Montag, 21. Juni 2021

Tiefe Stimmbeteiligung ist kein neues Phänomen

Stimmfaule Weiacher? Ja früher, da sei alles besser gewesen, wird zuweilen kolportiert, wenn die Stimmbeteiligung in der Gemeinde Weiach (oder doch eher: Stimmabstinenz) wieder einmal Thema ist. Und dieser Umstand von politisch Interessierten beklagt wird.

Wie man im oben abgebildeten, mittlerweile rund 150-jährigen Band mit den Lieferungen des Amtsblatts des Kantons Zürich im Jahre 1871 sehen kann, ist das allerdings stark übertrieben.

Es scheint eher so zu sein, dass – je nach Interesse an den Vorlagen und teilweise nach dem vorherrschenden sozialen Druck in einer Gemeinde – sich ein grösserer oder halt eben kleinerer Prozentsatz an die Urne bemüht hat.

Abstimmung über Initiativen, 29. Oktober 1871

Das nachstehende Bild zeigt einen Zusammenschnitt der Seiten 2332 (mit den Spaltenlegenden) und 2333 (mit den Resultaten des Bezirks Regensberg, der kurz darauf in Bezirk Dielsdorf umbenannt wurde).

Erste Spalte: Zahl der Stimmberechtigten, zweite Spalte: Zahl der Votanten (eingelegte Stimmzettel), danach folgen für die beiden Vorlagen I. Gesetz betreffend die Schuldbetreibung (Initiativvorschlag.) sowie II. Gesetz betreffend das Auffallsverfahren (Initiativvorschlag.) je vier Spalten für Leer, Ja, Nein und Ungültig. Der Begriff Auffall steht für den Konkurs. Da waren also Schuldbetreibung und Konkurs noch in separaten kantonalen Erlassen geregelt (heute im eidgenössischen SchKG von 1889 zusammengefasst).

Die Unterschiede zwischen den Gemeinden sind frappant

Man sieht, dass es in Weiach damals 148 Stimmberechtigte gab (nur Männer; bei rund 740 Einwohnern!), wovon ganze 46 an die Urne gingen, also rund 31 %. Diese Votanten konnten sich dann allerdings auch alle für ein Ja oder ein Nein entscheiden. 

Nicht so in Bachs mit fast 77 % Beteiligung. Da machten die leer einlegenden Votanten einen sehr grossen Anteil aus. In unserer westlichen Nachbargemeinde war offenbar der soziale Druck, an der Urne gesehen zu werden stärker als in Weiach, wo viele sich den Weg ins Abstimmungslokal gespart haben (die eigene Stimme hat bei einem leeren Zettel ja ohnehin keinen Einfluss).

Auffallend, wie stark die Beteiligung auch in Neerach, Stadel und Windlach ausfiel, wohingegen sich das Verhalten der Raater mit dem der Weiacher vergleichen lässt. Ob das einer Tendenz entsprach oder das Phänomen nur bei diesem Urnengang auftritt, das müsste man mit vertieften Erhebungen abklären.

Ebenfalls bemerkenswert, wie die Regensdorfer oder die Oberglatter und die Rümlanger mit tiefen Beteiligungen glänzten. Und ganz krass der Vergleich zwischen Niederglatt-Nöschikon und Niederhasli (mit Oberhasli, Mettmenhasli und Nassenwil), die doch seit dem Hochmittelalter bis heute der gleichen Kirchgemeinde angehören.

Ein keineswegs einheitliches Bild

Auf der Abstimmungsapp des Kantons kann man nicht nur die aktuellen Vorlagen nachverfolgen, nein da sind auch die Abstimmungen längst vergangner Tage mit heutigen visuellen Mitteln aufbereitet verfügbar. Vgl. die nachstehende Gemeindekarte für die Vorlage II (Initiativvorschlag Auffallsverfahren) der Abstimmung vom 29. Oktober 1871:

Auf dieser Karte sind die mittlerweile wegfusionierten Gemeinden natürlich nur als Summenparameter ersichtlich, wie bspw. für unsere Nachbargemeinde Stadel, die zwischen 1840 und 1907 aus drei unabhängigen politischen Gemeinden bestand.

Beide Vorlagen wurden übrigens von der Demokratischen Bewegung eingebracht, die das System Escher bekämpfte und 1869 massgeblich am Zustandekommen der neuen Kantonsverfassung beteiligt war. 

Über den ganzen Kanton hinweg war eine Stimmbeteiligung von rund 70 % zu verzeichnen. Gegen den erbitterten Widerstand der Gemeinden an der Goldküste und mit massgeblichem Rückenwind aus der Gegend um Winterthur kamen beide Vorlagen durch.

Weiterführende Unterlagen auf der Website des Kantons

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