Der deutsche Reformator Luther soll seine 95 Thesen ja bekanntlich eigenhändig an die Türe der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt haben. Ob dieser Vorgang erfunden ist oder nicht: Es gab zu dieser Zeit wohl keinen geeigneteren Ort, um ein Schriftstück einem möglichst breiten Kreis öffentlich zur Kenntnis zu bringen. Denn zur Kirche musste jede(r).
Diesen Umstand nutzte auch die Zürcher Regierung, wenn sie einen Gesetzeserlass unter die Leute bringen wollte. In einem dieser Erlasse, dem Mandat vom Samstag, 16. April 1586 (st.v.; d.h. 26.4.1586 greg.) steht diese Publikationsform sogar explizit drin: «Und by yeder Kilchen offentlichen an die thüren [...] anschlachen zelassen» war der offizielle Auftrag an die Amtsträger vor Ort.
Am Ort der Verkündigung
Zu diesem Zeitpunkt hatten die Weiacher bereits seit über dreissig Jahren eine eigene Kirche (vgl. WeiachBlog Nr. 1555), an deren Türen das Mandat angeschlagen werden konnte. Nur noch keinen Pfarrer, der vor Ort lebte (das war erst ab 1591 der Fall). Umso wichtiger diese Art der Publikationsform.
Der Inhalt dieses Mandats war den Untertanen keineswegs fremd. Sie konnten sich an frühere Erlasse dieser Art erinnern. Anlass dazu boten Liegenschaftskäufe und -verkäufe (Häuser und Landwirtschaftsland) ohne genügende finanzielle Unterfütterung.
Solche weitreichenden Entscheidungen sollten nur in nüchternem Zustand, mit einem ordentlichen Aufgebot an Zeugen und auf keinen Fall beim abendlichen Schlummertrunk in einer Weinschenke abgeschlossen werden, dekretierte die Obrigkeit.
Zu viel Risikofreude wird als Betrugsabsicht gewertet
Mit Strafe bedroht wurden alle, die Zahlungsversprechungen machten, von denen sie bei genauem Hinsehen zugeben mussten, dass sie, wenn sie das Geld dafür schon nicht hatten, doch immerhin zu viel Vertrauen darauf setzten, es auf den Fälligkeitszeitpunkt schon noch erwirtschaften zu können. Wer so geschäftete, dem wurde Betrugsvorsatz vorgeworfen.
Die Obrigkeit zu Zürich machte auch unmissverständlich klar, dass Verkäufer, die nicht nachhakten, woher denn das Geld für den Kauf kommen sollte, nicht damit rechnen konnten, dass sie in jedem Fall vor Gericht recht erhalten würden.
Darüber hinaus wurde den Verwandten eines allzu Risikofreudigen, der in Konkurs fiel und mit Frau und Kind an den Bettelstab kam, angedroht, dass sie dessen Kinder bis zur Volljährigkeit versorgen müssten, sollte man ihm nachweisen können, dass er bei dieser Art von Geschäft in irgendeiner Form Beihilfe geleistet hatte.
Das Mandat im vollen Wortlaut
«Wir Burgermeister und Raht der Statt Zürych / thuond kundt offentlich hiemit
Wiewol wir hievor mehrmalen maengklichen der unseren vermanen lassen / Das niemandts unbedachter wyß / ald hinderm wyn / in schlaaftrüncken / oder zuo unzyten / umb ligende güter oder sonst eehaffte köuff thuon / sonders sich zevor / wie er sin zuosag halten welle / und zalen möge / wüssentlich umb:und versähen sölle. So befindend wir doch noch täglichen / daß sölliches von etlichen schlächtlichen betrachtet wirt / und aber augenschynlich der unsern höchstes verderben ist / so sy also unbedächtlicher wyßz / um ligende güter / und sonst köuff / zum thüristen thuond / uff Gotts bratt (wie man spricht) ouch guot glück / hoffnung / und selbs machende rächnung hin / jnen syge sovi früchten im väld zewerden. Daruß sy dann zalung machen / und zuo bestimpten zil unnd tagen / die zuo erleggen verheissend. Und so dann die selben kommend / dhein gält / nach frücht daruß sy gält zelösen habend / vorhanden / mögend sy ir zuosag nit halten: Daher dann zuon zyten volget / Ob sy glych wol etliche zalungen an kouff vom anfang erlegt / und aber die dennmals gegenwürtig nit zeleisten haben / das sy von gütern wider staan / unnd das sy daran gewärt / dahinden lassen unnd verlieren / oder mit grossem schaden / vech / gält / wyn als andere frücht uff sich nemmen müssend / und die güter träffenlichen versetzend und beschwärend / und letstlichen sich also mit wyb und kinden / in bättelstab selbs gar richtend / sc.
Und diewyl wir vil lieber der unseren wolstand und ufgang sähend / und deßhalben jnen das / so zuo jrem nachteil reichen thuot und mag (sovil müglichen) zuoweeren von Oberkeits wägen schuldig und geneigt sind: Hat uns für hoch erforderlich / und gantz thuonlich bedunckt / obangeregt unser vornaher ußgangen gebott und warnung / hiemit widerumb im truck zuoernüweren. Und by yeder Kilchen offentlichen an die thüren / zuo meerer gedechtnuß / weß sich einer selbs besinnen und halten sölle / anschlachen zelassen.»
Nach diesen ausführlichen Erwägungen kommt die Regierung nun endlich zur Sache:
«Und ist hieruf unser ernstliche unn vätterliche vermanung / ouch will und meinung / an mengklichen der unseren / Das ein yeder der unsern / so er umb ligend güter / oder sonsten köuff thuon will / sich vor und eemalen wol umbsähe / und syn gwüsse rächnung habe und mache / wie unnd womit / ouch woruß er den vorhanden habenden kouff / bezalen und halten könne und möge / und dheinen kouff beschliesse / er wüsse und zeige dann zevor wo er jn zalen wölle / unnd kein gfaar darinne bruche. Deßglychen der verköuffer / in söllichen köuffen / eigentliche nachfrag habe / wie er möge bezalt werden / und nit nun etwan uff guot glück hin / dem gmeinen mann köuff gäbe / sinen nutz darmit zefürderen / wie es joch dem köuffer hernach gange.
Noch ouch yemandts die köuff / in voller wyß / oder in den schlafftrüncken / sonders zuo rächter zyt / in bysyn biderber lüten / für hand nemme und thüyge. Dann wellicher angezeigter köuffen / sich wyter beladen / und uff ungewüsse ding hin / mercktete und kouffte / inmassen er sinem zuosagen / und versprochnen bezalungen / fälen sölte / unnd nit halten köndte: Den unnd die selben wöllend wir / oder unsere Vögt in unserm nammen (denen wir das hieby mit ernst yngebunden habend) jres betruglichen mercktens / kouffens und handlens / nach gstaltsamme straffen / und ouch dem verköuffer / in sinen sachen im rächten wenig gestands gäben / das ein yeder wölte / er wäre rüwig gwäsen.
Und ob yemandts under eines söllichen köuffers gfründten und verwandten / zuo söllichen ungwüssen köuffen hilff und raht thete / und hernach der Köuffer zuo armuot keme / und kinder hette / sol er der gfründt / derselben kinden erzühung und erhaltung / wyl er sinem verwandten nit vor schaden gsyn / zuoerwarten haben / Darnach mag sich ein yeder zerichten / und jm selbst vor schaden zesyn wüssen.
Deß zuo urkundt habend wir unser Statt Zürych Secret ynsigel offentlich hieryn lassen trucken / Sambstags den sechszehenden tag Aprellens. Nach der geburt Christi / unsers lieben Herren / gezalt / fünffzehen hundert achtzig und sechs jar.»
Dank einem Pfarrer erhalten geblieben
Auf dem Druckexemplar der Zentralbibliothek Zürich ist dieses Siegel nicht aufgedrückt, aber dafür ist uns der Einblattdruck erhalten geblieben. Und zwar in einem Sammelband, der sich in der Handschriftenabteilung befindet (ZBZ Ms B 74, fol. 52):
- Mandat der Stadt Zürich betreffend Käufe und Verkäufe von Liegenschaften. 16. April 1586. StAZH III AAb 1.1, Nr. 40 sowie ZBZ M&P 2: 17
- Gagliardi, E.; Forrer, L.: Neuere Handschriften seit 1500 (ältere schweizergeschichtliche inbegriffen). Katalog der Handschriften der Zentralbibliothek Zürich, Bd. 2. Zürich 1982.
- Brandenberger, U.: «Aller gattig himmlischs Bodepersonal...». Pfarrer zu Weiach – 1540 bis 2021. Unveröffentlichte Materialsammlung.
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