Dienstag, 8. Juni 2021

Wie ein römischer Kardinal den Weiacher Forstdienst gründete

Ein Mann der Kirche, ein Kardinal gar, ist dafür verantwortlich, dass wir seit etwas mehr als 450 Jahren einen Weiacher Gemeindeförster haben. Marcus Sitticus III. von Hohenems (1533-1595), ein Vorarlberger Hochadeliger, mütterlicherseits mit familiären Verbindungen zur Mailänder Nobilität, hat kraft seines Amtes als Staatsoberhaupt des Fürstbistums Konstanz seinen Namen zuoberst auf die Gründungsurkunde des Weiacher Forstdienstes setzen lassen.

Am 15. Juli 1567 nach julianischem Kalender (d.h. 25. Juli nach dem heute geltenden gregorianischen Kalender) wurde nämlich die Pergamenturkunde offiziell besiegelt, mit der die sog. Holzordnung, eine eigentliche Weiacher Forstpolizeiverordnung, in Kraft trat. Eine ihrer Bestimmungen verlangte, dass ein Gemeindebürger als holz vorster amten müsse (vgl. WeiachBlog Nr. 1347). Im Gegensatz zu vielen anderen kommunalen Angestellten wissen wir deshalb beim Förster auf den Tag genau, seit wann es sein Amt gibt.

Der grosse Abwesende

Nun war Merck Sittich, wie er in der Urkunde von 1567 genannt wird, mit einem der letzten Condottiere, den rücksichtslosen oberitalienischen Söldnerführern, eng verwandt. Mit ihm unternahm er in jungen Jahren mehrere Kriegszüge. Von da aus baute er sich ein Beziehungsnetz und machtpolitische Erfahrung auf. Eine theologische Ausbildung erhielt er nicht, das war dem Papst aber auch völlig egal, als er ihn zum Kardinal machte. Interessant war für den Pontifex das diplomatische Geschick Mercks. Und so kam er wohl auch 1561 zu seinem Amt als Bischof von Konstanz. 

In sein Bistum nördlich der Alpen verirrte sich der hohe Herr aber höchstens bei besonderen Gelegenheiten. Sein Lebensmittelpunkt, wie man heute sagen würde, war eindeutig in den Machtzirkeln des päpstlichen Hofes in Rom. Man hat ihn wohl auch nicht wirklich vermisst: das Tagesgeschäft seines Staates, der von Meersburg am Bodensee aus regiert wurde, lief auch ohne seine physische Präsenz.

Und so dürfte der Erstgenannte in diesem Pergament der Einzige gewesen sein, der nicht nur nie in Weiach war, sondern möglicherweise auch keinen blassen Schimmer von den dortigen Problemen hatte. Ganz im Gegensatz zu Magnus Bässler, seinem Obervogt auf dem Schloss Rötteln vis-à-vis von Kaiserstuhl, dem Zürcher Bürgermeister Bernhard von Cham (1508-1571; reichster Eidgenosse seiner Zeit) oder Johanns Melchior Heggenzer († 1587), dem Herren von Wasserstelz. 

Diese drei Spieler (der Zürcher Bürgermeister hatte auch noch die Ratsherren Stampfer, Röist und Meyer, die ihn massgeblich unterstützten) waren die entscheidenden Figuren bei der Lösung des Weiacher Umweltproblems Nr. 1 dieser Tage: dem Wald.

Eine multilaterale Vereinbarung wird zurechtgezimmert

Der WeiachBlog-Beitrag vom Sonntag, 6. Juni hat eine Frage gestellt, die auch uns Heutige beschäftigt: Soll man sich zusammenraufen, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen? Und zwar so, dass der Raubbau an der Natur beendet wird, damit auch künftige Generationen noch etwas haben, wovon sie leben können? Das ist eine Herausforderung, die nur mit gemeinsamen Kräften angegangen werden kann. 

So sah das offensichtlich nach Mitte der 1560er-Jahre auch die Zürcher Regierung, wenn es um den Weiacher Gemeindewald ging. Der war nämlich massiv übernutzt worden. Unsere damalige kommunale Führungsriege selber hatte es an entschlossenen Gegenmassnahmen für mehr Nachhaltigkeit fehlen lassen. Und daher konnte sie auch Auswärtige (wie den Kaiserstuhler Schultheiss) nicht gut kritisieren oder gar bei deren Obrigkeiten anzeigen, wenn die sich ebenso ungeniert bedienten, wie es ihnen gerade passte. Sie waren auch nicht viel besser.

Die Zürcher Regierung lud daher zu einer multilateralen Konferenz der drei Obrigkeiten, die im damaligen Weiach etwas zu sagen hatten: dem Fürstbischof von Konstanz, der Regierung des Stadtstaates Zürich sowie einem Schaffhauser Adeligen, der einen Teil der fürstbischöflichen Rechte verliehen bekommen hatte. In mehreren Arbeitsschritten über etliche Monate hinweg kam dann die Holzordnung zustande.

Die Präambel der Holzordnung

In der Präambel werden zuerst Legitimationsangaben gemacht, namentlich genannt sind die Staatsoberhäupter und ihre wichtigsten Titel. Gleich danach folgen die sog. Erwägungsgründe, die (aus Sicht der Herausgeber des Erlasses) dazu geführt haben, dass es diese massiv in die Gemeindeautonomie eingreifende Kodifikation überhaupt gibt und wie sie im Einzelnen daherkommt: 

«Wir Merck Sittich, der römischen kilchen cardinal, ouch bischoffe zuo Costanntz unnd herr der Rychennow etc., sodenne wir, bürgermeister unnd rath der statt Zürich, unnd jch, Johanns Melchior Heggentzer von Wassersteltzen, rö[misch] key[serlicher] m[ajestä]t unnd d[urchlauch]th ertzhertzog Ferdinanden zuo Österrych rath etc., bekennend unnd thuonnd khund mencklichem mit disem brief, nachdem unns angelangt, das die gemeinde zuo Wyach, alda unns, bürgermeister unnd rath der statt Zürich, die hoch oberkeit, unnd unns, dem cardinal unnd mir Hanns Melchior Heggentzer, die nider grichtsherligckeit zuogehörig ist, jre fronweld und gemeinen höltzer ußrütint, ußhowint, nit widerumb jnschlachint [aufforsten], das holtz verkouffint unnd das erlößt gelt unnutzlichen vertzerint unnd sich harjnne dermassen haltind, das es jnen mitler zyt zuo grossem nachtheil unnd höchstem verderben reichen wurde, sind wir verursachet unnd ouch von oberkeits wegen unnsers vermeinens schuldig gewesen, söllichem jr, der gmeind, schaden zu fürckommen, sy zuo jrem nutz zefürdern unnd harjnne ein gepürlich jnsechen zethuond, unnd habennt unns deßhalben miteinandern also vereint, das unnsere dartzuo verordneten, als namlich von unnser, deß cardinals, wegen der fromm, wyß, unnser gethrüwer lieber vogt zuo Keiserstuol, Mangnus Bäßler, sodenne jnn unser burgermeister unnd rath der statt Zürich nammen die edlenn, vesten, frommen unnd wysen herr Bernhart von Cham, burgermeister, deßglychen Jacob Stampfer, Jacob Röüst unnd Ludwig Meyer, unnsere gethrüwen lieben miträth, mitsampt mir, Johanns Melchior Heggentzer, die handlung für ougen nemmen unnd hierüber ein ordnung stellen, wie unnd wellicher massen die gmeind zu Wyach sich hinfüro mit dem holtzhow jnn jren fronwelden unnd gemeinen höltzern halten, unnd was sy thuon oder lassenn söllint. Wellichem ansechen vermelte verordneten statt gethan, erstlich dero von Wyach höltzer unnd fronweld besichtiget, unnd als sy den mangel unnd gepresten (als obstat) darjnn funden, volgentz nachgemelte ordnung gestelt unnd angesechen, namlich:»

Diese Einleitung der Holzordnung von 1567 (eine Art schriftlich fixierter Bankrotterklärung der Gemeindepolitik) zeigt deutlich, dass dies nicht dem freien Willen der Weiacher entsprang, ebensowenig wie 29 Jahre später die erste Gemeindeordnung (GO 1596), zu deren integralem Bestandteil die Bestimmungen der Holzordnung (ohne die Präambel) wurden. 

Das Resultat war eine obrigkeitlich dekretierte Forstpolizeiverordnung, mit der der Selbstbedienungsmentalität in den Weiacher Wäldern der Riegel geschoben werden sollte. 

In den nächsten Tagen wird das, was nach dem namlich: folgt, d.h. die einzelnen Bestimmungen, Punkt für Punkt erläutert und die verschiedenen Überlieferungen verglichen (für eine Übersicht vgl. WeiachBlog Nr. 1347). 

Auch über die Ratsherren Jacob Stampfer und Ludwig Meyer wird noch zu lesen sein. Die hatten nämlich als Neuamtsobervögte die Notbremse gezogen. Und mussten nun auch die Umsetzung überwachen.

Quelle

  • Weibel, Th.: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft; Erster Band: Das Neuamt. Aarau 1996 – S. 388-389 (RQNA Nr. 180 Weiacher Holzordnung von 1567, Präambel).

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