Freitag, 16. Juli 2021

Schule Weiach an den Synodenpranger gestellt

Wenn man Reformen durchziehen will, dann werden zuweilen die Samthandschuhe weggelassen und das Problem an der Wurzel angepackt. Das konnte man nach der Machtübernahme durch die Radikal-Liberalen im Jahre 1831 am Beispiel der Reform des Schulsystems im Zürcher Staate beobachten.

Lehrkräfte, die den neuen Anforderungen nicht genügten, wurden kurzerhand abgesetzt und in die Pension geschickt. So erging es auch dem Weiacher Lehrer Rudolf Meierhofer (damals ca. 51 Jahre alt; vgl. WeiachBlog Nr. 1538).

Gerade in der Nordwestecke des Kantons gab es Widerstand gegen die schulischen Neuerungen. Konservative Kräfte bekämpften die Schulreformer mit dem Argument, sie wollten die Religion hinwegtun. An die Oberfläche gekommen ist dieser Widerstand anlässlich des Stadlerhandels 1834 (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 114 für diesen und seine Vorgeschichte) und nochmals anlässlich des Züriputsches 1839 (bei dem auch der Weiacher Pfarrer Keller eine Rolle spielte).

Letztlich aber waren die neuen Lehrkonzepte nicht mehr aufzuhalten, da konnte 1840 auch die Absetzung von Ignaz Thomas Scherr, streitbarer Direktor des Lehrerseminars Küsnacht, durch die nach dem Putsch installierte neue Regierung, das Rad nicht mehr zurückdrehen.

Ein Ratingsystem für die Primarschulen

Die fortschreitende Konsolidierung des neuen Schulsystems zeigt sich auch in den Berichten der Zürcher Schulsynode, an der die in Küsnacht ausgebildeten Lehrkräfte regelmässig zusammenkamen.

Die Schulreformer installierten schon früh ein datengetriebenes Controlling. Bereits 1836 wurden die Schulen in einer Art Selbstdeklaration eingestuft, wie man einer erziehungsrätlichen Beilage zum Bericht zur dritten Synode entnehmen kann: 

«Ganz gegen die Absicht des Erziehungsraths geschieht es, daß einige Bezirksschulpflegen die Klassifikationen der Schulen "gut, mittelmäßig, geringe" in die Haupttabelle bloß nach der Angabe der Gemeindsschulpflegen eintragen, da dieß nothwendig nach der Berathung und Beurtheilung der Bezirksschulpflege geschehen sollte.» (Beilage IX zum dritten Bericht 1836, S. 50-51)

In den darauffolgenden Jahren wurden die Schrauben sukzessive angezogen, wie der Bericht zum Schuljahr 1846/47 erwähnt:

«Es darf auch beigefügt werden, daß bei dieser Taxation von Jahr zu Jahr ein strengerer Maßstab angelegt wird, wie dieß aus den Berichten vieler Bezirkschulen erhellt.» Gemeint sind die Bezirksschulpflegen. (Vgl. Bd. 14-15, Heft 1, S. 43-44).

Jetzt werden Namen genannt

Im Bericht über das Schuljahr 1847/48 liess der Erziehungsrat dann sozusagen den Knüppel aus dem Sack. Nun wurden die schlechten Schulen namentlich aufgeführt (Bild: Bd. 14-15, Heft 2, S. 107):

Auch in der vom Erziehungsrat verfassten Beilage zum 16. Bericht für das Schuljahr 1848/49 wird das Ergebnis der «Klassifikation der Schulen» rapportiert. Die Daten dafür lieferten wie bisher die Bezirkschulpflegen, welche die von ihnen visitierten Schulen einstufen mussten in «sehr gut», «gut», «mittelmässig» und «schlecht», wobei nicht alle Bezirke vier Stufen verwendeten (einige weigerten sich bspw., das Prädikat «sehr gut» zu vergeben).

Das Resultat: 

«1847/48 wurden 41 als "sehr gut", 280 als "gut", 128 als "mittelmäßig", 10 als "schlecht" bezeichnet;» [Total: 459 Schulen; vgl. Bild oben]  

«1848/49 werden 46 als "sehr gut", 278 als "gut", 126 als "mittelmäßig", 12 als "schlecht" angegeben.» [Total: 462 Schulen]

Negativranking mit Prangerwirkung, auch für Lehrer

Was bereits im Vorjahr mit einem Lehrer aus Höngg eingeführt wurde, ist diesmal ausgeweitet: die Namensnennung. Die rund 2.5 Prozent in der tiefsten Stufe wurden öffentlich an den Pranger gestellt. Da heisst es:

 «Als schlechte Schulen werden bezeichnet:» [...]  «im Bezirk Regensberg: Bachs im Thal, Weiach (Willi, jetzt resignirt).»

Der Weiacher Lehrer Willi, bereits zurückgetreten, wurde also in der Synode (sozusagen coram publico)  beruflich mit einem Fusstritt verabschiedet.

Ähnlich erging es dem Lehrer Illi von Aesch (bei Birmensdorf). Hinter dessen Name steht der Zusatz «der nun resignirt». Wenigstens nicht namentlich genannt wurde der aus seiner Stelle ausgeschiedene Lehrer der Gemeinde Ellikon an der Thur («jetzt mit einem Vikar»). Nur der Höngger Lehrer Wehrli ist der einzige namentlich Aufgeführte, der gemäss Erziehungsratsbericht immer noch im Amt war. Die Gemeinde Höngg sah die Causa Wehrli offensichtlich ganz anders als die Bezirksschulpflege.

Pranger schnell wieder abgeschafft

In den darauffolgenden Berichten ist die Namensnennung wieder verschwunden. Offenbar wurde die Neuerung dann doch nicht so gut aufgenommen. 

Der Erziehungsrat (heutige Bezeichnung: Bildungsrat) musste auch einräumen, dass (wie es bei dieser Materie unvermeidlich vorkommt) die Bezirksschulpflegen höchst unterschiedliche Masssstäbe anlegten, diejenigen des Bezirks Regensberg galten dabei als eher milde. Es lasse sich «nicht verkennen, daß diese Taxationen insofern einen etwas unsichern Maßstab zur Beurteilung des Zustandes der Schulen darbieten, als die Bezirksschulpflegen selbst dabei in ungleicher Weise zu verfahren pflegen.» (Bericht über die 24. Schulsynode 1857, S. 16).

Transparenz «unstatthaft»?

Übrigens fanden auch einige Gemeindeschulpflegen, ihre eigenen Einschätzungen würden zu wenig berücksichtigt. An der Schulsynode 1860 kam aus dem Bezirk Pfäffikon der Antrag «daß in den Berichterstattungstabellen der Bezirksschulpflegen neben den Klassifikationen der Schulen durch die letzteren auch diejenigen der Gemeinds- und Sekundarschulpflegen in einer besondern Rubrik möchten aufgeführt werden. Nachdem in der Diskussion das Unstatthafte und unter Umständen selbst Gefährliche des gewünschten Verfahrens in der Berichterstattung klar hervorgetreten war, wurde der Antrag zurückgezogen.» (Bericht über die 27. Schulynode 1860, S. 4)

Was daran unstatthaft oder gefährlich sein soll, wird leider nicht erörtert. Offenbar hatte man Angst, die Problematik der zuweilen etwas stark auseinanderklaffenden Einschätzungen allzu offen zutage treten zu lassen.

Quellen und Literatur

  • Berichte über die Verhandlungen der Zürcherischen Schulsynode. [Wie im Lauftext referenziert. Titel am Beispiel Bd. 16 - Beilage VI: Bericht des Erziehungsrathes über den Zustand des Volksschulwesens im Schuljahr 1848-1849. S. 50-51  In: Bericht über die Verhandlungen der sechszehnten Schulsynode des Kantons Zürich im Jahr 1849. Zürich 1850]
  • Brandenberger, U.: Unfähige Lehrer zu Dutzenden in den Ruhestand versetzt. WeiachBlog Nr. 1538 vom 2. Juli 2020.

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