Nach dem letzten Abstimmungssonntag stand Weiach, das bei den drei Umweltvorlagen mit den kantonsweit höchsten Anteilen an Nein-Stimmen aufgefallen war (vgl. WeiachBlog Nr. 1672), wieder einmal im medialen Scheinwerferlicht.
Dabei ist das mit rund 58 % ebenfalls deutliche Nein zum Covid-19-Gesetz in den Massenmedien fast völlig untergegangen. Einzig in einem Kommentar von Martin Liebrich im Zürcher Unterländer findet der Platz 7 auf der Neinstimmen-Prozentrangliste Erwähnung.
Bekannt ist, dass einige Weiacher mehr oder weniger dezidierte Gegner der Coronamassnahmen sind. Vor allem, wenn sie Kinder treffen. Ob diese Haltung aus medizinischen Erwägungen oder aus Freiheitsempfinden heraus begründet wird, sei einmal dahingestellt. Und ob die mit neuen Methoden hergestellten mRNA-Präparate nun als Impfung oder doch als prophylaktische Gen-Therapie bezeichnet werden sollen, darüber werden ja rund um die Welt heftige Kontroversen geführt. Auch das wollen wir hier nicht weiter erörtern. Wir wollen hier einen Vergleich mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert anstellen.
Die Impfpflicht war in den 1870ern umstritten
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Befürworter und Gegner kreuzen in der Impffrage schon sehr lange die Klingen. Vor bald 150 Jahren war der Streitpunkt, ob man Gesundheitsschutz durch staatliche Zwangseingriffe in die körperliche Integrität erreichen solle, schon einmal Thema einer Zürcher Volksabstimmung. Wie kam es dazu?
1874 hat das gerade gegründete Deutsche Reich die Impfpflicht gegen Pocken eingeführt, ein Schritt, den das Königreich Bayern bereits 1807 getan hatte. Und wie das so ist, wenn sich in unseren Nachbarländern (in diesem Fall besonders dem Grossherzogtum Baden) etwas tut, dann hat das früher oder später auch in der Eidgenossenschaft Konsequenzen.
Im Bereich der Pockenschutzimpfung gab es damals auch im Kanton Zürich ein implizites Impfobligatorium für Kinder, wie man dem § 57 des Gesetzes über das gesammte Unterrichtswesen von 1859 entnehmen kann:
«Alljährlich beginnt mit Anfang Mai ein neuer Schulkurs. Wenigstens acht Tage vorher macht der Präsident der Schulpflege der Gemeinde bekannt, daß die Kinder, welche das gesetzliche Alter erreicht haben, in die Schule aufgenommen werden sollen, und fordert die Eltern auf, dieselben an dem bestimmten Tage unter gleichzeitiger Beibringung des Impfscheines der Schule zu übergeben. Vor diesem Tage soll dem Lehrer ein Verzeichniß der neu eintretenden Schüler mit Angabe ihres Geburtstages und des Namens ihrer Eltern von dem Pfarrer eingehändigt werden. Das Verzeichniß derjenigen Schulkinder, die nach § 51 einem andern Schulkreise zugetheilt sind, sendet der Pfarrer dem betreffenden Pfarramte zu.»
Der Pfarrer war hier involviert, weil er bis 1876 für die Führung des späteren Zivilstandsregisters zuständig war.
Eine Petition des schweizerischen Vereins gegen Impfzwang
Ein national tätiger Verein gegen Impfzwang, angeführt von einem Basler Mediziner, richtete am 19. April 1876 eine Eingabe an den Zürcher Regierungsrat, in welcher er «die Nutzlosigkeit resp. Schädlichkeit der Vacination beziehungsweise Revaccination darzuthun sich bemüht und demnach den obligatorischen Impfzwang bekämpft». Darüber, ob es auch einen freiwilligen Impfzwang gibt, diskutiert man ja auch in unseren Tagen.
Der Verein stellte das Gesuch, eine Kommission einzusetzen, die «im gleichen Verhältniß von Impffreunden und Impfgegnern» zusammengesetzt sein solle, «um die Impffrage einer raschen und unparteiischen Lösung entgegen zu führen». Dabei sollten insbesondere folgende Fragen geklärt werden:
«1. Ob das Impfen wirklich einen Schutz gewähre oder ob es nicht vielmehr zur künstlichen Verbreitung der Pocken beitrage?
2. Ob das Impfen geschehen könne unbeschadet der Gesundheit und ohne Gefahr, gerade dadurch schlimme Krankheiten zu verbreiten?
3. Ob es keine rationellern Schutzmittel gebe?
4. Ob je nach Beantwortung vorstehender drei Fragen ein Impfzwang vom rechtlichen Standpunkte aus gebilligt werden könne oder ob eventuell das Impfen überhaupt ganz zu verbieten sei?»
Wir warten auf den Bund
Die Regierung legte die Petition dem kantonalen Sanitätsrath zur Stellungnahme vor, welcher folgende Erwägungen anstellte:
«1. Das Mittel einer Art Disputation, wie die Petenten sie vorschlagen, ist nicht wol geeignet, in Fragen, deren Endentscheid der Wissenschaft angehört, zur Einigung zu führen.
2. Zudem ist auch die gegenwärtige Zeit nicht dazu angethan, die Frage auf unsrem kantonalen Boden zum Austrage zu bringen. Ohne Zweifel wird binnen Kurzem der Bundesrath sich dieser Sache annehmen; eine bundesräthliche Enquête wird, weil ein größeres Territorium & Material umfassend, besser im Falle sein, zu einem Urtheil über Nutzen und Schaden des Impfens zu führen, als eine auf die engen Grenzen eines Kantons beschränkte Untersuchung.
3. Einem dießfälligen Entscheide der Bundesbehörden, falle er nun so oder so aus, werden wir uns selbstverständlich zu fügen haben, wenn auch unsere Ueberzeugung die entgegengesetzte sein sollte, es erscheint sonach ohne praktischen Werth, zur Zeit in unserm Kanton eine Lösung der Impffrage zu versuchen.»
Entsprechend legte der Regierungsrat dann die Sache auch auf Eis und entschied: «Auf die Petition des schweiz. Vereins gegen Impfzwang wird zur Zeit nicht eingetreten.»
(Quelle. Regierungsratsprotokoll vom 6. Januar 1877, StAZH MM 2.215 RRB 1877/0007)
Argumentations- und Handlungsmuster gleichen sich
Es ist schon bemerkenswert, wie sich die Argumentationsmuster ähnlich sehen. Über anderthalb Jahrhunderte hinweg.
Auch in der COVID-19-Debatte wird ja dazu ermahnt, auf «die Wissenschaft» zu hören, wobei den Impfgegnern implizit unterstellt wird, wissenschaftlich nicht mitreden zu können. Öffentliche Streitgespräche zwischen Exponenten wie Dr. Christian Drosten oder Prof. Sucharit Bhakdi, wie man sie in Deutschland organisieren könnte, waren gemäss Zürcher Sanitätsrath schon damals «nicht geeignet».
Und auch das Verhalten der Zürcher Verwaltung folgt ähnlichen Mustern. Die Gesundheitsdirektion (damals Sanitätsdirektion) unter Regierungsrätin Rickli ist durchaus nicht unglücklich über die Vorgaben aus Bundesbern. Dass das auch anders ginge, wären sie nicht gleicher Meinung, sondern zum Widerstand wild entschlossen, das ist jedem klar, der schon einmal miterlebt hat, wie Kantone sehr effektiv in der Lage sein können, gegenüber dem Bund Zähne zu zeigen und ihren Willen durchzusetzen.
Die Impfkritiker bleiben nicht untätig
Schon bald musste sich der Kanton aber wieder mit dem Thema beschäftigen, denn die Gegner des Impfzwangs legten eine Volksinitiative auf, ein Instrument, das sie mit der neuen Verfassung von 1869 in die Hand bekommen hatten.
Diese Initiative verlangte, den impliziten Impfzwang für Schüler aufzuheben (vgl. die oben zitierten Paragraphen). Ausserdem favorisierte sie «natürliche Schutzmaßregeln» und trat für die freie Impfentscheidung ein:
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