Mittwoch, 18. Dezember 2019

Ein Einheimischer als Vorsitzender des Dorfgerichts

In den beiden vorangehenden Beiträgen (WeiachBlog Nr. 1442 und 1443) habe ich jeweils betont, dass der Stabhalter (d.h. der Präsident) des Weiacher Dorfgerichts stets ein Kaiserstuhler gewesen sei.

Diese Aussage stützt sich auf den Rechtsquellenband Neuamt von 1996: «Den Vorsitz des Gerichts führte regelmässig ein Bürger der Stadt Kaiserstuhl, der vom konstanzischen Obervogt eingesetzt wurde.» (Weibel 1996)

Pergamenturkunde von 1507

Konsultiert man nun allerdings die ältere Fachliteratur zur Gerichtsverfassung der fürstbischöflichen Ämter Kaiserstuhl und Klingnau, dann zeigt sich, dass diese Regel offenbar nicht immer galt:

«Die Organe, mittelst welchen der Bischof seine Gerichtsbarkeit ausübte, waren in Kaiserstuhl und Klingnau die Stadtgerichte, in den Dörfern die Dorfgerichte. In jeder Gemeinde werden vom bischöflichen Vogt Urteilssprecher ernannt; beim Gericht hatten der Vogt oder ein von ihm ernannter Stellvertreter den Vorsitz. Die immer wiederkehrende Formel lautet z.B. in einer Gerichtsurkunde von 1507: "Ich Heine Meygerhoffer von Wyach ... bekenn ... mit disem brief, das ich ... zue Wyach an gewonlicher gerichtzstatt offenlich zů gericht gesässen bin anstatt und innamen des hochwirdigen fürsten und heren her Hugo erwelter und bestätter bischoffe zue Costentz mins gnädigen heren, und ouch von besonder enpfälens und heißens wägen, des edlen und vesten junckher Cuenraten Heggezer der zitt vogt zue Keyserstuel, mins lieben junckheren." [Fn-14]» (Schib 1931)

Fn-14: K. Urk. vom 27. III. 1507. [StAK Urk. 118 gemäss Kläui 1955]

Aus dem Zitat von Schib kann man nur den Schluss ziehen, dass Weiach der Gerichtsort für das in dieser Urkunde verbriefte notarielle Geschäft war, es sich demzufolge um das Dorfgericht gehandelt haben muss. Und der Präsident war ein Weiacher.

Gerichtsort Weiach oder Gerichtsort Kaiserstuhl?

Zieht man allerdings die entsprechende Stelle im Regest Kläuis in Aargauer Urkunden XIII zurate, dann ist die Sache nicht mehr ganz so klar:

«Vor Heine Meygerhoffer von Wyach by Keyserstůl, der daselbst an gewonlicher gerichtz statt im Namen Bischof Hugos von Konstanz und ouch von besonder enpfälens und heissens wägen des edlen und vesten junckher Cůnraten Heggezer, der zitt vogt zů Keyserstůl, zu Gericht sitzt, [...]» (Kläui 1955)

In Kläuis Urkundenbuch sind kursiv gedruckte Stellen von ihm verfasste Erläuterungen, solche in normal gesetzter Schrift hingegen Originalzitate aus der Urkunde. Liegt ein Irrtum des Schriftsetzers vor? Wenn nein, ist die Frage, worauf sich hier das Wort «daselbst» bezieht, auf Weiach oder auf Kaiserstuhl. Wäre letzteres der Fall, dann müsste man den Gerichtsort Kaiserstuhl annehmen.

Geteiltes Niedergericht Weiach reflektiert im Wortlaut der Urkunde

Wer von beiden nun den korrekten Wortlaut bezüglich des Gerichtsorts zitiert hat, ob Kläui oder Schib: allein schon der Umstand, dass sowohl Fürstbischof Hugo von Konstanz wie auch Konrad Heggenzer von Wasserstelz sozusagen gleichrangig als Autoritäten genannt werden, kraft deren Auftrag Meierhofer zu Gericht sitzt, zeigt auf, dass es sich um das Weiacher Dorfgericht gehandelt haben dürfte. Die beiden genannten Herren waren damals je zur Hälfte an den Niedergerichtsrechten in Weiach beteiligt. Und diese Konstellation gab es nur in Weiach, sonst nirgendwo.

Auch die Nennung des von Heggenzer ausgeübten Amts als fürstbischöflich-konstanzischer Obervogt des Amtes Kaiserstuhl in der Urkunde dürfte daran nichts ändern. Wäre er nur Amtsträger und nicht auch selber Gerichtsherr gewesen, dann hätte die Nennung des Bischofs genügt.

Das bedeutet, dass es – entgegen der von Weibel festgehaltenen Regel – durchaus auch einmal einen Weiacher Gerichtspräsidenten geben konnte, der den Vorsitz des Dorfgerichts innehatte, zumindest anfangs des 16. Jahrhunderts.

Quellen
  • Schib, K.: Hochgericht und Niedergericht in den bischöflich-konstanzischen Gerichtsherrschaften Kaiserstuhl und Klingnau. In: Argovia, Bd. 43. Aarau 1931 – S. 47.
  • Kläui, P.: Die Urkunden des Stadtarchivs Kaiserstuhl. Aargauer Urkunden, Band XIII, Kaiserstuhl. Aarau 1955 – S. 67 [Nr. 135].
  • Weibel, Th.: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft; Erster Band: Das Neuamt; Aarau 1996 – S. 433 [RQNA Nr. 193, Vorbemerkungen].

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