Mittwoch, 2. Juni 2021

Ein Adressbuch ohne Adressen von 1893

Keine Adressangabe? Kein Problem. Wenn das Dorf klein genug ist, dann findet man den oder die im Adressbuch Verzeichnete/n. Einfach vor Ort fragen. 

Vor etwas mehr als 125 Jahren war das offensichtlich noch in mancher Gemeinde des Kantons Zürich so. Oft gab es ohnehin keine Strassennamen, jedenfalls nicht offizielle auf Tafeln verzeichnete. Nur Hausnummern. Und um die innert nützlicher Frist zu finden, hätte man ja auch Ortskundige fragen müssen. 

Wohl deshalb hat die Bassersdorfer Druckerei Hans Schwarz & Cie bei etlichen Ortschaften auch gleich auf die Assekuranznummern verzichtet. Das Adressverzeichnis 1893/94 war eins ohne (vollständige) Adressen wie wir sie heute verstehen. 

Adressverzeichnisse haben ein relativ kurzes Leben, die meisten werden wohl nach wenigen Monaten oder Jahren bereits entsorgt. Oder haben Sie noch alle Telefonbücher der letzten Jahre? Es ist deshalb kein Wunder, dass Hans Schwarz' Adressbuch des Kanton Zürich für Industrie, Handel und Gewerbe 1893/1894 von der ETH-Bibliothek die sprechende Signatur Rar 20314 erhalten hat.

Der Ortseintrag Weiach

Die Einwohnerzahl von 634 (s. Bild unten) ist eine diesem Schwarz-Verzeichnis eigene Angabe, die von den 643 Einwohnern gemäss der Volkszählung von 1888 abweicht.

Aufschlussreich auch die Formulierung «Post und Telegraph», d.h. das Fehlen des Stichworts «Telephon». 1893 gab es also im Gasthof zur Post (Alte-Post-Strasse 2) offenbar noch kein Telefon.


Insgesamt 40 Läden bzw. Werkstätten!

Nach den allgemeinen Angaben, die man auch in Lexika finden kann, folgt eine alphabetische Auflistung von über vier Dutzend Unternehmen bzw. Geschäftszweigen von unternehmerisch ausserhalb der Landwirtschaft tätigen Weiachern. Die meisten von ihnen waren vermutlich gleichzeitig auch als Nebenerwerbslandwirte tätig.

1. Lebensmittel und Gemischtwarenhandel

Bäckereien gab es drei, nämlich die von Heinrich Griesser, Stephan Neeracher und Anton Popp. Letzterer betrieb auch die Mühle im Oberdorf. Neeracher führte dazu noch eine Wirtschaft und einen Spezereienladen (s.unten).

Als Gasthöfe galten drei Häuser: der Gasthof zur Linde (Besitzer: Johannes Schenkel), der Gasthof zur Post (Besitzer: Albert Meierhofer) und der Gasthof zum Sternen (Besitzer: Emil Frei-Reich).

Die Wirtschaften waren ebenfalls drei an der Zahl: die «zum Weinberg» benannte von Heinrich Griesser, Bäcker (an der Luppenstrasse 8; vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 101, S. 391), die «Restauration zum Bahnhof» von Johannes Lienhard und die Wirtschaft von Stephan Neeracher. Also 1 Beiz auf rund 100 Einwohner!

Spezereihandlungen (d.h. Lebensmittel- oder Gemischtwarenläden) gab es vier: die von Jakob Meierhofer, Witwe Katharina Meierhofer, Jakob Nauer sowie Stephan Neeracher.

Die örtliche Käserei wurde durch die als eine der wenigen Weiacher Firmen im Handelsregister eingetragene Käsereigesellschaft Weiach betrieben (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 46).

Die einzige Metzgerei führte ein weiterer Jakob Meierhofer. Leider steht in diesem Adressbuch nicht, um welchen Zweig der vielen Meierhofer es sich jeweils gehandelt hat.

2. Spezialisierter Handel

Eine Geschirrhandlung sowie eine Hadernhandlung führte Jakob Liebert (vgl. das Lieberthaus, das heutige Ortsmuseum am Müliweg 1). Hadern sind Lumpen und zerschlissene Kleider, d.h. Textilfasern, die als Rohstoffe für die Papierherstellung dienten.

Holzhandlungen führten Jakob Meyerhofer (später am Bahnhof stark ausgebaut) und Johannes Schenkel. 

Sogar eine Weiacher Lederhandlung gab es. Inhaber war Jakob Meierhofer.

Eine Manufacturwarenhandlung betrieb ein Jakob Meierhofer. Manufakturware ist Meterware, also Stoffballen, die nach der Massangabe des Käufers geschnitten und verkauft werden.

Schliesslich ist noch der Viehhändler Carl Willi zu nennen.

3. Handwerksbetriebe

Schuhmacherwerkstätten waren nicht weniger als fünf in Betrieb! Alexander Baltisser, Ulrich Meier, Konrad Meierhofer, Ulrich Meierhofer sowie Gebrüder Schmid im Berg.

Schneider gab es drei: die Ateliers von Jakob Meier, Konrad Meierhofer und Konrad Schmid.

Weiter herum bekannt war die Mechanische Werkstätte von Jakob Etzensperger mit ihrer Spezialität Mühlenbau, die als Fabrik galt, obwohl sie nur wenige Arbeiter hatte (vgl. WeiachBlog Nr. 1626).

Auch der Schlosserei von Jakob Baltisser wird speziell Erwähnung getan: Ihre Spezialitäten waren «Bauarbeit und Wasserleitungen». Ebenfalls im Metallfach tätig: die Schmiede von Jakob Bersinger.

Als Hafner (Ofenbauer) waren Felix Meier und Jakob Siegrist tätig. An der Schnittstelle zwischen den Feurigen und den Hölzigen waren die Wagnereien Jakob Baumgartner und Rudolf Meierhofer tätig.

Auch eine Schreinerei (Inhaber: Johannes Meierhofer) und eine Sägerei (Jakob Baumgartner) gab es, was im waldreichen Weiach wenig verwundert.

4. Amtsfunktionen

Das Betreibungsamt wurde von Jakob Willi geführt (für den Ärger, den seine Amtsvorgänger hatten, vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 36). Als Lehrer werden Ernst Pfrunder und Anna Weber aufgeführt. Für den Notar wird auf Niederglatt verwiesen. Dort war der Sitz des Amtsnotariats für das Neuamt, Rümlang und Weyach. Amtsinhaber war Heinrich Kägi. Und selbst der Weiacher Pfarrer Johannes Stünzi ist nach dem Schwarz'schen Verzeichnis ein Gewerbetreibender. 

Quelle

  • Hans Schwarz' Adressbuch des Kanton Zürich für Industrie, Handel und Gewerbe 1893/1894. Bassersdorf & Zürich 1893 – S. 185. Signatur: ETH-BIB Rar 20314

Keine Kommentare: