Heute vor sieben Jahren wurde Weiach in wenig rühmlichem Zusammenhang in den Zürcher Gazetten erwähnt: als Schlusslicht bei der Frauenquote in Gemeindeexekutiven.
Um Schulpflegen oder Kirchenpflegen ging es da nicht. Die Rede ist von den politischen Gemeinden, konkret: vom «Frauenanteil der gewählten Gemeinderatskandidaten». Diesen hatte ein Forscherteam der Universität Zürich unter der Leitung von Prof. Fabrizio Gilardi anhand von Wahlprotokollen aus vier Jahrzehnten ermittelt.
Weiach auf dem letzten Platz
Gilardi twitterte am 3. September 2012 den Titel der Studie: «Die politische Repräsentation von Frauen im Kanton Zürich, 1970-2010: Ranking der Gemeinden» und verlinkte auf eine Grafik, in der die Zahlen auf einen Blick ersichtlich sind (vgl. Bild).
Die Journalistin Adrienne Fichter (heute bei der Online-Zeitung Republik) reagierte 9 Minuten später mit einem Retweet und dem Kommentar: «In Weiach muss frau wohnen...Jesses.»
Dann zogen fast drei Monate ins Land, bis Sabine Arnold am 28. Dezember 2012 in diversen Zeitungen den eingangs erwähnten Artikel beim Verbund Zürcher Regionalzeitungen (unter dem Kommando der Tamedia AG) platzieren konnte. Dazu gehören: Der Landbote, Zürcher Unterländer, Zürichsee-Zeitung, Limmattaler Zeitung und Anzeiger von Uster.
Wunsch nach Veränderung der «reinen Männerbehörde»?
Im Zürcher Unterländer erschien ein Teaser auf Seite 1 (Titel: «Weiach ist Listenletzter»), der auf den ausführlichen Artikel auf S. 15 mit dem Titel «Frauen stecken Frauen an», verwies.
Diesen längeren Beitrag leitete Arnold mit den Worten ein: «Der Weiacher Gemeinderat ist fest in Männerhand – und das praktisch seit jeher. Auch das Frauenstimm- und -wahlrecht, das im Kanton Zürich 1969 auf Gemeindeebene eingeführt wurde, konnte nicht viel daran ändern. Die Gemeinde im Zürcher Unterland belegt mit einer durchschnittlichen Frauenquote von weniger als zwei Prozent in der Exekutive den letzten Platz auf einer kürzlich erarbeiteten Rangliste.»
Und zwei Sätze weiter: «Gemeindepräsident Paul Willi bedauert, «dass Frauen nicht eher bereit sind, sich im Gemeinderat zu engagieren». Er weist jedoch darauf hin, dass es in der Primarschul- sowie in der Kirchenpflege besser aussehe. Der Wunsch nach Veränderung seiner aktuell ebenfalls reinen Männerbehörde sei zwar da. «Aber die Anforderungen an den Gemeinderat steigen. Fähige Frauen dafür zu gewinnen, ist nicht einfach. Häufig sind sie mit Beruf, Familie oder einem Vereinsengagement bereits stark belastet.»
Eine Frau als Kollateralschaden
Über einen Monat später, am 2. Februar 2013, erschien im FORUM, der Leserbriefseite des Zürcher Unterländer, auf Seite 11 der nachstehende Kommentar von Martin Amsler aus Oberhasli:
Unerfüllte Frauenquote
Zum Artikel «Weiach ist Listenletzter», publiziert in der Ausgabe vom 28. Dezember.
Die Begründung des Weiacher Gemeindepräsidenten betreffend Frauenquote finde ich doch etwas gar plakativ! In einigen Fällen mag sie zutreffend sein, meistens greift sie jedoch viel zu kurz; für Weiach, in der aktuellen Situation, trifft sie gerade nicht zu! Viele Weiacher und vor allem die Weiacherinnen mögen sich der Umstände noch gut erinnern, warum es bei den letzten Gemeinderatswahlen keine Frau in den Rat schaffte, obwohl sie (aktenkundig) im Prinzip schon gewählt war. In diesem Falle fehlte ihr ganz einfach die gleiche unverfrorene Rücksichtslosigkeit, wie sie diejenigen an den Tag legten, die sie aus dem Rennen gedrängt haben. Sie war ganz einfach «zu viel Frau», um diese Attacke erfolgreich abwehren zu können. Man kann sich jetzt fragen, ob Rücksichtslosigkeit im Amt zwingend notwendig ist.
Sprengkandidat Willi im Kampf gegen Galimberti
Heftiger Vorwurf. Aber im Kern ein zutreffender. Blicken wir zurück auf diese von Amsler erwähnte denkwürdige Wahl.
Hätte Sabine Arnold sauber recherchiert, z.B. auf WeiachBlog, dann hätte sie sich das Wörtchen «praktisch» sparen können. Der Weiacher Gemeinderat war immer und ist bis heute ausschliesslich in Männerhand. Da hat nämlich noch überhaupt nie eine Frau Einsitz nehmen können.
Dass Weiach in der Studie von Gilardi et al. nicht gleich ganz links an der Null-Linie der Grafik gelandet ist, verdankt es lediglich dem Umstand, dass bei den Wahlen 2010 die erste und bislang einzige Kandidatin für das Amt eines Gemeinderates von den Stimmberechtigten zwar gewählt wurde, sich dann aber zum Rückzug genötigt gesehen hat.
Zu den Hintergründen, vgl. WeiachBlog Nr. 758 (Ausgangslage mit Hinweis auf den «Last-minute-Sprengkandidaten» und späteren Gemeindepräsidenten Paul Willi in einem Kommentar); 759 (Wahlresultat mit Pattsituation bezgl. Gemeindepräsidium); sowie 766 (Erste Gemeinderätin aus Amt gedrängt?).
Gegen die gesetzlichen Vorschriften
Fakt ist: Die mit der tiefsten Stimmenzahl gewählte erste Gemeinderätin von Weiach hat sich dem Dorffrieden zuliebe zurückgezogen. Problem gelöst! – Oder etwa doch nicht?
Denn erstens: rechtens war das überhaupt nicht. Die gewählte Kandidatin hätte gar keine Unverfrorenheit an den Tag legen müssen. Da genügt ein Blick auf die Gesetzeslage vollauf. Es gilt nämlich: gewählt ist gewählt, wie beim Kanton an zuständiger Stelle zu erfahren war (vgl. die Erläuterungen in WeiachBlog Nr. 766). Für Sprengkandidat Willi hätte gegolten: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Dieses Gemauschel gegen Recht und Gesetz wäre ein klarer Fall für eine Beschwerde beim Bezirksrat gewesen. Aber keine(r) unter den Stimmberechtigten hat es gewagt, sie einzureichen. Auch der Verfasser des WeiachBlog nicht.
How dare you???
Zweitens, und weitaus wichtiger: die Nachwehen dieses nun bald zehn Jahre alten Skandals wirken sich bis heute aus.
Wie wurde doch Prof. Gilardi im Unterländer abschliessend zitiert: «Die Hürden, die sich Gemeinderätinnen heute in den Weg stellen, sind schwierig zu beseitigen.» (ZU, 28. Dezember 2012, S. 1)
Für Weiach gilt dieser Satz in besonderem Masse. Denn wie Leserbriefschreiber Amsler angetönt hat: das Powerplay der nach aussen unsichtbaren Machtstruktur in der Gemeindepolitik, welche Paul Willi Ende Januar 2010 kurzfristig in Stellung gebracht und durchgeboxt hat, das muss man als Politikerin immer im Hinterkopf haben. Diesem Zirkel sind geltende Gesetze offensichtlich egal – nachgewiesenermassen dann, wenn es bei Wahlen um die Wurst geht. Da lässt man schon mal eine Kandidatin rechtswidrig über die Klinge springen.
P.S.1: Die damals Gewählte ist heute Präsidentin der evangelisch-refomierten Kirchenpflege Weiach.
P.S.2: Mit Pascale Wurz hat Weiach heutzutage erstmals eine Gemeindeschreiberin an der Spitze der Verwaltung. Sie sitzt nun im Gemeinderat. Nur halt funktionsbedingt ohne Stimmrecht.
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