Im Sommer 1705 beriet die Zürcher Regierung über ein Schreiben des dazumaligen Weiacher Pfarrers Brennwald. Der beklagte sich über den schlechten baulichen Zustand der Kirche im Oberdorf und vor allem über die beengten Platzverhältnisse darin und forderte Abhilfe.
Der Rat holte zur schriftlichen Klage Brennwalds einen mündlichen Mitbericht der Obervögte des Neuamts ein und liess daraufhin protokollieren, da «dermahliges Kirchli, eine von 750 Seelen bestehende gemeind zu fassen, allzu klein» sei, müssten bezüglich der Weiacher Kirche Lösungen gesucht werden, konkret: Erweiterung oder Neubau (StAZH B II 691, S. 31 – 25. Juni 1705).
Die erste reformierte Dorfkirche war zwar erst 1644 «umb den driten theil erlängert worden» (Pfr. Erni im Turmkugeldokument Nr. 1 von 1659), was aber wohl bei weitem nicht ausreichte. Man kann das anhand der Zahlen erahnen, auf welche die Pfarrer in den auf Anordnung ihrer Vorgesetzten, der hohen Obrigkeit zu Zürich, erstellten Bevölkerungsverzeichnissen kamen.
Die Bevölkerung wächst, sagen die Verzeichnisse der Pfarrer
Die Angabe «750 Seelen» lässt jedenfalls aufhorchen. Sie ist viel höher als die mir bisher bekannten Zahlen. Rekapitulieren wir, was die Bevölkerungsverzeichnisse sagen:
Pfr. Hans Jakob Bluntschli errechnete 1634 insgesamt 361 Einwohner. Pfr. Joh. Rudolf Erni hat 1640 total 428 und 1650 insgesamt 483 Einwohner gezählt.
Wenn man annimmt, dass all diese Menschen tatsächlich vor Ort lebten und die Kirche vor der Verlängerung ausreichend gross war, dann war der Platz 1650 gerade noch ausreichend.
Bereits 1670 aber zählte Pfr. Hans Rudolf Seeholzer 624 Einwohner! Also ein Bevölkerungswachstum von 72 Prozent in nur 36 Jahren. Diese Anzahl hat die Kapazität der Kirche wohl überfordert. Und nicht nur diese. Es dürfte auch bei den natürlichen Ressourcen, wie Ackerland, Weideland und Waldflächen, schon ziemlich knapp geworden sein.
Der Druck nahm danach keineswegs ab: die Zählung von 1689, wiederum durch Pfr. Seeholzer, ergab sogar unglaubliche 767 Personen (nochmals 23 Prozent mehr!).
Der eingangs erwähnte Pfr. Brennwald, seit 1693 im Amt, zählte 1695 dann allerdings nur noch 583 Einwohner, eine Reduktion, die aufgrund einer Auswanderungswelle in den 1690er-Jahren zu erklären ist.
Sein Nachfolger Hans Rudolf Wolf, dessen Grabplatte heute als einzige in der Aussenmauer der Kirche von 1706 eingelassen ist, kam in der Endabrechnung im Jahre 1711 bereits wieder auf 668 Personen.
Wie wurde da gezählt?
Es stellt sich die Frage: Wie kommt man auf 750 Seelen? Haben Brennwald (und allenfalls die Obervögte) zwecks möglichst dramatischer Darstellung der Problemlage gegenüber den Entscheidungsträgern auf die Zahlen aus der Zeit vor der Auswanderungswelle zurückgegriffen, indem die Abgewanderten nach wie vor zur Gemeinde gezählt wurden?
Wir haben es hier mit einem Grundproblem jeder Statistik zu tun, nämlich der zugrundegelegten Definitionen. Wenn die von einer Erhebung zur nächsten geändert werden, dann kann man die Zahlen eigentlich nicht vergleichen. In den Verzeichnissen wird teilweise zwischen Personen «innert der Gmeind» und «ussert der Gmeind» unterschieden. Diejenigen ausserhalb dürften nach heutigen Kriterien der Definition eines zivilrechtlichen Wohnsitzes nicht zur Bevölkerungszahl gerechnet werden.
Die Dynamik bei den Bevölkerungszahlen ist jedenfalls eindrücklich. Worauf sie zurückzuführen ist, kann nur durch akribische Analyse der Bevölkerungsverzeichnisse eruiert werden. Dafür fehlte mir aber bislang die Zeit.
Zu vermuten ist jedenfalls, dass die Zuwächse vor allem aufgrund von Geburtenüberschüssen erfolgten (mehr Geburten als Todesfälle und Abgänge durch Auswanderung). Denn Weiach hatte schon vor 1598 einen sogenannten Einzugsbrief, also eine Gemeindeverordnung, die es erlaubte, von Neuzuzügern relativ hohe Gebühren einzufordern (vgl. Rechtsquellen Neuamt, Nr. 186). Diese Einkaufssummen verfolgten die Zielsetzung, die natürlichen Ressourcen nicht zu überlasten.
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