Montag, 23. Dezember 2019

Die konfessionelle Spaltung prägt das Denken

Die Stapfer-Enquête, benannt nach dem aus Brugg stammenden Philipp Albert Stapfer, Erziehungs- und Bildungsminister der Helvetischen Republik von 1798 bis 1800, ist die erste Schulumfrage, die kantonsübergreifend grosse Teile der Schweiz abgedeckt hat. Stapfer wollte seine Reformabsichten durch eine Bestandsaufnahme legitimieren.

Anders als frühere Umfragen (z.B. die Zürcher Schulumfragen 1771/72) ging der Fragebogen direkt an den Lehrer, nicht an den Pfarrer, der die Aufsicht über das Schulwesen hatte.

Direkt den Lehrer gefragt, nicht den Pfarrer

Diesem Vorgehen verdanken wir einen erstmaligen Einblick in die Verhältnisse im Februar 1799, der in den Worten der damaligen Lehrperson verfasst ist. In der zweiten Hälfte des Horners erfüllten nämlich die meisten Schulmeister in den Nachbargemeinden von Weiach diesen Auftrag. Einzig vom Weiacher Lehrer Felix Baumgartner fehlen Unterschrift und Datierung. Wir wissen also nicht, ob auch er seine Antworten in diesem Zeitraum gegeben hat.

Die Datenbank der Stapfer-Enquête 1799, eine Edition der Schulumfrage der Helvetik, wurde 2015 publiziert und ist auf http://www.stapferenquete.ch/ verfügbar. Dort kann nun jedermann für alle Schulen, von denen ein Fragebogen vorliegt, selber nachlesen. In unserer Umgebung seien genannt:

Weiach (Nr. 629), Windlach (Nr. 634), Stadel (Nr. 1332), Bachs (Nr. 172), Glattfelden (Nr. 628), Fisibach (Nr. 2293), Kaiserstuhl (Nr. 2286), Waldhausen (Nr. 2290).


Welche benachbarten Schulen gibt es?

Im ersten Teil der vierteiligen Umfrage wird nach dem Ort der Schule gefragt, welche Häuser in welcher Entfernung dazugehören und ebenso die Entfernung zu benachbarten Schulen. Und da zeigt sich, welche Auswirkungen konfessionelles Denken haben kann.

Damals war es ja seit einem Vierteljahrhundert, d.h. der Reformation, so, dass Schulen konfessionell geprägt waren. Gelehrt und gelernt wurde anhand von Bibel und Psalmenbüchern. Und die Lehrer im Zürcher Herrschaftsbereich wurden vom Examinatoren-Konvent (der Wahlbehörde für die Pfarrer) geprüft und eingesetzt.

Auf die Frage I.4 «Entfernung der benachbarten Schulen auf eine Stunde im Umkreise» mit den Unterfragen I.4.a «Ihre Namen.» und I.4.b «Die Entfernung eines jeden.» antwortet der Weiacher Schulmeister Baumgartner kurz und knapp: «Bachs Stadel. Glatfelden.» und «jede eine stunde entfehrnt.»

Ausführliche Antworten - und doch fehlt etwas

Der Stadler Lehrer Johannes Albrecht, der die Hauptschule der Kirchgemeinde führte, beschränkt sich bei den benachbarten Schulen auf solche in der eigenen Gemeinde. 

Der Windlacher Lehrer Johannes Kunz [Kuntz] hingegen erwähnte auch die Schulen in Nachbargemeinden und gibt ausführliche Distanzangaben:

«a. Jnnert der Pfarr: Stadel; wo die Kirche und Haubt Schul ist. Ein viertelstund von windlach entfernt. b. Außer der Pfarr: Nerach, in Pfarr Steimur: eine starcke halbe Stunde entlegen. Hochfelden; in der Pfarr Bülach. 3/4 Stund entlegen. Glatfelden 3/4. Stund entlegen. weyach fast ein Stund entlegen. Bachs fast ein Stund entlegen.»

Der Schulmeister von Bachs, Heinrich Schütz [Schüz], ist ebenso gewissenhaft und erwähnt:
«WALDHAUSEN im Canton BADEN so hier Kirchgenößig. WEYACH, WINDLACH, STADEL, NERACH, OBERSTEINMAUR. NIDERSTEINMAUR. SÜNIKEN. SCHÖFLISTORF. OBERWENNINGEN.» Und zu den Entfernungen: «Waldhausen 3/4. Stund. Weyach 1. Stund. Windlach 3/4. Stadel 1/2. Nerach 3/4. Obersteinmaur 3/4. Nidersteinmaur 1. Suniken 1. Schöflistorf 1. Oberwenningen 1. Stund.»

Auch Johann Baptist Nägeli, der Kaiserstuhler Schullehrer, der aus Markdorf (Schwaben) stammt, und sich als «naturalisierter Schwitzer, nun aber geschworner Bürger» bezeichnen durfte, antwortet ausführlich:

I.4.a  Ihre Namen: «von Kaiserstuhl auf das Dorf Fisibach eine virtlstunde. auf das Dorf Mellstorf eine Stunde. auf das Dorf Rimnicken eine Stunde. auf das Dorf Siglistorf eine Stunde.»
I.4.b  Die Entfernung eines jeden: «von Fisibach auf Mellstorf 3/4 Stunde. von Mellstorf auf Rimniken 3/4 Stunde. von Rimniken auf Siglistorf, eine Stunde. von Mellstorf auf Siglistorf eine virtlstunde.»

Fällt Ihnen etwas auf? Auch akribisch aufzählende Lehrer wie Nägeli auf der katholischen oder Schütz auf der reformierten Seite schweigen die anderskonfessionellen Schulen der Nachbarschaft tot. Die scheinen ganz einfach nicht zu existieren. Sind sozusagen gar keine Schulen. 

Dass Schütz die Schule Waldhausen auf Aargauer Boden erwähnt hängt damit zusammen, dass dieser Weiler damals rein reformiert war und trotz seiner Zugehörigkeit zur Landvogtei Baden (und ab 1798 dem Kanton Baden) schulisch von den Zürchern betreut wurde.

Waldhausen und Fisibach als Ausnahmen

Die konfessionelle Mauer in den Köpfen hat sich aber nicht auf alle ausgewirkt, das darf auch erwähnt werden. Man sieht das an Heinrich Meyer, Lehrer von Waldhausen und Franz Joseph Mayer, Lehrer von Fisibach.

Meyer, ein älterer Bauer, beantwortet die Frage I.4 so: «die Entvernung der benachbareten Schul auf eine stund ist Vißibach Jn distriets Zurzach, und zu Bachs in distriets Bülach, [...]» 

Hier wird mit Fisibach also tatsächlich eine katholische Schule erwähnt! 

Mayer, der seinen früheren Beruf mit «vorhero Ein Müller» angibt, hielt sozusagen Gegenrecht. Er schreibt: «Jm umkreiss ist Keisserstuhl, Rümickhen siglistorff, waldhausen im Districkh Zurzach, wie auch wiach im Distrike Bülach disse ordt seind Entlegen Bis auff Kaisserstuhl». Er klassiert sie alle als entlegen, ausser Kaiserstuhl, vor dessen Toren Fisibach liegt. 

Mayer erwähnt die reformierte Schule in Weiach. Vielleicht hat er auch den Weiacher Lehrer zum Schüler gehabt, schreibt er doch im Freitext der Umfrage: «Anmerckhung Es seind Etwelche wegen der Rechenkunst aus andere gemeinten Zu mir gekomen um solche Zu Lehrnen.» 

Ob da die Weltoffenheit des ehemaligen Müllers und späteren Lehrerbildners abgefärbt hat?

Quelle
  • Schmidt, H.R.; Messerli, A.; Osterwalder, F.; Tröhler, D. (Hrsg.): Die Stapfer-Enquête. Edition der helvetischen Schulumfrage von 1799, Bern 2015.

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