Sagt Ihnen die Bezeichnung «Münschterlinge Seesiite» etwas? Für Thurgauer ist das dasselbe wie für einen Zürcher das «Burghölzli». Dorthin werden diejenigen gebracht, die – wie der Volksmund voller Schauder sagt – fällig seien für's «gääle Wägeli» (vgl. WeiachBlog Nr. 584). Die heutige Psychiatrische Klinik wurde vor mehr als 1000 Jahren als Augustinerinnenabtei gegründet, gewidmet der Hl. Walburga. Dieses Kloster habe (so wird überliefert) seit Anbeginn den Schwerpunkt seiner Tätigkeit auf die Krankenpflege gelegt.
Hochstapelei oder glaubwürdige Wundertäterin?
Das Patrozinium der St. Walburga passt perfekt zu dieser Aufgabe. Denn Walburga (* mutm. um 710 im südenglischen Wessex; † mutm. 25. Februar 779, nach anderen Quellen 780 in Heidenheim), eine Tochter des Königs Richard von Wessex ist von der römisch-katholischen Kirche nicht zuletzt aufgrund von wundersamen Krankenheilungen zur Heiligen ernannt worden.
Laut ihrem Hagiographen, der ihre Geschichte zwei Jahrhunderte nach ihrem Wirken aufgezeichnet hat, soll sie «einmal ein Kind mit Hilfe dreier Ähren vor dem Verhungern gerettet und ein anderes Mal erfolgreich einen tollwütigen Hund beruhigt haben. Auch von Krankenheilungen und der Rettung einer im Kindbettfieber danieder liegenden Wöchnerin wird berichtet. Daher gilt sie neben vielerlei anderen Zuständigkeiten auch als Schutzheilige gegen Krankheiten und Seuchen, Tollwut, Hungersnot und Missernte sowie als Patronin der Kranken und der Wöchnerinnen, aber auch der Bauern.» (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Walburga)
Gut für Walburga war, dass sie aufgrund ihres Hochadelsstatus (und damit einem sehr hohen Schutzgrad) nicht so einfach als Zauberin diffamiert werden konnte. Denn man stelle sich vor, eine Normalsterbliche hätte derartige Wundertaten vollbracht. Ich meine: Wie soll das denn gehen, ein Kind mit drei Ähren vor'm Verhungern retten!? Come on... das ist doch völlig unglaubwürdig, oder? Hochstaplerin! Mindestens. Die Tochter eines zum König Gesalbten hingegen, das ist ein anderes Kaliber. So zumindest die mittelalterliche Auffassung. Allein schon die Berührung durch einen solchen König konnte (so glaubten die Untertanen) Wunderheilungen vollbringen.
Tanz in den Mai
Wie komme ich jetzt darauf? Nun, heute ist der letzte Tag vor dem Mai. Zeit für den «Tanz in den Mai». Es ist die berühmt-berüchtigte Walpurgisnacht. Als Gedenktag der Walburga im Mittelalter deshalb in Gebrauch, weil sie am folgenden Tag, dem 1. Mai, heiliggesprochen wurde. Heute wird eher der 25. Februar mit ihr in Verbindung gebracht.
Die Vigilfeier für den mittelalterlichen Walpurgistag fand in der Nacht auf diesen Tag statt. Der Abend des 30. April ist aber ausgerechnet der Termin für ein traditionelles vorchristliches Fest mit Feuerbräuchen, wo man sich in geselliger Runde zum Tanz traf. Und das konnte durchaus auch bis weit über Mitternacht hinaus dauern.
Mit der Walpurgisnacht hat sich dann die Erzählung vom Hexensabbat verbunden, zu dem die Hexen angeblich in ebendieser Nacht auf den Blocksberg (oder irgendeinen anderen Hügel) geflogen sein sollen, um sich dort mit dem (bzw. ihrem eigenen) Teufel zu verlustieren.
Die Flugroute einer Weyacher Hexe
Ob es sich um eine Walpurgisnacht gehandelt hat, in der eine in Weyach verheiratete, aus Wasterkingen gebürtige «Hexe» Ende des 17. Jahrhunderts per Eierschale über den Rhein gefahren (d.h. wohl geflogen) sein soll (vgl. WeiachBlog Nr. 2068), ist nicht aktenkundig.
nach Berwangen (D) oben rechts im Bild (Basis: Wildkarte Mitte 19. Jh)
Vom Hörensagen zum Todesurteil
In den Aufzeichnungen findet sich nur die Zeugenaussage des Untervogts (entspricht einem heutigen Gemeindepräsidenten) einer Nachbargemeinde. Der glaubte, eine ihm nur vom Hörensagen bekannte Geschichte dem Pfarrer und dann dem Landvogt von Eglisau hinterbringen zu müssen, worauf er seine Zeugenaussage gegen die in Haft sitzende Anna Wieser (24) am 19. Mai 1701 vor den Nachgängern (Untersuchungsbeauftragte) des Zürcher Rates wiederholen musste:
«Worauf vorderst Undervogt Hanss Keller von Hüntwangen ausgesagt, vor ohngefehr 14 jahren in dem letsten jahr der Regierung Herren Landvogt Werdmüllers selg. seye er nach Wasterkingen auf seine alldorthige güeter gegangen, da ihnen die Els Kellerin, nun Michaels Kellers selg. Wittib erzellet, die Anna Wisserin (damahlen 10 oder 12 jahr alt) Habe ihro und anderen in dem Kunkler oder stubetenhauss gesagt, was gestalten sie hinder ihrer Mutter auf einem Schürgsteken auf den Tanz zu Berwangen ausgeritten, ihre Bass von Weyach seye auf einer eyerschalen über Rhein dahin gefahren, Schmid von Büel auf einem Geissbok geritten und eine Frauw aus dem Schaffhauserbieth auf einer Ent, Jacob Spüeler, so nun tod, habe mit der Maria Ruetschmannin gedantzet, ihr Grossvatter darzu gezündet, und seye der schmid zu Büel doch gewesen, haben alle brav geessen und getrunken, diese sachen, wie und was sie auf dem Tantzen gemachet, [...]» (StAZH A 18.3, Nr. 1)
Der ach so pflichtbewusste Untervogt war also nicht einmal selbst dabei, als die junge Anna Wieser (damals noch ein Kind) diese verhängnisvollen Dinge erzählt haben soll! Er stützte sich einzig auf eine (angebliche) Zeugin des Vorfalls, Els Kellerin, die mit dieser der Hexerei und Lachsnerei (zum Begriff vgl. WeiachBlog Nr. 514) verdächtigen Familie näher zu tun hatte.
Gemeindepräsidenten, die solches heutzutage von sich gäben, wären jedenfalls problemlos valable Kandidaten fürs gääle Wägeli.
Quelle und weiterführende WeiachBlog-Beiträge
- Abschrift der Akten und von Ratsbeschlüssen über den Hexenprozess von Wasterkingen, September 1743. Signatur: StAZH A 18.3, Nr. 1.
- Brandenberger, U.: Lachsnen ist auch heute noch verboten. WeiachBlog Nr. 514, 3. September 2007.
- Brandenberger, U.: Fällig für s «gääle Wägeli»? WeiachBlog Nr. 584, 26. Dezember 2007.
- Brandenberger, U.: Auf einer Eierschale von Weyach über den Rhein gefahren. WeiachBlog Nr. 2068, 31. März 2024.
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