Dienstag, 2. Mai 2023

Rekonstruktion der Befestigung des Weiacher Kirchenbezirks

Weiacher Schülerinnen und Schüler haben sich vor einigen Tagen mit dem Thema der wehrhaften Weiacher Dorfkirche befasst, wie der Autor dieses Blogs jüngst von einem Mitglied der Schulpflege erfahren hat.

Wenig verwunderlich. Ein ins Auge springendes Charakteristikum der Anlage sind die (teilweise noch vorhandenen) Ummauerungen, die aus dem Kirchenbezirk anfangs des 18. Jahrhunderts eine kleine Festung werden liessen.

Bereits für den 1992 vom Pestalozzianum herausgegebenen Sammelband «Schulklassen sehen ihre Gemeinde» hat die hiesige 5./6. Klasse (Lehrer: Claudio Bernasconi) unter der Rubrik H («Was wir auch noch zeigen wollten: Aussergewöhnliches, anders als anderswo») die «Schiessscharten in der Friedhofmauer» herausgesucht und kurz beschrieben (vgl. WeiachBlog Nr. 1466, Abschnitt 27).

Wie muss man sich den Grundriss vorstellen?

Darüber, wie die Befestigungsanlage nach der Errichtung der Kirche (1706) und der Pfarrscheune (1707) in fertigem Zustand ausgesehen hat, gibt lediglich die aquarellierte Zeichnung von Johann Heinrich Meister aus dem Jahre 1716 einen kleinen Eindruck (vgl. WeiachBlog Nr. 1456). Ein Bauplan mit Massangaben ist hingegen nicht erhalten geblieben.

Wie man sich die wohl spätestens 1708 vollendete Anlage vorzustellen hat, zeigt die auf dem nachstehenden Plan der Amtlichen Vermessung mit roter Farbe gezogene Linie. Das ist die Aussenhaut der Befestigung. 


Diese Anordnung basiert auf einem historischen Plan, nämlich diesem hier, datiert auf das Jahr 1838. In der Westecke sind die Umrisse des nachträglich an die Mauer angebauten Schulhauses von 1802 zu sehen:


Wie dick waren die Mauern?

Die einzige noch im mutmasslichen Originalzustand erhaltene, nach den Vorgaben des Zürcher Festungsingenieurs Hans Caspar Werdmüller erstellte Befestigungselement ist die Nordostmauer zwischen der Kirche und der Pfarrscheune (heutiges Kirchgemeindehaus). 

Ihre Dicke beträgt (herausgemessen aus dem Katasterplan) gerade einmal 55 cm. Ein anonym bleiben wollender Weiacher hat jüngst auf Anfrage des Autors dieser Zeilen direkt am Objekt bei drei verschiedenen Schiessscharten die Mauerdicke bestimmt. Sie liegt in allen drei Fällen zwischen 57 und 58 cm. Die Abweichung zur Messung ab dem Plan ist also vergleichsweise gering.

Die drei andern Mauern waren alle dicker (wenn man der Darstellung auf PLAN R 1190, s. oben, Glauben schenkt), nämlich rund 10 cm mehr als die Nordostmauer. Eine Erklärung für diesen Umstand gibt es bislang noch keine. Alle drei sind (wohl sämtlich noch im 19. Jahrhundert) abgebrochen und in zwei Fällen kurz darauf in versetzter Lage neu erstellt worden. Das Ziel war in beiden Fällen eine Erweiterung des Friedhofareals.

Wann die Südostmauer zwischen Pfarrscheune und Pfarrhaus beseitigt worden ist, wissen wir noch nicht. Aus dem Plan Diezingers von 1821 (StAZH PLAN R 1189, vgl. WeiachBlog Nr. 1520) kann man nicht schliessen, dass sie damals bereits entfernt war, denn auf diesem Plan ist auch die Mauer zwischen Kirche und Pfarrscheune lediglich als einfache, durchgezogene Linie dargestellt. Und auch auf dem ins Jahr 1838 datierten PLAN R 1190 ist sie deutlich zu erkennen.

Die geschwungene Stützmauer zwischen dem Alten Gemeindehaus und dem heutigen schmiedeisernen Eingangstor wurde im Rahmen der Erweiterung des Friedhofs 1838 errichtet. Sie ersetzte die ursprüngliche, in gerader Linie verlaufende Südwestmauer zwischen dem Schulhaus von 1802 (nach 1836 zum Sozialwohnungsbau umfunktioniert) und dem Pfarrhaus. 

Nahe dem Pfarrhaus wies diese Mauer ein Eingangsportal mit zwei Torflügeln auf, durch das man in den Pfarrhof und von dort durch eine Abschrankung am Pfarrwaschhaus vorbei in den Friedhof und damit zur Kirche gelangte. Die Dicke dieser Mauer ist auf rund 67 cm zu veranschlagen. Dieses Resultat ergibt eine Dreisatzrechnung, wenn man den Plan, der vor dem Abriss erstellt wurde, ausmisst und die dort im Aufriss ersichtliche Mauerdicke zur Länge der Nordwestfassade des Pfarrhauses (12 m) in Bezug setzt. Letztere hat sich nämlich seit damals in ihrer Länge nicht verändert.


Quelle: StAZH PLAN R 1193, datiert auf 1838

Die Nordwestmauer zwischen der Kirche und dem Vorgängerbau des heutigen Alten Gemeindehauses wurde abgebrochen als man dieses 1857 erstellt hat und bis 1859 durch die heutige Mauer ersetzt. Die entfernte Mauer war in ähnlicher Dicke ausgeführt wie die Südwestmauer mit dem Portal.

Schiessscharten und ihre Schussräume

Aus der Anordnung der Gebäude in den Ecken des ummauerten Bezirks ergeben sich auch die ungefähren Positionen derjenigen Schiessscharten, von denen aus man den Fuss der Mauern (sichttote Räume) beobachten und dadurch ein unbemerktes Anschleichen an den jeweiligen Mauerabschnitt verhindern konnte (vgl. die violetten Pfeile für die Beobachtungs- und allfällige Schussrichtung):



Zu beachten ist, dass anfangs des 18. Jahrhunderts die Westecke noch nicht durch ein Gebäude gebildet wurde. Darauf lässt die Darstellung von Meister 1716 schliessen. Das mutmasslich durch Fremdeinwirkung während der Franzoseneinquartierung 1799/1800 abgebrannte und 1802 wiederaufgebaute Schulhaus ist zu einem späteren unbekannten Zeitpunkt dort platziert worden.


Der auf das Jahr 1838 datierte PLAN R 1191 zeigt in der Südostmauer zwischen Pfarrhaus und Pfarrscheune unmittelbar neben der Haupteingangstüre (ins Erdgeschoss des Pfarrhauses) drei eindeutig als Schiessscharten zu identifizierende Maueröffnungen. Auch dieses Detail zeigt die Zugehörigkeit zur von Werdmüller konzipierten Befestigungsanlage.

Vorläuferprojekt Schönenberg

An der Südgrenze des Zürcher Herrschaftsgebiets, im heute zu Wädenswil gehörenden Schönenberg, hatte Werdmüller bereits 1703/04 eine Befestigungsanlage bauen lassen. Nach seinem dort umgesetzten Konzept wurde ab 1705 auch die Weiacher Anlage geplant. 

Johann Heinrich Meister, der Zeichner unserer Kirche, hat im selben Jahr 1716 neben der Weiacher Kirchenfestung auch die Befestigung von Pfarrhaus und Kirche Schönenberg in einem Aquarell verewigt (und bezeichnet sie darauf selber als «ad viv. del.» (ad vivum delineavit), also «nach der Natur gezeichnet»):


In den Umfassungsmauern sieht man die für stehende Schützen ausgelegten Schiessscharten. Solche findet man auch in Weiach. In der Nordostmauer zwischen Kirche und Pfarrscheune.

Woher das Interesse des damals im Teenager-Alter stehenden Künstlers an solchen befestigten Kirchenbezirken herrührt, ist einfach zu erklären. Erstens war der für die Reformierten erfolgreiche Zweite Villmergerkrieg von 1712 den Zürchern noch in frischer Erinnerung. Und zweitens studierte der junge Mann bereits Theologie, sodass er im Alter von 19 Jahren zum Pfarrer ordiniert werden konnte.

Quellen und Literatur
  • Meister, Joh. Heinr. (1700-1781): Prospect von dem Pfarrhaũß und Kirch Schönenberg, wie es von Mitnacht anzůsehen ist. Datiert auf 1716. Signatur: ZBZ GS PAS 4 : 32_2
  • Weiach: Pfrundgüter Garten und Baumgarten bei Kirche und Pfarrhaus und Hofwies; Grundrisse (Nr. 1); 1821. Signatur: StAZH PLAN R 1189
  • Weiach: Pfrundlokalität mit Kirche, Pfarrhaus und Umgebung; Grundriss (Nr. 2), 1838. Signatur: StAZH PLAN R 1190
  • Weiach: Pfarrhaus, Erdgeschoss und 1. Stock; Grundriss (Nr. 3). [nicht erwähnt, jedoch auf dem Plan neben dem Erdgeschoss dargestellt: der Keller]. Signatur: StAZH PLAN R 1191
  • Weiach: Pfarrhaus; Ansichten (Nr. 5), 1838. Signatur: StAZH PLAN R 1193
  • Doelker, Ch. (Hrsg.): Panorama Kanton Zürich. Schulklassen sehen ihre Gemeinde. Pestalozzianum-Verlag. Zürich 1992 – S. 199 & 216.
  • Brandenberger, U.: Ist die älteste Darstellung unserer Kirche nach der Natur gezeichnet? WeiachBlog Nr. 1456 v. 30. Dezember 2019.
  • Brandenberger, U.: Wie sich der Kirchenbezirk Weiach seit 1821 verändert hat. WeiachBlog Nr. 1520 v. 5. Juni 2020.

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