Mittwoch, 9. Juni 2021

Weiacher Konsumverein, 1871-1873

Vor der Einführung des Obligationenrechts auf eidgenössischer Ebene im Jahre 1883 gab es die Genossenschaft als Rechtsform einer Unternehmung noch nicht. Genossenschaften, die sich die Selbsthilfe ihrer Mitglieder zum Ziel gesetzt hatten, mussten sich daher als Aktiengesellschaften konstituieren. Einige nahmen den Begriff Aktie denn auch ihren Firmennamen auf, so z.B. die bereits 1839 gegründete Aktienbäckerei im glarnerischen Schwanden.

Die Konsumvereine sind Teil der Genossenschaftsbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und hatten oft die günstige Versorgung ihrer Mitglieder mit Gütern des täglichen Bedarfs, insbesondere Lebensmitteln, zum Ziel. Eine der ersten Organisationen, die in der Schweiz diesen Namen trug, war der 1851 von Grütlianern gegründete Konsumverein Zürich (KVZ), der auch als einer der wenigen als selbstständige Organisation bis 1995 Bestand hatte.

Die redlichen Pioniere als Vorbild?

In den 1860ern wurden die Grundprinzipien der Rochdale Society of Equitable Pioneers, gegründet 1844, rund um den Globus in vielen Fällen zur Richtschnur für Konsumvereine. Sie lauteten:
  • Gleiches Stimmrecht: Jedes Mitglied hat eine Stimme, unabhängig von der Höhe der Einzahlung.
  • Jeder kann der Genossenschaft jederzeit zu den gleichen Bedingungen beitreten wie die bisherigen Mitglieder.
  • Rückvergütung: Je mehr ein Mitglied bei der Genossenschaft kauft, umso grösser soll seine Beteiligung am Überschuss sein.
  • Verkauf nur gegen Barzahlung.
  • Lieferung unverfälschter Ware mit vollem Gewicht.
  • Politische und religiöse Neutralität. (Quelle: Wikipedia-Artikel Konsumgenossenschaft)
Die Barzahlung war besonders wichtig, denn die Genossenschaften sollten die Verschuldung der Arbeiter bei den Händlern vermeiden helfen.

Gründung heute vor 150 Jahren

Nachdem zwei Versuche zur Gründung einer Dachorganisation gescheitert waren, wurde 1890 der Verband Schweizerischer Konsumvereine (V.S.K.) gegründet. Diese Organisation hat 1952 eine Festschrift über die Kantone Zürich und Schaffhausen herausgegeben (Titel vgl. Quellen unten). Und darin findet man auf S. 120 auch einen Konsumverein Weiach, der vor 150 Jahren aus der Taufe gehoben wurde:

Weiach, Konsumverein, 1871

«Unter dem Titel «Soziale Frage» berichtete die «Schweizerische Handelszeitung» am 9. November 1871: «Konsumverein Weiach, Kanton Zürich, gegründet am 9. Juni (1871), vom Regierungsrat genehmigt am 14. Oktober 1871. Das Betriebskapital wird durch Aktien, Anleihen und Ansammlung des Reingewinnes gebildet. Jedes Mitglied darf nur eine Aktie zu Fr. 5.- besitzen. Sobald das Vereinsvermögen (Aktienkapital nebst Reservefonds) Fr. 4000.- erreicht hat, werden drei Fünftel des Reingewinns 'im Interesse der Mitglieder' verwendet.»  Die Auflösung des Vereins erfolgte am 14. November 1873»

Ein kurzes Leben von nur 889 Tagen

Der Aktiengesellschaft Konsumverein Weiach war also nicht gerade ein langes Leben beschieden. Aber in dieser kurzen Zeit war sie nach Gründung und nach Liquidation je einmal Traktandum im Zürcher Regierungsrat:

Eintrag ins Ragionenbuch und Veröffentlichung der Statuten im Amtsblatt

RRB 1871/2218: «Der Konsumverein Weiach sucht um Genehmigung der von ihm aufgestellten Statuten im Sinne des § 22 des privatr. Gesetzbuches [kantonales Gesetz], sowie um Aufnahme in das Ragionenbuch nach [d.h. das Verzeichnis der ins Handelsregister eingetragenen Firmen].

Der Regierungsrath, nach Einsicht eines Antrages der Direktion des Innern, beschließt:

I. Es wird den vorliegenden Statuten des Konsumvereins Weiach die Genehmigung ertheilt.
II. Von den Statuten sollen zwei Exemplare auf Stempelpapier ausgefertigt & mit den Originalunterschriften versehen werden; das eine Exemplar ist im Archiv der Direktion des Innern aufzubewahren, das andere der Gesellschaft zuzustellen.
III. Gegenwärtiger Beschluß soll sämmtlichen Abschriften oder Abdrücken der Statuten beigesetzt und nebst letztern in das Amtsblatt eingerückt werden.
IV. Der Vorstand des Konsumvereins wird angewiesen, seine Firma gemäß §§ 2 litt. c & 4 des Gesetzes betr. das Ragionenwesen in das Ragionenbuch des Bezirkes Regensberg durch den Bezirksrath eintragen zu lassen.
V. Mittheilung an den Konsumverein Weiach
[.]»

Heute trägt das Ragionenbuch den Titel Zentraler Firmenindex (Zefix; www.zefix.ch) und wird von der Eidgenossenschaft geführt.  

Auflösung: Vormerk am Protokoll und Publikation im Amtsblatt

RRB 1874/1030: «Der Regierungsrath, nach Einsicht eines Antrages der Direktion des Innern, beschließt: Es sei von der mit Zuschrift vom 26. April abhin erfolgten Anzeige, daß durch einstimmigen Beschluß der Generalversammlung vom 14. Nov. 1873 die Aktiengesellschaft „Konsumverein Weiach“ sich aufgelöst habe, Vormerk am Protokoll zu nehmen und die Auflösung dieser Aktiengesellschaft gemäß § 23 des privatrechtl. Gesetzbuches durch das Amtsblatt bekannt zu machen.»

Die Statuten sind Gegenstand eines weiteren Beitrags

Ob es sich beim Konsumverein Weiach um einen Zusammenschluss von Landwirten und damit sozusagen um einen Vorläufer der Landwirtschaftlichen Genossenschaft (gegr. 1901) gehandelt hat, ist ohne Einblick in die Statuten nicht feststellbar. 

Die fragliche II. Abtheilung des Jahrgangs 1871 des kantonalen Amtsblatts, in der sie gemäss Regierungsratsbeschluss veröffentlicht wurde, ist jedoch bei Google Books oder archive.org nicht verfügbar (jeweils nur die erste Jahreshälfte). Auch das Digitalisierungsprojekt des Staatsarchivs ist noch nicht so weit. Bleibt also nur der Besuch in einer Präsenzbibliothek.

Quellen, Literatur und weiterführende Archivbestände
  • StAZH O 53 Konsumvereine, 1855-1913
  • Heeb, F.: Hundert Jahre Konsumgenossenschaften in den Kantonen Zürich und Schaffhausen. Ein Beitrag zur Geschichte der gesamtschweizerischen Genossenschaftsbewegung. Im Auftrag des Vorstandes des Kreises VII des V.S.K. verfasst von Friedrich Heeb. Zürich 1952 – S. 120. [Bibliothekssignaturen: ZBZ FD 605, ZBZ SGA 5572; NB N 67602]
  • Degen, B.: «Konsumvereine», in: Historisches Lexikon der Schweiz (e-HLS), Version vom 30.10.2008.
  • Gschwend, L.: «Obligationenrecht (OR)», in: Historisches Lexikon der Schweiz (e-HLS), Version vom 14.08.2009.

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