Donnerstag, 29. Juli 2021

Privilegierte Herbstweide für Gemeinwerk-Zugvieh

Der Einsatz von Körperkraft war vor Jahrhunderten entscheidend, wenn es um die Instandhaltung von Wegen, Brücken, Zäunen, etc. in Frondiensten und Gemeinwerk ging. Gemeindebürger ohne Zugvieh (Tauner, Tagner oder Taglöhner genannt) setzten ihre Körperkraft ein. Solche mit Zugvieh (Bauern) konnten dieses arbeiten lassen, wie man im Beitrag von gestern (WeiachBlog Nr. 1707) feststellen kann.

Auch nach dem Erlass der Holzordnung (von 1567) durch den Hoch- und die Niedergerichtsherren gemeinsam, einem Schiedsspruch von 1594 über die Weiderechte von Kaiserstuhl auf Weiacher Gebiet, der von den Zürchern dekretierten Weiacher Gemeindeordnung von 1596, sowie einer ebenfalls von Zürich herausgegebenen Regelung des Weidgangs «jn Großen Wißen» von 1598 (wohl nur die Rechte der Weiacher untereinander betreffend, vgl. auch letzten Abschnitt unten) waren die Ressourcenkonflikte keineswegs gelöst.

Das Weidgangsdekret von 1682

Einer im Staatsarchiv des Kantons Zürich erhalten gebliebenen Urkunde (StAZH C II 6 Nr. 604.12; RQNA 194) ist zu entnehmen, weshalb es in den 1680er-Jahren wieder einmal Streit gab:

«Kund und zue wüßen sey hiermit, demnach sich ein streit von deß weidgangs wegen under einer ersammen gemeindt undt burgerschafft zue Weyach erhebt, deßendtwegen eß einer weithläuffigkheit rechtenß und einer gantzen verwirung bethrowet, [...]»

Der Streit war so heftig, dass Gerichtsverfahren und Schlimmeres zu befürchten waren. Um «dem unheil aber vor zue komen,» griff «der wohlgeboren herr Frantz Ernst, freiherr Zweyer von Evebach, der röm[schen] kay[serlichen] may[estät] rath und zue mal hochfürstl[icher] bischofflicher constantzischer obervogt der statt Kayserstuel und deß ambts Röttellen» in dieser letzteren Funktion ein und erliess anlässlich des Herbstgerichts am 28. September 1682 eine Regelung (da vom katholischen Amtsuntervogt zu Kaiserstuhl aufgesetzt, datiert wohl nach gregorianischer Zeitrechnung).

Die Hofwiese wird reserviert

Als Artikel 3 dieser Regelung wird verordnet, dass die Hofwiese, also das Stück Land zwischen Chälen, Büel und Oberdorf, auf dem sich heute das Schulareal befindet, wie folgt genutzt werden solle:

«Zum dritten. Erstlich solle man fahren in die Hoffwißen auff stund und tag, wie eß vor der gmeind ermeret worden, aber eintzig und allein mit dem zug vich, so da sind mit namen roß und stieren, auch die s[alvo] h[onore] khüö, welche den oberkheitlichen fron dienst verrichtet und der gemeind werckh erstadtet, auch alß zugvich durch den winter und summer gebrucht worden, aber darin nüt lenger beleiben sollen, alß abenß von drey uhren biß am morget umb sechs uhren wider darauß fahren sollen.

Allß dan, so mag der khüö hirt mit der allgemeinen s[alvo] h[onore] vich herd darin fahren und weiden, will er mit dem vich zue eäßen findt.»

An einer Gemeindeversammlung sollte also darüber abgestimmt werden, ab welchem Zeitpunkt man die Herbstweide auf der Hofwiese beginnen wolle. Zwischen nachmittags um drei Uhr und dem folgenden Morgen um 6 Uhr durfte dann das Zugvieh dort grasen. 

Allerdings nur Pferde, Stiere (wohl auch Ochsen) und Kühe, die in Frondiensten für die Gerichtsherren oder im Gemeinwerk zugunsten der Gemeinde selber als Zugtiere eingesetzt worden waren.

Weitere Einschränkung: Diese Tiere mussten im verflossenen Winter und Sommer von ihren Eigentümern schon als Zugtiere eingesetzt worden sein. Ein Zukauf im Hinblick auf die Herbstweide sollte so verhindert werden.

Den Tag über (also von 6 bis 15 Uhr) durfte dann das übrige Rindvieh auf der Hofwiese sein Futter suchen.

Zeitlich befristet und lokal eingeschränkt in Kraft

Die oben aufgeführte und alle weiteren Regelungen dieses fürstbischöflichen Dekrets hatten interessanterweise ein Ablaufdatum, nämlich 1691 und waren überdies auf ganz bestimmtes Wiesland beschränkt, wie der abschliessende Artikel 8 festhält: 

«Soll diße erleütherung neün jahr jn krefften verbleiben und auff die Groß Wißen, Hoff-, Leweren- und Klein Wißen gemeindt und verstanden werden

Untergegangene Urkunde

Interessant ist, dass der fürstbischöfliche Obervogt das Basisdokument, nämlich «den brieff, so von lobl[icher] statt Zürich anno 1598 auffgericht wegen weidgangs jn Großen Wißen und der gmeind Weyach übergeben worden», nicht angetastet hat. Der solle (so Artikel 2) «gentzlich in seinen krefften verbleiben».

Thomas Weibel, der dieses Herbstweide-Dekret Zweyer von Evebachs für den Rechtsquellenband Neuamt transkribiert hat, vermerkt in einer Fussnote (S. 441), dieser «brieff» von 1598 sei «nicht erhalten». Wir haben also leider keine Ahnung, was genau der Inhalt dieser Weideregelung gewesen ist. 

Was Weibel nicht erwähnt, ist, wo er überall gesucht hat, um zu diesem Fazit zu kommen, z.B., ob er auch die Missiven (durch die Stadtkanzlei erstellte Kopien ausgehender Briefe) durchforstet hat.

Dass das Dokument im Weiacher Gemeindearchiv nicht mehr vorhanden ist, dürfte (wie schon mehrfach erwähnt) am während der Einquartierung von Truppen entstandenen Brand des Gemeindehauses liegen (vgl. WeiachBlog Nr. 1441 für die Diskussion des Brandzeitpunkts).

Quelle

  • Weibel, Th.: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft; Erster Band: Das Neuamt [=RQNA]. Aarau 1996 – Nr. 194. Nutzung der Herbstweide. S. 440.

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