Sonntag, 21. Mai 2023

Die Baukommission «Zukunft 8187» droht(e) dem Souverän

Von Louis XIV., dem französischen Sonnenkönig von 1642 bis 1715, kennt man das Bonmot, Er allein sei die Staatsmacht (L'état, c'est moi). Wenn es um Staatsausgaben ging, ob territoriale Expansionsvorhaben oder gigantische Bauprojekte wie Schloss Versailles, dann hat dieser Herr beim Griff in die Kasse seiner Untertanen nicht lange gefackelt. Mitsprache des Volkes? Wo denken Sie hin? Ein paar auserlesene Adelige konsultieren, vielleicht nicht mal das. So geht Absolutismus.

Nach diversen Staatsbankrotten und Hungersnöten hatten die Franzosen 1789 genug und haben das Heft selber in die Hand genommen. Auch in Helvetien darf das Volk seit 1848 hochoffiziell als Souverän gelten. Nicht mehr eine Oligarchie (wie die Gnädigen Herren zu Zürich) oder gar ein Monarch (wie Louis XVI.). Das Volk hat also das letzte Wort. Für Gewählte ist das natürlich mühsam, wenn ihnen in Sachfragen die Gefolgschaft verweigert wird. Aber so sind nun einmal die Regeln.

Politik mit der Brechstange

Da erstaunt es dann doch in höchstem Masse, auf der Website zukunft8187.ch auf einer der FAQ-Seiten (frequently asked questions) unter dem Titel Konsequenz bei einer Ablehnung Sätze wie die nachstehend im Original zitierten zu Gesicht zu bekommen: 

«Sollte das vorliegende Gemeindeinfrastrukturprojekt abgelehnt werden, ist die Gemeinde gezwungen, den notwendigen Schulraum aus den gebundenen Mitteln ohne weitere Abstimmung zu erstellen. Das bedeutet, dass die Bevölkerung nach einem «Nein» zur Aufwertung unseres Dorfes keine Mitsprache mehr hat. Dann wird der neue Schulraum irgendwo auf dem Gelände erstellt. Die in diesem Fall dringend notwendigen Sanierungen an den alten Bauwerken müssen folglich zurückgestellt werden.» (O-Ton FAQ  Sektion «Abstimmung»)

Ein anderer Abschnitt, die FAQ Sektion «Finanzierung Projekt» belehrt im letzten Abschnitt: 

«[...] und selbst bei einem Nein zum Gemeindeinfrastruktur-Projekt müssten Eigenmittel von mindestens CHF 12 Mio. als gebundene Ausgaben für den zusätzlich benötigten Schulraum investiert werden. Die notwendigen Sanierungen müssten in diesem Fall zurückgestellt werden und wieder mittels Abstimmung und sicherlich einer Aufnahme von Fremdkapital erneut projektiert werden.»

Interessanterweise entsprechen die genannten 12 Millionen in etwa den liquiden Vermögenspositionen der Gemeinde. Das ist also offenbar in etwa der Betrag, der rein für die Schulräume in Anschlag gebracht wird. Ob er seitens der Baukommission richtig angesetzt oder alarmistisch überhöht ist, soll hier nicht weiter erörtert werden.

Und bist Du nicht willig, so mach' Ich es halt?

Suggeriert wird also, der Gemeinderat könne nach zwei Ablehnungen (Balance und Zukunft 8187) in eigener Kompetenz über ein Bauprojekt von rund 12 Millionen Investitionsvolumen «als gebundene Ausgabe» und «aus den gebundenen Mitteln ohne weitere Abstimmung» beschliessen.

Dem Stimmberechtigten wird subtil eingeredet, die Behörden würden dann halt in Eigenregie irgendetwas irgendwo zu irgendwelchen Kosten auf's Schulgelände bauen. An solche notrechtsartigen Aktionen sind wir ja mittlerweile nach über drei Jahren Massnahmenstaat (Corona und CS-Debakel lassen grüssen) zur Genüge gewöhnt. Es wundert uns also nicht, wenn das jetzt auch auf die Gemeindeebene abfärbt. 

Lieber zu allem Ja und Amen sagen, denn dann wissen wir, was wir bekommen? Eine ganz spezielle Art und Weise qua indirekter Erpressung seinen Willen durchzusetzen. 

Man reibt sich die Augen, ob solch schwarzer Pädagogik. Und fragt sich: Versucht da der Schwanz allen Ernstes, mit dem Hund zu wedeln? Darf die Exekutive das tatsächlich?

Ohne jegliche Vorlage an einer Urnenabstimmung?  

Schauen wir in der erst wenige Monate alten Verfassung, d.h. der Gemeindeordnung, nach. Art. 9 GO Weiach 2022 (Obligatorische Urnenabstimmung) lautet: 

«Der Urnenabstimmung sind zu unterbreiten: [...] 2. die Bewilligung von neuen einmaligen Ausgaben von mehr als Fr. 1'000’000 für einen bestimmten Zweck und von neuen wiederkehrenden Ausgaben von mehr als Fr. 100'000 für einen bestimmten Zweck, [...]»

Selbst bei Beträgen unter 1 Million muss die Zuständigkeit der Stimmberechtigten geprüft werden, wie Art. 16 GO Weiach 2022 nahelegt (dort sind die Finanzbefugnisse der Gemeindeversammlung geregelt):

«Die Gemeindeversammlung ist zuständig für: [...] 4. die Bewilligung von neuen einmaligen Ausgaben bis Fr. 1'000’000 für einen bestimmten Zweck und von neuen jährlich wiederkehrenden Ausgaben bis Fr. 100’000 für einen bestimmten Zweck, soweit nicht der Gemeinderat zuständig ist, [...]»

Ein Vorgehen wie das angedrohte scheint also ein klarer Verstoss gegen die Gemeindeordnung zu sein!

Von gebundenen Ausgaben und ihrem Gegenteil

Worauf also stützt sich der Gemeinderat mit seinem Hinweis an die Adresse des Souveräns?  Auf Art. 26 Abs. 2 GO 2022? Dieser Artikel umschreibt die Finanzbefugnisse des Gemeinderates und hält fest:

«Dem Gemeinderat stehen im Weiteren folgende Befugnisse zu, die in einem Behördenerlass massvoll und stufengerecht übertragen werden können: [...] 2. die Bewilligung gebundener Ausgaben,  [...]»

Und wieder sind wieder bei diesen ominösen «gebundenen Ausgaben». Was ist das überhaupt? Da hilft ein Blick ins kantonale Gemeindegesetz, § 103 und 104:

[§ 103 Absatz 1] «Ausgaben gelten als gebunden, wenn die Gemeinde durch einen Rechtssatz, durch einen Entscheid eines Gerichts oder einer Aufsichtsbehörde oder durch einen früheren Beschluss der zuständigen Organe oder Behörden zu ihrer Vornahme verpflichtet ist und ihr sachlich, zeitlich und örtlich kein erheblicher Entscheidungsspielraum bleibt.» 

[§ 103 Absatz 2] «Im Übrigen gelten die Ausgaben als neu. 

[§ 104 Absatz 1] «Neue Ausgaben setzen einen Verpflichtungskredit und einen Budgetkredit voraus.»

[§ 104 Absatz 2] «Die Gemeindeordnung regelt, ob und in welchem Umfang dem Gemeindevorstand, der Schulpflege und einer eigenständigen Kommission die Befugnis eingeräumt wird, im laufenden Rechnungsjahr neue Ausgaben zu bewilligen, ohne dass ein Budgetkredit vorliegt. Die Gemeindeordnung legt einen jährlichen Gesamtbetrag für neue einmalige und wiederkehrende Ausgaben fest.»

Womit wir dann wieder bei der Gemeindeordnung wären. 

Seitens der Behörden wird also insinuiert, sie hätten die Verpflichtung, ausreichenden Schulraum sicherzustellen, wodurch sie berechtigt und verpflichtet seien, in eigener Kompetenz bauliche Massnahmen in zweistelliger Millionenhöhe vorzunehmen. Reicht dazu eine Gemeindeversammlung der nun nicht mehr existierenden Primarschulgemeinde, wie die vor zwei Jahren im Ebianum?

Und noch wichtiger: Gibt es in dieser Angelegenheit sachlich, zeitlich und örtlich tatsächlich keinen erheblichen Entscheidungsspielraum? 

Weder Alternativen noch die Möglichkeit der Ablehnung

Die Antwort auf diese Frage ist von entscheidender Bedeutung, wie auch ein Blick ins Handbuch Finanzhaushalt, Kapitel 5 (Kreditrecht) zeigt. Da heisst es unter dem Titel 3 Ausgabenkompetenzen zum Thema Gebundene Ausgaben:

«Die Ausgabenkompetenzen gelten nur für neue Ausgaben. Die Bewilligung von gebundenen Ausgaben fällt in die Kompetenz des Gemeindevorstands, der Schulpflege oder in die einer eigenständigen Kommission bzw. in untergeordnetem Umfang in die von unterstellten Kommissionen oder Verwaltungsangestellten. Die Kompetenz des Gemeindevorstands wird damit begründet, dass es sinnlos ist, der Legislative einen Antrag vorzulegen, zu dem es weder Alternativen noch die Möglichkeit der Ablehnung gibt.»

Man muss also lediglich das Vorliegen einer Alternativlosigkeit behaupten? Ob das reicht? Ein Urteil des Verwaltungsgerichts in einem Fall aus nächster Nachbarschaft (Asylunterkunft-Projekt der Gemeinde Glattfelden) lässt vermuten, dass es beim Thema «Gebundene Ausgabe» einige juristische Fallstricke gibt, die einem Vorhaben durch monate- bis jahrelange Blockierung im Weg stehen können.

Auffällige Löschaktion

Die in diesem Artikel aufgerollte Story basiert auf einem der Mängel, die in der Aufsichtsbeschwerde gegen «Zukunft 8187» aufgelistet sind.

Und falls Sie oben auf einen der beiden ersten Links geklickt und eine der von mir zitierten Textpassagen nicht gefunden haben: Ja, die ist weg. 

Zwischen dem 23. April und dem 6. Mai ist der Passus am Schluss der Sektion «Abstimmung» der FAQ-Seite von der Webseite zukunft8187.ch getilgt worden. Dies ergibt ein Vergleich der bislang in sechs Versionen von der Wayback-Machine bei archive.org gespeicherten FAQ-Seite:

Dritter Save (23. April Lokalzeit archive.org) vs. Vierter Save (6. Mai 2023 Lokalzeit archive.org)

Dass ausgerechnet der durch den Beschwerdeführer beanstandete Passus von der Website verschwindet (und dann auch noch in diesem Zeitraum), ist doch eine sehr auffällige Zufälligkeit. 

Man muss daher annehmen, dass die Baukommission spätestens am 6. Mai über den Text der Aufsichtsbeschwerde verfügt hat (obwohl Aussagen aus dem Führungsteam der Kommission das Gegenteil zu vermitteln versuchen). 

Weniger wohlgesonnene Beobachter könnten diese Löschaktion als Schuldeingeständnis werten. Oder als Versuch der Vertuschung absolutistischer Anwandlungen.

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