«TUN Sie etwas!!!». Mediziner und Politiker kennen das Dilemma. Sei es der Patient, der voller Ungeduld eine Lösung für sein unmittelbares Problem sehen will. Seien es die Angehörigen. Oder seien es Aktivisten, welcher Couleur und Ausrichtung auch immer. Die Forderung schlängelt sich durch den Raum. Drohend wie eine Kobra.
Deshalb gilt: Wer am lautesten schreit, wird mit Aktion belohnt. Je extremer die Forderung, desto eher geschieht etwas. Irgendetwas. Das Prinzip gehört sozusagen untrennbar zur conditio humana dazu.
«Etwas tun» ist nicht von ungefähr das Geschäftsmodell aller möglichen und unmöglichen Nichtregierungsorganisationen. Die dann die Politik vor sich her und in den Erlass eines Dschungels von Gesetzen und Verordnungen treiben.
Obwohl in vielen Situationen eigentlich gelassenes Beobachten und Abwarten (bzw. eine weniger eindrückliche Steuerungsmassnahme) empirisch nachweisbar besser wäre – manchmal sogar mit harten Daten wissenschaftlich unterfüttert. Man handelt, obwohl Aktionismus per se kontraindiziert sein müsste (der medizinische Begriff für dem Problem unangemessene Behandlung).
Damit etwas geschieht... (um hier den Titel zu übersetzen)
Wer Entscheidungsträger ist (und sei es auch nur, dass er/sie das aus Sicht der laut Schreienden zu sein hat), sieht unmittelbar besser aus, wenn sofort (oder mindestens sehr zeitnah) eine sichtbare Handlung erfolgt. Selbst, wenn die im besten Fall nichts schadet. Beim Patienten zum Beispiel, indem das medizinische Personal einen Infusionsbeutel mit physiologischer Kochsalzlösung anhängt. Oder bei der Öffentlichkeit, indem Politiker «entschlossenes Einschreiten» demonstrieren (aber nicht wirklich durchgreifen). Wer diese Kunst beherrscht und sie ohne grosse Bedenken als Trumpf ausspielt, wird nach oben gespült. Nicht immer, aber sehr häufig.
Das Problem dabei? Wenn die zugrundeliegende (im schlimmeren Fall kollektive) Angststörung damit nicht behoben werden kann, dann muss man als Entscheidungsträger tatsächlich auf blinden Aktionismus schalten, selbst wenn einem die fachliche Expertise, das eigene Gewissen und der gesunde Menschenverstand (oder gar der Nürnberger Kodex) dringend raten, im konkreten Fall besser NICHTS zu tun. Oder wenigstens etwas nicht so Spektakuläres.
... müssen Sündenböcke über die Klinge springen
Das Ersetzen eines freiheitlichen Rechtsstaates durch einen wie eine Monstranz vor sich her getragenen Risikomanagement-Götzen ist gefährlich. Denn der Götze fordert zuerst zwar nur einige leicht zu greifende Sündenböcke als Opfer, hat danach aber zunehmend die Tendenz wie eine Revolution die eigenen Kinder zu fressen. Eine allzumenschliche Handlungsweise, bei der mit zunehmender Dosis des Angst-Antidots dann auch Unmenschlichkeiten aller Art gerechtfertigt scheinen.
Man redet ja nicht umsonst von einer Hexenjagd, wenn wieder einmal zum Halali auf die neueste Sünderinnenkategorie geblasen wird. Und wie bei den Hexenprozessen früherer Jahrhunderte: das ist ansteckend und entwickelt eine Eigendynamik, bei der warnende Stimmen (und seien sie fachlich noch so qualifiziert) schnell einmal niedergeschrien werden. Man muss jetzt einfach etwas TUN!
Was liegt da näher als: «Hexen (m/w/d)». Jagen. Foltern. Verbrennen. Da gibt es regelrechte Jobprofile für solche Kandidaten und Kandidatinnen. Man muss das mit dem Foltern etc. ja nicht zwingend physisch verstehen, wie noch zu Zeiten der Alten Eidgenossenschaft mit ihren ehrenvesten, wysen, etc. Herren an der Spitze, die dort auch bleiben wollten.
Wenn heutzutage nun gewisse aufgeklärtere, progressive Kreise glauben, sie wären vor solchem Verhalten gefeit, dann sei darauf hingewiesen, dass auch Stadtluft nicht immun gegen Aktionismus in der Spielart Asaselismus macht (Sündenbock als Blitzableiter, abgeleitet vom hebräischen azazel, vgl. Frey-Anthes 2007).
Hexen hinrichten, Juden jagen, Covidioten canceln
Selbst wenn man nicht ausschliessen kann, dass sich die verbrannte Hexe noch aus dem Jenseits (bzw. aus einer Zwischenwelt) heraus rächen könnte... Verbrennen hilft – weil etwas Spektakuläres geschieht – wenigstens bei der unmittelbaren irdischen Herrschaftssicherung. Die Halbwertszeit solcher Aktionen ist allerdings begrenzt. In der Regel wesentlich unter tausend Jahren (wie bei denjenigen braun eingefärbter Ideologen, die in unserem nördlichen Nachbarland vor einigen Jahrzehnten ihr Heilsversprechen durchsetzten). Man kann aus der Geschichte ja auch etwas lernen. Es wäre an der Zeit.
Wer sich in die Herrschaftssicherungsvariante «Hexen» am Beispiel von Weiach einlesen will, dem sei die Lektüre von Die Weiacher Hexenprotokolle (Wiachiana Doku Bd. 1, PDF, 3.57 MB) empfohlen.
Weitere Beiträge zum Thema
- Brandenberger, U.: Staatliches Angstmanagement. WeiachBlog Nr. 1418 vom 10. November 2019.
- Brandenberger, U.: Die Kunst der glaubhaften Abstreitbarkeit. Ein Kommentar. WeiachBlog Nr. 1460 vom 6. Januar 2020.
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