Sonntag, 14. April 2024

Diebische Untreue ergibt Pranger und Verbannung, Anno 1693

Zeiten der Not wie die der Hungerkrise 1692/93 (vgl. den vorangehenden Beitrag WeiachBlog Nr. 2080) sind Prüfsteine für die Dorfgemeinschaft, die Familien und Individuen. Und manchem ist in solchen Situationen nicht nur das Hemd näher als der Rock, es liegt ihm auch der Griff in fremde Taschen näher.

Da muss die hohe Obrigkeit natürlich beweisen, dass sie die Lage im Griff hat. Bewerkstelligt wurde dies mit den damaligen Mitteln und nach dem Motto: Bestrafe die Täter in aller Öffentlichkeit und erziele optimalen Abschreckungseffekt bei allen anderen. Für die Delinquenten fing die Abschreckung schon bei der Strafuntersuchung an:


Verhaften, einkerkern, befragen, mit Folter drohen

Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Der oben abgebildete Textausschnitt stammt aus dem Unterschreiber-Ratsmanuale des Baptistalrats für das Jahr 1693 (StAZH B II 643, 27.09.1693 (st.v.), S. 120-121). «Mittwochs den 27. 7bris» fassten Bürgermeister und Kleiner Rat der Stadt Zürich u.a. folgenden Beschluss: 

«Der wegen vilfaltig-diebischen angriffen in dem Wellenberg verhaffte, Conrad Meyer von Weyach, soll mit nebent bezeichneter Tortur ersucht und umb seine fehrnere diebstähl befräget, auch seine Muter mit der Marter geschrekt, weiters examinirt und künfftigen Samstag beyder vergicht an Mghh gebracht werden.»

Welche Foltermethoden mit dem am linken Rand notierten Zahlenpaar «1/2» gemeint ist, habe ich bislang trotz ziemlich breiter Suche nicht eruieren können. Es dürfte sich aber um einen Code handeln, bei dem jedem Nachgänger (d.h. den Untersuchungsrichtern, die selber Ratsmitglieder waren) klar war, was darunter zu verstehen ist.

Die Mutter des im Gefängnisturm mitten in der Limmat inhaftierten Conrad Meyer sollte laut Ratsbeschluss ebenfalls befragt werden. Auch die Androhung von körperlichen Zwangsmassnahmen wird explizit erlaubt, falls dies zur Erhöhung der Aussagebereitschaft als erforderlich angesehen wird.

Bereits drei Tage später wird das Urteil gefällt und sofort vollstreckt

Wie beauftragt wurden die beiden Tatverdächtigen in die Zange genommen und in der Ratssitzung vom 30. September dem Gremium rapportiert. Noch in derselben Sitzung dann das Urteil gefällt (StAZH B II 643, 30.09.1693 (st.v.), S. 124-125):

«Hans Conradt Meyer von Weyach, soll wegen begangner diebischer untreüwe uber außgestandene gefangenschafft und peinliches Examen, dießen nachmitag ein stund lang an den prangen gestellt, auf dann [1] jahr des Landts verwiesen; [...] sine Muther, welche ihme hierin Byhülf geleistet, nebend den prangen geführt, auch sambt Elsbetha Meyer[,] ihrer Tochter, welche hierumb wüßens gehabt, nechstgestellt werden.»

Hans Conrad Meyer wurde also der Folter unterzogen. Noch am selben Samstag ist er (wohl mitten in der Stadt Zürich) eine Stunde lang in aller Öffentlichkeit an den Pranger gestellt (d.h. an einer Säule festgekettet) worden, wobei seine Mutter wegen Beihilfe zur Veruntreuung und seine Schwester wegen Mitwisserschaft daneben stehen mussten.

Landesverweis auf Jahr und Tag

Gleich anschliessend wurde der einjährige Landesverweis aus dem Zürcher Herrschaftsgebiet wirksam. Interessant ist, dass hier kein Wort von einer hohen Busse oder dergleichen steht.

Was den Meyern genau vorgeworfen wurde, geht aus diesen kurzen Einträgen nicht hervor. Das findet sich vielleicht in den Kundschaften und Nachgängen des Jahres 1693, d.h. den Protokollen der Untersuchungsrichter, sofern noch vorhanden (vgl. das Dossier StAZH A 27.118).

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