Dienstag, 12. März 2024

Fristgerecht eingereicht, oder nicht?

Am 13. Februar 2024 ist die von der Bundesgerichtskanzlei gesetzte Frist zur Einreichung von Stellungnahmen in der Angelegenheit Beschwerde Stimmrechtssache «Zukunft 8187» abgelaufen (Schreiben vom 22. Januar 2024 in Anwendung von Art. 102 Abs. 1 BGG). Damit liegt dem Bundesgericht in Lausanne der vom Prozedere her für den Regelfall vorgesehene Aktenbestand vor (Art. 102 Abs. 3 BGG). Ob das reicht, um zu einem Schlussentscheid zu kommen, wird man sehen.

Während der Wartezeit, die angesichts der notorischen Arbeitsüberlastung des Gerichts auch noch ein paar weitere Monate dauern kann, sollen hier einige Fragen beantwortet werden, die am 22. Januar aufgeworfen worden sind (vgl. WeiachBlog Nr. 2030).

Ja, eingereicht ist sie...

Eingereicht ist die Beschwerde. Das steht fest. Mit Poststempel vom 19. Januar 2024, sagt das Bundesgericht (laut Mitteilung an die Beschwerdegegner vom 22. Januar). 

Die Eingabe des Anwalts der Gemeinde hat von der Bundesgerichtskanzlei auch einen offiziellen Aktenvermerk erhalten: 1C_43/2024--Act. 1-. Das geht aus den Rückmeldungen aus Lausanne hervor, die der Redaktion WeiachBlog elektronisch vorliegen (siehe Bild unten).

Das Bundesgericht muss nun darüber befinden, ob die Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich auch fristgerecht eingereicht worden ist. Und damit gleichzeitig, inwiefern auf die Beschwerde eingetreten wird.

Konkret geht es um die Frage, ob die in Art. 46 Abs. 1 Bst. c BGG über Weihnachten und Neujahr (vom 18. Dezember bis 2. Januar) vorgesehenen Gerichtsferien auch für diesen Fall «Zukunft 8187» gelten, oder eben doch Abs. 2 desselben Artikels zur Anwendung kommt, der diesen Fristenstillstand für bestimmte, abschliessend genannte Sachbereiche explizit ausschliesst.

... aber auch fristgerecht eingereicht?

Der Anwalt der Gemeinde Weiach, Lorenzo Marazzotta, behauptet die fristgerechte Einreichung in seinem Schriftsatz ans Bundesgericht unter Verweis auf Art. 46 BGG (denselben, auf den auch WeiachBlog Nr. 2030 Bezug nimmt). 

Und das trotz der Datierung seiner Eingabe auf den 19. Januar. Aus Sicht der Gemeinde Weiach war die Frist da noch nicht abgelaufen, da sie (laut mündlicher Aussage des Gemeindeschreibers) mit dem Fristenstillstand von 16 Tagen rechnen. Anderer Ansicht ist der Verfasser dieser Zeilen. Weil es sich um eine Stimmrechtssache handelt, war zu diesem Zeitpunkt die gesetzliche Frist bereits bis zu einer Woche abgelaufen, letzter möglicher Termin wäre der 12. Januar gewesen. Sollte die Zustellung im Gemeindehaus nicht schon am 13., sondern erst am 14. Dezember 2023 erfolgt sein, dann würde sich die Frist gemäss Art. 45 Abs. 1 BGG bis am 15. Januar 2024 erstrecken, da dann der letzte Tag der Frist ein Samstag wäre. Aber auch dann hätte RA Marazzotta die Eingabe zu spät eingereicht. Denn massgebend ist der Poststempel: 19. Januar (Art. 48 Abs. 1 BGG).

In einem solchen Fall kann gemäss dem am 1. November 2015 in Kraft gesetzten Wortlaut von Art. 46 Abs. 2 BGG (damals noch nicht in Auflistungsform; in der Fassung vom 1. Januar 2021 neu in Bst. c gesetzt) eigentlich nur NICHTEINTRETEN beschlossen werden (vgl. die chronologische Auflistung der jeweiligen Wortlaute im Anhang 1 zu diesem Artikel, s. unten).

Nachfolgend wird dargelegt, weshalb die Wahrscheinlichkeit für gerade diesen Entscheid Nichteintreten und damit implizit Abweisung der Beschwerde infolge Verletzung von gesetzlichen Fristen und Nichtbeachten des Friststillstands-Ausschlusses sehr hoch ist.

A. Keine Differenz bei der Kategorisierung des Falles

Rechtsanwalt Marazzotta selber hat die Angelegenheit in seiner Beschwerde-Eingabe ans Bundesgericht als Stimmrechtssache bezeichnet, womit zumindest in dieser Einordnungsfrage keinerlei Meinungsverschiedenheiten auftreten sollten. Dass es eine ist, werden wohl weder der ursprüngliche Rekurrent, noch der Bezirksrat Dielsdorf, das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich oder das Bundesgericht bestreiten.

B. Keine Fristerstreckung möglich

Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat seinem Entscheid die Rechtsmittelbelehrung beigefügt, die Beschwerdefrist dauere 30 Tage. Das ist korrekt, da es sich nicht um einen Spezialfall handelt, der in den Absätzen 2 bis 7 des Art. 100 BGG aufgeführt ist.

Damit gilt der Normalfall: «Die Beschwerde gegen einen Entscheid ist innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen.» (Art. 100 Abs. 1 BGG)

Weil diese 30 Tage nicht von einem Richter festgelegt wurden, sondern so im Gesetz stehen, findet auch der im selben Bundesgerichtsgesetz im Abschnitt Fristen stehende Grundsatz Anwendung: «Gesetzlich bestimmte Fristen können nicht erstreckt werden.» (Art. 47 Abs. 1 BGG)

Rechtsanwalt Marazzotta konnte also auch nicht (z.B. aufgrund von Arbeitsüberlastung in seiner Kanzlei, o.ä.) eine bewilligungsfähige Erstreckung beantragen, wie das beispielsweise in Strafprozessen gang und gäbe ist. Nach der oben zitierten Bestimmung von Art. 47 Abs. 1 müsste das Bundesgericht sie ihm verweigern.

C. Beschleunigungsgebot

Wenn es um Wahlen und Abstimmungen geht, dann gilt das Beschleunigungsgebot. Dies schlägt sich nicht nur bei den Gerichtsferien (Art. 46 BGG) nieder, sondern auch in den z.T. sehr kurzen Fristen nach Art. 100 Abs. 2-7 BGG.

Im Grundsatz ist dieses Gebot bereits in der Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001 (Parlaments-Geschäftsnummer 01.023), also dem Antrag des Bundesrates an die beiden Kammern des Parlaments, festgehalten: 

«Die bisher in die Zuständigkeit des Bundesrates fallenden Abstimmungsbeschwerden unterliegen aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung direkt dem Bundesgericht.»  (s. BBl 2001 4241)

D. Lausanne monierte gesetzgeberisches Versehen

In einer weiteren Botschaft ans Parlament schreibt der Bundesrat (bzw. in dessen Auftrag die Bundeskanzlei) zum Inhalt der Vorlage im Management Summary, der Übersicht:

«Für den Fall von Wahlbeschwerden soll ein gesetzgeberisches Versehen behoben werden, welches vom Bundesgericht angezeigt worden ist: Wahlbeschwerden sind vom Rechtsstillstand in den Gerichtsferien nicht weniger auszunehmen als Schuldbetreibungs- und Konkurssachen.» (s. BBl 2013 9219)

Letztere waren in Art. 46 Abs. 2 BGG bereits aufgenommen (dort beschränkt auf die sog. Wechselbetreibung). Neu brachte die Bundeskanzlei in die Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte – und um diese ging es in dieser Vorlage mit Nr. 13.103 – alle Arten von Stimmrechtssachen ein (also neben Wahlen auch Volksabstimmungen).

E. Parlament billigte die Änderung

Wie man den sog. Fahnen (so nennt man die Gegenüberstellung von alten und neuen Formulierungen in nebeneinandergestellten Spalten, inkl. der Abänderungsvorschläge, die von Parlamentariern im Verlauf der Beratungen eingebracht wurden), wie man also diesen Fahnen entnehmen kann, hat weder der National- noch der Ständerat dieses Vorhaben beanstandet (im Plenum diskutiert wurde es jedenfalls nicht, vgl. Amtl. Bull.). Wenig verwunderlich: Wer hat schon etwas gegen Beschleunigung, wenn es um so etwas Wichtiges wie Wahlen und Abstimmungen geht?

F. Kommentar BGG: Nichtbeachtung Friststillstands-Ausschluss

In der über 2000 Seiten starken 3. Auflage des sog. Basler Kommentars zum Bundesgerichtsgesetz, der wie eine Bibel auf dünnstes Papier gedruckt ist, wird zum Artikel 46 BGG explizit festgehalten, den Wegfall der Gerichtsferien in den nach Absatz 2 vorgesehenen Bereichen zu ignorieren führe zu einem Nichteintretens-Entscheid:

«Die Nichtbeachtung des Friststillstand-Ausschlusses führt im bundesgerichtlichen Verfahren zu Nichteintretensentscheiden wegen Fristversäumnisses.» (Gerold Steinmann/Adrian Mattle: Art. 46 BGG N 16c. In: Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, 3. Auflage, 2018)

Die Fussnote 126 zu obiger N 16c lautet: «BGer, I. ÖRA, 19. 10. 2017, 1C_26/2017, ZBl 2018, 133 (mit kritischem Kommentar von G. Biaggini); I. ÖRA, 16. 1. 2017, 1C_353/2016; I. ÖRA, 13. 10. 2016, 1C_420/2016; I. ÖRA, 8. 2. 2016, 1C_7/2016.»

Da Steinmann et al., die Verfasser dieses Abschnitts zum Fristenstillstand, beide ehemalige bzw. aktive Bundesgerichtsschreiber sind, ist von fundierten Kenntnissen der einschlägigen Bundesgerichtsentscheide auszugehen, insbesondere auch der unpublizierten.

Nachstehend Auszüge aus zweien der in Fussnote 126 erwähnten Entscheide. Sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Bundesgerichtsentscheid 1C_420/2016.

BGer 1C_420/2016. Urteil vom 13. Oktober 2016

Bei dieser Stimmrechtsbeschwerde ging es um die Bewilligung eines Objektkredites für den Ausbau des Aabachs in Uster durch den Zürcher Kantonsrat. Die Erwägung 3.2 der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts lautet wie folgt: 

«Die Beschwerdeführer halten dafür, es gelte der Fristenstillstand gemäss Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG, wonach gesetzlich oder richterlich bestimmte Fristen vom 15. Juli bis und mit dem 15. August stillstehen. Diese Vorschrift gilt indessen nach Art. 46 Abs. 2 BGG (in der Fassung vom 26. September 2014, in Kraft seit 1. November 2015) nicht in Verfahren betreffend aufschiebende Wirkung und andere vorsorgliche Verfahren sowie in der Wechselbetreibung, für Stimmrechtssachen (Art. 82 lit. c) sowie auf den Gebieten der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen und der internationalen Amtshilfe in Steuersachen. Die Beschwerdeführer gehen - wie erwähnt - selbst davon aus, dass es sich vorliegend um eine Stimmrechtssache im Sinne von Art. 82 lit. c BGG handelt (Beschwerde S. 1 und 2). Der Fristenstillstand kommt daher nicht zur Anwendung (s. dazu auch Urteil 1C_7/2016 vom 8. Februar 2016, E. 3). Dass die Beschwerdeführer im Hinblick auf die Einreichung ihrer Beschwerde nicht die aktuell geltende Fassung des BGG, wie erwähnt in Kraft bereits seit 1. November 2015, konsultiert haben, haben sie selbst zu vertreten.

Demzufolge ist die erst am 12. September 2016 der Post übergebene Beschwerde klarerweise verspätet eingereicht worden, nachdem die Beschwerdeführer vom angefochtenen Beschluss bereits am 15. Juli 2016 Kenntnis erhalten haben (Zeitpunkt der Veröffentlichung im Amtsblatt, vorstehend E. 1).»

BGer 1C_26/2017, Urteil vom 19. Oktober 2017

Ins gleiche Horn stösst dieselbe I. öffentlich-rechtliche Abteilung in ihrer Erwägung 1.3 in der Frage Referendum bei Pistenveränderungen, wo ebenfalls gegen einen Beschluss des Zürcher Kantonsrats Beschwerde erhoben wurde:

«Bei der vorliegend eingereichten Beschwerde handelt es sich um eine Beschwerde in Stimmrechtssachen im Sinne von Art. 82 lit. c BGG (vgl. E. 1.1 hiervor). Nach Art. 46 Abs. 2 BGG gilt der Fristenstillstand demzufolge nicht. Der eindeutige Wortlaut von Art. 46 Abs. 2 BGG lässt eine andere Auslegung nicht zu, namentlich nicht, dass der Fristenstillstand bei gewissen Beschwerden in Stimmrechtssachen gemäss Art. 82 lit. c BGG doch zu berücksichtigen wäre.»

Nun noch zu ein paar Nebenaspekten:

G. Ist nur die nationale Ebene gemeint? 

Im BGG ist bezogen auf Art. 46 Abs. 2 Bst. c auch keine Unterscheidung zwischen nationaler und kantonaler bzw. kommunaler Ebene zu erkennen. 

Man könnte zwar argumentieren, eine solche Unterscheidung sei anzunehmen, da sich das Bundesgesetz vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte (BPR) bei dessen Novellierung auch die Änderung von Art. 46 Abs. 2 BGG ins Bundesgerichtsgesetz geschrieben wurde, nur auf Wahlen und Abstimmungen auf nationaler Ebene beziehe. Und daher die unteren Staatsebenen (Kantone und Gemeinden) auch nicht mitgemeint seien. 

Dann würde sich aber die Frage stellen, weshalb in Art. 46 nicht explizit festgehalten wird, dass nur Stimmrechtsangelegenheiten auf nationaler Ebene gemeint seien, zumal auch der Wortlaut von Art. 82 Bst. c BGG eine solche Einschränkung in keiner Art und Weise erkennen lässt.

Die Frage im Abschnittstitel kann jedoch klar verneint werden, wie Steinmann & Mattle im Basler Kommentar festhalten: 

«Die Revision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 26. 9. 2014 (BPR) hat den allgemeinen Friststillstand mit einer Ergänzung von Art. 46 Abs. 2 auch für Stimmrechtssachen ausgeschlossen. Ungeachtet der Entstehungsgeschichte im Rahmen von Neuerungen zum Verfahren der Wahl des Nationalrats und der Begründung in der Botschaft bringen der Ausdruck «Stimmrechtssachen» und der Verweis auf Art. 82 lit. c zum Ausdruck, dass der Ausschluss des Friststillstands für die Gesamtheit der Beschwerden wegen Verletzung politischer Rechte gilt (Art. 82 N 79, 82 ff. und 85 ff.). Erfasst wird die eidgenössische Ebene ebenso wie die kantonale (und kommunale) Ebene, und eingeschlossen sind sämtliche möglichen Anfechtungsobjekte und Streitgegenstände.» (Gerold Steinmann/Adrian Mattle: Art. 46 BGG N 16. In: Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, 3. Auflage, 2018)

H. Das Bundesgericht würde sich selber widersprechen

Wie wir unter Punkt D gesehen haben, war es das Bundesgericht selber, das die Verwaltung auf eine Lücke aufmerksam gemacht hat, die dann anfangs November 2015 geschlossen wurde. Es wäre also höchst bemerkenswert, wenn in diesem Weiacher Fall anders entschieden würde, als oben in den Abschnitten A bis G vorgezeichnet.

Verletzung der Gemeindeautonomie als höheres Rechtsgut?

Natürlich ist es dem Bundesgericht dennoch grundsätzlich unbenommen, sich anders zu entscheiden, beispielsweise weil es die im Zusammenhang mit Zukunft 8187 zu beurteilende Rechtsfrage als von so hoher Bedeutung erachtet, dass gleichzeitig der von ihm selber geforderte Fristenstillstandsauschluss samt gesetzgeberischem Willen beiseite geschoben werden müsse.

Die Gemeinde Weiach rügt im Schriftsatz ihres Rechtsanwalts die «willkürliche Anwendung von §§ 64 und 64a des kantonalen Gesetzes über die politischen Rechte» (ZH-GPR) durch das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich und moniert, dadurch sei die «von der Bundesverfassung und vom kantonalen Recht ausdrücklich gewährleistete Gemeindeautonomie» verletzt (Verweis u.a. auf Art. 50 Abs. 1 BV).

Allerdings könnte ein solcher Entscheid dann von einiger Relevanz für die juristische Fachliteratur bzw. eine kommende 4. Auflage des Basler Kommentars zum BGG sein, da diese Praxisänderung einer ausführlichen Begründung bedürfte, insbesondere, aus welchen Gründen sämtliche obenstehenden acht Erwägungen (A bis H) in diesem Fall als irrelevant zur Seite gelegt werden müssen.

On verrà

Man wird sehen, wie sich die Bundesrichter entscheiden. 

Zur Frage, ob das Abstimmungsresultat vom 18. Juni 2023 (nur 11 Stimmen Differenz zwischen den Ja- und den Nein-Stimmen) auch aus Sicht des kantonalen Gesetzgebers als knapp gelten muss, ist als Anhang 2 noch Abschnitt 1.1.2 aus der Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte beigefügt (s. unten).


Anhang 1: Formulierungen Art. 46 Abs. 2 BGG im Zeitablauf

1. Formulierung in Kraft bis 31.10.2015

«Diese Vorschrift gilt nicht in Verfahren betreffend aufschiebende Wirkung und andere vorsorgliche Massnahmen sowie in der Wechselbetreibung und auf den Gebieten der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen und der internationalen Amtshilfe in Steuersachen.

2. Formulierung in Kraft ab 1.11.2015

«Diese Vorschrift gilt nicht in Verfahren betreffend aufschiebende Wirkung und andere vorsorgliche Massnahmen sowie in der Wechselbetreibung, für Stimmrechtssachen (Art. 82 Bst. c) und auf den Gebieten der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen und der internationalen Amtshilfe in Steuersachen. [Fn-18]

Fn-18: «Fassung gemäss Ziff. II des BG vom 26. Sept. 2014 (Nationalratswahlen), in Kraft seit 1. Nov. 2015 (AS 2015 543; BBl 2013 9217).»

3. Formulierung in Kraft ab 1.1.2021

«Absatz 1 gilt nicht in Verfahren betreffend:
a. die aufschiebende Wirkung und andere vorsorgliche Massnahmen;
b. die Wechselbetreibung;
c. Stimmrechtssachen (Art. 82 Bst. c);
d. die internationale Rechtshilfe in Strafsachen und die internationale Amtshilfe in Steuersachen;
e. die öffentlichen Beschaffungen.»


Anhang 2: Knappe Abstimmungsergebnisse

Auszug aus der Botschaft Änderung BPR, BBl 2013 9233-9234

«In den vergangenen Jahren resultierten bei eidgenössischen Volksabstimmungen einige knappe Ergebnisse (vgl. Anh. Tab. 13: 2002, 2008 und 2009). Die Resultatermittlung bei eidgenössischen Volksabstimmungen und weit mehr noch bei den Nationalratswahlen ist einem tiefgreifenden Wandel unterworfen.

Zunehmende Verstädterung und Anonymität sowie wachsende Mobilität verursachten in jüngerer Zeit vor allem in grösseren Städten Probleme bei der Rekrutierung des nötigen Milizpersonals: Mehr und mehr blieben aufgebotene Personen am Wahlnachmittag unentschuldigt dem Auszählprozedere fern. Daher sind bereits mehrere Städte zu einer Professionalisierung der Ausmittlungsverfahren übergegangen.

Dies löst nicht nur das althergebrachte Milizsystem auf, sondern liess bereits da und dort kritische Rückfragen nach der demokratischen Kontrolle zur Erhaltung des Vertrauens laut werden.

In diesen Zusammenhang ist auch die Frage einer Nachzählung von Volksabstimmungsergebnissen zu stellen: Das Bundesgericht hat zwar (aufgrund der detaillierten Verfahrensregeln) nicht für Nationalratswahlen [Anm-5: BGE 138 II 5–12 E. 3 und 4], wohl aber für Volksabstimmungen [Anm-6: BGE 136 II 132 E. 2.7] Nachzählungen bei sehr knappem Resultat auch ohne glaubhaft gemachte Unregelmässigkeiten als angezeigt bezeichnet und dem Gesetzgeber empfohlen, dies zu konkretisieren, sei es durch eine zahlenmässige Abgrenzung zwischen «knapp» und «sehr knapp» oder aber durch eine abstraktere Umschreibung. Abstrakte Umschreibungen würden das Problem nur zeitlich verschieben, und konkrete Definitionen entgehen kaum der Willkür: Die Kantone Zürich, Schaffhausen und Graubünden ziehen die Grenze bei 0,3 % Differenz, stellen aber auf eine unterschiedliche Berechnungsbasis ab. Das Bundesgericht [Anm-7: BGE 136 II 132] befand bei der Volksabstimmung über die biometrischen Pässe eine gesamteidgenössische Differenz von 0,29 % als «knapp», aber nicht «sehr knapp».

Bei eidgenössischen Volksabstimmungen ist das Normengeflecht weit weniger engmaschig als bei Nationalratswahlen (vgl. Ziff. 1.2.3, II.); äusserst knappe Volksabstimmungsergebnisse sind angesichts der möglichen Irrtumsquellen laut Bundesgericht per se mit eigentlichen Unregelmässigkeiten gleichzusetzen und erfordern eine Nachzählung, deren Voraussetzungen jedoch vom Bundesgesetzgeber festzulegen seien. [Anm-8: BGE 136 II 132 E. 2.7]»

Die oben erwähnte Regelung des Kantons Zürich ist in § 49 VPR festgelegt. Als knapp gilt ein Resultat, wenn die Ja-Stimmen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Stimmen zwischen 49.8 und 50.2 % liegt. Bei der Weiacher Abstimmung vom 18. Juni liegt demnach kein «knappes» Resultat im Sinne der Verordnung über die politischen Rechte (VPR) vor: 348 Ja bei total 685 gültigen Stimmen, d.h. 50.8 % Ja.

Quellen und Literatur

  • Niggli/Uebersax/Wiprächtiger/Kneubühler (Hrsg.): Bundesgerichtsgesetz. Basler Kommentar. 3. Auflage. Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel 2018.
  • Brandenberger, U.: Bundesgericht, wir kommen! Oder doch nicht? WeiachBlog Nr. 2030, 22. Januar 2024.

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