2019 acht Jahre Präsidentin der Evangelisch-Reformierten Bezirkskirchenpflege, mehr als 15 Jahre Synodale (d.h. Abgeordnete) in der Zürcher Kirchensynode und hat überdies während rund acht Jahren die Landeskirche beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund vertreten (vgl. auch ihre private Website)


Die Einladung des Festredners erfolgt jeweils durch den Gemeinderat, diesmal auf Vorschlag von Manuela Galimberti, die aus Windlach stammt.

Der Wiachiana-Verlag freut sich, den Volltext des Redemanuskripts für die Nachwelt festhalten zu dürfen. Wie üblich wurde der Text orthografisch durchgesehen und ist ansonsten im Originalzustand. Kursiv gesetzter Text stammt von Wilma Willi. Nichtkursive Zwischentitel sowie Internetlinks sind redaktionelle Ergänzungen.

Kantonsrätin Wilma Willi, Co-Präsidentin Grüne Dielsdorf
Ansprache Bundesfeier Weiach 2023

«Geschätzte Weiacherinnen und Weiacher, 
Verehrte Gäste

Dass ich heute hier bei Ihnen die Festrede zur Bundesfeier halte, bedeutet mir viel. Vielen Dank für Ihre Einladung! Von Windlach, wo ich wohne, zu Fuss hier nach Weiach ist es genau 3.5 km. Also komme ich sozusagen aus ihrem Nachbardorf, mit je nach Wanderroute dem Chistenpass oder der Flugzeugabsturzstelle der Alitalia dazwischen. 

Es ist für mich auch deshalb besonders hier zu sein, denn mit Weiach verbindet mich einiges. Als am Anfang von dem jetzigen Jahrhundert ein neuer Wind in der Bildung blies und Frühenglisch in aller Munde war, durfte ich als Erziehungswissenschaftlerin für die Gemeinden Stadel, Weiach und Bachs ein Frühenglischkonzept erstellen und so kam es, dass ich ab 2001 für einige Jahre Englisch in dem kleinen Schulhäuschen an 2. bis 6.-Klässler und -Klässlerinnen unterrichten durfte und auch die Eltern der begeisterungsfähigen Kinder kennenlernte. [Gemeint ist das Alte Schulhaus von 1836 am Schulweg 2, wo auch die Gemeindebibliothek untergebracht ist]

Das glücklichste Land der Welt

Die Schweiz feiert heute Geburtstag. Nun, es liegt auf der Hand, dass wir uns fragen, was wir und was Sie in Weiach am 1. August 2023 zu feiern haben? Es ist momentan nicht gerade schwierig, pessimistisch in die Zukunft zu blicken. Wir haben zum Beispiel schon seit mehr als einem Jahr Krieg in Europa, nicht sehr weit weg von hier. Wie es weitergeht und was die Folgen sein werden, können wir uns noch gar nicht genau ausmalen. Unsere Welt ist momentan in Bewegung und vieles scheint nicht mehr im Lot.

Was haben denn wir zu feiern? Laut der Happy Nations Erhebung 2022 ist die Schweiz das glücklichste Land der Welt. Und das ist seit Jahren so. Immer ist die Schweiz weit vorne dabei. Wieso die Schweiz zu den glücklichsten Völkern zählt, hat aber sicherlich verschiedene Gründe. Ich möchte heute aber nur zwei B’s hervorheben, die zu unserem Glück beitragen. Bildung und Boden. 

Zum ersten B: Bildung.

Die Schweiz hat früh begriffen, dass die Menschen ihre wichtigste Ressource sind. So hat die Einführung der allgemeinen Schulpflicht im Kanton Zürich am Anfang des 19. Jahrhunderts über die letzten 200 Jahren zu einem hervorragenden Bildungsniveau geführt. Dass jede Person einen Berufsabschluss oder Hochschulabschluss hat, ist einmalig auf dieser Welt. Als Lehrerin an der Berufsschule in Bülach, bin ich bis heute nach 23 Jahren an dieser Schule immer noch sehr begeistert vom Bildungssystem und die erfolgreiche und superkluge Kombination von Schule und Berufspraxis. Alle Einwohnerinnen und Einwohner unseres Landes sind Profis. Das befriedigt und macht glücklich. Die Schweiz kann sich rühmen!

Dass wir gerade einen nie dagewesenen Lehrpersonenmangel erleben, zeigt aber, dass nichts, aber gar nichts selbstverständlich ist. Die künstliche Intelligenz, die alles besser als wir Menschen erledigen soll, zeigt uns, dass unsere berufliche Zukunft vor grossen Veränderungen steht. Es warten neue Herausforderungen auf uns! Diese sind aber nur zu bewältigen, wenn wir zusammen und in der Gemeinschaft aufeinander zugehen. Wir Menschen brauchen einander mehr denn je. Denn die Maschinen kennen Mitgefühl, Solidarität und Vertrauen nicht.

Und dann komme ich zum zweiten B: Boden.

Heute stehe ich mit meinen Füssen auf diesem speziellen Fleckchen Erde. Sie, geschätzte Einwohnerinnen und Einwohner von Weiach, haben es gut. Wie viele unserer Dörfer im Zürcher Unterland, kann sich Weiach als Bauerndorf bezeichnen. Das kleinbäuerliche Leben Ende des 19. Jahrhunderts wird im Ortsmuseum, mit dem Thema «Unser Dorf, unsere Geschichte» gezeigt. Aber nicht nur Ackerbau wird hier betrieben, seit über 700 Jahren werden hier schon Reben gepflegt und Wein angebaut, früher eher sauer, heute aber durchaus qualitativ hochstehend. Günter Altner lebte von 1936 bis 2011 und war ein deutscher Biologe. Er schrieb einmal: „Vom Wert der Natur, das heisst auch des Bodens, kann nur derjenige wissen, der mit ihr gewirtschaftet hat.“ Damit haben Sie also hier in Weiach reichlich Erfahrung.

Boden bedeutet für Sie hier in Weiach aber bei weitem nicht nur Ernährung, sondern auch Reichtum, nämlich Kies. So wurde Ihre Gemeinde wohlhabend. Tiefe Steuerfüsse und schöne Ortsbilder ziehen Menschen an und Menschen müssen wohnen. Der Preis, der dafür bezahlt wurde, viele Überbauungen und die Erschliessung neuer Wohngebiete. Somit wird es für die Gemeinde eine wichtige Aufgabe, dass alt und neu zusammenwachsen und gedeihen. Alle Einwohnerinnen und Einwohner haben eine wichtige Aufgabe!

Biologie (an unseren Hängen; drittes B)

Liebe Anwesende, ich muss zum Weiacher Boden noch etwas anfügen: Hier gedeihen richtige Naturschätze. Mit den lichten Wäldern Fasnachtsflue und Leuenchopf haben Sie kantonale Hotspots der Biodiversität. Das überkommunale Schutzgebiet im Bifig ist dazu noch Lebensraum des sehr seltenen Pflaumenzipfelfalters. Ich hatte das Glück es kennenzulernen als ich an einer Heckenpflegeaktion in diesem Gebiet mitarbeitete, speziell um diese Aktionsplanart zu fördern.

Beerdigung (von radioaktiven Abfällen; viertes B)

Alles im Leben hat jedoch zwei Seiten: Im letzten September, just an dem Wochenende als Sie hier Ihre tolle 750-Jahrfeier durchführten, haben wir erfahren, dass dank unserem Boden, oder besser gesagt unserem Untergrund, Stadel, Glattfelden und Weiach als Standortgemeinden für das geologische Tiefenlager für radioaktive Abfälle vorgeschlagen wird. Dass wir die perfekten geologischen Voraussetzungen für die sichere Lagerung haben sollen, war nicht unbedingt nur eine gute Nachricht. Die Abklärungen und die Prozesse laufen momentan und in einem guten Jahr, Ende 2024 wird das Rahmenbewilligungsgesuch für das Tiefenlager beim Bund eingereicht. 

Wie Ihr Gemeindepräsident Stefan Arnold in einem Beitrag erwähnte, waren die ersten Gedanken: Wieso gerade bei uns? Aber wir alle hier sind realistisch genug um zu verstehen, wenn es am sichersten ist, sind wir bereit, die Last zu tragen. Die wichtigste Voraussetzung ist sicherlich, dass die Gemeinden Weiach, Stadel und Glattfelden gerecht behandelt werden. Wir müssen zusammenstehen und die nötige Unterstützung einfordern und auch erhalten. Es mutet zwar etwas merkwürdig an, dass diese Unterstützung nicht im Voraus bekannt ist und nicht mal im Umfang definiert wurde. Schliesslich müssen wir eine nationale Aufgabe übernehmen. Wie unsere Gemeinderäte und wir mit Ihnen, dies bewerkstelligen werden, wird gerade geregelt. Wichtig ist aber, dass wir alle uns informieren und unsere Fragen einbringen. Wir müssen Fairness und eine schweizweite Solidarität einfordern. Geschätzte Anwesende, unsere Zukunft wird anspruchsvoll. Sie ist dennoch eine Chance, denn wenn wir alle diese zusammen anpacken, können wir sehr viel erreichen.

Begeisterung (über Schatzfund; fünftes B)

Aber vielleicht haben Sie wieder Glück im Unglück: Der Weiacher Boden ist und war schon immer für Überraschungen gut. Im Vorfeld des geplanten grossflächigen Kiesabbaus im Gebiet von Weiach-Langächer entschloss sich die Kantonsarchäologie Zürich eine umfassende Untersuchung zu veranlassen. Der grösste keltische Silberschatz des Kantons Zürich wurde so im 2020 am Sanzenberg gefunden. Eine wahre Sensation! Wer weiss, welche weiteren Sensationen Sie noch erleben werden! Das wünsche ich Ihnen vom ganzen Herzen!

Denn liebe Weiacherinnen und Weiacher zusammen mit allen Einwohnerinnen und Einwohner dieses wunderbaren Kantons, und unserer wunderbaren Schweiz, soll es uns Wert sein, uns für unsere schöne lebenswerte Gegend und weiterhin tolle Böden einzusetzen. Oder zumindest einen Baum zu pflanzen! Ein Botaniker, Raoul Francé, der von 1874 bis 1943 lebte sagte bereits vor 100 Jahren: „Die ganz dünne Decke zwischen dem Grundwasserspiegel und dem grünen Pflanzenkleid, das ist der Reichtum eines Landes.“ Also unser Boden. Das ist nichts Neues. Packen wir es gemeinsam an – für uns, für unsere Kinder, und für ein noch glücklicheres Leben! Die Erde braucht uns. Unser Boden braucht uns!

Geschätzte Festgemeinschaft, gutes Gelingen wünsche ich Ihnen und uns allen!

Vielen Dank und alles Gute!»

Kommentar WeiachBlog

Für Weycher Ohren tönt die Gebietsbezeichnung Weiach-Langächer höchst ungewohnt. Da kann die Frau Kantonsrätin aber wenig dafür. So ist das eben, wenn eine Fachstelle auf Ebene Kanton (hier die für Denkmalpflege und Archäologie) auf die aktuelle, online verfügbare Karte der Swisstopo schaut und sich einen Namen für ein Gebiet aussucht. In den Karten sieht man je nach Zoom-Level eine sehr unterschiedliche Namenlandschaft. Sie können sich selber davon überzeugen: https://maps.zh.ch/s/ygiwuiey – zwischen 1:6200 und 1:6250 wechselt die Darstellung.

Langächer ist jedoch nicht der Name für dieses Gebiet, lediglich eine Teilmenge dieser ganzen Fläche. Sie setzt sich von Ost nach West aus den Fluren Inner Hasli, Chürzi, Langächer und Usser Hasli zusammen. Und die werden in Summe im lokalen Sprachgebrauch eben Hasli genannt. Auf alten Karten der Landestopographie steht das auch noch so drauf: https://maps.zh.ch/s/6yjmr2hf. Nur: bei der Swisstopo hat man das für die neueren Ausgaben nicht berücksichtigt. 

Die Terrassenebene des Hasli, auf der Weycher Seite eingerahmt von der Haslistrasse auf der Nordseite und dem Fisibacherweg auf der Südseite, ist Standort von zwei Weiacher und einem Fisibacher Aussiedlerhof sowie zwei Schützenhäusern samt Scheibenständen. 

Dort will die ARGE Hasli (eine Arbeitsgemeinschaft bestehend aus der Weiacher Kies AG und der Marti AG, Bauunternehmung in Zürich) in den nächsten Jahren in grossem Stil Kies abbauen. Am 31. August findet dazu im Ebianum Fisibach eine Informationveranstaltung statt.

Literatur

Mittwoch, 16. August 2023

KI-Chatbots und die Weiacher Ortsgeschichte

Vierte Industrielle Revolution. Künstliche Intelligenz. Robotik. Big Data. In diese Richtung wird die Entwicklung schon seit Jahren auf Hochtouren vorangetrieben. Vom einen oder anderen Humanoid-Roboter abgesehen, blieb das in der breiten Öffentlichkeit bislang eher unbemerkt, da die neuen Technologien nur wenigen Fachleuten zugänglich waren und meist unsichtbar in den Produkten verbaut wurden.

Neu ist das also keineswegs. Mit dem Launch von ChatGPT durch die US-Firma OpenAI hat sich der Blick darauf aber gründlich geändert. Ab dem 30. November 2022 stand das Tool für die breite Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung. 

Chatbot-Boom

Nachdem sich bereits im Januar 2023 über 100 Millionen Nutzer weltweit dort angemeldet hatten, konnten besonders die für die öffentliche Wahrnehmung als Türsteher fungierenden Kreise (Lehrkräfte, Journalisten und Politiker) nicht mehr umhin zuzugeben, dass sich da Regelungsbedarf ergibt. Zum Beispiel, weil Schüler mit dem neuen Tool das Lernen umgehen und sich ganze Hausarbeiten schreiben lassen könnten. 

Mittel- und langfristig scheint es durchaus realistisch zu sein, dass auch viele aktuell noch gutverdienende Kreativ-Jobs (darunter die obgenannten Personengruppe) zusehends durch KI-Tools ersetzt werden könnten.

Noch ist es – zumindest in der Breite – nicht soweit. Der Chatbot, der auf dem Sprachmodell GPT-3.5 (GPT steht für Generative Pre-trained Transformer) basiert, wird zwar mit Unmengen schriftlicher Daten angelernt. Und anschliessend auf die eigentlichen Aufgaben trainiert. Das menschliche Urteilsvermögen vermag dieses Tool aber (noch) nicht zu übertreffen.

Unsere Geschichte ist nicht KI-tauglich

Die Weiacher Ortsgeschichte jedenfalls wird noch längere Zeit durch einen Menschen geschrieben werden müssen. Weshalb, ist klar. Die Gewinnaussichten rechtfertigen den Trainingsaufwand für die KI-Tools schlicht nicht. Vor allem dann nicht, wenn Forschungsbedarf über viele, lediglich in analoger Form vorliegende Archivbestände hinweg besteht.

Für einfache Fragen, wie zum Beispiel die nach den Hintergründen zum Flurnamen Verfluchter Platz, sind solche Chatbots durchaus in der Lage, aus den Google-Suchresultaten die relevanten Informationen herauszufiltern und sie in einem Kurztext zu präsentieren. 

Das funktioniert aber nur dann einigermassen, wenn a) bereits dazu publiziert wurde (wie zum Verfluchten Platz, vgl. Weiacher Geschichten(n) Nr. 108) und die Informationen nicht nur in Fachartikeln auf einer Forschungsdatenbank verfügbar sind, sowie b) wenn keine offenen Fragen eine eindeutige Antwort verbieten, wie das bei der folgenden, eigentlich simplen Frage der Fall ist: 

Wer hat das Weiacher Pfarrhaus erbaut und wann?

Zu diesem Thema ist online einiges an Material verfügbar (v.a. in Artikeln, die der Autor dieser Zeilen unter Verwendung von Auszügen aus der gedruckten Literatur verfasst und online gestellt hat). Dabei konkurriert jedoch eine ziemlich grosse Masse älterer Literatur (mit veralteten Angaben) mit wenigen neueren Beiträgen, die den heutigen Forschungsstand abbilden.

Zur Illustration gehen wir medias in res (d.h. mitten hinein in die Sache) und konfrontieren zwei solcher Bots (ChatGPT-3.5 und Bing-Chatbot) mit dieser Frage.

ChatGPT: Münchhausen mit wahrem Kern

Solche Antworten sind durchaus typisch für den heutigen Stand von ChatGPT in der Version 3.5. Man könnte sie nun als Lügengeschichten im Stile des Baron Münchhausen bezeichnen. Denn aus der verfügbaren Literatur geht in keiner Art und Weise hervor, dass ein Enkel des Zwingli-Nachfolgers Heinrich Bullinger (1504-1575) als Bauherr des heutigen Pfarrhauses Büelstrasse 17 gelten darf. Auch die Jahreszahl wirkt abenteuerlich aus der Luft gegriffen, fast so, als handele es sich um einen Ersatzbau für das 1658 abgebrannte erste Pfarrhaus, das durch den Zürcher Staat 1591 angekauft worden war.

Korrekt ist, dass es sehr wohl einen Enkel dieses berühmten Zürcher Kirchenvorstehers gegeben hat, der in Weiach tätig war. Joh. Heinrich Bullinger (1566-1611; WPZ21 Nr. 64) war allerdings nur kurze Zeit im Jahr 1589 als Pfarrer für unsere Gemeinde zuständig. Um noch 1662 als Bauherr gelten zu können hätte er überdies ein für die damalige Zeit fast biblisches Alter erreichen müssen. Das war ihm aber nicht vergönnt, starb er doch zusammen mit seinen 11 Kindern an der Pest. Einzig seine Ehefrau hat das Jahr 1611 überlebt. Also über weite Strecken eine Münchhausiade.

Bemerkenswert: Die Verbindung des Bullinger-Enkels zu Weiach findet man in gedruckten Werken (aus den Jahren 1890, 1916 und 1953), die somit in digitalisierter und maschinenlesbarer Form auch zum Trainingsbestand gehört haben müssen. Ein wahrer Kern also, aus dem die KI eine Konfabulation gestrickt hat.

Bing-Chatbot: Schwierigkeiten mit offenen Fragen

Nicht viel besser präsentiert sich die Konkurrenz von Microsoft, konkret das Chat-Modul der Suchmaschine Bing, das aktuell fünf Fragen pro Tag zulässt:

Auch hier resultiert eine mit Blick auf die aktuellen Erkenntnisse der Weiacher Ortsgeschichtsforschung abenteuerliche Jahrzahl, bei der man höchstens noch fragen müsste, was denn die Definition eines Baujahrs konkret sein soll. Ein Erstellungsjahr ist gerade bei alten Häusern mit vielen Umbauphasen keineswegs so einfach festzulegen. Geradezu exmplarisch illustrieren lässt sich diese Frage an japanischen Tempeln, die gleichzeitig weit über ein Jahrtausend alt und dennoch nie älter als zwanzig Jahre sind (vgl. die Bundesfeier-Ansprache 2021: WeiachBlog Nr. 1728). Nach aktuellem Forschungsstand wäre die erwartete Antwort übrigens «1564» gewesen.

Auch mit der primär gestellten Frage nach dem Erbauer, die noch völlig ungeklärt ist, hat die KI so ihre Probleme. Sie hat zwar die Nadel im Heuhaufen gefunden, bravo! Dann aber die völlig falschen Schlüsse daraus gezogen, indem die deutliche Warnung im Text, die Ausführungen seien «reine Spekulation» (da ohne aktenbasierte Beweislage) sowie Fragezeichen an entscheidender Stelle schlicht ignoriert wurden. 

Korrekt wäre hier die Aussage gewesen, es gebe keine gesicherten Erkenntnisse, lediglich Vermutungen. Und eine dieser Vermutungen ist tatsächlich die, dass ein Neuamtsvogt namens Ziegler der Erbauer gewesen sein könnte. Diese ursprünglich durch den Historiker Dr. Philipp Zwyssig, Projektleiter Kunstdenkmäler bei der Baudirektion des Kantons Zürich, aufgestellte These wird im WeiachBlog-Artikel Nr. 1484 erörtert. Die Amtsbezeichnung «Vogt in Neuamt und zu Weiach» in einem Dokument aus dem Jahre 1570 erweist sich für sich allein als zu wenig tragfähig, auch wenn man in den Wappen der Ziegler mit einem bzw. zwei sechsstrahligen Sternen eine Verbindung zum alten Weiacher Wappenstern sehen könnte.

Man muss das Werkzeug richtig einsetzen

Als Trüffelschwein oder Suchhund eingesetzt, ist so ein Chatbot für den Forscher eine feine Sache. Immerhin führt bspw. der Bing-Bot zielsicher auf den einzigen bisher publizierten Deutungsansatz, wer der Erbauer des Weiacher Pfarrhauses gewesen sein könnte. 

Nur muss man den Trüffel rechtzeitig sicherstellen und dann richtig behandeln. Sonst kommt das nicht gut. Damit das Trüffelschwein einen wirklichen Nutzen hat, sollte es daher konsequent auf die Originalquellen hinweisen, auf denen seine zum Besten gegebene Antwort beruht (wie das der Bing-Bot teilweise schon macht, ChatGPT hingegen überhaupt nicht). Und zwar mittels Verlinkung und/oder einem (wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden) Fundstellennachweis.

Aber wer weiss, vielleicht können das die kommerziellen oder noch internen, höherentwickelten Modelle schon längst.

Montag, 14. August 2023

Plus Kläranlage, minus Römerwachtturm

In der Altjahrswoche 1967 waren die Weiacher Stimmberechtigten noch einmal gefordert, in die Hosen zu steigen. Und das ist wörtlich gemeint, denn damals waren das ausschliesslich Männer. 

Auf dem Tisch lagen vier Vorlagen, über die man zu befinden hatte: Das Budget des Folgejahres, eine Landabtretung und zwei Bauprojekte: einen grösseren Neubau und eine kleine Renovation. Über die Resultate berichtete die NZZ in ihrer ersten Sonntagsausgabe – das gab es damals schon! – des Jahres 1968:

«Weiach, 28. Dez.  In der Gemeindeversammlung wurden sämtliche Budgetvorschläge für 1968 gutgeheißen und der Gesamtsteuerfuß von 180 auf 175 Prozent herabgesetzt. Ein Kredit von 13 000 Franken für eine Renovation des vor 20 Jahren erbauten Gemeindehauses wurde stillschweigend gewährt. Die Römerwarte im Hard, die dem Zerfall nahe ist, wurde dem Kanton abgetreten, der sie erhalten will. Das Hauptgeschäft bildete der Antrag auf Kreditbewilligung für eine Abwasserreinigungsanlage, an die die ganze Gemeinde angeschlossen werden soll. Das Projekt und der Baukredit von 500 000 Fr. fanden Genehmigung. Die Kläranlage für 1500 Einwohner kann später vergrößert werden, so daß sie für die doppelte Einwohnerzahl ausreicht. Da die Abwässer die Anlage mit natürlichem Gefälle durchfließen, wird sie als Tropfkörperanlage erstellt.»

Die Erträge, die seit 1962 dank der Weiacher Kies AG in die Gemeindekasse fliessen, haben mit dazu beigetragen, dass die sonst sehr auf Ausgabendisziplin bedachten Weiacher nun Infrastrukturprojekte angepackt haben, die vor diesen Zeiten wesentlich kritischer beäugt (und bekämpft) worden wären.

Über die Pinselrenovation an der Stadlerstrasse 7 (neues Gemeindehaus) wurde – glaubt man der NZZ – nicht einmal richtig abgestimmt. 

Kostenintensives Uralt-Gemäuer wird man lieber los

Der Bedarf an Altertümern hielt sich nach dem Erwerb der Liegenschaft Müliweg 1, dem Lieberthaus, aus dem nun ein Ortsmuseum entstand, aber offensichtlich in engen Grenzen. 

Trotz des Geldsegens war man an einer der ältesten baulichen Strukturen auf Gemeindegebiet so wenig interessiert wie es schon in den finanziell schwierigeren 50er-Jahren der Fall war. Da kam das Angebot des Ur- und Frühgeschichtsexperten und kantonalen Denkmalpflegers Walter Drack (1917-2000) gerade recht.

Das im Hardwald zu besichtigende konservierte Mauergeviert hat deshalb eine Sonderstellung. Das im Plan der Amtlichen Vermessung ersichtliche Resultat ist das im Staatseigentum stehende Grundstück Nr. 604. Eine Fläche von 183 Quadratmetern, die mitten in der über 33 ha grossen Gemeindewaldung Unter Hard liegt (Parzelle 607 nördlich der Bahnlinie).

Gross-Weiach im Hinterkopf

Besonders aufmerken lässt, dass die zu erstellende Kläranlage von vornherein auf mehr als das Doppelte der damaligen Bevölkerungszahl (rund 650 Einwohner) ausgelegt wurde. Sogar ein Ausbau auf 3000 Einwohner war vorgesehen.

Heute, wo die 1500er-Marke überschritten ist, da fungiert das Klärwerk am Rhihofweg allerdings nur noch als Durchgangsstation. Das Weiacher Abwasser wird von dort nach Kaiserstuhl geleitet, fliesst unter der Rheinbrücke durch und landet im Ausland: bei der ARA der deutschen Gemeinde Hohentengen. –– Vgl die WeiachBlog-Artikel unten für einen kleinen Einblick in die Weiacher Abwassergeschichte.

Quelle und Literatur

  • Kläranlage für Weiach. In: Neue Zürcher Zeitung, Nummer 11, 7. Januar 1968 [Sonntagausgabe] – S. 23.
  • Brandenberger, U.: Spatenstich für Abwasser-Export. WeiachBlog Nr. 25 v. 26. November 2005.
  • Brandenberger, U.: Vor 50 Jahren: Zweite Bauetappe der Kanalisation ausgeschrieben. WeiachBlog Nr. 49 v. 23. Dezember 2005.
  • Brandenberger, U.: Abwasser in den Rhein statt in die Dorfbäche. WeiachBlog Nr. 70 v. 13. Januar 2006.
  • Brandenberger, U.: Der Kanalisationserstellung dritte Etappe. WeiachBlog Nr. 369 v. 27. Januar 2007.
  • Brandenberger, U.: Abwasserexport funktioniert schon seit einem Jahr. WeiachBlog Nr. 413 v. 1. April 2007.
  • Brandenberger, U.: Der Startschuss zu einem Regenwasserklärbecken. WeiachBlog Nr. 981 v. 6. Februar 2011.

Donnerstag, 10. August 2023

Politiker entrüstet über Aktionskomitee «Pro Mittelschule Unterland»

Die Kantonsschule Zürcher Unterland (KZU) hat letztes Jahr ihren 50. Geburtstag gefeiert, genauer gesagt: am 15. Mai 1972. An diesem Tag wurde sie eröffnet. Vorerst noch in einem Provisorium. Seit 1979 findet der Schulbetrieb im heutigen Gebäudekomplex am Ostrand der Stadt Bülach statt.

Von diesem Jubiläum hat letztes Jahr kaum jemand Notiz genommen. Dabei war die Gründung dieser Schule in den 1960ern ein im Zürcher Unterland vieldiskutiertes Anliegen.

Unterländer Kantonsräte auf später vertröstet

Die in der Region führenden Politiker mussten noch in den 50ern bittere Pillen schlucken, so wie 1958 der FDP-Kantonsrat Albert Mossdorf (1911-2001):

«Der Regierungsrat hatte beantragt, eine ihm zur Prüfung überwiesene Motion des Bülacher Freisinnigen A. Mossdorf für eine Mittelschule Zürcher Unterland als erledigt abzuschreiben, da die Schülerzahl für ein solches Institut noch auf Jahre hinaus ungenügend wäre. Die Mehrheit der vorberatenden Kommission schließt sich diesem Standpunkt an, wie ihr Sprecher heute bekanntgibt. Der Motionär aber verficht im Namen der Kommissionsminderheit energisch den Antrag auf Erheblicherklärung der Motion. Er wirft dem regierungsrätlichen Bericht vor, mit veraltetem Zahlenmaterial zu operieren und tritt dann mit Hinweisen auf die wertvollen Grundsätze der Regionalplanung und der Dezentralisation für die Errichtung einer Mittelschule in Bülach ein, wobei er nicht verfehlt, den großen Erfolg der Mittelschule in Wetzikon herauszustreichen, wo sich die Prognostiker auch geirrt hätten. 

In der Diskusion [sic!] finden Begehren und Begründung von A. Mossdorf viel Verständnis, wenn auch die Verwirklichung dieses Schulwunsches noch als verfrüht betrachtet wird. In erster Linie ja soll nun in Oerlikon eine Mittelschule eröffnet werden, die auch dem Unterland wertvolle Dienste erweisen dürfte. Später könnte – bei nachgewiesenem Bedürfnis – über Bülach dann immer wieder gesprochen werden. Auch Erziehungsdirektor Vaterlaus folgt dieser Argumentation, desgleichen der Rat, der sich mit 70 gegen 31 Stimmen für die Abschreibung der Motion Mossdorf entscheidet.»

(Quelle: NZZ, 8.9.1958, Abendausgabe, wo auch ein ausführlicherer Bericht zu dieser Mittelschuldiskussion abgedruckt ist)

Aktivität aus der falschen Ecke

Achteinhalb Jahre später war das Unterland immer noch nicht gymnasiumsreif. Wer die Matura auf dem ersten Bildungsweg anstreben wollte, der musste nach wie vor den langen Weg in die Hauptstadt unter die Räder nehmen. Die Demokratisierung der höheren Schulbildung liess weiter auf sich warten.

Kein Wunder also, dass der Unmut in unserer Region wuchs, man sich zu organisieren begann und ein Aktionskomitee gründete. Die Oberländer hatten es 1952 mit einem solchen Komitee ja schliesslich auch fertiggebracht, für das nötige Stimmengewicht zu sorgen. Und hatten seit 1955 ihre eigene Mittelschule in Wetzikon, die heutige KZO. Warum sollte das bei uns nicht auch klappen?

Dieses Aktionskomitee «Pro Mittelschule Unterland» war mindestens einer Nachrichtenagentur eine kurze Notiz wert, die dann am 7./8. August 1967 nicht nur in Zürcher Presseerzeugnissen, sondern auch in den Freiburger Nachrichten erschienen ist. 

An dieser Art von Aktivismus störten sich allerdings konservative Politiker mächtig und warfen den Initianten wahltaktisch motiviertes Trittbrettfahrertum vor. Warum? Ganz einfach: Der Kopf dieses Komitees war der Embracher SP-Kantonsrat Fritz Ganz (1916-1992). Und 1967 war ein Wahljahr.

Das sind die Hintergründe zu einem in der katholisch eingefärbten Zeitung Neue Zürcher Nachrichten (NZN) vom 18. August 1967 erschienenen Kommentar eines nur mit Kürzel zeichnenden Bülachers:

Die Mittelschule Unterland und gewisse Leute...

Unser Bülacher Chronist schüttelt den Kopf und reimt sich seinen Vers

«Wie allgemein bekannt ist, und wie man uns immer wieder betont, ist es eine feststehende Tatsache, dass dereinst zwischen Zürich und Rhein zwei neue Mittelschulen zu stehen kommen, in Oerlikon und in Bülach. Wir Bülacher haben bis heute nicht aufgehört zu hoffen, dass wir diesbezüglich in nicht allzuferner Zukunft zum Zuge kommen könnten; kaum nötig zu sagen, dass die Einwohner der weiter nördlich liegenden Gemeinden von Weiach bis ins Rafzerfeld ganz auf unserer Seite sind. Vorerst aber sollte gemäss Beschluss unserer höchsten kantonalen Behörden Oerlikon zum Zuge kommen, doch hat der Stimmbürger bekanntlich mit aller Deutlichkeit nein gesagt. [Vgl. u.a. NZZ vom 7. Juli 1967]  Nichts deutet indessen darauf hin, dass der Stimmbürger damit auch nein gesagt hat zum Standort der Mittelschule und dass mancher Volksentscheid dahin deuten könnte, der Stimmbürger habe mit seinem Nein indirekt für eine Umkehrung der Prioritätsordnung zugunsten von Bülach demonstriert. Unentwegte Verfechter der Mittelschule Unterland haben aber nach dem denkwürdigen Volksentscheid für Bülach neue Hoffnung geschöpft und auch im kantonalen Parlament Vorstösse in dieser Richtung unternommen, ohne dass man bisher davon weiteres gehört hätte. Nun aber hat sich ein Aktionskomitee gebildet, das sich zum Ziele setzt, intensiv und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Mittelschule Unterland hin zu arbeiten und abzuklären, inwieweit durch den kürzlichen Volksentscheid sich die Situation für die Priorität geändert haben könnte. Bestimmt haben viele aufmerksame Zeitungsleser diese kleine Ankündigung in der Presse mit grosser Genugtuung und Freude zur Kenntnis genommen und festgestellt, dass es noch Männer mit Mut und Unternehmungsfreude gibt im Zürcher Unterland. Allein — des Lebens ungetrübte Freude wird keinem Irdischen zuteil. Die besagte Meldung hatte nicht überall Freude ausgelöst, sie hatte auch den Unwillen einiger Politiker zur Folge. Las man doch einige Tage später in der Unterländer Presse einen grossen Artikel, worin einige Herren ihrer gossen [sic!] Entrüstung Luft gemacht haben über die Tatsache, dass jemand ein solches Aktionskomitee gründen könne, ohne sie um Ihre Meinung zu fragen und ohne sie zur Mitarbeit einzuladen. Weil das Aktionskomitee politisch bezüglich der Zusammensetzung rötlich gefärbt ist, wurde im genannten Artikel laute und bewegte Klage darüber geführt, dass hier im Hinblick auf die bevorstehenden Nationalratswahlen durch das aktive Eintreten und Auftreten für das im öffentlichen Interesse liegende Ziel Stimmenfang getrieben und versucht werde, politisches Kapital daraus zu schlagen. Der Chronist findet, das sei eine unerhörte und bedauerliche Entgleisung. Wenn man schon selbst nicht den Mut zur Initiative aufbringt, dann sollte man auch nicht den andern derart unlautere Motive unterschieben und ihre künftige Arbeit öffentlich in ein schiefes Licht rücken. Unsere Parteien kranken alle daran, dass sie inaktiv sind, dass sie keine Risiken eingehen und an den brennenden Problemen der Zeit ziemlich achtlos vorübergehen. Die Folgen davon sind uns allen bekannt, nämlich: allgemeine politische Interesselosigkeit, Stimmfaulheit und anderes mehr. Da kommt nun aber eine Gruppe, egal welcher politischen Richtung, nimmt sich eines brennenden Problems an, und schon sind Neid und Missgunst geweckt. Hr.»

Campus der Kantonsschule Zürcher Unterland, Bülach im Jahre 2008. 
Mit der Skulptur «Durchschritt» von Annemie Fontana (1925-2002)
Aufnahme von Micha L. Rieser, Attribution, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12696796

Diesen Aktivisten, ob sie nun Politiker in Amt und Würden waren oder nicht, verdanken seit 1972 eine ganze Reihe von ehemaligen und gegenwärtigen Unterländer Mittelschülern, dass sie die Chance erhalten (haben), in ihrer Region gymnasiale Bildung zu erwerben und sich auf ein Hochschulstudium vorbereiten zu können. Ohne dafür in die Stadt Zürich pilgern zu müssen.

Quellen