Montag, 9. Dezember 2019

Kirchenpflege gab Anstoss zur elektrischen Erleuchtung

Dass Theologen auch handfeste ökonomische Impulse geben können, ist aus heutiger Sicht ein eher erstaunlicher Umstand. Es darf jedoch konstatiert werden, dass Weiach einigen seiner Pfarrherren in dieser Hinsicht viel zu verdanken hat.

Lesern von WeiachBlog und Weiacher Geschichte(n) bekannt ist Pfr. Konrad Hirzel, der Co-Autor der Ortsbeschreibung von 1850/51, der auch Mitbegründer des Landwirthschaftlichen Vereins in Weiach war und als solcher viele praktische Umsetzungen angestossen und mitgetragen hat (vgl. Weiach - Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes, 6. Aufl. – S. 56; pdf, 2.87 MB)

Eher unbekannt hingegen dürfte sein, dass auch Pfr. Arnold Zimmermann (Weiacher Pfarrer von 1897 bis 1903) zu diesen Impulsgebern gehörte. Der spätere Kirchenratspräsident (d.h. oberster Chef der Zürcher Kirche), Verfasser vieler theologischer Schriften und Ehrendoktor, hat sehr wohl mitbekommen, was in der Lebensumwelt seiner Gemeinde vor sich ging. Und entsprechend gehandelt.

Her mit dem elektrischen Strom!

Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war klar, dass nach der Eisenbahn und der Wasserversorgung nun auch eine weitere Netzwerktechnologie ihren Siegeszug antreten dürfte: die Versorgung mit elektrischem Strom, sei es nun zur Beleuchtung oder als Kraftquelle für Maschinen.

Um 1900 hatte die etwa zwanzig Jahre zuvor eingeführte Stromversorgung in Städten wie Zürich bereits ihren exklusiven Luxuscharakter verloren und kurz vor der Jahrhundertwende wurden auch auf dem Land kleine Kraftwerke gebaut und in Betrieb genommen.

So zum Beispiel in unserer Nachbargemeinde Glattfelden, wo am 22. Mai 1898 eine Genossenschaft namens Licht- und Kraftwerk Glattfelden aus der Taufe gehoben wurde. Sie kaufte eine Mühle an der Glatt, entfernte das alte Mühlrad und liess durch die Maschinenfabrik Rieter zwei Turbinen (20 und 30 PS) installieren. Diese trieben dann eine Dreschmaschine und die Mühle selber an, später ein Sägewerk, die Strassenbeleuchtung und natürlich alle Hausanschlüsse. (Website LKWG; Seite Geschichte). Strom hatten die Glattfelder somit bereits 1899.

Kommission für Vorstudien bewilligt

Diese Aktivitäten blieben den Weiachern nicht verborgen. Und sie beschlossen, selber aktiv zu werden.

Einem begleitenden Bericht (Titel: «40 Jahre E.G.W.») zur Jahresrechnung 1952 der Elektrizitätsgenossenschaft Weiach ist in zusammengefasster Form zu entnehmen, welche Aktivitäten sich wenige Monate nach der Gründung der LKWG in Weiach entfalteten:

Im Protokoll der «Kommission für Vorstudien zur Erwerbung elektr. Kraft» lesen wir:

«Sonntag, den 29. Juli 1900 nahm die Gemeindeversammlung Weiach folgenden Antrag der Kirchenpflege an:

Es sei eine Kommission zu wählen, welche die Frage zu prüfen hat, ob nicht elektr. Kraft zu Beleuchtungs- und eventl. zu andern Zwecken gewonnen werden könnte und es sei derselben der zum Studium der Frage bzw. zur Zuziehung von Fachleuten erforderliche Kredit zu bewilligen.

Die Kommission wurde bestellt aus den Herren Ad. Funk zur Mühle, J. Baumgartner zur Säge und Pfr. Zimmermann, und derselben ein Kredit von Fr. 1000.- erteilt.»

Dieser Kommission und damit wohl einem Grossteil der damaligen Ortsbewohner schwebte sogar ein eigenes, kleines «aus den beiden Dorfbächen zu speisendes Elektrizitätswerk» vor. Fast zwei Jahre lang dauerten diese Vorstudien, bestehend in Planvorlagen, Offerten der Firmen Rieter, Winterthur, und der Motor A.G., Baden, Gutachten des kant. Wasserrechtsingenieurs, Besuch anderer kleiner Kraftwerke, wie Glattfelden, Rorbas, Wassermessungen an unsern beiden Bächen, Besprechungen über die Rentabilität solcher Kleinanlagen etc. etc. -

Unterm 10. Januar 1902 aber beschloss man, «in Anbetracht des Umstandes, dass zur Zeit die Gewinnung elektrischer Energie unmöglich ist, die Kommission aufzulösen. Dagegen ist ein Gemeindeglied zu bestimmen, das die Angelegenheit im Auge behalten und wenn irgendwoher in annehmbarer Weise Kraft bezogen werden kann, der Gemeinde einen diesbezüglichen Antrag stellen soll.»

Der Pfarrer redet an der Gemeindeversammlung für das Vorhaben

Es war also nicht der Gemeinderat, sondern die Kirchenpflege unter ihrem Präsidenten Pfr. Arnold Zimmermann, die in diesem Bereich die Initiative ergriffen hat. Der Herr Pfarrer höchstpersönlich vertrat den Antrag der Pflege an der Gemeindeversammlung der politischen Gemeinde und schaffte es, die Stimmberechtigten trotz Gegenwind zu überzeugen, wenn auch nicht gerade zu elektrisieren.

Ausführlichere Details bringt Willi Baumgartner-Thut in einem lesenswerten zweiseitigen Beitrag für die Mitteilungen der Gemeinde Weiach (Baumgartner 2000). Wie man der Abbildung der ersten Protokollseite entnehmen kann, hiess das von der Gemeindeversammlung am Sonntagnachmittag erkorene Gremium mit vollem Namen Kommission für Vorstudien zur Erwerbung elektrischer Kraft in Weiach.

Die Ernüchterung folgt auf dem Fuss

Die Kommission traf sich zu insgesamt fünf Sitzungen. Sie musste allerdings bald erkennen, dass Weiach halt nur mit zwei Dorfbächen aufwarten kann – und von der Natur nicht mit einem mittelgrossen Flüsschen bedacht wurde, wie Glattfelden (am Unterlauf der Glatt kurz vor der Einmündung in den Rhein) oder Rorbas (an der Töss, ebenfalls kurz vor der Mündung in den Rhein). Diese beiden Fliessgewässer haben das Potential für ein wirtschaftlich zu betreibendes Kommunalkraftwerk, die Weiacher Bäche nicht annähernd, wie den Kommissionsmitgliedern nach entsprechenden Messungen auch der Wasserrechtsingenieur beschied.

Die oben genannte Motor A.G. war nicht einmal bereit, zu einem Vortrag nach Weiach zu kommen, was nicht verwundert, da sie damals schon in wesentlich grösseren Dimensionen dachte und die Rentabilität im Blick hatte. Diese 1895 von der BBC zur Finanzierung ihres Anlagengeschäfts gegründete Firma, mit vollem Namen Motor A.G. für angewandte Elektrizität (nach Fusion 1923: Motor-Columbus) hatte als Zielmärkte die ganze Schweiz und Norditalien vor Augen. Bereits 1908 erreichte diese Firmengruppe den ersten überregionalen Verbund aus dem Speicherwerk Löntsch im Glarnerland (Klöntalersee) und dem Laufkraftwerk Beznau am Unterlauf der Aare.

Die Muttergesellschaft BBC, 1891 von Charles Eugen Lancelot Brown und Walter Boveri gegründet (heute: Asea Brown Boveri, ABB), war ein wichtiger Treiber der Elektrifizierung unseres Landes (Steigmeier 2009).

Weiterführende Literatur
  • 40 Jahre E.G.W.  In: Elektrizitäts-Genossenschaft Weiach. 40. Jahresrechnung pro 1952 vom 1. Januar bis 31. Dezember 1952. Rechnungssteller: E. Baumgartner, Verwalter. Beilage zu Zollinger, W.: Chronik des Jahres 1952, Signatur. G-Ch Weiach 1952.
  • Baumgartner, W.: Kommission für Vorstudien zur Erwerbung elektrischer Kraft in Weiach. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, August 2000 – S. 10-11.
  • Steigmeier, A.: Motor-Columbus. In: Historisches Lexikon der Schweiz, Version vom 8. Januar 2009
  • Baumgartner, W.: 100 Jahre Elektrizitätsgenossenschaft Weiach. Die Chronik 1912–2012. Herausgegeben von der Elektrizitätsgenossenschaft Weiach, Weiach 2012.
  • Paquier, S.: Elektrizitätswirtschaft. In: Historisches Lexikon der Schweiz, Version vom 26. Januar 2016.
  • Licht- und Kraftwerk Glattfelden (LKW) – Geschichte. https://www.lkwg.ch/firma/geschichte/  [Zugriff am 9.12.2019]

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